Tofu für Adam und Eva
von Daniel Neumann

Erinnern Sie sich noch an den mittlerweile kleinlaut wieder einkassierten Vorschlag der Grünen aus dem Sommer 2013, einen sog. Veggie-Day einzuführen, also den bundesdeutschen Kantinen zu empfehlen, es doch einen Tag pro Woche mal mit gänzlich fleischlosen Gerichten zu versuchen? Ganz bestimmt! Denn der Sturm der medialen Entrüstung, der damals losbrach, zeugte eindrucksvoll davon, dass solch ein Vorschlag vielen als der drohende Gipfel der sog. Bevormundungspolitik; als Attacke auf das moderne Zentralheiligtum unserer Bediensteten und ihrer Essgewohnheiten galt.

Als sollte die durchaus vernünftige Idee unter Einsatz von Waffengewalt erzwungen werden, pocht eine breite Mehrheit hyperventilierend auf ihre uneinschränkbaren Freiheitsrechte und das angebliche Grundrecht auf unvernünftiges Verhalten. Mal abgesehen von dem Umstand, dass es in unserem Grundgesetz keines dieser „Rechte“ gibt, war es doch überraschend, dass auch jüdische Stimmen im Chor der Empörten erklangen. Dies taten sie allerdings nicht wegen des bei uns Juden häufig anzutreffenden „Daffke-Komplexes“, also dieser dem Untertanengeist diametral entgegengesetzten Geisteshaltung, die ein jedes Ge- oder Verbot, eine jede Vorschrift beinahe instinktiv mit exakt dem Gegenteil des geforderten Verhaltens beantwortet. Vielmehr entsprangen sie wohl dem ungezügelten Freiheitstrieb und der Überzeugung, dass die Tora den Fleischgenuss zum Ideal erhebe. G“tt liebt Steak war da etwa zu lesen. Aber tut er das wirklich? Wie steht das Judentum zu dieser Frage? Propagieren Judentum und Tora tatsächlich den ungehemmten Fleischgenuss oder deuten unsere jüdischen Wertvorstellungen nicht vielmehr auf den Vegetarismus als Ideal hin?

Fakt jedenfalls ist, dass das Judentum keine fleischlose Religion ist. Ganz im Gegenteil. Der Ewige erlaubte der Menschheit in Gestalt von Noach und seinen Söhnen nach der Sintflut ausdrücklich den Genuss von Tierfleisch. Und auch im jüdischen Opferritus, der die Schlachtung von Tieren, die anschließend verbrannt wurden und deren Geruch von dem Ewigen als „Reijach Nichoach“, als angenehmer Wohlgeruch wahrgenommen wurde, vorsah, glauben manche, G“ttes Sehnsucht nach gebratenem Fleisch zu erkennen. Schließlich: Wer denkt bei klassischen jüdischen Gerichten nicht sofort an die traditionelle Hühnersuppe oder den Cholent, einen fleischhaltigen Shabbat-Eintopf?
Und doch zeichnen G“tt, Tora und Judentum bei näherem Hinsehen ein gänzlich anderes Bild, wenn wir das eben gesagte in einen größeren Rahmen einbetten und bereit sind, über den mit Fleischgerichten vollgeladenen Tellerrand zu schauen.

Dann nämlich erkennen wir, dass die g“ttliche Idealvorstellung der Vegetarismus ist.
Die fleischlose Ernährung, also jene, die auf die Tötung von jeglichen Tieren zwecks Nahrungsaufnahme verzichtet, war eben jene Wunschvorstellung, die G“tt Adam und Eva als Archetypen menschlicher Existenz mit auf den Weg gab. So heißt es im 1. Buch Mose 1,29: „Und G“tt sprach: Siehe, ich gebe euch alles samentragende Kraut, das auf der ganzen Erdoberfläche, und jeglichen Baum, an welchem samentragende Baumfrucht ist, sie seien euer zum Essen.“

Der Umstand, dass der Menschheit nach der Flut der Fleischgenuss erlaubt worden ist, der zumindest im Judentum durch die umfangreichen Kaschrut-Gesetze und das strikte Verbot jeglichen Blutgenusses wiederum massiv eingeschränkt wurde, war hingegen lediglich eine vorübergehende Konzession an die ungebrochene Fleischeslust des Menschen und die vorangeschrittene Disharmonie zwischen Mensch und Tier. In der messianischen Zeit dagegen, wird ganz im Sinne der Vision unserer Propheten, das biblische Ideal wiederbelebt und der ursprüngliche, paradiesische Zustand des Einklangs von Mensch, Tier und Natur wieder hergestellt.

Aufgeschoben ist schließlich nicht aufgehoben. Auch nicht nach g“ttlichen Maßstäben.
Und was ist mit den Opferriten und G“ttes angeblicher Vorliebe für den Wohlgeruch verbrannten Fleisches? Die Opfer waren, wie Maimonides erklärt, vor allem ein Zugeständnis an die Riten paganistischer Völker, die das Judentum nicht von heute auf morgen hat abschaffen können. Sie wurden quasi als g“ttlicher Kompromiss zwischen der Praxis der nichtjüdischen Umgebung und der Wahrung jüdischer Ideale massiv eingeschränkt und auf den Opferdienst im Tempel reduziert. Wenn schon opfern, dann nur an einem zentralen Ort und unter strengen Voraussetzungen. Und die Vorliebe für Wohlgerüche hegt G“tt laut der Tora mindestens eben so sehr für diejenigen Opfer, die nicht aus Tieren bestanden, also etwa das Mincha-Opfer, das aus einer Mixtur von Öl und Mehl bereitet wurde. Mal ganz abgesehen davon, dass unter den Rabbinen weitgehende Einigkeit besteht, dass die Formulierung des „Reijach Nichoach“ natürlich nicht wörtlich zu verstehen sei. Schließlich sprechen wir über den Genuss von Fleisch im Gegensatz zu etwa Brot, Wein, Obst oder Gemüse keinen speziellen Segensspruch, da wir nur für solche Nahrungsmittel mit einer eigenen Bracha danken, die uns nicht dazu zwingen, ein anderes Lebewesen zu töten.
Nähern sich die Grünen also einem ursprünglichen jüdischen Ideal an, wenn sie einen Veggie-Day fordern? Ganz bestimmt, denn das Judentum ist beseelt von dem Gedanken des Tierschutzes, dem Respekt vor allen Geschöpfen G“ttes, der Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung und unserer Umwelt und der Bereitschaft, sich durch freie Entscheidungen des Einzelnen den g“ttlich vorgegebenen Idealen zu nähern.

Traditionelle Juden leben- zumindest im Idealfall - einen jeden Moment in diesem speziellen Bewusstsein. Sie haben gelernt, über das „ich“ hinauszublicken. Den eigenen Bedürfnisse nicht unreflektiert und in jeder Situation nachzugeben. Der Verantwortung vor G“tt, dem Mensch und der Welt den Vorzug vor ausgeprägtem Eigensinn zu geben.
Ist es tatsächlich zu viel verlangt, darüber wenigstens ab und an nachzudenken?
Sollte die Idee eines fleischlosen Wochentages in Zukunft noch einmal aufs politische Tapet kommen und tatsächlich umgesetzt werden, dann bliebe den selbst ernannten Freiheitskämpfern ja immer noch der Weg zur nächsten (koscheren) Currywurstbude.
Doch bei dem breiten Widerstand, den wir schon beim letzten mal erleben konnten, als die Idee ihren Weg in das kollektive Volksbewusstsein gefunden hat, scheint mir der Anbruch des messianischen Zeitalters die realistischere Option. Und dann werden sich manche wünschen, es gäbe nur einen fleischlosen Tag pro Woche.

Der Autor ist Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, K.d.ö.R.

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