Fast zehn Millionen Zwangsarbeiter zwischen 1939 und 1945

Hamburg (dpa) - Neun bis zehn Millionen Menschen haben während der Jahre 1939 bis 1945 als Zwangsarbeiter unter schlimmsten Bedingungen für Deutschland gearbeitet, um die Kriegswirtschaft in Gang zu halten. Diese Menschen waren entweder KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene oder aus besetzten Ländern vor allem in Osteuropa verschleppte «Fremdarbeiter». Viele wurden Opfer der von den Nazis gewollten «Vernichtung durch Arbeit». Heute ist schätzungsweise noch etwa eine Million der Arbeitssklaven am Leben. Für sie, durchweg alte Menschen weit über 70, gibt es jetzt Hoffnung auf späte Entschädigung.

Von den etwa 100 Milliarden Mark, die Deutschland als Wiedergutmachung für nationalsozialistisches Unrecht vor allem nach dem Bundesentschädigungsgesetz in den vergangenen Jahrzehnten gezahlt hat, haben die Zwangsarbeiter kaum profitiert. Beträchtliche Summen, die an Fonds in Osteuropa, etwa Polen und die Ukraine, gezahlt wurden, sollen bei den Opfern nur teilweise angekommen sein. Geldangebote von einzelnen Firmen wie Krupp, Siemens oder Volkswagen, waren nur Hilfe für einen kleinen Teil der Betroffenen.

Das Jahr 1944 markierte den Höhepunkt des Zwangsarbeitereinsatzes im «Reich». Damals waren etwa acht Millionen Menschen zur Arbeit gezwungen - vor allem in Landwirtschaft, Bergbau, Industrie und Dienstleistungsgewerbe. Rund ein Drittel aller in der gesamten deutschen Wirtschaft Beschäftigten waren Ausländer, fast drei Millionen stammten aus der Sowjetunion.

Nach Berechnungen des Historikers Lutz Niethammer (Jena), der die Bundesregierung berät, kann dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» zufolge von 875.000 Personen ausgegangen werden, die noch Ansprüche geltend machen können. Darunter seien etwa 230.000 ehemalige KZ- Häftlinge. Ein mit über 400.000 noch größeres Kontingent sind Menschen, die vor allem aus Osteuropa deportiert wurden.

BerlinOnline, 9.12.1999

Entschädigung für Zwangsarbeiter
Modelle für die Lösung einer offenen historischen Aufgabe
von Manfred Brüning, Daniela Langen, Klaus v. Münchhausen, Marcus Werner

Während des 2. Weltkrieges sind Bürgerinnen und Bürger der von Deutschland besetzten Länder - vor allem solche aus Osteuropa - in großer Zahl dazu gezwungen worden, in deutschen Firmen ohne oder nur mit geringer Bezahlung und meist unter bedrückenden und erniedrigenden Lebensverhältnissen zu arbeiten. Die aus der Sowjetunion stammenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren überdies nach ihrer Rückkehr dem unberechtigten Verdacht der Kollaboration und neuen Verfolgungen ausgesetzt. Eine Reihe von Initiativen, darunter auch die Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie", sind seit längerer Zeit dafür eingetreten, diesen Frauen und Männern, deren Zahl sich ständig verringert, eine Entschädigung zukommen zu lassen. Auch im Bundestag sind von seiten der damaligen Oppositioin dazu Anträge gestellt und von einer fraktionsübergreifenden Mehrheit entsprechende Aufforderungen an die betroffenen Unternehmen gerichtet worden.

Die Unternehmen haben sich diesen Forderungen gegenüber lange ablehnend verhalten. Erst unter dem wachsenden Druck von Klagen und öffentlichen Äußerungen - insbesondere in den USA - hat ein Umdenken begonnen, das bei einigen Firmen auch zu konkreten Schritten geführt hat. Erfreulicherweise hat sich auch die neue Bundesregierung des Themas angenommen. Nunmehr gilt es im Interesse der Menschen, die seit über 50 Jahren eine Anerkennung des ihnen widerfahrenen Unrechts erwarten, möglichst rasch zu einer umfassenden und praktikablen Lösung zu gelangen.

Die vorliegende Broschüre schildert die Leidensgeschichte der Opfer und die bisherige Entwicklung der Problematik. Dankenswerterweise enthält sie auch Vorschläge dafür, was jetzt konkret geschehen sollte. Ich wünsche ihr deshalb eine weite Verbreitung und insbesondere die Aufmerksamkeit all derer, die jetzt Entscheidungen zu treffen haben.

Bonn, Anfang Februar 1999
Dr. Hans-Jochen Vogel
Vorsitzender "Gegen Vergessen - Für Demokratie"

Seit 1990/91 klagen zwei Gruppen jüdischer Frauen gegen die Bundesrepublik Deutschland um ihren Sklavenlohn. Diesen alten Damen ist es zu verdanken, daß das Bundesverfassungsgericht, zwei Landgerichte und ein Oberlandesgericht die Lohnansprüche grundsätzlich anerkannten. Die Gerichte verwiesen aber auf die politische und juristische Verantwortung der Regierung und der Industrie.

Aus Sorge vor einer juristischen Niederlage vor einem deutschen Gericht lenkten mittlerweile die Firmen Diehl, Volkswagen und Siemens ein. Sie zahlen jetzt freiwillig an ihre ehemaligen Zwangsarbeiter und helfen auf diese Weise mit, der Bundesstiftung den Weg zu ebnen.

Diese Wende gegenüber den alt gewordenen Nazi-Opfern ist mithin weniger das Resultat jüdisch-amerikanischer Anwälte und Organisationen, sondern vorneweg erstritten sich einige überlebende Jüdinnen Schritt für Schritt ihr Recht in Deutschland. Es ist zu hoffen, daß der jetzt zuständige Bundesgerichtshof in Karlsruhe den Klägerinnen zum vollen Erfolg verhilft.

Diese Broschüre ist geschrieben im Respekt vor den Klägerinnen und als Dank für ihre Rolle als Pioniere im Völkerrecht.

Tel A viv, 11. Februar 1999
Klaus Freiherr von Münchhausen

UNRECHT ZWANGSARBEIT
Früher war Sklaverei kein Delikt. Erst allmählich entwickelte sich im Staats- und Völkerrecht der Gedanke des Schutzes individueller Menschenrechte. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich dieser Schutz stark ausgeprägt. Sklaverei und Zwangsarbeit wurden weltweit als Unrecht geahndet. Diese Entwicklung wurde durch den Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen. Die von den Nationalsozialisten unter anderem durch Zwangsarbeit praktizierte Vernichtung von Menschenleben bedeutete einen Rückschritt in die Barbarei.

RECHTSQUELLEN
Vom Beginn des transatlantischen Sklavenhandels im 16. Jahrhundert bis zu seinem Ende wurden in rund 350 Jahren 19 Millionen Schwarze aus Afrika über den Atlantik nach Nord- und Südamerika verkauft und verschifft. Weitere 9 Millionen kamen beim Transport ums Leben. Auch junge deutsche Männer waren Opfer des internationalen Menschenhandels. Im 18. Jahrhundert sind Hunderttausende von ihren Landesherren - vornehmlich aus Hessen und anderen kleinen Staaten - im sogenannten Soldatenhandel an die Niederlande und England zum Militäreinsatz in den Kolonien verkauft worden. Für die Jünglinge war dies ein faktisches Todesurteil. Besonders im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg starben viele Deutsche als englische Soldaten. Erst mit der schrittweisen Aufhebung der Leibeigenschaft (Baaden 1783, Preußen 1807) wurde in Deutschland dem Menschenhandel der Boden entzogen.

Der Anstoß für das Verbot der Sklaverei und des Menschenhandels kam nicht allein aus der französischen Revolution, sondern entstammt vielmehr religiösen Kreisen aus England und Nordamerika. Nach dem europäischen Sieg über Napoleon ergab sich die Gelegenheit für eine erste internationale Vereinbarung. Die Teilnehmerstaaten des Wiener Kongresses gaben am 8. Februar 1815 eine gemeinsame Erklärung zur Ächtung der Sklaverei ab. Zwischen den Jahren 1807 und 1814 hatten bereits England, Frankreich, die Niederlande und Portugal den Sklavenhandel offiziell verboten.

Im Jahre 1843 folgte der sogenannte Quintupel-Vertrag zwischen England, Frankreich, Rußland, Österreich und Preußen. Er gab den Teilnehmerstaaten Polizeirechte, so daß ihnen die Durchsuchung verdächtigter Schiffe auf See erlaubt war. Der von arabischen Händlern Richtung Asien betriebene Sklavenhandel wurde im Jahre 1885 von 15 Staaten in der "Kongo-Akte" verboten. Noch weiter ging die "Brüsseler General-Akte" von 1889, die zur Sperrung der Sklavenstraßen verpflichtete. Kaiser Wilhelm II, König von Preußen, unterzeichnete am 28. Juli 1895 das "Gesetz betreffend die Bestrafung des Sklavenraubes und des Sklavenhandels" (RGBl. 1895, S. 42f.). Das Gesetz drohte in schweren Fällen die Todesstrafe und in leichteren Fällen Zuchthaus an. Nach dem Ende der Leibeigenschaft war dies ein zweiter wichtiger Schritt innerdeutscher Rechtsgeschichte.

Das vom Deutschen Reich 1899 ratifizierte und 1907 ergänzte "Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges" sieht in Artikel 52 die Entlohnung von Zivilpersonen vor, die im Kriegsfalle durch eine Besatzungsmacht zur Arbeit herangezogen wurden. Diese sogenannte Haager Landkriegsordnung (HLKO) ist bis heute geltendes Staats- und Völkerrecht.

Im Ersten Weltkrieg wurde die IG Farben zur Rüstungsproduktion gegründet. Die kaiserliche Armee verschleppte französische und belgische Zivilisten in die Produktionsstätten der IG Farben nach Deutschland. Dieser Tatbestand zählte zu den Kriegsverbrechen, die im Friedensvertrag von Versailles Berücksichtigung fanden. Im Teil VIII (Wiedergutmachungen) in der Anlage I. zu Artikel 232 des Vertrages ist die Vergütungspflicht für Zwangsarbeit ausdrücklich behandelt worden (RGBl. 1919, S. 687f.). Die Zwangsarbeiterentlohnung fand im Reichsfinanzplan entsprechende Berücksichtigung (RGBI. 1921, S. 761f.). Mit der Zahlung der Zwangsarbeiterlöhne durch die Regierung der Weimarer Republik an belgische und französische zivile Kriegsopfer war ein internationaler Präzedenzfall geschaffen.

Im Jahre 1926 unterzeichneten insgesamt 39 Staaten auf Initiative des Völkerbundes eine Deklaration zur "Ächtung der Sklaverei". Am 14. Januar 1929 wurde sie vom Reichstag als Gesetz beschlossen. Artikel 5 der Deklaration sah vor, daß jegliche Arbeit, die von Zivilisten auf Anordnung der öffentlichen Hand oder für private Arbeitgeber geleistet wird, entlohnt werden müsse. Eine unfreiwillige Arbeit und die zwangsweise Wegführung vom Wohnort wurden verboten. Obwohl sich diese Vereinbarung eher auf die Zustände in den Kolonien bezog, gewann sie für die deutschen Rechtsverhältnisse insofern an Bedeutung, als nunmehr ausnahmslos in Friedens- und in Kriegszeiten eine bindende Pflicht für die Entlohnung der Arbeit gesetzlich garantiert war. Die Regelung beschränkte ihre Gültigkeit nicht auf das eigene Staatsgebiet, sondern galt unabhängig von der Rechtslage, die am Tatort herrschte.

Das deutsche Strafgesetzbuch regelt die Frage seit 1871 gleichfalls. § 234 StGB stellt Menschenraub, Leibeigenschaft und Sklaverei unter Freiheitsstrafe. Diese Strafvorschrift galt auch während des Zweiten Weltkriegs.

SKLAVEREI UND ZWANGSARBEIT IM DRITTEN REICH
Trotz dieser eindeutigen Rechtslage hat das Deutsche Reich unter Bruch der innerstaatlichen Regeln und des Völkerrechts die Zwangsarbeit und Sklaverei zur Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft wieder eingeführt. Die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs war Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft zur Befriedigung der Bedürfnisse der Rüstungsindustrie und Mittel zur physischen Vernichtung der politisch und rassisch Verfolgten.

Die deutschen Siege in der ersten Phase des Zweiten Weltkriegs und die folgende Besetzung vieler Länder lieferten dem NS-Staat ein riesiges Reservoir an Arbeitskräften. Zu deren Ausbeutung arbeiteten die für die Beschäftigungspolitik verantwortlichen zentralen deutschen Stellen ein detailliertes Programm aus. Der Plan sah eine rücksichtslose Rekrutierung von Arbeitskräften aus Polen und den besetzten sowjetischen Gebieten vor. In den anderen besetzten Ländern sollten weniger brutale Methoden angewendet werden. Die Zwangsarbeiter sollten die Millionen von Deutschen ersetzen, die zur Wehrmacht eingezogen worden waren und damit der eigenen Bevölkerung Arbeitseinsätze per Notdienstverpflichtung ersparen.

Die Zwangsarbeiter werden in drei Gruppen unterteilt:
 Ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene, im allgemeinen Sprachgebrauch Fremdarbeiter
 Häftlinge der Konzentrationslager
 Europäische Juden, die in ihren Heimatländern oder nach der Deportation in Ghettos, Zwangsarbeitslagern oder KZ-Außenlagern zwangsarbeiten mußten.

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren abhängig von der Herkunft der Zwangsarbeiter. Fremdarbeiter aus Polen und der Sowjetunion wurden als minderwertig angesehen und mußten deshalb härteste körperliche Arbeit leisten. Sie waren strengen Kontrollen, Erniedrigungen und schweren Strafen ausgesetzt. An der Kleidung mußten sie Erkennungszeichen tragen, durften ihre Unterkünfte nach der Arbeit nicht verlassen, keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, nicht an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen und keinerlei Kontakte zu Deutschen unterhalten. Fremdarbeiter aus westlichen besetzten Ländern wie Frankreich und Belgien oder aus verbündeten Ländern wie Italien verrichteten leichtere Arbeiten und hatten persönliche Freiheiten.

Juden im besetzten Polen - Kinder ab 12 Jahren und Erwachsene bis zu ihrem 60. Lebensjahr - wurden per Verordnung zur Zwangsarbeit herangezogen. Die Durchführung der Zwangsarbeit lag in den Händen der SS. Die Zwangsarbeit wurde im Ghetto, in besonderen Arbeitslagern außerhalb der Ghettos oder in den KZ-Lagern verrichtet. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren auf die Vernichtung dieser Menschen ausgerichtet. Sie wurden emiedrigt und geprügelt, bekamen beim Zwangsarbeitseinsatz keinen Wohnraum zugewiesen, erhielten nicht einmal die Mindestrationen an Nahrungsmitteln und mußten unter freiem Himmel schlafen.

Juden in der besetzten Sowjetunion wurden, soweit man sie im rückwärtigen Gebiet nicht sofort tötete, in Ghettos zusammengezogen. Die 15- bis 60jährigen männlichen und die 16- bis 50jährigen weiblichen Juden unterlagen einer Zwangsarbeitspflicht. Ziel war es, die Juden kurzfristig maximal auszubeuten und anschließend zu ermorden, soweit sie den Arbeitseinsatz überlebt hatten.

Die Vergütung für Zwangsarbeit war minimal bis nicht existent. Selbst wenn Minimallöhne gezahlt wurden, nahmen die Deutschen willkürlich erhebliche Abzüge vor, die 50 oder sogar 80% des Lohns betrugen.

Im September 1944 belief sich die Gesamtzahl der ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland auf 7,6 Millionen, davon
 5,7 Millionen zivile Arbeitskräfte
 4,5 Millionen sogenannte Ostarbeiter (1,7 Millionen Polen und 2,8 Millionen Sowjetbürger), die übrigen kamen aus Frankreich, der Tschechoslowakei, den Niederlanden, Belgien und Norwegen
 1,9 Millionen Kriegsgefangene.

Hinzu kamen mindestens 500.000 jüdische und nichtjüdische (Partisanen und politisch Verfolgte) KZ-Häftlinge. Ende 1944 war die Zahl der Fremdarbeiter auf 8 Millionen gestiegen. Das ergab zusammen mit den KZ-Häftlinge rund 9 Millionen Personen.

Die Zahl der jüdischen Zwangsarbeiter in Polen war Ende 1944 deshalb relativ gering, weil die NS-Strategie von Anfang an auf die Vernichtung dieser Menschen gerichtet war. Ende 1940 hatten noch mehr als 700.000 Juden in Polen Zwangsarbeit geleistet, und zwar außer in Ghetto-Betrieben in großer Zahl auch in deutschen Fabriken. Von diesen erlebten die meisten das Kriegsende nicht mehr.

Das Ausmaß der jüdischen Zwangsarbeit in der besetzten Sowjetunion ist bisher kaum erforscht. Parallel zu den Massenmorden erfolgte die Einrichtung der Ghettos. Über die tatsächliche Zahl der Zwangsarbeiter ist jedoch nichts bekannt. Im Baltikum und in Weißrußland lebten nach den Massenmorden 1941/42 noch ungefähr 70.000 Juden, die fast ausnahmslos zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.

Quelle: www.ns-zwangsarbeiterlohn.de (Dort ist u.a. der gesamte Text der 50seitigen Broschüre zu finden)

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