Wer umkehrt, dem kommt man entgegen
Der Weg zum Rheinischen Synodalbeschluss und die Folgen
von Bertold Klappert

1. Der lange Weg bis zum Rheinischen Synodalbeschluss von 1980
Die Evangelische Kirche und Theologie in Deutschland sind in den Jahren von 1949-2009 im Hinblick auf die sog. „Judenfrage“ einen langen Weg gegangen. Und dieser Weg hat erst begonnen und ist noch lange nicht abgeschlossen. Ja, er kann überhaupt nicht abgeschlossen werden, da es der Kirche geschenkt und geboten ist, an der Seite Israels und mit Israel gemeinsam den Weg In die Zukunft zu gehen, zu suchen und zu finden.

Der lange Weg hätte freilich überhaupt nicht begonnen werden können, ohne die Hilfe und die Anstöße, die viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde aus dem In- und Ausland der Evangelischen Kirche und Theologie gegeben haben. So ging der Leo Baeck-Schüler und spätere Landesrabbiner von Baden, R.R. Geis, trotz der Shoah wieder nach Deutschland, weil Baeck im Blick auf die wenigen Märtyrer in Deutschland aus dem Raum der Kirchen, speziell im Blick auf D. Bonhoeffer, gesagt hatte: „Nun haben auch Christen wieder Märtyrer“. Leo Baeck ist dann auch seinerseits wieder den Weg nach Deutschland gegangen und hat die Epochen der jüdischen Geschichte in Vorträgen ergreifend und in Vorlesungen lebendig vorgestellt und von der bleibenden Bedeutung des Judentums als Zeuge Gottes vor der Welt (Jes 43,21) und trotz aller Verbrechen von möglichen Brücken zwischen Judentum und Christentum gesprochen.

Wer der Anstöße Leo Baecks gedenkt, muss auch vom Leo Baeck-Schüler A.H. Friedlander sprechen, ohne dessen Engagement die weitgehend in Wuppertl erarbeitete 6-bändige Leo Baeck-Werkausgabe im Gütersloher Verlagshaus (2005) nicht erschienen wäre. Auf vielen Kirchentagen, Akademieveranstaltungen und in Gastvorlesungen hat er den Weg der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und den der Rheinischen Kirche (EkiR)  entscheidend mitbestimmt. Er sprach des öfteren über die Josephgeschichte und sagte mit Joseph: „Ich suche meine Brüder“. Aber die Brüder wollten und wollen Joseph töten und haben ihn in eine Zisterne geworfen. Und Albert fragte: „Warum nicht in irgendein dunkles Tal, das Babi Jar heißt? Warum nicht in einen Gasofen?“. In dem Versuch, Brücken zu bauen und Begegnungen zu eröffnen, müssen die dunkelsten Täler der christlich-jüdischen Geschichte und Vergangenheit  durchgegangen werden.

Für Yehuda Aschkenasy, einen weiteren Leo Baeck-Schüler, war es besonders schwer, den Weg nach Deutschland zu finden. Er hatte die Hölle von Buchenwald und Auschwitz durchlitten und wollte nicht mehr die Grenze nach Deutschland überschreiten. Als die erste Reise auf Einladung von Heinz Kremers bevorstand, wollte Yehuda an der holländischen Grenze nicht aus dem Auto, in dem sich auch David Flusser befand, aussteigen. Nach längerem Hin und Her hielt ihm dann Heinz Kremers bittend einen  Talmud-Satz vor. Daraufhin  hat Yehuda  gegenüber  dem zur Umkehr/Teshuva bereiten H. Kremers und seiner  Rheinischen Kirche die jüdische Wahrheit und Talmud-Weisheit praktiziert, die auch im Gleichnis von Lk 15,11-34 im Hintergrund steht: „Wer umkehrt, dem kommt man entgegen“.

Die genannten Beispiele aus dem Schülerkreis Baecks stehen repräsentativ für die vielen, wie E. Brocke, Ch. Safrai, S. Heschel, E. L. Ehrlich, P. Lapide, M. Wyschogrod u.a., die in das Rheinland gekommen sind und deren Namen ich leider aus Raumgründen hier nicht weiter nennen kann.

Der lange Weg, den die Ev. Kirche und Theologie in den Jahren 1949-2009 gegangen sind, kann und soll hier nicht historisch nachgezeichnet werden: Zu thematisieren wäre dann die Gründung der AG Christen und Juden beim Deutschen Evangelischen Kirchentag (1961), das besonders von der Rheinischen Kirche (EkiR) geförderte  Programm „Studium in Israel“, das Studierenden das Studium an der Hebräischen Universität in Jerusalem bis heute ermöglicht, die Berliner Sommeruniversität von P. von der Osten-Sacken, die jüdischen Gastprofessuren an verschiedenen Hochschulen – alle zwei Jahre ein ganzes Semester an  der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel, die Synoden und Synodalerklärungen der verschiedenen Landeskirchen nach und aufgrund des Rhenischen Synodalbeschlusses von 1980 „Zur Erneuerung des Verhältnisses der Christen zu den Juden“ und nicht zuletzt die Begegnungen zwischen Synagogen- und Christengemeinden an verschiedenen Orten.
Ich nenne im Folgenden lediglich einige Themenkreise, an denen sich die Umkehr und der Neuanfang von Kirche und Theologie im Blick auf das Judentum anfangsweise vollzogen haben.

2. Von der „Judenmission“ zum „innerbiblischen Dialog“
Im Jahre 1948 fordert der Ökumenische Rat der Kirchen bei seiner Gründungsversammlung noch, als wäre nichts geschehen, „den Einschluss des jüdischen Volkes in unsere Aufgabe der Evangelisation“. Innerhalb der AG „Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“ tritt H. Gollwitzer noch für die bleibende Verpflichtung von Christen „zum Evangeliumszeugnis gegenüber dem Judentum“ ein. Darauf drohte eine Spaltung der AG und der Rabbiner R.R. Geis schrieb an Gollwitzer: „Die Judenmission wird jetzt ... nicht mehr so strikt abgelehnt, sie soll nur nicht 'vom hohen Ross' erfolgen. Infanterie ist die Buße für das Schweigen der Kirche bei der Ermordung von Millionen Juden. Es könnte einem speiübel werden“. H. Gollwitzer hat sich später von seinen früheren judenmissionarischen Stellungnahmen  glaubwürdig distanziert.

Die judenmissionarische Tradition ist, insbesondere in evangelikalen Kreisen, bis heute nicht abgebrochen, wie im evangelischen Bereich der „Kölner Streit um die Judenmission“, im katholischen Bereich aber auch die erneuerte Karfreitagsfürbitte durch Papst Benedikt XVI zeigen. Das Thema ist innerevangelisch weiterhin umstritten und wird den Weg von Kirche und Theologie auch weiter bestimmen.

Dabei muss der Rheinische Synodalbeschluss von 1980 als klare „Absage an die Judenmission“ ohne Wenn und Aber verstanden werden, obwohl in ihn oft das Gegenteil hineingelesen worden ist. 1991 hat der durch Delitzsch gegründete „Zentralverein für Mission unter Israel“ sich von der Judenmission in jeder Variante verabschiedet und sich in „Zentralverein für Zeugnis und Dienst unter Juden und Christen“ umbenannt.

Im Jahre 1999 hat der Rheinische Präses und damalige Ratsvorsitzende der EKD, M. Kock, vor der EKD-Synode vom Rheinischen Synodalbeschluß her die Absage an jede Form der „Judenmission“ so begründet: „Israel ist der erste Zeuge Gottes vor der Welt und seiner Bestimmung nach Licht der Völker (Jes 42,6; 49,6) ... Die Beauftragung der Kirche zur Mission richtet sich nicht an Israel, sondern nach Mt 28 an 'die Völker'. Damit ist nicht Israel gemeint, damit ist Israel auch nicht mitgemeint“. Die Synode der Ev. Kirche von Westfalen hat im selben Jahr diese Absage bestätigt und sich „von jeglicher Judenmission distanziert. Nicht Mission an Israel, sondern das Gespräch mit Israel ist Christen und Christinnen geboten. Mit Israel verbindet die Kirche ein Buch und eine Hoffnung (M. Buber)“.

In seiner Wuppertaler Dissertation, „Innerbiblischer Dialog und dialogische Mission“ (Neukirchen 2006) hat R. Brandau die bisher immer noch strittige Thematik umfassend aufgearbeitet. Er unterscheidet dabei terminologisch erstmals und wegweisend: 1. einen „innerjüdischen Dialog“ innerhalb Israels, wie ihn die jüdischen Jünger Jesu im Raum Israels vollzogen  haben und im Neuen Testament vollziehen; 2. einen „innerbiblischen Dialog“ zwischen der Ökumenischen Kirche aus allen  Völkern und dem Volk Israel, der im christlich-jüdischen Dialog heute seinen anfänglichen Weg genommen hat; 3. einen „missionarischen Dialog“ zwischen der Kirche aus den Völkern und den Religionen und Weltanschauungen, wie er im Raum der Ökumene auch im Blick auf den Islam wahrgenommen wird. In dem innerbiblischen Dialog zwischen Synagoge und Kirche geht es dabei um eine geschwisterliche Begegnung deshalb, weil die Kirche aus den Völkern mit dem Judentum durch ein Buch, den Tanach, das 1. Testament, durch das Bekenntnis zu dem einen Gott Israels und durch eine gemeinsame Hoffnung auf das ReichGottes in Gerechtigkeit und Frieden verbunden ist, wie Leo Baeck erklärt hat.

3. Die Öffnung des innerbiblischen Dialoges zum Islam
Der evangelische Aufbruch in den Jahren 1949-2009 steht noch ganz am Anfang dieses neuen Weges. Der innerbiblische Dialog zwischen Kirche und Judentum ist dabei als Basisdialog zu bezeichnen. Aber dieser Basisdialog darf nicht bei sich selber stehen bleiben, sondern muss sich den biblischen Traditonen (Gen 12,1-4; 25,12-18) folgend öffnen hin zum Dialog mit dem Islam. Das ist eine Erkenntnis, die sich inzwischen an manchen Stellen und Orten durchzusetzen beginnt (vgl. besonders die hervorstechende Arbeit von  H.-J.Kuschel, Juden, Christen,Muslime. Herkunft und Zukunft, Düsseldorf 2007).

Die Öffnung der Abrahamsöhne und Sarahtöchter aus Juden und ChristInnen hin zu den Abrahamsöhnen und Hagartöchtern der Muslime und Muslima ist biblisch-alttestamentlich geboten. Die Verheißung großer Nachkommenschaft in der Abraham- und Hagarverheißung von 1. Mose 16,10 und 17,20  – keine andere Frau hat in der Bibel eine so umfassende Nachkommensverheißung erhalten wie Hagar ! –  ist bisher nur z.T. erfüllt. Die Öffnung des innerbiblischen Dialoges zwischen Kirche und Synagoge hin zum Islam legt sich aber auch deshalb nahe, weil das Judentum diese Öffnung in seiner Geschichte immer wieder vollzogen hat. In seinem letzten Aufsatz aus dem Jahre 1956 über „Judentum, Christentum und Islam“ (Leo Baeck-Werke Bd. 5) hat Baeck für diese Öffnung des jüdisch-christlichen Dialoges hin zum Islam in bewegenden Worten plädiert: „Im Islam ist vieles groß. Völker, die in der Barbarei und Niedrigkeit lebten, hat er in eine höhere Sphäre erhoben, hat ihnen ein neues Leben geschenkt. Wir Juden sollten das begreifen. Wir sollten Respekt hegen“. Auch wir Christen, füge ich hinzu, sollten dieser Offenheit und diesem Respekt im Dialog folgen.

Und so  ist kein Zufall, dass der ehemalige Direktor des Leo Baeck-College (London), Jonathan Magonet, das folgende Gedicht von Shalom Shapira in das Gebetbuch der Reformsynagogen Großbritanniens aufgenommen hat: „Ismael, mein Bruder, wie lange sollen wir einander bekämpfen? I Mein Bruder aus vergangenen Zeiten, mein Bruder Hagars Sohn ... I Ein Engel war uns beiden gesandt. Ein Engel wachte über unserem

Heranwachsen ... I Die Zeit wird knapp, leg den Hass schlafen, Schulter an Schulter, lass uns unsere Schafe tränken“. Zu diesem wunderbaren Gedicht habe ich Manonet nur um eine kleine Korrektur gebeten , die die politische Wirklichkeit in Israel-Palästina deutlicher wiedergibt. Sie lautet: „Laßt uns den Haß schlafen legen“. Mein Freund Magonet hat dieser Korrektur zugestimmt.

Die Evangelische Kirche und Theologie werden auf dem Fundament des innerbiblischen Dialoges mit dem Judentum die Öffnung zum ökumenischen Dialog mit dem Islam  aufgrund der biblischen Weisung zu vollziehen haben. Erst dann wird der innerbiblische Dialog mit dem Judentum seine biblische Offenheit und ökumenische Weite erhalten. Sie werden dabei zugleich allen Traditionen christlicher und islamischer Judenfeindschaft und allem christlichen Islamhaß, der nicht zwischen Islam und Islamismus unterscheiden kann und will, deutlich entgegentreten. Da es sich im christlich-jüdischen Dialog aber um den Basisdialog handelt, sollte der Terminus „Trialog“ nicht mehr gebraucht werden.

Evangelische Kirche und Theologie sollten diese Öffnung zum Islam im 21. Jh. mutiger vollziehen, als dies bisher geschehen ist. Sie sollten sich durch den jüdischen Dialogpartner dazu ermutigen lassen.

4. Die Unaussprechlichkeit des NAMENs des GOTTes Israels
„Nur wenn man die Unaussprechlichkeit des NAMENs Gottes kennt, darf man auch einmal den Namen Jesus Christus aussprechen“, so hat Dietrich Bonhoeffer am 5. 12. 1943 seinen Aufzeichnungen in „Widerstand und Ergebung“zufolge niederschreiben können.

Die meisten Christen und Christinnen denken und loben Gott in den trinitarischen  Beziehungen von „Vater, Sohn und Geist“. Sie kennen den NAMEN des Gottes Israels nicht oder sprechen ihn, meistens in den Theologischen Fakultäten aus, verbunden sogar mit einem Pathos der Freiheit eines an der Hebräischen Bibel orientierten Christenmenschen.  Die Unkenntnis im Blick auf den  heiligen göttlichen NAMEN hängt einmal damit zusammen, dass das Judentum zur Zeit Jesu den NAMEN GOTTes, der im Alten Testament ca. 6800 Mal vorkommt, nicht mehr ausgesprochen hat, weil er u.a. durch die heidnische Welt zu magischen Zwecken missbraucht worden ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, den JHWH-Namen des Gottes Israels mit „HERR“ (ohne Artikel!) wiedergegeben hat. Das Neue Testament ist ihr darin zu Recht gefolgt. Durch die Wiedergabe des unaussprechlichen NAMENs mit dem Bei-Namen „HERR“ konnte aber der Eindruck entstehen, als verkündige die Bibel einen patriarchalen Gott als Vater und einen männlichen Herrn und nicht einen mütterlichen und väterlichen GOTT, der den König Israels und dann auch den Messias Jesus wie folgt anredet: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich geboren“ (Ps 2,7; Lk 3,22). Einseitig, wenn auch nicht unmöglich, ist die beliebte patriarchale Übersetzung: „heute habe ich dich gezeugt, wie der Dichter Kurt Marti zurecht kritisiert hat.

Die Verdrängung des NAMENs GOTTes hängt auch damit zusammen, dass in der abendländischen Theologie das philosophisch-metaphysische Reden von Gott (Aristoteles) an die Stelle des gesamtbiblischen  Erzählens vom NAMEN und seiner Geschichte von Abraham über den Exodus bis zur Entstehung des Zwölf-Stämmevolkes und darüber hinaus getreten ist: Eine philosophische Ontologie der Israelvergessenheit, ja Judenfeindschaft trat an die Stelle einer um den  e i n e n  NAMEN des  e i n e n  GOTTes einerseits und einer um den e i n e n Namen des Volkes Israel zentrierten Namenstheologie andererseits.

Erst die „Bibel in gerechter Sprache“ (BigS) hat aus den Erkenntnissen und Forschungen der feministischen Theologie heraus zurecht mit dieser Tradition gebrochen und die entscheidende These aufgestellt: „Gottes Name ist unübersetzbar“ (16ff). Die BigS hat mit dieser philosophischen und christlichen Tradition der Ersetzung des NAMENs des GOTTes Israels freilich insofern erst anfangsweise gebrochen, als sie nun ihrerseits viel zu oft in fragwürdiger Weise den unübertragbaren und unübersetzbaren NAMEN JHWH feministisch mit „die Gottheit“ oder sogar „die Gott“ (!) wiedergibt, anstatt - wenn schon - mit „die EWIGE“ zu übersetzen. Warum halten wir uns auch in der Übersetzung des unübersetzbaren JHWH-NAMENs nicht an die jüdische Tradition, die von „HA SHEM“, von „dem NAMEN“ oder – wie auch Calvin von „dem Ewigen“ spricht, da „Name“ weder theologisch noch anthropologisch männlich oder weiblich konnotiert ist? Warum lassen wir nicht das Tetragramm stehen und üben uns ein, mit Dietrich Bonhoeffers Weisung, den NAMEN des   e i n e n  GOTTes  n i c h t  auszusprechen, wie es die jüdische Tradition der Synagoge bis heute tut? Ja, wir haben vergessen, was Bonhoeffer am 21.11.1943 an Eberhard Bethge schrieb: „Dass die Israeliten den Namen Gottes nicht aussprachen, gibt mir immer mehr zu denken und ich verstehe es immer besser“ (WEN 1970, 154). Warum gedenken wir nicht auch liturgisch der abgründigen Erkenntnis Bonhoeffers, die er am 2. Advent 1943 formulierte: „Nur wenn man die (noch nicht in der Hebräischen Bibel, wohl aber in der jüdischen Tradition vor Jesus bis heute und auch von Jesus selbst und dem ganzen Neuen Testament praktizierte) Unaussprechlichkeit des Namens Gottes kennt, darf man auch einmal den Namen Jesus Christus aussprechen“(WEN 175)?

Warum halten wir uns nicht an die jüdische Tradition, JHWH mit „der EWIGE“ zu übersetzen, wobei dann m.E. auch gelegentlich von „die Ewige“ geredet werden könnte, weil JHWH weder männlich noch weiblich konnotiert ist, wie auch jeder Name eines Menschen weder männlich noch weiblich eingeengt ist? Auch meine Tochter und mein Sohn tragen beide meinen Namen!

Die in den Schaukästen unserer Gemeinden des öfteren zu sehenden Aushänge mit dem Motto „Gott hat viele Namen“ stimmen also biblisch nicht. JHWH, der GOTT, hat viele „Bei-Namen“ oder Namen seines Handelns (cognomina wie in Ex 34, nicht aber nomina !!) wie auch wir im Laufe unserer Geschichte und unseres Lebens unseren einen unverwechselbaren Namen durch viele Bei-Namen konkretisieren und identifizieren: Wir sind mit unseren unverwechselbaren Namen Söhne und Töchter, Vater oder Mutter, Lehrerinnen oder Lehrer, als citoyens Mitglieder der Zivilgesellschaft und Bürgergemeinde oder als ChristInnen Mitglieder des ökumenischen Gottesvolkes aus allen Völkern, das bleibend auf das wiederum durch seinen unverwechselbaren Namen gekennzeichnete Israelvolk als Wurzel  und Schweser bezogen ist und bleibt.

Auch die liturgische Tradition unserer Gesangbücher spricht gegen die geläufige Annahme, im Neuen Testament sei der NAME des Gottes Israels durch den Namen Jesu ersetzt worden. Da singen wir zu Weihnachten - und ich nenne nur ein Beispiel - „Freu dich Erd und Sternenzelt, Hallelu-JAH; GOTTes Sohn kam in die Welt, Hallelu-JAH“ (eg 47). Damit wird über dem Namen Jesu der  unverwechselbare und auch auf Jesus unübertragbare NAME des GOTTes Israels gepriesen und gesegnet. Oder wir beginnen unsere Gottesdienste mit dem Eingangsvotum: „Im NAMEN des einen GOTTes (5.Mose 4,6), des Vaters durch den Sohn in der Heiligen Geisteskraft“.

Deshalb sprechen und empfangen wir am Schluss unserer Gottesdienste den Aaronitischen Segen (4.Mose 6,24-27), in welchem wir entsprechend der Weisung des GOTTes Israels „Meinen NAMEN auf die Gemeinde Israel zu legen, damit ICH selbst sie segne“ (4.Mose 6,27) die Hände zur Segensmittlung erheben. Aber auch entsprechend der Weisung des Messias Jesus, der beim Abschied von seinen JüngerInnen „seine Hände aufhob und sie“, wie Calvin und Bonhoeffer gesehen haben, mit dem aaronitischen Segen „segnete“ (Lk 24,50; vgl. 2.Sam 6,18; Michaela, Geiger, „Der Aaronitische Segen als Beziehungsgeschehen“, Wuppertaler Vortrag 2014). Auch der Messias Jesus segnet als der messianische Mittler im NAMEN des einen GOTTes. Dieser Aaronitische Segen sollte im Gottesdienst, wie leider zu oft üblich, keine Abänderungen erfahren, indem wir einfach von „Gott“ reden: „GOTT segne dich ... !“. Auch eine dreifache Wiederholung des „der HERR“ segne dich...!“ kann die Weite des Segnens durch den NAMEN und den Beziehungsreichtum, der im NAMEN des GOTTes Israels zugesprochen wird, patriarchalisch verdunkeln. Vielmehr könnte wegen der Unübertragbarkeit und Unübersetzbarkeit des NAMENs des GOTTes Israels der Segen so und in dieser Reihenfolge der NAMENswiedergabe gesprochen werden: „Der NAME segne dich ..., der HERR behüte dich ..., der/die EWIGE lasse Sein/Ihr  Angesicht leuchten über dir“.

Literatur
M. Geiger: Der Aaronitische Segen als Beziehungsgeschehen, Wuppertaler Vortrag 2014
B. Klappert, Miterben der Verheißung, Neukirchen 2000
ders., Die Trinitätslehre als Auslegung des NAMENs des Gottes Israels. Die Bedeutung des Alten Testaments und des Judentums für die Trinitätslehre, in: Ev Th 62/, 2002, 54-72
H.-J. Kraus: Systematische Theologie im Kontext biblischer Geschichte und Eschatologie, 1983
ders.,Theologie der Psalmen, Neukirchen 1979,§ 1
R. Kendall Soulen, Der trinitarische Name Gottes in seinem Verhältnis zum Tetragramm, in: Ev Th 5/2004, 127-346
J. Teuffel, Mission als Namenszeugnis. Eine Ideologiekritik in Sachen Religion , Tübingen 2009

Der Autor, Prof. Dr. Bertold Klappert, ist seit 1974 Professor für gesamtbiblische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel und Mitglied im Ausschuss „Christen und Juden“ in der EKiR. Sein Aufsatz erschien im Themenheft 2015 des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

 

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