Redaktion: Hans-Georg Vorndran

BlickPunkt.e Nr. 2 / April 2016

 

Hans Maaß
Um Gottes Willen

Das Jahresthema 2016 des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit lautet „Um Gottes Willen“. Dieses Thema ist doppeldeutig, je nachdem, wie man es betont, – und das mit voller Absicht: Es kann sowohl um die Verwirklichung des Willens Gottes in unserer Alltagsrealität gehen, wie auch als entsetzter Ausruf verstanden werden. So variabel ist unsere Sprache!

Immer wieder haben Menschen versucht, ihre eigenen Vorstellungen von Recht und Ordnung unter Berufung auf Gott durchzusetzen, und sei es mit Gewalt. Heere haben auf ihre Waffengurte die Parole geschrieben „Gott mit uns“ und damit den Eindruck erweckt, sie befänden sich in einem heiligen Krieg für die Sache Gottes, und religiöse Terroristen unserer Tage bringen Menschen um mit einem Lobpreis Gottes auf den Lippen. Kreuzfahrer sind im Mittelalter in den Krieg gezogen in der Überzeugung „deus vult“, „Gott will es“. Was will Gott?

Mir fällt als erstes ein Wort aus dem Neuen Testament ein, das aber genau so gut bei den Propheten Israels stehen könnte: Gott „will, dass allen Menschen geholfen werde“ (1.Tim 2,4). Dieser Satz dient als Begründung für die Ermahnung, „dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stil­les Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“ Aber ist dies tatsächlich Gottes Wille, dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen können, oder ist dies nicht eher unser Wille, unser bürgerliches Ideal?

Unser deutsches Wort „Wille“ ist abgeleitet von dem Verb „wollen“. Beide bringen eine bewusste, auf ein Ziel ausgerichtete Absicht zum Ausdruck. Dafür kennt das Hebräische keine wirklich entsprechende Vorstellung. Wo unsere deutschen Bibelübersetzungen etwas darüber aussagen, was Gott „will“, steht im Hberäischen durchweg eine Futurform, eine Aussage, was Gott tun wird. Außerdem gibt es ein eigenes Wort, das ausdrückt, woran Gott „Wohlgefallen“ hat, etwa an gutem, gerechtem Verhalten. Auch dies wird in aller Regel mit „Willen“ übersetzt, besitzt aber eine andere Note.

Es ist also gar nicht so einfach, definitiv vom „Willen Gottes“ zu sprechen. Oft geben Menschen ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen als Gottes Willen aus – schon in biblischer Zeit.

Als David den Plan gefasst hatte, in Jerusalem einen prunkvollen Tempel zu bau­en, weil in der Antike die Tempel immer auch als Zeichen der Macht und Bedeutung eines Königreiches galten, bestätigte ihn der Prophet Nathan zu­nächst in diesem Vorhaben; denn ein prächtiges Gotteshaus dient ja der Ehre Gottes – sollte man meinen. Seine spontane Antwort war also: „Wohlan, alles, was in deinem Herzen ist, das tu, denn der HERR ist mit dir.“ Aber war dies tatsächlich Gottes Wille?

Die Fortsetzung in 2.Sam 7 lautet allerdings: „In der Nacht aber kam das Wort des HERRN zu Nathan: Geh hin und sage zu meinem Knecht David: So spricht der HERR: Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne? Habe ich doch in keinem Hause gewohnt seit dem Tag, da ich die Israeliten aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag, sondern ich bin umhergezogen in einem Zelt als Wohnung.“

Selbst ein Prophet kann sich also über Gottes Willen täuschen und muss sich von Gott korrigieren lassen. Auch von Jesaja wird erzählt, dass er habe eine angeblich (im wahrsten Sinne des Wortes) „todsichere“ Nachricht revidieren müssen; 2.Kön 20 ist zu lesen: „Zu dieser Zeit wurde Hiskia todkrank. Und der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz, kam zu ihm und sprach zu ihm: So spricht der HERR: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben.“ Jesaja tritt also wie ein Bote Gottes auf, der einen göttlichen Urteilsspruch zu verkündigen hat. Der König Hiskia ist zwar verzweifelt; wer von uns wäre es nicht! Aber er gibt nicht auf. Er betet. Und dann geht die Geschichte weiter: „Als aber Jesaja noch nicht zum mittleren Hof hinausgegangen war, kam des HERRN Wort zu ihm: Kehre um und sage Hiskia, dem Fürsten meines Volks: So spricht der HERR, der Gott deines Vaters David: Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen. Siehe, ich will dich gesund machen“ – auch hier steht das Verb lediglich im Futur: „ich werde“; von einem ausdrücklichen Willen als einer zielgerichteten Absicht Gottes ist nicht die Rede. Fakten, nicht Absichtserklärungen!

Hatte sich Jesaja getäuscht? Hatte zuerst gar nicht Gott zu ihm gesprochen, sondern seine Lebenserfahrung, sein gesunder Menschenverstand, der ihm sagte, dass eine solche Krankheit nicht zu überleben ist? Oder ist Gottes Wille gar nicht so eisern, dass man felsenfest behaupten könnte, so hat es Gott beschlossen und so will er es?

Solche biblische Erzählungen sind hilfreich und lesenswert, und zwar aus mehreren Gründen:

•       Sie können uns davor bewahren, anderen Menschen unsere Meinung und unseren Willen als Gottes Willen aufzuzwingen; sie mahnen uns zur Vorsicht gegenüber vor­schnellen, scheinbar unumstößlichen Urteilen und Wahr­heiten.

•       Sie schützen uns vor einer starren Gottesvorstellung, die im buchstäblichen Sinn „fatal“ wäre, weil sie Gottes Willen wie ein Fatum, ein unabänderliches Schicksal, über uns verhängt sehen würde.

Die Bibel vertritt eher eine partnerschaftliche Gottesvorstellung, keine unpersönliche, starre, autoritäre. Und dies macht es auch erträglich, so ganz andere Er­zählungen in der Bibel zu finden, in denen uns der Wille Gottes unverständlich und fremd erscheint.

Wer hätte nicht schon mit Schauder und Entsetzen die Erzählung vom Gottesurteil gehört, das der Prophet Elia auf dem Berg Karmel herbeiführte! Der Anfang ist begeisternd und mitreißend; Kinder in Schulklassen hören gespannt zu und ergreifen sofort Partei für Elia wie bei allen Heldengeschichten: Dieser Prophet will eine Entscheidung herbeiführen, wer in Israel als Gott verehrt werden soll: der kanaanäische Gott Baal oder der Gott, den Israel bei seiner Errettung aus Ägypten erfahren, und dessen Willen es am Berg Sinai gehört hat. Er lässt zwei Altäre auf dem Kamm des Karmelgebirges errichten, Holz aufschichten und ein Opfertier darauf legen. Dann lässt er die Baalspriester ihren Gott bitten, mit einem Blitz dreinzufahren; denn Baal ist ein Gewittergott. Nichts passiert. Sie singen, sie schreien, sie fügen sich Verletzungen zu; nichts passiert. Dann schüttet Elia auf seinen Altar Wasser über Wasser, dass sogar der Graben um den Altar herum randvoll ist, betet zu dem Gott Israels – und das Opfer entzündet sich. Der Beweis ist erbracht! Zehnjährige, denen man diese Geschichte erzählt, sind begeistert, wenn man ihnen die Geschichte bis hierhin erzählt. Aber sie ist ja noch nicht zu Ende; denn es folgt noch ein Vers, ein einziger: „Elia aber sprach zu ihnen: Greift die Propheten Baals, dass keiner von ihnen entrinne! Und sie ergriffen sie. Und Elia führte sie hinab an den Bach Kischon und tötete sie daselbst“. Schrecklich! Darf man einen solchen Vers Kindern zumuten? Kann man ihn Erwachsenen zumuten? Ermutigt man sie damit nicht, „um Gottes willen“ Gegner Gottes – oder wen man dafür hält – zu töten? Sensible Religionspädagogen lassen diesen Vers deshalb gerne weg. Ist dies eine ehrliche Lösung?

Ach ja, die biblische Erzählung ist damit immer noch nicht zu Ende. Zwei Verse danach wird erzählt, während der König erleichtert tafelt, weil ihm Elia das Ende einer mehrjährigen Trockenperiode verkündigt hatte, „ging Elia auf den Gipfel des Karmel und bückte sich zur Erde und hielt sein Haupt zwischen seine Knie“. Merkwürdig! Diesen Vers unterschlägt man in aller Regel – nicht nur bei Kindern, weil man seinen Sinn nicht versteht. Aber ist er nicht das Korrektiv zu diesem scheinbar unanfechtbar Gottes Willen vollstreckenden Elia? Erschaudert er womöglich angesichts seines rigorosen Eintretens für „Gottes Willen“, bei dem er sogar über Leichen geht?

Die Tatsache, dass die Bibel auch von Propheten erzählt, die ihre so sicher vorgetragenen Meinungen über Gottes Willen revidieren müssen, lässt vielleicht auch diese Erzählung in einem anderen Licht erscheinen – ebenso wie die von vielen als Genozid empfundenen Erzählungen von der Eroberung kanaanäischer Städte durch die einwandernden Stämme Israels. In keiner dieser Erzählungen wird behauptet, Gott habe daran „Wohlgefallen“ gehabt. In der Tora, den fünf Büchern Mose kommt dieser Ausdruck fast nur im Zusammenhang mit Opfern vor, in den Büchern Josua und Richter, die von der Eroberung des Landes handeln, überhaupt nicht. Gibt dies nicht zu denken?

Jedenfalls sollte dies alle verunsichern, die bis heute mit Feuer und Schwert, mit Kalschnikow und Sprengstoff für den von ihnen vertretenen „Willen Gottes“ kämpfen.

aus: Themenheft 2016 der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit / DKR. Das Heft kann bestellt werden bei
info@deutscher-koordinierungsrat.de

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