Das Ner Tamid – das ewige Licht
von Chaim Guski

Vorne in der Synagoge hat es jeder schon gesehen: ein kleines Licht über der Bima oder daneben. In einigen Synagogen ist es elektrisch, in anderen eine Öllampe. Die Form ist von Synagoge zu Synagoge sehr unterschiedlich: In manchen Bethäusern gibt es kleine rote Lichter über der Bima, in anderen sind es Lichter, die an Ketten von der Decke hängen. Das findet man besonders in älteren Synagogen. In moderneren Bethäusern ist dieses Licht oft ein Design-Element.

Das kleine Licht brennt immer – auch, wenn niemand in der Synagoge ist. Deshalb wird es »Ner Tamid« genannt, auf Deutsch: »immerwährendes Licht«.

Das Ner Tamid leitet sich vom ewigen Licht im Jerusalemer Tempel ab. Ein ewiges Licht wird bereits für das tragbare Stifts- oder Bundeszelt geboten (2. Buch Mose 27,20 und 4. Buch Mose 24,2). Im Jerusalemer Tempel brannte das »westliche Licht« (Ner ha’marawi) fortwährend als mittleres Licht zwischen den sechs Armen des siebenarmigen Leuchters (Menachot 86b).

Weil die Synagoge heute als »kleines Heiligtum« (Mikdasch me’at) gilt, wurde das Ner Tamid übernommen (Talmud Megilla 29a). Es steht in gleicher räumlicher Nähe zum Aron haKodesch (Toraschrein) wie damals die Menora zur Bundeslade und ist ein schönes Bild für die ewige Anwesenheit G’ttes unter seinem Volk. Der Blick auf die Flamme könnte dies bewusst machen. Deshalb schaltet man das Licht auch nicht nach Belieben ein oder aus.

In der halachischen Literatur begegnet man dem Ner Tamid allerdings nicht durchgängig. Es wird nach der talmudischen Diskussion um das ewige Licht im Tempel erst im 15. Jahrhundert diskutiert: Da beschäftigt sich in seinen Responsen der deutsche Rabbiner Israel Isserlein (1390–1460) damit.

Unklar ist, ob das Ner Tamid ursprünglich vielleicht doch einen praktischen Nutzen hatte und nicht von Anfang an als Symbol für die Anwesenheit G’ttes diente. Es könnte sich mit dem Ewigen Licht so verhalten haben wie mit den beiden Schabbatkerzen. Die hatten anfangs einen rein praktischen Nutzen: Sie sollten sicherstellen, dass man nach Eingang des Schabbats nicht im Dunkeln sitzen musste.

Rein praktisch betrachtet, erfüllt das Ner Tamid die Forderung, dass es in der Synagoge niemals dunkel sein darf. Das beschreibt jedenfalls Maimonides, der Rambam (1138–1204), in seinen Hilchot Tefilla (11,5). Ähnlich sieht es Josef Karo (1488–1575). Er schreibt in seinem Schulchan Aruch (Orach Chajim 151,9): Eine Synagoge müsse immer gut ausgeleuchtet sein. Das entspräche der besonderen Ehre, die man der Synagoge entgegenbringt. Das geht sogar so weit, dass es laut Josef Karo erlaubt ist, am Feiertag Kerzen in der Synagoge anzuzünden (Orach Chajim 514,5).

Daraus könnte man nun schlussfolgern: Am Tag, wenn die Sonne durch die Fenster scheint, ist es doch hell in der Synagoge. Dann bräuchte man eigentlich kein zusätzliches Licht, und das Ner Tamid könnte pausieren. Aber: Auch wenn der Ursprung des Ner Tamid im Ungewissen liegt und vielleicht nicht den hat, den wir ihm zuweisen, ist es doch zu einem Brauch in allen Synagogen geworden, und den kann man nicht einfach so ändern.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen

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