Morgen kann sich alles ändern - Gedanken nach einer Israelfahrt im August 2005
von Ulrich Schwemer

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Gerade bin ich aus Israel zurückgekommen. Nach unendlich vielen Gesprächen, die ich zusammen mit einer Delegation des "Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel in Hessen und Nassau" in Israel und in den palästinensischen Gebieten geführt habe, bin ich vorsichtiger denn je mit Wertungen oder gar mit Vorschlägen zur Konfliktlösung. "Noch eine Woche länger mit weiteren Gesprächspartnern und ich weiß gar nichts mehr", sagte ich halb scherzhaft zu einem Gruppenmitglied. Denn die Meinungen, Wertungen und Lösungsideen, die Ahnungen, Befürchtungen und Visionen verknoten sich immer mehr zu einem unübersichtlichen Netz, das in einem Satz Friedenshoffnung und Kriegsangst verbin-den kann.

Doch aus Deutschland höre ich ganz andere Stimmen:

Schon während unseres Aufenthaltes in Israel, der mittels Presseerklärungen auch in deutschen Me-dien zugänglich gemacht wurde, gab es Reaktionen mit guten Vorschlägen, wen wir auch noch zu besuchen hätten, um nicht "einseitig" zu werden (womit übrigens offene Türen eingerannt wurden, denn wir haben z.T. genau mit den vorgeschlagenen Institutionen gesprochen). Doch der Unterton war klar: Ihr informiert euch nicht genügend über das Leid der Palästinenser - selbstverständlich als Opfer verstanden.

Und kaum zurück in Deutschland finde ich in der Post einen ersten Text über Israel, seine Demokratie - wohl eher mit einem Fragezeichen versehen - und Aussagen darüber, wie sich Israel zu verhalten habe.

Ich bin erschrocken über die Selbstsicherheit und auch Selbstgerechtigkeit mit der aus Deutschland die israelische Politik bewertet und kritisiert wird und zugleich nach der palästinensischen kaum gefragt wird. Natürlich weiß ich, dass manche dieser Äußerungen eine Reaktion auf die kritiklose Übernahme vor allem rechter israelischer Positionen durch ihrerseits rechtsgerichtete evangelikale Kreise aus Deutschland und anderen Ländern sind. Die wiederum werfen uns von einer ganz anderen Seite her Einseitigkeit vor.

Als unbescheiden und rechthaberisch empfinde ich das eine wie das andere Verhalten, das letztlich in einer Entmündigung derer gipfelt, die den Konflikt Tag für Tag aushalten müssen und deren Lösungs-versuche schon so oft in der Gewalt der Extremisten untergegangen sind.

In all den Jahren der ersten wie der zweiten Intifada bin ich mindestens einmal jährlich im Land gewe-sen - allein, mit dem Vorstand des Arbeitskreises oder der Delegiertenversammlung der "Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreises Christen und Juden" oder wie in den letzten Tagen mit einer Delega-tion des Arbeitskreises.

Ich habe Zeiten höchster Spannung erlebt, als um Jenin gekämpft wurde oder die Panzer unterhalb meines Hotelzimmers in Ramat Rachel bereit standen, um in Bethlehem einzumarschieren, als Palästi-nenser die Geburtskirche besetzt hatten.

Ich war in Zeiten im Land, als die Menschen aus Angst vor Anschlägen nur noch ungern Einkaufen gingen, als sie die verborgensten Lokale auswählten, um sich vor Selbstmordattentätern zu schützen, als Busse in die Luft gesprengt wurden.

Ich war in Bethlehem und Beit Jalla gewesen und habe die Klagen der Bevölkerung unter den Bedin-gungen der Besatzung gehört. Ich habe die Checkpoints gesehen und aggressives, herablassendes Ver-halten der Soldaten beobachtet aber auch Lässigkeit oder gar Freundlichkeit. Doch ich war nicht der Untersuchte, der Aufgehaltene, ich musste mich nicht der Tortur einer genauen Kontrolle unterziehen und ich kann nur ahnen, wie viel Feindseligkeit diese alltägliche Situation hervorbringt.

Und ich habe immer wieder mutige Menschen erlebt, die sich von keiner Verordnung vorschreiben lassen, wie sie für eine Verständigung der Konfliktparteien untereinander arbeiten. Die Schleichwege - tatsächlich oder im übertragenen Sinn - sind vielfältig und es ist, als würden kleine Pflänzchen Hoff-nung in einer weiten Wüste der Hoffnungslosigkeit wachsen wollen.

In den letzten Jahren kam ich stets bedrückt nach Hause. Die schiere Unlösbarkeit des Konfliktes schien alles Handeln vom Mehltau der Aussichtslosigkeit überzogen sein zu lassen.

Auch jetzt bleibt vieles offen und ungewiss in der weiteren Entwicklung. Der Rückzug aus dem Gaza-streifen spaltet die israelische Bevölkerung: Jerusalem verwandelte sich in den Tagen meines Aufent-haltes in ein orangenes Meer der Abzugsgegner, während in Tel Aviv die Farbe der Befürworter, blau, die Oberhand zu halten schien. Doch wenn auch viele Fragen offen sind nach der Zukunft dieses Pro-zesses, wenn auch die Antworten, Hoffnungen und Zweifel auf allen Seiten kaum zur Deckung zu bringen sind, wenn auch die relative Ruhe von Anschlägen durchatmen lässt, spüre ich zumindest die Möglichkeit eines Schrittes in Richtung eines noch fernen Friedens.

Selbst der Anschlag eines jüdischen Rechtsextremisten in Schfar'am, dem zwei junge Araberinnen und zwei Männer zum Opfer fielen, erreicht zumindest nicht das Ziel, einen gewalttätigen Aufstand der Israel-Araber anzustacheln. Die Regierung fand starke Worte der Verurteilung dieser Tat als Ter-rorakt, offizielle Vertreter nahmen an den Begräbnissen teil und auch der arabische Bürgermeister von Schfar'am bemühte sich, das Ausbrechen von Hass zu verhindern.

Zum ersten Mal seit Jahren kann ich mir vorstellen, wieder einmal mit einer Reisegruppe ins Land zu kommen. Erste Ansätze eines Wiederbeginns des Tourismus sind unübersehbar. In kleinen Grenzen zwar scheint das Leben sich wieder zu normalisieren.

Doch es bleibt der Stachel im Fleisch: die Grenzsicherungen, teilweise als hohe Mauer gebaut, von den einen als Garant des Schutzes vor weiteren Selbstmordattentätern verstanden, von anderen als eine Aktion der Landnahme palästinensischer Gebietes kritisiert. Es bleibt die weitere Besetzung palästi-nensischer Gebiete, es bleibt die Drohung von Attentaten verschiedener palästinensischer Freischär-lergruppen.

Wie oft hörten wir in den letzten Tagen: Hier kann sich innerhalb eines Tages alles wieder ändern. Und dieser Satz ist leider nur allzu wahr. Und plötzliche Änderungen sind allemal schlechte Änderun-gen. Der lange Atem, der Prozess einer allmählichen Entwicklung sind hier gefragt. Alle Lösungsvor-schläge, die nicht bei der Wurzel anfangen, nämlich dem gegenseitigen Verständnis der Konfliktpar-teien untereinander, werden sich in Kritik und Analyse verzetteln und allzu schnell einen Stellvertre-terkrieg führen, Schuldzuweisungen je nach persönlichen Kontakten und Vorlieben aussprechen.

Hoffnungszeichen gibt es im Kleinen: Hier spielen Kinder in einem jüdisch-beduinischen Kinderhort zusammen. Dort nehmen arabische und jüdische Kinder an einem Sommerlager teil und immer arbei-ten erwachsene Palästinenser und Juden zusammen, bereiten miteinander die Unternehmungen vor. Vielleicht können Kinder, die solches erleben, später einmal die Worte finden, die wirklich zum Frie-den führen. Das wünsche ich den jüdischen Israelis und den arabischen Israelis, das wünsche ich den Palästinensern in den Gebieten, die vielleicht einmal einen palästinensischen Staat bilden werden. Das wünsche ich aber auch der Region, der Welt und uns, denn dieser Konflikt birgt in sich noch immer die Gefahr, sich nicht auf die eigentliche Region begrenzen zu lassen.

Deshalb erspare ich mir irgendwelche Lösungsszenarien, die ich sowieso nicht verantworten muss, in denen ich auch nicht leben muss. Ich vertraue aber darauf, dass eines Tages die Gewalt ein Ende hat und Gesellschaften miteinander zu leben lernen und ihre Konflikte gemeinsam zu lösen suchen, auch wenn das heute nur schwer vorstellbar ist.

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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