Der Davidsstern

von Eliezer Segal

Welches Bildsymbol sollte man zur Repräsentation des Judentums wählen? Wenn wir in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung lebten, würden wir wahrscheinlich an ein Bild denken, das mit Israels wichtigster religiöser Institution, dem Tempel in Jerusalem zu tun hat. So begegnen wir denn bei Ornamenten auf Münzen und Grabstätten auch Darstellungen der Tempelpforten, Weihrauchschalen oder von Musikinstrumenten und gelegentlich einem lulav und etrog aus der Zeit des Zweiten Tempels. Es war aber schließlich der siebenarmige Leuchter, der sich als das am weitesten anerkannte Symbol jüdischen Glaubens und Volkstums behauptete.

Verdächtig abwesend von der obigen Liste ist der sechseckige Stern, der jetzt als Magen David, "Schild Davids" bezeichnet wird. Tatsächlich hat aber der im modernen Judentum allgegenwärtige Magen David nur einen zweifelhaften Anspruch auf Authentizität als jüdisches Symbol. Vor einer Zeit weit in das Mittelalter hinein hätte niemand davon geträumt, den Stern mit dem Judentum zu verbinden - und eine derartige Verbindung war für das Judentum nicht unbedingt günstig.

Die uns bekannten frühesten Darstellungen des Davidschilds finden sich nicht in jüdischen, sondern in christlichen und islamischen Traditionen, wenn auch in Werken, die freizügig aus hebräischen Vorlagen borgten. In solchen Quellen wird der Schild nicht mit dem König David, sondern mit seinem Sohn Salomo in Verbindung gebracht und der Stern hat nicht sechs, sondern nur fünf Strahlen.

Nach einer volkstümlichen Legende, die sowohl von Josephus Flavius als auch im Talmud erwähnt wird, konnte Salomo mit einem magischen Ring die Dämonenwelt beherrschen. Die Legenden um den Ring Salomos wurden im sogenannten "Testament Salomos", einem griechischen pseudepigraphischen Werk unbestimmten Datums, sehr detailliert ausgeschmückt. Mehrere Versionen dieses Werkes enthalten genaue Beschreibungen des Rings, und in einigen wird er als pentalpha, als Stern beschrieben, der aus fünf ineinandergreifenden "A" besteht. Der pentalpha ist auf mehreren byzantinischen Amuletten zu finden.

Geschichten über das "Siegel Salomos" wurden auch von arabischen Schriftstellern erwähnt, und durch diese wiederum erfuhren die Juden davon. Der karaitische Gelehrte Judah Hadassi war offenbar der erste, der dieses magische Zeichen unter seinem anderen Namen als "Schild Salomos" erwähnte, eine Bezeichnung, die vielleicht auf den Qur'an zurückgeht, der David als Waffenschmied darstellt.

Die meisten Hinweise auf den Schild Salomos oder Davids und seinen Gebrauch in okkulten Handlungen finden sich in nichtjüdischen Quellen, die häufig die mittelalterlichen Stereotypen über jüdische Vorliebe für die Zauberei bestätigen. Das heißt nun nicht etwa, daß Juden mit der Magie absolut nichts zu tun gehabt hätten. Wie alle andern in jener Zeit machten auch unsere jüdischen Ahnen fleißig Gebrauch von bewahrenden Amuletten, Mesusas und anderen Dingen. Variationen der Sternform - einschließlich der sechseckigen Art - tauchten in dieser Verbindung häufiger auf. Aber in solchen abergläubischen Dingen lag nichts typisch Jüdisches.

Die früheste bekannte Darstellung des Magen David als speziell jüdisches Symbol findet sich auf dem offiziellen Emblem der jüdischen Gemeinde in Prag im 17. Jahrhundert. Zu dieser Zeit war die Verbindung des "Schilds" mit dem König David bereits gegeben, so daß er als Symbol nationalen Stolzes dienen konnte. In den Augen vieler Nichtjuden mag er ihren Verdacht bestätigt haben, daß die Juden es allgemein mit den dunklen Künsten zu tun hätten.

In Wahrheit aber waren es die christlichen Meister der Alchemie und des Okkulten, die sich wirklicher oder auch nur imaginärer hebräischer Bilder bedienten, um ihrem Werk die Aura des autoritativen Geheimnisses zu geben. Diese Tendenz erweckte unter Außenseitern weitgehend den Eindruck, daß die Kabbala in erster Linie ein System der Magie sei.

Trotzdem wurde der Magen David in den folgenden Jahren schnell populär. Die Juden von Wien nahmen ihn 1655 als Symbol für ihre Gemeinde an, und nach ihrer Vertreibung aus der Stadt im Jahr 1755 nahmen sie ihn mit in andere Städte Mitteleuropas. Danach dauerte es nicht lange, bis der Davidsstern als Motiv in synagogalen Ornamenten auftauchte.

In den Augen von Juden hat die Gestalt des Königs David natürlich besondere Bedeutung als Sinnbild nationaler Größe und Vorfahre des Messias. So wurde zum Ende des 17. Jahrhunderts das Motiv besonders von den Anhängern des mystischen Messias Sabbatai Zvi gebraucht und schließlich als Geheimzeichen der Gläubigen verwendet, als die Sekte in den Untergrund ging.

Nach all dem ist es darum nicht ohne Ironie, daß Juden des 19. Jahrhunderts, die nach einem erkennbaren Zeichen suchten, das dem Kreuz der Christen und dem Halbmond der Muslime ebenbürtig war, ein Symbol wählten, das seine Assoziierung mit dem Judentum mehr antijüdischen Vorurteilen verdankt, als einer bedeutsamen Verbindung mit unseren nationalen und religiösen Werten.

Aber das gehört nun mal zur Vitalität von Symbolen. Was immer ihr ursprünglicher Zweck gewesen sein mag, sie können tiefe und inspirierende Bedeutung gewinnen. Für jüdische Nationalisten geschah dies, als die zionistische Bewegung den Magen David in die Mitte ihrer neuen nationalen Flagge setzte. Im Bereich des Geistes wurde Franz Rosenzweig durch den sechstrahligen Stern dazu angeregt, eine brillante religiöse Philosophie zu entwerfen, in der die Bereiche "Gott", "Menschheit" und "Welt" verbunden sind durch die religiösen Achsen von "Schöpfung", "Offenbarung" und "Erlösung".

Trotz dieser Entwicklungen habe ich das Gefühl, daß der Magen David als Symbol keine gute Wahl darstellt. Er hat keine berührbaren Wurzeln in der jüdischen Tradition und erinnert an Themen, die gesunden jüdischen Werten widersprechen.

Ich schlage meinen Lesern darum vor, bei der Suche nach einem Schmuckstück oder einer Ausschmückung auf einer Einladung oder dergleichen lieber auf den Davidsstern zu verzichten und zum Beispiel dem siebenarmigen Leuchter (Menora) den Vorzug zu geben.

Bibliographie: J. Charlesworth, ed., The Old Testament Pseudepigrapha, Garden City, 1985. N. H. Glatzer, Franz Rosenzweig, His Life and Thought, New York, 1961. G. Scholem, Kabbalah, New York, 1974. G. Sholem, The Messianic Idea in Judaism and Other Essays, New York, 1971. J. Trachtenberg, Jewish Magic and Superstition, New York, 1970.

Prof. Eliezer Segal lehrt an der Universität von Calgary, Alberta, Kanada
(Übersetzung aus dem Englischen: Fritz B. Voll - mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.);
Quelle: www.jcrelations.com

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