"...schließt dieses Zeugnis ein."

Christen, die sich am christlich-jüdischen Dialog beteiligen, werden häufig gefragt, wann sie sich wohl beschneiden lassen, wann sie also Juden werden. Hinter dieser scherzhaft gemeinten, aber auch verletzenden Frage, verbirgt sich einerseits Angst, andererseits Unverständnis: Zum einen führt die Last der jahrhundertealten kirchlichen Lehrtradition mit ihrer Abgrenzung vom Judentum zu der Sorge, wesentliche Inhalte des christlichen Glaubens könnten aufgegeben werden. Zum anderen zeigt sich ein großes Maß an Unverständnis für den tatsächlichen Inhalt des christlichen Glaubens, der ohne seine jüdischen Wurzeln nicht lebendig und authentisch sein kann.

Da die Kirche nahezu 2000 Jahre lang sich selbst als das "wahre Israel" verstand und immer wieder versuchte, sich ihrer jüdischen Wurzeln zu entledigen, ist es nicht verwunderlich, dass solche Fragen gestellt werden. Doch sie weisen darauf hin, dass die Geschichte des Anitjudaismus noch nicht wirklich überwunden worden ist, dass aus der christlichen Schuld am Holocaust noch keine Konsequenzen gezogen worden sind.

Der letzte Teil der Grundartikelerweiterung ist Ziel und Gipfel der gesamten Aussage. Nun wird deutlich, dass hier nicht über Bund und Erwählung des jüdischen Volkes gesprochen wird, ohne dass es uns als Christen etwas anginge. Vielmehr wird bekannt, dass die Aussagen über die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes und über das Bestehen des Bundes Gottes mit Israel unverzichtbarer Bestandteil des christlichen Bekenntnisses sein müssen. Andernfalls würden die Christen sich erneut von ihren Wurzeln trennen.

Wir Christen müssen also erkennen, dass wir unser Bekenntnis zu Jesus als Christus, als Messias, als Erlöser nicht abgesehen von der irdischen Person Jesu ablegen können. Der Messias Jesus ist Jude gewesen, hat in seinem Volk gelebt, hat mit seinem Volk geglaubt, war mit seinem Volk eingebunden in die Erwählung und aufgenommen in den Bund Gottes mit Israel. Diese irdische Verwurzelung Jesu im Judentum ist die Voraussetzung des Glaubens an den auferstandenen Christus. Wird sie aufgelöst, verliert das Christentum seine Wurzeln, es wird zu einer Idee, einer Philosophie einer Ideologie, es ist aber nicht mehr Teil des Volkes des Gottes, der sich im Laufe der Geschichte immer wieder mitteilte: Abraham in der Verheißung, dem Mose auf dem Berg Sinai, den Herrschern und dem Volk durch die Propheten und uns Christen auch in Jesus Christus.

So bedeutet es nicht, seinen christlichen Glauben aufzugeben, wenn man seine jüdische Dimension erkennt, akzeptiert und ernst nimmt. Der Glaube selber kommt nicht in Gefahr, wird nicht aufgelöst, die Auferstehung Jesu nicht in Frage gestellt, wenn Christen auch heute in der Begegnung mit dem Judentum die Gnadengaben erkennen, die Gott schon immer und für immer seinem Volk Israel gegeben hat. Vielmehr stimmt das Gegenteil: Der christliche Glaube wird erst dann in seiner vollen Kraft und Schönheit erkannt und kann gelebt werden, wenn er darauf verzichtet, sich über das Judentum zu stellen, wenn er es nicht mehr nötig hat, den Juden ihr Recht auf ihren Glauben abzusprechen, wenn er sich selber in der Glaubensgemeinschaft mit den Juden im Glauben an den einen Gott erkennt.

Christlicher Glaube gerät nur dann in Gefahr, wenn Christen ihren Glauben auf Kosten von anderen, auf Kosten der Juden leben. Dann wird er unglaubwürdig.

Diese theologische Erläuterung der beiden Sätze, um die der Grundartikel der EKHN erweitert wurde, hat der heutige Evangelische Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau - ImDialog, 1991 veröffentlicht.
Wie hat sich seitdem die christlich-jüdische Verhältnisbestimmung entwickelt? Welche der in dieser Erklärung formulierten Erläuterungen wären heute eventuell anders zu formulieren?
Wir bitten Sie, uns Ihre Anregungen über ga25@imdialog.org mitzuteilen und haben vor, diese demnächst öffentlich zugänglich zu machen.

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