Evangelisch getauft, als „Juden“ verfolgt
vorgestellt von Ulrich Schwemer

Vielleicht irritieren als Erstes die Anführungszeichen im Titel des Buches, in dem das Wort „Juden“ in Anführungsstriche gesetzt wird. Sind getaufte Juden etwa keine Juden mehr? Die Antwort findet sich aber schnell im Vorwort der Herausgeber, die darauf hinweisen, dass viele der verfolgten Juden erst durch die nationalsozialistische Gesetzgebung etwas über ihre jüdischen Ursprünge erfuhren bzw. dass sie sich selbst nicht mehr als Juden betrachteten, durch die Rassegesetze aber unversehens wieder als Juden definiert wurden: „Für die damals Betroffenen waren es willkürliche Zuschreibungen und zugleich für sie und ihre Familien bittere Realität, die sie als getaufte Christen verzweifelt abzuwehren versuchten.“ (S.10)

Dieses Buch reiht sich ein in mehrere Veröffentlichungen der letzten Jahre, in denen nach Christen jüdischer Herkunft, ihrem Schicksal und dem Umgang der Kirche mit ihnen gefragt wird. (So erschien z.B. im Jahr 2013 für den Bereich der evangelischen Kirchen in Hessen das Buch „Getauft, ausgestoßen - und vergessen? - Zum Umgang der evangelischen Kirche in Hessen mit den Christen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus“, Heinz Daume, Hermann Düringer, Monica Kingreen, Hartmut Schmidt edd.)

Die vorliegende Veröffentlichung allerdings spezialisiert sich auf die Personen, die als Theologinnen und Theologen in der Kirche arbeiteten, die von den Rassegesetzen direkt selbst oder durch ihre Ehepartner betroffen waren und beschreibt in gut recherchierten Kurzbiografien ihr Schicksal. Da fallen einige bekannte Namen auf auf wie Ernst Lange, Fritz Majer-Leonhardt, Hans Ehrenberg oder Hans-Joachim Iwand. Aber es gibt auch eine Fülle von Namen, die eher im Bereich ihrer Landeskirche oder ihrer Gemeinde bekannt sind und deren Schicksal ohne dieses Buch wohl vergessen werden würde.

Das Buch zeichnet sich durch große Klarheit im Aufbau aus. Es beginnt mit einem Geleitwort des damaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Dr h.c. Nikolaus Schneider, der mit erfreulicher Klarheit nicht nur das Schicksal der Betroffenen bedauert, sondern mit einem dreimaligen „Es macht zornig“ auch und vor allem den Umgang der Kirchen nach dem Krieg mit ihren judenchristlichen Gliedern geißelt. Denn sie waren auch dann noch antisemitischen Einstellungen in den Gemeinden ausgesetzt, bekamen keine Stellen und keine Bezüge, während alte Parteigänger der Nazis auf ihren Stellen bleiben konnten und erlebten, dass rassisch begründete Amtsenthebungen während des „3. Reichs“ danach nicht rückgängig gemacht wurden.

In einem kurzen Vorwort begründen die Herausgeber ihre Arbeitsweise und in der von Hartmut Ludwig verfassten Einleitung wird in sehr kompakter Weise die Lebenswirklichkeit von judenchristlichen (bzw. mit Judenchristen verheirateten) Amtsträgern in einer Kirche beschrieben, die weder in den offiziellen Gremien der „Deutschen Evangelischen Kirche (DEK)“ noch in der „Bekennenden Kirche (BK)“ wirklich eine Unterstützung erfuhren. Auf nur 15 Seiten stellt Ludwig die Entwicklung im „3. Reich“ dar und setzt sie in Beziehung zum Schicksal der judenchristlichen Theologinnen und Theologen und zum Verhalten der Kirche. So kompakt und so erschreckend findet man diesen Zusammenhang selten dargestellt. Im letzten Abschnitt heißt es: „Der traditionelle Antijudaismus und Antisemitismus blieb viele Jahre Gemeingut in unseren Kirchen. Keine Kirchenleitung oder Synode bekannte die Mitschuld an der Verfolgung und Vertreibung von Theologinnen und Theologen jüdischer Herkunft in der NS-Zeit.“ (S.25)

Die 180 Biographien sind durchgängig auf zwei Druckseiten, zumeist mit Bild gedruckt und haben einen klaren Aufbau: Einleitend findet man die Lebensdaten und Orte, die familiären Verhältnisse und die theologische Laufbahn. Es folgt dann die eigentliche Biographie aus der Feder unterschiedlicher Verfasser/innen. Schon anhand der Lebensdaten kann man sich gut orientieren, z.B. die landeskirchliche Zugehörigkeit, die Lebensorte vor, während und nach der Zeit der Nationalsozialisten finden und so u.U. gezielt nach bestimmten Personen suchen. In vielen Berichten macht betroffen, wie sehr die Verfolgung der Theologinnen und Theologen jüdischer Herkunft schon innerhalb der Kirche selbst mit Denunziation oder anderen Erniedrigungen einhergeht.

Die biographischen Texte machen deutlich, dass das Verbindende zwischen den Personen zwar die Bedrohung durch die NS-Rassegesetzgebung ist, dass aber ansonsten theologisch wie politisch äußerst unterschiedliche Persönlichkeiten beschrieben werden. Wenn man die Debatten der frühen Zeiten des christlich-jüdischen Dialogs nach dem Krieg betrachtet, die bestimmt waren von der Diskussion um Dialog und Mission, findet man - verständlicher Weise - recht häufig Vertreter/innen der Judenmission unter den geschilderten Persönlichkeiten. Manche von ihnen trifft man aber auch bei Gründungen wie der „Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“ oder auch bei der Gründung „Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden“ an. So gründete Adolf Freudenberg in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau schon Anfang der fünfziger Jahre den „Landeskirchlichen Ausschuss für Dienst an Israel“ (heute: ImDialog - Ev. Arbeitskreis für das christlich jüdische Gespräch in Hessen und Nassau) und Fritz Majer-Leonhard war 1975 Mitbegründer der „Arbeitsgruppe 'Wege zum Verständnis des Judentums'“.

Sehr hilfreich ist der den Biographien angehängte Teil mit Informationen zur Zugehörigkeit zu den Landeskirchen, mit Zuordnung der einzelnen Personen zu unterschiedlichen Verfolgungsformen, zu innerkirchlichen Maßnahmen, zu Emigration und KZ-Haft und noch vielen weiteren Themenbereichen. Während bei den Biographien weitgehend auf Quellenangaben verzichtet wird, finden sich in einem gesonderten Abschnitt zu jeder Person die Quellen, oft Personalakten, manchmal auch Rückgriff auf schon vorhandene Lebensbeschreibungen. Schließlich findet sich ein reiches Literaturverzeichnis und ein Personenverzeichnis der in den Texten genannten Personen, das auch Querverweise zwischen verschiedenen aufgeführten Personen möglich macht.

Die Herausgeber haben ein Buch vorgelegt, das aus unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht, über das Schicksal von Christen jüdischer Herkunft informiert zu werden. Es ist ein Nachschlagewerk, eignet sich aber auch als Lesebuch über Christen, die wegen ihrer oder ihrer Partner jüdischer Herkunft verfolgt wurden. Es sollte in keiner Pfarrbibliothek fehlen!

Hartmut Ludwig, Eberhard Röhm edd. In Verbindung mit Jörg Thierfelder; Evangelisch getauft - als „Juden“ verfolgt. Theologen jüdischer Herkunft in der Zeit des Nationalsozialismus, Calwer Verlag, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-7668-4299-2

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ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau
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