zurück zur Übersicht

Landessynode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, 29.11.1995

Die Landessynode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers nimmt in Übereinstimmung mit den anderen kirchenleitenden Organen das Arbeitsergebnis des Sonderausschusses 'Kirche und Judentum' dankbar entgegegen.

Die Landessynode unterstreicht die folgenden zentralen Aussagen des Arbeitsergebnissses:

"Wir beklagen die Schuld unserer Kirche an den Juden. Die Fehler und Versäumnisse belasten bis heute die Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses. Sie verpflichten uns, unsere Beziehungen zu Juden und zum Judentum neu zu bedenken und zu gestalten. Angesichts der Schuld unserer Kirche in der NS-Zeit und erschrocken über die Wirkungsgeschichte der antijüdischen Vorurteile in der Christenheit sind wir dankbar für den Ertrag der bisherigen Bemühungen um ein neues Verständnis des Judentums und unseres Verhältnisses zu Juden.

Dankbar sind wir auch dafür, daß nach Auschwitz jüdische Menschen sich bereit gefunden haben, mit uns gemeinsam die Schrift zu lesen. Diesem gemeinsamen Lesen und dem eigenen neuen Hören auf die Schrift verdanken wir wichtige Einsichten.

So sind wir an die bleibende Verbundenheit von Juden und Christen gewiesen worden und haben gelernt, daß die Voraussetzungen des christlichen Antijudaismus unhaltbar sind.

Gott hat seinen Bund mit Israel nicht gekündigt und sein Volk nicht verworfen, seine Erwählung bleibt bestehen.

Die Lehren aus der judenfeindlichen Geschichte der Christen zu ziehen und Theologie und kirchliche Praxis vor dem Horizont der bleibenden Verbundenheit von Juden und Christen zu erneuern, muß Anliegen unserer Landeskirche als Ganzer sein."

Der Weg einer Neuorientierung ist noch nicht zu Ende gegangen; viele Fragen sind noch zu klären. Das gilt auch für manche Aussagen im vorliegenden Arbeitsergebnis. Insbesonders über folgende offenen Fragen ist ein intensives weiterführendes Gespräch erforderlich:

a) Wie können die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens und die positiven Aspekte der Beziehungen von Christen und Juden stärker als bisher herausgestellt werden?

b) Wie ist es nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes zu deuten, daß Gott sich zum einen eine Kirche aus Juden und Heiden berufen hat und beruft und zum anderen an einer Erwählung gegenüber seinem Volk Israel festhält und in Treue zu ihm steht?

c) In welcher Weise können Christen und Christinnen ihren Glauben bezeugen, daß ihr Heil und das Heil aller Menschen in Jesus Christus erschienen ist, und zugleich einen offenen Dialog mit Juden und Jüdinnen führen?

d) Was bedeutet es für das christlich-jüdische Gespräch, daß beide Seiten die hebräische Bibel, das Alte Testament, gemeinsam haben, aber dieselben Texte unterschiedlich auslegen und verstehen?

Die folgenden Beschlüsse der Landessynode sollen das notwendige Gespräch anregen und voranbringen:

1. Die Landessynode wendet sich an die Kirchengemeinden, Kirchenkreise, Pfarr- und Mitarbeiterkonferenzen, an die Einrichtungen der Landeskirche, insbesondere an die für Aus-, Fort- und Weiterbildung, und bittet sie, das Arbeitsergebnis des Sonderausschusses sorgfältig zu beraten, die darin enthaltenen Anregungen aufzunehmen und Konsequenzen für die kirchliche Praxis zu ziehen.

2. Die Landessynode bittet das Landeskirchenamt, alle für Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Landeskirche Verantwortlichen zu einer Tagung zusammenzuführen, bei der die Folgerungen beraten werden, die sich aus dem Arbeitsergebnis für die Bildungsarbeit der Kirche ergeben, und dem Landessynodalausschuß zu berichten.

3. Die Landessynode bittet den Kirchensenat, geeignete Schritte zu unternehmen, um die Geschichte der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers während der NS-Zeit sorgfältig und kritisch zu erforschen und zu dokumentieren.

4. Die Landessynode bittet die Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen, ihre Geschichte in der NS-Zeit zu erforschen und zu dokumentieren und sich an der Spurensuche nach früherem jüdischen Leben zu beteiligen und dahingehende Bemühungen zu unterstützen.

5. Die Landessynode bittet alle in der Ev.-Luth. Landeskirche Verantwortlichen und die Kirchengemeinden und Einrichtungen, gegen den latenten Antiseinitismus zu arbeiten und gegen jeden wieder aufkeimenden Antisemitismus entschlossen aufzutreten.

6. Die Landessynode bittet die Kirchengemeinden, Begegnungen und Gespräche zwischen Juden und Christen, wo immer es möglich ist, zu suchen und zu fördern. Sie ist dankbar dafür, daß nach den Verbrechen des Holocaust solche Begegnungen und Gespräche möglich geworden sind und daß Schritte aufeinander zu getan werden konnten. Sie hofft auf eine gute Nachbarschaft zwischen Kirchen- und Synagogengemeinden, in der die Verbundenheit von Juden und Christen sichtbar werden kann.