Redaktion: Hans-Georg Vorndran

BlickPunkt.e Nr. 6 / Dezember 2015

 

Rüdiger Sachau
Christlich-jüdischer Dialog im Übergang zu einer neuen Generation

(…) Der 9. November – zum Verhältnis von Christen und Juden und zum Antisemitismus

Im Vorbereitungsausschuss waren wir uns einig, dass eine Erklärung zum Verhältnis von Christen und Juden bei unserer Synode unumgänglich wäre. Dafür führe ich drei Gründe an:

Erstens die Diskussionen über die judenfeindlichen Schriften von Martin Luther gerade im Vorfeld von 2017.

Zweitens der Besuch des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden auf der Synode der EKD.

Drittens das heutige Datum, das uns mahnt nicht zu vergessen, welcher Hass am 9. November 1938 in Deutschland sichtbar wurde und welches Unrecht unseren jüdischen Mitbürgern angetan worden ist.

Schnell haben wir im Ausschuss bemerkt, dass wir das Thema "Christen und Juden" nur schwer in den Entwurf einer Kundgebung zum Thema "Christlicher Glaube in offener Gesellschaft" integrieren konnten. Was schlechterdings nicht normal ist und nie normal werden wird, bedarf einer eigenen und angemessenen Behandlung. Wir sind darum sehr dankbar, dass das Präsidium der Synode hierzu eine eigene Erklärung abgegeben hat.

Ich möchte die Zusammengehörigkeit der beiden Erklärungen aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Bedeutung betonen.
Es gibt einen fortwirkenden Antisemitismus bis in die Mitte unserer Gesellschaft und auch in unserer evangelischen Kirche. Nur wenn wir uns damit auseinandersetzen, dass auch wir Teil des Problems sind, können wir zu einem Teil der Lösung werden.

Die Offenheit und die Christlichkeit unserer Gesellschaft zeigen sich im Umgang mit unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Solange in unserem Land "Jude" als Schimpfwort und Diskriminierungsbegriff verwendet wird; solange Verschwörungstheorien über die Weltmacht der Juden im Internet kursieren, haben wir eine bleibende Aufgabe, vor der wir nicht die Augen verschließen können.

Durch eine gemeinsame Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin mit dem Zentralrat der Juden in diesem Sommer (Reformator, Ketzer, Judenfeind. Jüdische Perspektiven auf Martin Luther, Berlin 10.-12.6.2015, epd-Dokumentation Nr. 39) ist mir – wie anderen – deutlich geworden, dass wir uns nicht mehr mit Erklärungen und gut gemeinten Statements zufrieden geben können.
Es gibt Erwartungen an uns, die sehr konkret sind. Herr Schuster hat davon gesprochen. Es fehlen die Konsequenzen aus den Erkenntnissen, die bis heute im christlich-jüdischen Dialog gesammelt wurden. Das betrifft unser Denken und Handeln – sowohl in der systematisch-theologischen Reflexion, als auch in der kirchlichen Praxis in Verkündigung, Liturgie und Unterricht. Arbeiten wir also an unserem Teil des Problems.

  • Im Gottesdienst der Gemeinden – Werden die Psalmen gebetet und die Texte des Alten Testaments gelesen und gepredigt?

  • In der Ausbildung - Welchen Stellenwert hat das Judentum in Geschichte und Gegenwart? Sind wir in der Lage den heutigen Wissensstand zum Geschwisterverhältnis weiter zu geben- nicht nur an den Universitäten?

  • Was machen wir mit den bis heute genutzten Schriften eines Walter Grundmann, der in Eisenach das Institut zur "Entjudung von Kirche und Theologie" leitete und später in der DDR für die Katechetenausbildung verantwortlich war und zugleich für die Stasi arbeitete?

  • Wie reagieren wir, wenn wir mit Vorurteilen über die Juden im Bibelgesprächskreis oder beim Geburtstagsbesuch konfrontiert sind?

 

Der christlich-jüdische Dialog befindet sich im Übergang zu einer neuen Generation, die sich mit den bisherigen, durchaus ertragreichen und produktiven Gesprächen nicht mehr zufrieden gibt. Christlicher Glaube in offener Gesellschaft wird sich daran messen lassen, ob wir die gestellten Herausforderungen annehmen oder ihnen ausweichen.
(…)

Einbringung des Kundgebungsentwurfes zum Schwerpunktthema: „Reformationsjubiläum 2017 – Christlicher Glaube in offener Gesellschaft“ der EKD-Synode am 9.11.2015. Es gilt das gesprochene Wort.

Quelle: EKD

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