Redaktion: Hans-Georg Vorndran

BlickPunkt.e Nr. 5 / Oktober 2016

 

Friedhelm Pieper
Einander Rede und Antwort stehen

Liebe Festgemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

zu predigen ist heute über einen Bibelvers aus der Perspektive meines neuen Arbeitsfeldes im Zentrum Ökumene. Es ist der in diesem Kontext bekannte Text aus dem 1. Petrusbrief, Kapitel 3, Vers 15: Dort heißt es in der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“: „Seid immer bereit, allen, die euch danach fragen, zu erklären, welche Hoffnung in euch lebt.“ Daraus entstand das Motto für die Arbeit des Zentrums Ökumene: „Rede und Antwort stehen über die Hoffnung, die in uns lebt“.

Der Text und das Motto setzen eine Situation des Dialogs voraus. Da wird gefragt und geantwortet. Da wird nachgefragt, da wird erklärt. Menschen begegnen sich, haben Fragen aneinander, führen ein Gespräch, versuchen einander besser zu verstehen.

Gegenüber dem Judentum haben die Christen in den letzten zweitausend Jahren viel geredet, aber wenig gefragt. Sie glaubten viele, ja die entscheidenden Antworten zu haben. Und sie haben Antworten gegeben, auch da, wo sie von Seiten des Judentums gar nicht gefragt wurden. Etwa, dass die Kirche an die Stelle des Judentums getreten sei. Dass also das Judentum theologisch gesehen keine Gegenwart und keine Zukunft habe. Oder, dass die christliche Auslegung des Alten Testaments, der hebräischen Bibel, die einzig wahre sei. Dass also die jüdische Auslegung der hebräischen Bibel, des Tanach, völlig in die Irre ginge.

Das Gespräch zwischen Christen und Juden war jahrtausendelang belastet durch christliche Vorurteile und theologische Abwertungen des Judentums. Zwi Werblowski, ein jüdischer Vertreter des Dialogs, sagte einmal: „Was den Juden das Gespräch mit den Christen verbaut hat, war nicht nur die unglückselige Historie des christlichen Antisemitismus, sondern auch die Tatsache, dass der Jude, wenn er den Christen verstehen wollte, auf eine Christen stieß, dessen christliches Selbstverständnis immer schon a priori ein Missverständnis der jüdischen Position enthielt“. - Verstehen kann nur gelingen in einer Haltung der Offenheit, in „rückhaltloser Offenheit“, wie es Martin Buber formulierte. Verstehen kann nur gelingen in der Bereitschaft, den anderen aus dessen eigenem Selbstverständnis heraus wahrzunehmen.

Nach 1945, nach dem Erschrecken über den Holocaust und die christliche Schuldverflochtenheit darin, hat weltweit eine deutliche Veränderung der christlichen Wahrnehmung in Bezug auf das Judentum begonnen. Für unsere hessischen Landeskirchen wird diese Veränderung u.a. deutlich in der Erweiterung des Grundartikels der Ev. Kirche in Hessen und Nassau von 1991 und der Erklärung der Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen - Waldeck zum Verhältnis von Christen und Juden von 1997. In beiden Texten wird auf die auf den Apostel Paulus zurückgehende Einsicht verwiesen, dass die göttliche „Erwählung“ des jüdischen Volkes und der Bund Gottes mit den Judentum auch weiterhin Bestand haben und nicht gekündigt sind. So haben die Kirchen eine entscheidende Basis gefunden, das Judentum in seinem Selbstverständnis theologisch anzuerkennen. Die Kirchen anerkennen und respektieren auf diese Weise ein eigenständiges jüdisches Verhältnis zu Gott. Und das macht eine christliche Mission an Juden überflüssig.

Auf dieser Grundlage konnte in den letzten Jahrzehnten immer stärker ein Dialog unter Gleichwertigen entwickelt werden, ein Dialog „auf gleicher Augenhöhe“. Ein Dialog, der Unterschiede nicht verdrängt, sondern gerade sie zu einem interessanten Thema für beide Seiten macht. Einander Rede und Antwort stehen über die Hoffnung, die jeweils in uns lebt.

Ein führender jüdischer Vertreter des Dialogs, Rabbiner David Rosen, beschreibt ein Konzept des gegenseitigen Lernens zwischen Christen und Juden. Beide Seiten haben unterschiedliche Schwerpunkte, unterschiedliche Erfahrungen, unterschiedliche theologische Positionen. Aber, in dem sie einander erzählen, welche Hoffnungen und welche Perspektiven bei ihnen leben, können sie voneinander lernen. Für das Christentum hilfreich, so Rabbiner Rosen, ist die jüdische Erinnerung daran, dass die Welt noch nicht erlöst ist. Und für das Judentum hilfreich wäre die christliche Erinnerung daran, dass das Reich Gottes hier und da gegenwärtig erfahren wird. Voneinander lernen.

Die Veränderungen in den Kirchen hin zu einer dialogischen Haltung zum Judentum werden inzwischen immer stärker auf jüdischer Seite wahrgenommen. Ein Beispiel dafür ist die Erklärung orthodoxer Rabbiner vom vergangenen Dezember mit dem Titel: Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen. – Sie beginnt mit den Worten: „Nach fast zwei Jahrtausenden der Feindseligkeit und Entfremdung erkennen wir, orthodoxe Rabbiner, Leiter von Gemeinden, Institutionen und Seminaren in Israel, den Vereinigten Staaten und Europa, die sich uns darbietende historische Gelegenheit: Wir möchten den Willen unseres Vaters im Himmel tun, indem wir die uns angebotene Hand unserer christlichen Brüder und Schwestern ergreifen. Juden und Christen müssen als Partner zusammenarbeiten, um den moralischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.“ Diese Erklärung ist höchst bemerkenswert, bemüht sie sich doch um nichts Geringeres als darum, aus der jüdischen Tradition diejenigen Stimmen zusammenzutragen, die eine theologische Anerkennung des Christentums aus jüdischer Sicht ermöglichen.

Ein Anfang für ein neues Verhältnis zwischen Christen und Juden ist gemacht. Diese – nach allem, was geschehen ist – sehr bewegende Veränderung in den jüdisch-christlichen Beziehungen ist ein Hoffnungszeichen in unserer Zeit. Natürlich können wir dies nicht idealisieren. Natürlich können wir nicht verdrängen, dass dieses neue dialogische Verhältnis noch längst nicht in allen Kirchengemeinden und Synagogengemeinden angekommen ist, und auch nicht in allen kirchlichen Seminaren und Rabbinerseminaren. Aber ein Anfang ist gemacht. Und dieser Anfang wartet in den Kirchen auf Weiterarbeit, auf Vertiefung in kirchlich praktischer Arbeit und in theologischer Forschung und Lehre. Das zeigen unter anderem die Diskussionen um das Alte Testament im vergangenen Jahr und um die EKD-Erklärung zu „Martin Luther und die Juden“ in diesem Sommer.

Dass diese Veränderung zum Dialog möglich wurde, nach fast zwei Jahrtausenden der Feindseligkeit und Entfremdung, ist ein Hoffnungszeichen für unsere Zeit. Wenn dies möglich wurde nach so langer Zeit, kann dann nicht auch anderes möglich werden? Kann dann nicht auch eine tiefere Verständigung möglich werden zwischen Juden, Christen und Muslimen? Kann dann nicht auch eine Wende möglich werden in dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern? – Jetzt im Juni bei Projektbesuchen des EKHN-Arbeitskreises „Im Dialog“ trafen wir in Israel solche Menschen, die ihre Hoffnung für eine Überwindung des palästinensisch-israelischen Konflikts nicht aufgegeben haben. Die dort Tag für Tag sich einsetzen für die Überwindung einseitiger Haltungen, für die Überwindung von Vorurteilen und Hass. Dass mitten in dieser manchmal so ausweglos erscheinenden Lage Menschen sich entscheiden, nicht aufzugeben, sondern sich Tag für Tag im Rahmen ihrer Möglichkeiten für Verständigung und Entfeindung einsetzen, das ermutigt! - Die Herausforderung, Rede und Antwort zu stehen, über die Hoffnung, die in uns lebt, ist auf jeden Fall nicht geringer geworden – im Gegenteil, sie ist gewachsen. Und sie wartet auf Menschen, die sich ihr stellen. Amen.

Predigt beim Gottesdienst zur Einführung von Pfarrer Friedhelm Pieper als Referent für interreligiösen Dialog, Schwerpunkt Judentum und Naher Osten (EKHN/EKKW) am 14. September 2016 in der Evang. Auferstehungskirche Frankfurt/ - Praunheim

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