Redaktion: Hans-Georg Vorndran

BlickPunkt.e Nr. 1 / Februar 2016

 

Orthodoxe Rabbiner über das Christentum
Charakteristik und theologische Einordnung

Das Orthodox Rabbinic Statement on Christianity To Do the Will of Our Father in Heaven vom 3. Dezember 2015 ist eine Erklärung einer Gruppe orthodoxer Rabbiner aus dem Umfeld von Shlomo Riskin (CJCUC Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation) zum gegenseitigen Verhältnis von Christentum und Judentum und zugleich der Versuch eines Neuaufbruchs in eine bessere Zukunft des gegenseitigen Verständnisses und einer gemeinsamen Arbeit an einer künftigen Verbesserung der Welt. Immer mehr Unterzeichner des Dokumentes sollen gewonnen werden.

Parallel zum Statement To Do the Will of Our Father in Heaven arbeitet derzeit die Europäische Rabbinerkonferenz an einem eigenen Statement, das demnächst publiziert werden wird. Diese Erklärung wird voraussichtlich am 17. Januar 2016 anlässlich des Besuches des Papstes in der Synagoge Tempio Majore in Rom erscheinen. Zwischenzeitlich forderte die Europäische Rabbinerkonferenz dazu auf, obige Erklärung NICHT zu unterschreiben: „The CER's position on Nostra Aetate and the relationship of the Jewish faith with the Christian religion and its modern interpretations according to the Vatican were discussed at length at the last Standing Committee meeting. We will shortly be publishing a clear and appropriate position and response in collaboration with the Israeli Chief Rabbinate and the Rabbinical Council of America. In accordance with the Standing Committee's resolution and leading rabbinical opinion, Rabbis should not join and sign the position paper being circulated of late under the title „To Do the Will of Our Father in Heaven“, -the content of which is deemed not in accordance with the spirit of our tenets.“

Eine Gruppe von führenden orthodoxen Rabbinern hat damit [mit der Erklärung vom Dezember 2015] eine bahnbrechende Erklärung veröffentlicht, die eine enge Partnerschaft mit Christen befürwortet und somit einen historischen Neubeginn in der Beziehung zwischen den beiden Religionen markiert.

Die Erklärung ist nicht nur eine Antwort anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums der Konzilserklärung Nostra Aetate und der damit einhergegangenen fundamentalen Verbesserung der Beziehung zwischen Christen und Juden, sondern auch eine klare Aussage zu den anti-christlichen Taten in Israel, nämlich dass solche Taten keinerlei Grundlage im Judentum haben.

Bei der Erklärung handelt es sich um einen Quantensprung, speziell wenn man bedenkt, dass sie von orthodox-jüdischer Seite kommt. Bisher haben sich eher nichtorthodoxe Rabbiner im Dialog engagiert und geäußert, wie beispielsweise mit der Erklärung „Dabru Emet” (September 2000), die kaum von orthodoxer Seite unterstützt wurde, aber viel Kritik erntete. Die jetzige Erklärung geht viel weiter als „Dabru Emet”, denn sie scheut nicht die theologische Komponente des Dialogs. Sie hält klar fest, dass das Christentum „kein Unfall und kein Zufall“ war, sondern von G-tt so gewünscht.

Auch teilen die unterzeichnenden Rabbiner nicht die Ansicht, dass das Christentum Avoda Sara (hebr. „Fremder Kult“) ist, sondern denken, dass Jesus eben gerade dabei geholfen hat, den Glauben an den G-tt Israels zu verbreiten und Götzendienst zu überwinden.

Sie fordern stattdessen eine echte Partnerschaft zwischen Christentum und Judentum auf Basis der vielen Gemeinsamkeiten, vor allem im ethisch-moralischen Bereich. Alleine können weder Christentum noch Judentum die Herausforderungen unserer globalisierten und säkularisierten Welt bewältigen – gemeinsam geht es besser. Der Düsseldorfer Rabbiner Jehoschua Ahrens, einer der Initiatoren der Erklärung, meint: „Damit verkennen wir nicht die vielen und klaren Unterschiede zwischen unseren Religionen, aber in beiden Glaubensgemeinschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm viel getan und in Hinblick auf den anderen zum Positiven verändert, was nun diese historisch einmalige Möglichkeit eröffnet. Ich glaube, dass beide Seiten erkannt haben, dass die Grenzen heute nicht mehr zwischen Christentum und Judentum verlaufen, sondern eher zwischen religiös und säkular, zwischen Individualismus ohne Grenzen und einem Zusammengehörigkeitsgefühl auf Grundlage klarer Werte.“

Für Ahrens ist die Erklärung ein Wendepunkt in der Beziehung zwischen Judentum und Christentum, aber „die Erklärung ist nur ein erster Schritt, und wir freuen uns auf die Konkretisierung der Partnerschaft in zukünftigen Schritten, die noch folgen müssen. Wir sind uns bewusst, dass dies für viele unserer Rabbiner-Kollegen neu ist, aber wir laden alle Rabbiner ein, diesen historischen Prozess mitzugestalten. Die Erklärung schließt also keine Diskussion ab, sondern eröffnet gerade eine solche Diskussion innerhalb des Judentums, speziell innerhalb der Orthodoxie.“

http://www.jewiki.net/wiki/Orthodox_Rabbinic_Statement_on_Christianity
CC-BY-SA 3.0 Unported; Hauptautor Michael Kühntopf

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