Sepharden und Ashkenasi. Israels ethnisches Dilemma

von Kalman Yaron und Horst Dahlhaus

Mit der Rückkehr der Arbeitspartei in die Regierung kamen drei wichtige Punkte wieder auf Israels Tagesordnung: Der Abschluss des israelisch-arabischen Friedensabkommens, die Lösung der ethnischen Spannungen im Innern sowie die Verwurzelung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Wir wollen hier vor allem auf die Schwierigkeiten beim Zusammenleben der jüdischen Bevölkerung europäischer Herkunft und der Masseneinwanderung eingehen, die aus dem Mittleren Osten nach Israel strömte, unmittelbar nach der Gründung des jüdischen Staates 1948. Obwohl beide Gruppen von der Religion und ihrer jüdischen Abstammung verbunden sind, war ihr Zusammentreffen voller Spannungen, weil es den Zusammenstoss von Ost und West spiegelte. Die Beziehungen zwischen diesen Bevölkerungsgruppen können einerseits als Beleg für die Krise dienen, die in der multikulturellen und multiethnischen Struktur von Israels Gesellschaft begründet ist, andererseits aber auch für die beginnende Schmelztiegel-Politik.

Wir wollen uns auch mit dem marokkanischen talmudischen Genie Rabbi Ovadia Josef und seiner rechten Hand, dem gerissenen politischen Manipulator Arie Deri beschäftigen, der die orientalische Shas (die jüdische ultra-orthodoxe Protestbewegung) gründete und zu einer erfolgreichen politischen Partei entwikkelt hat.
Mizrahis und Ashkenazi: östlich und westlich geprägt
Etwa die Hälfte der israelischen Juden stammt aus afro-asiatischen und moslemischen Ländern, die man Mizrahis (Orientalen) oder Sepharden (zunächst die Ladino-sprechenden Juden aus Spanien, später allgemein auf die Mizrahis angewandt) nennt. Die ashkenasische Gemeinde umfasst in erster Linie die Abkömmlinge der früh eingewanderten Jiddisch-sprechenden Juden aus Europa. Weder die Ashkenasis noch die Mizrahis sind jeweils homogene Gruppen seit ihrer Ankunft aus verschiedenen Ländern und kulturellen Rahmenbedingungen. Es gibt unter ihnen starke Differenzen zwischen Mizrahis aus Jemen, Marokko und Nordafrika, Irak und Iran - ganz zu schweigen von den äthiopischen Juden. Ebenso sind die Ashkenasim so verschiedenartig wie ihre Herkunftsländer - etwa die von polnischer und deutscher Abstammung von denen aus Englisch-sprachigen Ländern usw.

Schon von Anfang an waren die Beziehungen zwischen der ashkenasischen Oberschicht, die die Zionisten Europas und die traditionellen orientalischen Einwanderer repräsentierte, problematisch. Das spannungsreiche Verhältnis zwischen beiden ergab sich aus dem schwerwiegenden Zusammenstoss ihrer jeweiligen Kulturen und dem in Abhängigkeit ausartenden Vertrauen der Mizrahis zu den ashkenasischen Gründungsvätern, die sich mit ihren politischen und ökonomischen Fähigkeiten ausserordentlich bewährt hatten, und ihrem sozialen Ansehen. Das Missverhältnis zwischen den traditionellen Ansichten der Mizrahis und den ausgesprochen modernen Wertvorstellungen der ersten westlichen Zionisten verstärkte das Dilemma der Schmelztiegel-Politik gegenüber der Kulturenvielfalt. Der Zusammenstoss zwischen den ethnischen Gruppen spiegelt nicht nur die Auseinandersetzung um die nationalen Ressourcen wider, sondern hat auch eine kulturelle Dimension - den Wunsch der verschiedenartigen Gruppen, ihre eigenen kulturellen Traditionen zu bewahren, die sich in der Diaspora herausgebildet hatten, und zugleich ihr Verlangen nach dem eigenen legitimen Platz in den Schichten von Israels Gesellschaft.

Da die Mizrahis den Prozessen von Emanzipation, Säkularisierung und Modernisierung nicht ausgesetzt waren, die in Europa stattgefunden hatten, und zum Glück auch die Shoah nicht erleiden mussten, haben sie weiter das jüdische Leben in ihrer sephardischen Form gepflegt. Die verschiedenen Erfahrungen, Weltanschauungen und Leistungsstandards waren zwangsläufig mit einem kulturellen Konflikt verbunden.

Die strikte Schmelztiegel-Politik der eingefleischten Zionisten, unerlässlich für die nationale Sozialisation und Solidarität, wurde zu einer Quelle endloser Schwierigkeiten. In der Überzeugung, dass nur ihr Weg allein das jüdische Überleben garantieren könne, zwangen sie ihre Auffassung auch den Neueinwanderern auf - seien sie Europäer oder Orientalen. Adressaten der zionistischen Gründungsväter waren vor allem die einwandernden Kinder, dazu bestimmt, mit dem Bild des "Sabra" (im Land geborener Israeli) voranzukommen, des gebürtigen Hebräers, auch gegen den Wunsch der Eltern. Die patriarchalisch ausgerichteten orientalischen Familien gerieten aus den Fugen, als sie vor dem Druck kapitulierten, sich der technokratischen, nüchternen, leistungsorientierten und freizügigen westlichen Kultur anpassen zu müssen.

Trotzdem sollte man nicht die damals regierende Arbeitspartei beschuldigen, absichtlich die große Zahl der Masseneinwanderer schlecht behandelt zu haben. Die unterschiedlichen Hintergründe und Erwartungen verlangten nach der Notwendigkeit eines gemeinsamen Nenners, der natürlich von den Alteingesessenen vorgegeben wurde. Die Möglichkeit der Einführung einer multikulturellen Politik inmitten der Realität eines "Turms von Babel" war zur damaligen Zeit natürlich unrealistisch. Als Reaktion auf die Behauptungen der Mizrahis, sie seien gezwungen worden, ihre lange gehegte Tradition preiszugeben, muß man daran erinnern, dass die Politik des Schmelztiegels zugleich den Überlebenden der Shoah aufgezwungen wurde, die wegen ihrer Ghetto-Mentalität, ihres seltsamen Aussehens, ihres jiddischen Dialekts und ihrer Hilflosigkeit verachtet wurden.

Dabei muss auch die Belastungen erinnert werden, denen die ersten Zionisten in dem jungen Staat ausgesetzt waren. Als sie immer noch ihre Wunden aus dem blutigen Unabhängigkeitskrieg von 1948 leckten, wurden sie mit einer gewaltigen Masseneinwanderung konfrontiert. Obwohl es nicht einmal die primitivste Infrastruktur gab, nahmen sie die mit leeren Händen Ankommenden mit offenen Armen auf. Während sie diese Einwanderer unterstützten, taten sie alles in ihren Kräften Stehende, um die Eingliederung der Neuankömmlinge in Israel zu beschleunigen, denn viele von ihnen waren sowohl physisch als auch psychisch zerbrochen. Ohne Rücksicht auf alle Unzulänglichkeiten: Die Aufnahme von Hunderttausenden von ausgewiesenen Flüchtlingen in ein neugeborenes Land war ganz offensichtlich eine einzigartige historische Leistung.

Mit am wichtigsten war, dass die hart arbeitenden Zionisten von den anderen nichts verlangt haben, was sie selbst nicht auch taten. Doch in den Augen der orientalischen Einwanderer war der Preis dafür, von der israelischen Gesellschaft dadurch angenommen zu werden, dass sie ihre eigenen Traditionen aufgaben, zu hoch. Die feste Entschlossenheit der Alteingesessenen, ihre Ablehnung von "Andersartigkeit" und ihr Anspruch auf Anpassung an ihren eigenen Lebensstil wurden von den Mizrahis als Absicht betrachtet, sie von ihren Vorfahren zu trennen. Während in der Anfangsphase die neu ankommenden Mizrahis alle Anstrengungen unternahmen, ihr arabisches Äußeres durch die Nachahmung westlicher Formen loszuwerden, begann später eine bewusst orientalische Strömung die arabische Kultur zu idealisieren, unter dem Dach einer mediterranen Zivilisation gegen den dekadenten Westen gerichtet.

Mit dem Makel einer rückständigen Gemeinschaft versehen und diskriminiert von den herablassenden westlichen Kollegen, die den Typ eines "neuen Juden" nach dem Vorbild des "Halutz" (des säkularen zionistischen Pioniers) zu entwickeln versuchten, schluckten die Mizrahis ihre Verletzungen über lange Zeit, bis sie sich schliesslich Luft machten. Der "Wadi-Salib" Aufstand in Haifa 1969 und die Erhebung der "Schwarzen Panther" (so nannten sich die marokkanischen Rebellen) in Jerusalem in den 70er Jahren legten die inneren frei, die in der pluralistischen Gesellschaft Israels, die sich über den sozioökonomischen und kulturellen Riss hinwegsetzen wollte, schwelten. Die Behauptung der frommen jemenitischen Juden, dass das ashkenasische Establishment ihre kleinen Kinder entführt hätten, während sie ihre ersten Gehversuche in Israel machten, enthüllt noch einen weiteren Aspekt der innerethnischen Konflikte.

Einwanderer wurden normalerweise als Ton in den Händen der Alteingesessenen betrachtet. Auf die Orientalen wurde das Klischee der "Generation aus der Wüste" angewandt. Die Überlebenden der Shoah dagegen waren in deren Augen entwürdigt als Schafe, die sich hätten zur Schlachtbank führen lassen und die gelehrigen deutschen Juden (Jekkes) wurden von ihren nüchternen polnischen Brüder verspottet. Dennoch sahen die Neueinwanderer aus den afro-asiatischen moslemischen Ländern die grössten Schwierigkeiten darin, dass sie im Aufnahmeprozess unvorhergesehen in "Entwicklungsstädte" (heruntergekommene arabische Dörfer) weitergeleitet wurden. Ausserdem ist zu bedenken, dass es zu jener Zeit noch nicht die später üblichen Eingliederungshilfen gab und die damalige Einwanderungspolitik allen Neueinwanderern aufgezwungen wurde.

Der Zusammenstoss zwischen den zionistischen Pionieren und den untergeordneten Mizrahis war darin begründet, dass die früher Angekommenen diejenigen, die später eintrafen, nicht mit offenen Armen empfangen sondern als Gruppe aufgenommen haben, die der Umerziehung bedarf. Mit der Entstehung Israels erhofften die zionistischen Pioniere den Zuzug einer Bevölkerung aus den hochentwickelten westlichen Ländern, um die jüdische Präsenz in dem neuen Staat zu verstärken. Da die erwartete Einwanderungswelle nicht kam, waren die früher Angekommenen mit den Massen aus dem Orient zufrieden, die unmittelbar in die neu gewonnenen Gebiete, die vor allem in den Grenzregionen lagen, weiterbefördert wurden. Die Weigerung, den wichtigen Beitrag dieser Menschen beim Aufbau und der Sicherung des Landes ist eine offene, immer noch nicht geheilte Wunde. Der in Bagdad geborene bedeutende israelische Schriftsteller Sami Michael drückte die Gemütslage seiner Kollegen mit folgender Behauptung aus: "Während wir denen verzeihen können, die uns benachteiligt haben, werden wir niemals denen vergeben, die behaupten, wir hätten keinen Beitrag geleistet."
Die Sepharden und die Entstehung von Shas
Die Einführung eines neuen Wahlsystems in Israel im September 1997 - die Direktwahl des Ministerpräsidenten - hat die demokratische Struktur der israelischen Gesellschaft schwerwiegend verletzt. Sie zerteilte die politische Landschaft in pressure groups, kulturelle Enklaven und politische Interessenverbände, die gegen die Spielregeln verstossen haben. Die zwei grossen Parteien (Labour und Likud) verloren auf diese Weise viel von ihrer Stärke an neue Splittergruppen, in erster Linie an Shas (Sephardische Torah-Wächter), die - beherrscht von den Marokkanern - die nordafrikanische Bevölkerung repräsentierte. Die Wahlen zur Knesseth von 1999 waren ein erneuter Beweis für die brüchige Grundlage des politischen Establishments in Israel, vergleichbar einem Puzzle, dessen Teile nicht passen.

Der Aufstand der Mizrahis gegen die 19jährige Herrschaft der Arbeitspartei zeigte sich bei den Parlamentswahlen von 1977, bei denen die rechtsnationale Herut (heute Likud) unter der Führung von Menachem Begin an die Macht kam. Begeistert von Begins jüdischer Rhetorik, die den Orientalen ihr Selbstvertrauen zurückgab und gefördert von der Abneigung gegen die Mapai (die frühere Arbeitspartei) haben die Mizrahis den Likud zwei Jahrzehnte unterstützt. So konnte sie ihre tiefe Feindseligkeit gegen die herablassende Behandlung durch die "herrschenden linken ashkenasischen Eliten" ausdrücken, die ihr Hochmut zusammengeführt hatte.

Verzweifelt über die gnadenlose Marktwirtschaft, die der Likud eingeführt hatte und unterstützt vom Koalitionspartner Shas votierte das verarmte und arbeitslose Proletariat der Mizrahis für Barak (den Kandidaten der Arbeitspartei), um damit Netanjahu (den früheren Likud-Premier) zu ärgern. Ausserdem verliess eine ganze Reihe von enttäuschten Likud-Anhängern die Partei, wählte Shas und zog damit die ethnische Solidarität der nationalen Treue vor.

Die Tatsache, dass von der gesamten orientalischen Bevölkerung die marokkanische Gemeinde zur Speerspitze des sephardischen Aufstandes gegen das israelische Establishment wurde, ist nicht überraschend, denn der Prozess ihrer Eingliederung war und ist besonders schmerzreich. Die Erklärung für die grosse Not, die die Juden aus dem Magreb damit hatten, ihren angemessenen Platz in der israelischen Gesellschaft zu finden, wird offenbar, wenn wir die irakischen Juden als Beispiel wählen.

Der Prozess der kulturellen Anpassung der irakischen Juden wurde dadurch erleichtert, dass die ganze Gemeinde einschliesslich der Oberschicht und der kulturellen Eliten nach Israel einwanderte und durch ihre Gruppensolidarität zusammengehalten wurde. Umgekehrt fehlten den marokkanischen Juden, die aus den Mellahs (den jüdischen Ghettos) und aus dem abgelegenen Atlasgebirge kamen, ihre oberen Ränge. Der Mangel einer intellektuellen Führungsschicht, die das klassische sephardische Erbe hätte repräsentieren und damit als wirksame politische Führung hätte dienen können, schadete der marokkanischen Gemeinde in Israel. Indem sie vorzogen, sich im Westen niederzulassen - vor allem in Frankreich - gaben sich die Vorfahren in die Hände ihrer Brüder, ihrer unzeitgemässen Rabbis, angeführt von politischen Manipulatoren, die sie bis heute von Fortschritt und Modernität fernhalten.

Die Erfolgsgeschichte von Shas, die heute 15 % der Parlamentsmitglieder stellt (drittgrösste Fraktion der Knesseth) ist immer noch ein Rätsel, seitdem ihre politische Aussage unvereinbare Positionen enthält. Sie möchte gleichzeitig sowohl eine orientalische Protestbewegung der Arbeiterklasse sein, eine fundamentalistische ultraorthodoxe Strömung der Haredis, die den demokratischen Staat Israel in ein jüdisches, von der Torah geprägtes Staatswesen umwandeln möchte, sowie auch eine ethnische Wiederbelebung, die eine Rückkehr des ursprünglichen sephardischen Glanzes verspricht.

Kultureller Rahmen, Bildungsniveau, Geburtenrate, Pro-Kopf-Einkommen, religiöse und politische Präferenzen belegen deren wechselseitige Abhängigkeiten. Es ist ganz offenkundig, dass der gutwillige und besser ausgebildete säkulare Israeli dazu neigt, die sozialdemokratische Arbeitspartei und die Linke zu wählen, während die weniger gebildeten Kreise (vor allem Mizrahis) dahin tendieren, den populistischen Parteien wie Likud und Shas zu folgen. Deren Wahlverhalten beweist immer wieder ihre Verbundenheit, wenn sie traditionell für Shas stimmen oder Likud unterstützen (ein Verhalten, das sich aber bei den Wahlen von 1999 umgekehrt hat).

Der Zustrom von Palästinensern und Fremdarbeitern nach Israel nach dem Krieg von 1967 hat die sozioökonomische Lage der Mizrahis dadurch verbessert, dass sie zur Mittelklasse, zu Berufen mit weissen Kragen und auch zur Besetzung von staatlichen Schlüsselpositionen bekamen. Trotz ihrer Beteiligung an der politischen Macht (sie besetzten mehr als die Hälfte der Kabinettsposten), hindert ihr niedriger Bildungsstand sie am Aufstieg in andere Bereiche, für die qualifizierte berufliche und akademische Voraussetzungen verlangt werden.

Es ist ein Problem, dass Shas durch die Vorspiegelung, das orientalische Proletariat zu vertreten, die sozioökonomische Kluft zwischen den Armen und den Reichen nur noch vertieft hat, indem sie die strikte Politik des Likud für Privatisierung und Marktwirtschaft unterstützte. Diese Tendenz wurde noch dadurch gefördert, dass grosse Teile des Nationalbudgets vor allem für drei Bevölkerungsgruppen eingesetzt wurden: die jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten, die ultraorthodoxe Gemeinde im allgemeinen und besonders für Shas, die diese Mittel in grossem Umfang für ihre eigenen Zwecke verwandte.

Die Frustration der Mizrahis geht aber nicht nur auf ökonomische Schwierigkeiten allein zurück, sondern auch auf ihr Gefühl, kulturell benachteiligt zu werden. Der sephardische Wissenschaftler Yehuda Canaan kommentierte in der Tageszeitung Ha'aretz am 7. 7. 1999: "Die orientalischen Juden sind nicht nach Israel gekommen, um Herzls Vision zu verwirklichen oder sich an einer sozialistischen Umwälzung zu beteiligen. Sie kamen auch nicht nach Zion, weil sie vom Holocaust bedroht waren. Nur ein einziger Grund brachte sie hierher - die Torah. Als sie hierherkamen, wurden sie gezwungen, Vorstellungen zu folgen, von denen unsere Väter keine Ahnung hatten - den häretischen westlichen Anweisungen und dem nichtkosheren Staat - das wurde uns angeboten. Die fünf Jahrzehnte des ethnischen Zusammenstosses wurden durch die gefühllosen Ashkenasis ausgelöst, die die Mizrahis als Objekte behandelten - als soziale Aussenseiter oder als Kandidaten für Stipendien (positive Diskriminierung). Es war Shas, die das Selbstbewusstsein der Mizrahis gestärkt hat. Der Konflikt zwischen den Anschauungen wird nur dann verschwinden, wenn die Botschaft von Shas von den Eliten der Ashkenasis verinnerlicht wird".

Erstaunlicherweise waren es die frustrierten sephardischen Absolventen der ashkenasischen Yeshivas (Talmudschulen), die den Feldzug gegen die Ashkenasis beendeten. Dieser Widerspruch rührt aus der Tatsache, dass die Mizrahis, obwohl sie von ihren Jiddisch-sprechenden Rabbinern gedemütigt wurden, sie in dem gleichen Maß bewunderten, in dem sie die Merkmale ihrer orientalische Identität aufgaben. Shas hat Zuflucht bei der längst vergangenen ashkenasischen Ultraorthodoxie gefunden, die ihre Eigenheiten, Gebräuche und Einstellungen übernahm, einschliesslich der litauischen Kleidung aus dem 18. Jahrhundert.

Indem Shas zwei Flaggen zeigte, eine soziale und eine religiös-kulturelle, weckte sie bei ihren Anhängern die Illusion, dass sie bald den ihnen zustehenden Platz in der israelischen Gesellschaft bekommen würden. Dieses Ziel ist aber noch nicht erreicht, weil Shas ihre Autorität in die falsche Richtung gelenkt hat. Unfähig, den Herausforderungen der neuen Zeit zu begegnen und wirkungsvolle soziale Anstrengungen zu unternehmen, wurde Shas die Vorkämpferin des Widerstandes der Haredis gegen Israels Säkularität und Modernität. Indem Shas versprach, ihre Brüder an ihre Ursprünge zurückzuführen, verurteilte sie diese zugleich zu einer Randexistenz durch die Entfernung von der dynamischen Entwicklung des Landes.

Die Förderung des Volkscharakters, Verehrung heiliger Plätze, Gebrauch von Glücksbringern, Wunder- und Aberglaube stehen dem Fortschritt der Mizrahis im Wege. Weil aber Shas unverzichtbar für die Bildung einer Regierungsmehrheit ist, wird sie sowohl vom Likud als auch von der Arbeitspartei umworben und ist damit in der Lage, erhebliche Mittel locker zu machen. Doch große Teile dieser Finanzmittel, die zu Shas strömen, verschwanden in den Taschen ihrer Führer, deren Verwandten und Günstlingen sowie bei erfundenen gemeinnützigen Einrichtungen mit religiösen und erzieherischen Zielen. Trotzdem muss man anerkennen, dass Shas ein beachtliches Schulsystem, verbunden mit philantropischen Diensten entwickelt hat, das dazu dienen sollte, die ursprüngliche sephardische Pracht wieder zu entfalten und die Menschen zu ihren Quellen zurückzuführen. Das breit gefächerte sephardische Erziehungs- und Sozialsystem, das sogenannte el-hamayyan (zurück zu den Quellen-Vorhaben), gilt als Perle in der Krone dessen, was Shas erreicht hat. Sein Talmudunterricht, seine Schulen, Kindergärten, Jugendherbergen und Sommerlager werden von den armen Familien der Mizrahis intensiv nachgefragt, die sich von dem überlieferten autoritären Erziehungswesen, den sozialen Diensten, Tagesstätten und langen Schulstunden sehr angezogen fühlen.

Das Problem liegt darin, dass die Pädagogik von Shas eine Art von Schulwesen im Ghetto darstellt, konzentriert auf Judentum in seiner ultraorthodoxen Variante, das Studium des Talmud und auf politische Indoktrination gegen die Demokratie, die dem Vorrang der Torah-Wächter zuwiderläuft. Mehr noch, in den überholten Curricula fehlen wichtige Grundfächer (Mathematik, Naturwissenschaften, Erdkunde, Geschichte, Fremdsprachen usw.), so dass die Schärfung des Intellekts der Schüler gehindert, ihre kulturelle Kompetenz begrenzt und ihr Zugang zur Gesellschaft des high-tec versperrt wird.

Vaterfigur und geistiger Führer von Shas ist der betagte Rabbi Ovadia Josef, dessen Wort wie ein kategorischer Imperativ gilt. Bis vor kurzem war seine rechte Hand der geschickte Politiker Arie Der'i, der Shas zu einer erfolgreichen politischen Bewegung gemacht hat. Die Gewinnung des angesehenen patriarchalischen Kabbalisten Shlomo Kadouri (bekannt wegen seiner "mystischen Kräfte") für die Propagandamaschine von Shas belegt deren politische Kultur. Jedoch die anti-ashkenasische Phrasendrescherei ist immer noch die wirksamste politische Waffe von Shas.

Als die Partei Machtpositionen und Finanzmittel bekam, lancierte sie auch eine ungehemmte Kampagne gegen die Rechtsstaatlichkeit. Ihre Angriffe richten sich gegen die sozioökonomisch, kulturell und akademisch Bessergestellten sowie vor allem gegen die feindseligen Medien, den "häretischen" Gerichtshof, seine Richter und die "rassistischen ashkenasischen Eliten". Die sephardische Hexenjagd gegen die israelische Führungsschicht erreichte ihren Gipfel mit der Attacke gegen den Obersten Gerichtshof des Landes, der durch das sich auf die Torah gründende Rabbinatsgericht ersetzt werden müsse. Ein wütender Parlamentarier von Shas rief aus: "Die Tatsache, dass die Ashkenasis die Richter und die Mzrahis die Angeklagten sind, macht das Wesen der Beziehung zwischen beiden deutlich - vergleichbar dem Umgang eines Reiters mit seinem Pferd".

Der Zusammenstoss von Shas mit den Ashkenasis fand einen extrem grotesken Ausdruck nach Der'is Verurteilung durch das Jerusalemer Bezirksgericht wegen Betrugs und Bestechung während seiner Amtszeit als Innenminister. Die Angriffe auf Der'is Richter verloren alle Maßstäbe, als seine Anhänger ihn als Sündenbock der Ashkenasis darstellten und seine Ankläger des Rassismus beschuldigten. Der'is Lehrmeister Rabbi Ovadia Josef selbst sprach seinen Musterschüler als "unschuldig im Namen der Torah" frei. Der'i ist jedoch nicht die einzige und nicht die letzte Führungsfigur von Shas, die der Korruption und des Betruges schuldig befunden und ohne Bedenken von ihren Kollegen verteidigt wurde.

In Der'is Verurteilung wurde von seinen Meistern sogar eine Parallele mit der Dreyfus-Affaire gesehen und Emile Zolas berühmter Ausruf "Ich klage an" verwendet, während Der'i selbst seine Verurteilung mit dem Eichmann-Prozeß verglich. Andere sahen Ähnlichkeiten mit den Anschuldigungen, die zur Ausweisung der sephardischen Juden aus Spanien durch die Inquisition führten, während Rabbi Ovadia Josef so weit ging, Der'is Richter als "wertlose und gefährliche Burschen, übel gesinnt und unzulänglich, die Juden als Feinde betrachtend". Trotz alledem wechselte Shas bald die Pferde und trat der neu gewählten Regierung unter Führung der Arbeitspartei bei, sogar trotz der Auflage, den teuren Der'i aus der Parteiführung zurückzuziehen. Seitdem kann Shas also das Inkasso von Mitteln aus dem Steuerhaushalt fortsetzen und auch seine großzügigen Dienstleistungen weiter anbieten, vom Staat finanziert und gegen die Rechtsstaatlichkeit gerichtet.

Der Einsatz der Sepharden gegen die ashkenasische Führungsgruppe kann nicht in ständiger Verachtung verharren, angesichts ihrer ökonomischen Notlage, der Demütigung ihrer Tradition und ihrer zunächst untergeordneten Rolle in Israel. Barak (Israels gegenwärtiger Premier), dachte an die unendliche Bitterkeit der Orientalen gegenüber der israelischen Linken, als er öffentlich sein Bedauern über die anfänglich unangemessene Aufnahme der Mizrahis ausdrückte, im Namen der neuen Generation der Arbeitspartei um Verzeihung bat und ihnen eine bessere Zukunft versprach.

Dieses Eingeständnis der Schuld am Elend der Mizrahis trifft aber nicht nur Likud und Shas, sondern eben auch die sogenannte Linke, die als nationales Reservoir für die gut erzogene, wohlhabende und "liberale" Oberschicht dient. Während sie mit dem israelisch-arabischen Friedensprozess beschäftigt war, erschien die Antwort auf die Probleme des israelischen Proletariats nur als ein Lippenbekenntnis, sie würden sich wohl der pseudosozialdemokratischen Politik anpassen, die die Reichen reicher und die Armen ärmer macht. Aber sowohl Likud als auch Labour gingen tatkräftig auf die materiellen und geistigen Leiden der Mizrahis ein, so dass es nicht verwundern konnte, dass die verbündete Shas deshalb die Selbstachtung der Sepharden wieder weckte, die Likud und Labour mit Füssen getreten hatten.

Sie Suche nach den Gründen für die fast unerklärliche Zunahme von Shas führt in die Irre, wenn man vermutet, dass ihre Stärke von ihrer "Glücksbringer-Kultur" herrührt und ihrer Ergebenheit vor den wiederholt korrumpierten Rabbis. Gegenwärtig unterstützen die meisten Mizrahis Shas wegen ihrer Feindseligkeit gegen die ashkenasische Oberschicht mehr, als wegen des Vertrauens in die Lehren und die Makellosigkeit dieser Partei. Es muss betont werden, dass die Mehrheit der Shas-Wähler der Gruppe der gemässigt traditionellen Juden in der sephardischen Variante angehört, die eifernden Haredis ablehnt, aber zugleich die jüdische Tradition und die Torahgelehrten anerkennt.

Die scharfe Verurteilung von Shas (nicht nur der Partei, sondern auch ihrer Wähler) durch den linken Flügel bezeugt eine grosse Portion Arroganz, wenn nicht gar Rassismus durch die Einstufung der "liberalen" Israelis gegen die "primitiven" sephardischen Rabbis und ihre Herde. Shas hat aber die Oberhand wegen ihrer Rolle als Sprachrohr der unterprivilegierten Sepharden gewonnen. Sie hatte Erfolg auf Grund der Wahrscheinlichkeit, dass der "aufgeklärte" ashkenasische "niedere Adel" anfälliger für die Herabwürdigung der Homosexuellen und der benachteiligten Frauen als für die Sorge um die Arbeiterfamilien und die bedrückten Frauen aus der Unterklasse. Die letzte Untersuchung hat trotz der Schmutzkampagnen von Shas, die ihre Anhänger mit den notwendigen Mitteln versorgt hat, wozu andere nicht in der Lage waren, nun ergeben: Ein positives Selbstbild, erzieherische und soziale Dienst sowie ordentliche Wohnungen. Also konnte Shas ernten, was sie gesät hatte.

Die Partner von Shas in der Regierung Israels hätten viel mehr für eine gerechte Verteilung des nationalen Wohlstandes tun können, als sie bisher erreicht haben. Insoweit die Mizrahis immer noch den Ashkenasis hinterherhinken, ist Shas wenigstens teilweise dafür mit haftbar, weil sie die soziale Mobilität ihrer Anhänger aufhält. Der Schlüssel liegt im Zugang zu höherer Schulbildung und zu high-tec Fertigkeiten. Die Integration der russischen Einwanderer, erleichtert durch ihre mathematischen und high-tec Kenntnisse, bestätigt diese These. Indem Shas die jüngere Generation davon überzeugt, es sei am wichtigsten, ihre Energie dem lebenslangen Studium der Torah zu widmen, hindert sie sie daran, auf den israelischen Arbeitsmarkt zu gehen, sondern stellt für sie die Weichen für Armut und Abhängigkeit von ihren eigenen Wohltaten.

Um es positiv zusammenzufassen: Ganz anders als die antizionistischen, jiddisch-sprechenden Haredis zeigen die Sepharden inzwischen zunehmende Intelligenz und nehmen auch am akademischen Leben, an der Politik und generell an der israelischen Kultur teil. Darüber hinaus sind die meisten jungen Mizrahis in die Gesellschaft Israels völlig integriert. Sie sprechen fliessend Ivrit und haben auch einen beachtlichen Anteil an höherer Bildung sowie an nationalen Schlüsselpositionen. Die meisten dienen in der Armee, sehen die Fernsehprogramme und spielen am Sabbath Fussball (obwohl sie damit gegen das jüdische Gesetz verstossen). Ashkenasich-mizrahische Mischehen, die heute einen Anteil von 27 % aller jüdischen Eheschliessungen haben, bestätigen am besten, dass die jüdischen Denominationen schliesslich in die israelische Gesellschaft übergehen. Das alles belegt die Tatsache, dass trotz aller Hindernisse das "erste" und das "zweite" Israel früher oder später miteinander verschmelzen, indem sie die Vorzüge der beiden Kulturen wechselseitig annehmen, während sich die Haredis in ihren Ghettos vergraben.

Wir können nur hoffen, dass zugleich mit den Fortschritten im israelisch-arabischen Friedensprozess höhere Anteile des Nationalbudgets, die zuvor in die Sicherheit und in jüdische Siedlungen im Westjordanland und in Gaza investiert wurden, künftig für den Wohlstand der schwächeren Glieder der Gesellschaft verwendet werden. Schliesslich gibt es noch immer grosse Schwierigkeiten auf dem Weg zur Sozialisation und Integration der verschiedenen ethnischen Gruppen - trotz ihrer Übereinstimmung in Religion, Geschichte und im jüdischen Schicksal. Es wird ganz offenkundig, dass das Ziel der Etablierung einer Nation nicht in einem kurzen Zeitraum erreicht werden kann, sondern dass dieser Prozess über Generationen verläuft und sowohl Geduld als auch die Respektierung des "Anders-Seins" erfordert.

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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