Kirche "in Israels Gegenwart"

Möglichkeiten und Grenzen im Umgang mit der Studie "Christen und Juden III"

von Ulrich Schwemer



"Christen und Juden III" heißt die neue Studie des Rates der ev. Kirche in Deutschland. Sie gibt damit ihre Kontinuität mit den Studien "Christen und Juden" (1975) und "Christen und Juden II" (1991) zu erkennen. Alle Schriften sind in der Kommission "Kirche und Judentum" der EKD erarbeitet worden und dem Rat der EKD vorgelegt worden. Mit der dritten Studie ging zugleich die Arbeit der Kommission, die jeweils auf sechs Jahre berufen worden war, zu Ende. Ein neuer Ausschuss wird nun in einer anderen Struktur in Verantwortung der "Evangelischen Kirche in Deutschland" (EKD), der "Evangelischen Kirche der Union" (EKU) und der "Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands" (VELKD) berufen werden. Insofern ist mit der Studie III ein gewisser Abschluss eines über dreißigjährigen Prozesses erreicht worden.

Hat die erste Studie von 1975 zunächst der Verhältnisbestimmung von Juden und Christen mit den Fragen nach den "Gemeinsamen Wurzeln", dem "Auseinandergehen der Wege" und der Frage nach "Christen und Juden heute" gedient, hat schon die Studie II nach den theologischen Formeln gefragt, die die enge Verbindung von Judentum und Christentum umschreiben könnten. Dieser neue Ansatz ergab sich aus den landeskirchlichen Entwicklungen nach der Studie von 1975. Denn inzwischen hatten nach dem Rheinland (1980) mehrere Landeskirchen synodale Erklärungen zum Verhältnis von Christen und Juden abgegeben. Diese Erklärungen gingen unterschiedlich weit über die Studie von 1975 hinaus und eröffneten damit eine theologische Debatte.

Man untersuchte in der Studie II deshalb den Begriff des "Volkes Gottes" in der Hoffnung, Juden und Christen unter diesem Begriff gemeinsam beschreiben zu können. Man musste aber erkennen, dass der Begriff die Erwartungen nicht trug. Dass die Definition Volk Gottes im Judentum andere Inhalte hatte (z.B. Zugehörigkeit zum Volk Gottes, Bindung ans gelobte Land) als im Christentum, wurde im Lauf der theologischen Arbeit deutlich.

Schon während der Arbeit an der Studie II erkannte man, dass man sich ähnlich mit der Frage nach der Bundestheologie befassen sollte. Dies geschah in der Kommissionsperiode von 1991 bis 1997. Die Vorüberlegungen dieser Kommission wurden in einer nur auf drei Jahre berufenen Kommission bis zum Jahr 2000 in die Studie III eingebracht.

Doch auch der Begriff "Bund" zeigte sich für eine gemeinsame Basis von Juden und Christen mehr als problematisch. Immer wieder stieß man an eine Grenze, weil der Bund Gottes mit Israel anders definiert werden muss als der Bund Gottes mit den Völkern im Christentum. Weder der Begriff "Volk Gottes" noch der Begriff "Bund" können mit Formulierungen wie "Christen sind hineingenommen worden in den Bund Gottes mit Israel" oder mit Begriffen wie "gespaltenes Gottesvolk" das Verhältnis von Christen und Juden angemessen ausdrücken. War beispielsweise der Begriff "gespaltenes Gottesvolk" in den Anfängen des christlich-jüdischen Gesprächs auf den Kirchentagen sehr hilfreich, weil er Nähe und Distanz von Juden und Christen ausdrückte, ist er als theologische Definition nicht tragfähig.

Bei aller Suche nach dem Verbindenden von Juden und Christen muss zunächst der Respekt vor der Eigenständigkeit des Anderen stehen. Die Nähe wird sich nicht über gut gemeinte Begriffe finden lassen. In der Regel werden sie, weiter gedacht, immer wieder der Gefahr der Enteignung von Inhalten erliegen, wie sie das Christentum mit Formulierungen wie "neuer Bund" oder "wahres Israel" oder "neues Volk Gottes" schon immer vorgenommen hatte.

Neben der Ernüchterung ergibt sich dann aber auch die Chance zu einer vorurteilsfreien Begegnung von Juden und Christen, die gleichberechtigt und jeweils aus ihrem Glauben an den einen und einzigen Gott heraus jeder für sich und gemeinsam einen Auftrag an dieser Welt haben.

Bevor sich allerdings die Studie diesen Aufgaben widmet, nimmt sie noch einmal eine Frage auf, die vor allem in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Gemüter bewegte: die Judenmission. In der Studie II war diese Frage nicht behandelt worden. Die Studie I hatte die Frage mit dem Begriff "Begegnung und Zeugnis" unentschieden gelassen. In der Zwischenzeit hatte eine Diskussion stattgefunden, die den Eindruck entstehen ließ, dass dieses Thema abgeschlossen sei. Die landeskirchlichen kirchlichen Stellungnahmen haben sich in unterschiedlichen Formulierungen von der Judenmission distanziert bis hin zur Erklärung des Rates der EKD im September 1998 gegenüber der Rabbinerkonferenz, in der er, "eine spezielle Ausrichtung dieser (öffentlich geschehenden und sich an alle Menschen wendenden) Verkündigung auf Juden, etwa im Sinne einer auf Bekehrung zielenden organisierten "Judenmission", aus theologischen und historischen Gründen" ablehnt (Pressemitteilung der EKD vom 8.9.1998).

Diese Erklärung ist zu berücksichtigen, wenn der Abschnitt über die Judenmission beurteilt werden soll. Sicher hätte man sich manche Formulierung deutlicher, eindeutiger gewünscht. Sicher irritiert auch, wenn der christliche Glaube als seinem Wesen nach als missionarisch bezeichnet wird (S. 49). Doch geschieht dies im Zusammenhang der Frage nach biblischen Gesichtspunkten, die im Horizont der beginnenden Kirchengeschichte bereits eine gravierende Veränderung erfahren. Wenn aber gegen die traditionelle Judenmission und deren Ableger in unserer Zeit, die das Dialogmodell zwischen Juden und Christen ablehnen, eingewandt wird, sie stellten "damit letztlich die theologische Legitimität jüdischer Existenz in Frage" (S. 62), so ist dies eine deutliche Ablehnung von Judenmission, zumal mit Blick auf Röm 11,1 (Gott hat sein Volk nicht verstoßen) in der Studie formuliert wird: Damit Israel zum Heil kommt, "bedarf (es) unseres missionarischen Wirkens nicht." (S. 60)

Damit wird einem neuen Ansatz des christlich-jüdischen Verhältnisses Raum gegeben. Juden und Christen werden in einer gemeinsamen Verantwortung vor der Welt gesehen, die sie aus ihrem je unterschiedlichen Glauben an den einen Gott erfahren können. Der in der Kirche verwendete Dreiklang "Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung" hat seine Wurzeln im Alten Testament und im Judentum. Fragen nach den Menschenrechten wurzeln im Nächstenliebegebot, dessen alttestamentliche Herkunft noch immer von der christlichen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird. Die aktuelle Diskussion um die Sonntagsruhe kann überhaupt nicht ohne Rückbezug auf den 7. Schöpfungstag und auf den Dekalog angemessen diskutiert werden. Und wenn der Befehl aus dem 1. Schöpfungsbericht "machet sie euch untertan" nicht missverstanden wird als Erlaubnis zur Ausbeutung der Schöpfung sondern im Sinne des 2. Schöpfungsbericht als Auftrag zum Bebauen und Bewahren erkannt wird, können Juden und Christen ihren gemeinsamen Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung erkennen.

Ich wünsche mir, dass diese Studie in die Kirche hineinwirkt. Mit ihrem theologischen Teil, mit der Frage nach der Judenmission, mit dem Suchen nach gemeinsamen Handlungsfeldern und auch mit der Beschreibung der gottesdienstlichen Nähe von Juden und Christen gibt die Studie eine Fülle von Einstiegsmöglichkeiten. Schade wäre es, wenn man vor allem nach den einer solchen Studie anhaftenden Mängeln sucht und nicht die Chance wahrnimmt, den jüdisch-christlichen Dialog in den Kirchen einen Schritt voran zu bringen. Leider stehen die Zeichen in Theologie und Kirche gar nicht gut für unsere Fragestellung. Überwunden geglaubte Positionen feiern fröhliche Urständ. Und manchmal frage ich mich, was wir eigentlich in den letzten Jahrzehnten erreicht haben. Umso wichtiger ist die Fortführung des Gesprächs mit Jüdinnen und Juden und die innerkirchliche Auseinandersetzung um die Frage, wie Kirche "in Israels Gegenwart" gelebt werden kann.

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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