Die Gliedkirchen der EKD zum Thema Kirche und Judentum seit 1950

von Ernst Lippold

  1. Die EKD-Synode von Weißensee 1950 formuliert: "Wir glauben, dass Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben ist."
    Die Aussage von der bleibenden Erwählung des Volkes Israel setzt einen Prozess der Neubesinnung auf das Verhältnis der Kirche zum Judentum in Gang. Wesentliche Anstöße dazu kamen 1961 von der Arbeitsgruppe Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag.
  2. Die Studie der EKD "Christen und Juden" von 1975 gibt mit dem Dreischritt "Gemeinsame Wurzeln/Das Auseinandergehen der Wege/Juden und Christen heute" eine Gliederung vor, die sich dem Problem nicht dogmatisch deduktiv, sondern historisch-genetisch nähert. Damit öffnet sich der Blick für das Gemeinsame stärker als dies traditionell der Fall war. Dass Juden und Christen eine Geschichte miteinander haben, die ihr Verhältnis nachhaltig bestimmt - bis hin zur Schoa und von der Schoa her - wird deutlich.
  3. Nach einer Phase intensiven Nachdenkens ergreift die Evangelische Kirche im Rheinland im Jahr 1980 das Wort mit ihrer Erklärung "Zur Erneuerung des Verhältnisses von Juden und Christen". Darin heißt es: "Wir bekennen uns zu Jesus Christus, dem Juden, der als Messias Israels der Retter der Welt ist und die Völker der Welt mit dem Volk Gottes verbindet. Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, dass die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist."
  4. Im Jahre 1996 nimmt die Evangelische Kirche im Rheinland den folgenden Satz in ihren Grundartikel der Kirchenordnung auf: "Sie (die Kirche) bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält. Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde."
  5. Die Erklärung der Evangelischen Landeskirche in Baden von 1984 sagt: "Wir glauben an Gottes Treue: Er hat sein Volk Israel erwählt und hält an ihm fest. .... Im Glauben an Jesus Christus und im Gehorsam ihm gegenüber wollen wir unser Verhältnis zu den Juden neu verstehen und festhalten, was uns mit ihnen verbindet."
  6. Die Evangelisch-Reformierte Kirche in Nordwestdeutschland fasst ihren Synodalbeschluss von 1984 zusammen in einer Änderung ihrer Kirchenverfassung von 1988: "Gott hat Israel zu seinem Volk erwählt und nie verworfen. Er hat in Jesus Christus die Kirche in seinen Bund hineingenommen. Deshalb gehört zum Wesen und Auftrag der Kirche, Begegnung und Versöhnung mit dem Volk Israel zu suchen."
  7. Ebenso fasst die Evangelische Kirche von Berlin-Brandenburg ihre Synodalerklärung (West) von 1984 und ihre Synodalerklärung (Ost) von 1990 zusammen in eine Änderung des Vorspruchs der Grundordnung von 1996: "Sie (die Kirche) erkennt und erinnert daran, dass Gottes Verheißung für sein Volk Israel gültig bleibt: Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Sie weiß sich zur Anteilnahme am Weg des jüdischen Volkes verpflichtet. Sie bleibt im Hören auf Gottes Weisung und in der Hoffnung auf die Vollendung der Gottesherrschaft mit ihm verbunden."
  8. Auch die Pommersche Evangelische Kirche macht ihren Synodalbeschluss von 1985 zur Grundlage einer Änderung ihrer Kirchenordnung. In deren Präambel heißt es nun: "Sie (die Kirche) erkennt und erinnert daran, dass Gottes Verheißung für sein Volk Israel gültig bleibt. Sie weiß sich zur Anteilnahme am Weg des jüdischen Volkes verpflichtet. Sie bleibt im Hören auf Gottes Weisung und in der Hoffnung auf die Vollendung der Gottesherrschaft mit ihm verbunden."
  9. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg erklärt im Jahre 1988 ihre Verbundenheit mit dem jüdischen Volk mit den Worten: "Gottes Treue gilt uneingeschränkt sowohl Seinem erwählten Volk, wie der in Christus Jesus berufenen Gemeinde aus allen Völkern. Nicht gegenseitige Abgrenzung, sondern gemeinsames Lob der Treue Gottes ist unser Anliegen."
  10. Die Württembergische Landessynode hat dies im Jahr 2000 neu aufgegriffen. Sie hat die Israelvergessenheit der Kirche als Schuld bekannt, Israel als Zeuge Gottes und seiner Treue gewürdigt und Bereiche gemeinsamer Verantwortung von Christen und Juden benannt. Messianische Juden verdienen, ebenso wie die jüdischen Gemeinden, dass die Kirche das Gespräch mit ihnen führt und für sie eintritt. Die Mehrheit der Synode erklärt grundsätzlich: "Mission unter Juden lehnen wir ab." Eine erhebliche Minderheit der Synode sagt jedoch: "Das Evangelium Juden und Heiden zu bezeugen, gehört von Anfang an zur Apostolizität der Kirche .... Dies Zeugnis ist unablösbar vom Christsein selbst."
  11. Im gleichen Jahr 1988 sagt die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens: "Nach allem, was geschehen ist, verschließt sich uns heute der Mund, wenn wir den Juden glaubhaft machen wollen, dass Jesus der verheißene Messias ist. Das kann nur Gottes Werk sein und steht in seinem Ratschluss. Das Zeugnis von Jesus Christus sind wir allen Menschen, auch den Juden schuldig. Gegenüber Juden von "Mission" zu sprechen, lässt allerdings nicht deutlich werden, dass das Christuszeugnis ihnen gegenüber etwas anderes ist als die Sendung zu den Völkern und den Nichtglaubenden, die bisher dem Bunde Gottes fernstanden."
  12. Die Evangelische Kirche der Pfalz bestätigt ihre Synodalerklärung von 1990 ebenfalls mit einer Verfassungsänderung von 1995: "Durch ihren Herrn Jesus Christus weiß sie (die Kirche) sich hineingenommen in die Verheißungsgeschichte Gottes mit seinem ersterwählten Volk Israel - zum Heil für alle Menschen. Zur Umkehr gerufen, sucht sie Versöhnung mit dem jüdischen Volk und tritt jeder Form von Judenfeindschaft entgegen."
  13. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau ergänzt den Grundartikel ihrer Kirchenordnung 1991 mit folgendem Satz: "Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen, bezeugt sie (die Kirche) neu die bleibende Erwählung der Juden und den Bund Gottes mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein."
  14. Im Jahr 1991 erscheint die Studie der EKD "Christen und Juden II. Zur theologischen Neuorientierung im Verhältnis zum Judentum". In dieser Studie wird "der bisher erreichte Konsens" zusammengefasst und zur Grundlage weiterer Überlegungen gemacht. Auf dem Weg zu neuen Einsichten wird das Christusbekenntnis des Neuen Testaments im Blick auf das Verhältnis von Kirche und Judentum bedacht, ebenso die Aussage "Volk Gottes", die sowohl Juden und Christen wenn auch in unterschiedlichem Verständnis auf sich beziehen.
  15. Der Studie II folgt das Wort an die Gemeinden über das Verhältnis von Christen und Juden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg von 1993. Darin heißt es: "Die Verehrung des einen Gottes, der die Welt erschaffen hat, der seinem erwählten Volk die Treue hält und auf den sich die Hoffnung auf die Vollendung der Welt richtet, sowie die Zusammenfassung der Ethik im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe, gehören zu den gemeinsamen Grundlagen der beiden Glaubensweisen" ... Die Bindung der Kirche an Jesus Christus aber, die "dem Judentum fremd (ist), bezeichnet dadurch einen wesentlichen Unterschied der beiden Glaubensweisen."
  16. Die Evangelische Kirche von Westfalen erarbeitet auf Grund eines Beschlusses der Landessynode von 1994 und einer synodalen Hauptvorlage von 1999 im gleichen Jahr ihre Synodalerklärung zum Verhältnis von Christen und Juden. Darin heißt es: "Israel und die Kirche sind in ihrer Verschiedenheit Volk Gottes. Trotz aller menschlichen Untreue hält Gott in Treue an seinem Bund fest." "Juden und Christen bezeugen je für sich und füreinander die Treue Gottes, von der sie beide leben. .... Der offene Dialog über Gottes Gnade und Wahrheit gehört zum Wesensmerkmal der Begegnung von Christen und Juden. Diese Einsichten lassen nicht zu, dass Christen Juden auf den christlichen Glauben verpflichten wollen. Deshalb distanziert sich die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen von jeglicher Judenmission. Nicht Mission an Israel, sondern das Gespräch mit Israel ist Christinnen und Christen geboten."
  17. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers stellt in ihrer Erklärung von 1995 fest: "Gott hat seinen Bund mit Israel nicht gekündigt und sein Volk nicht verworfen, seine Erwählung bleibt bestehen. Die Lehren aus der judenfeindlichen Geschichte der Christen zu ziehen und Theologie und kirchliche Praxis vor dem Horizont der bleibenden Verbundenheit von Juden und Christen zu erneuern, muss Anliegen unserer Landeskirche als ganzer sein."
  18. Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck erklärt im Jahre 1997: "Christen müssen sich im Blick auf die Verbindung mit dem alttestamentlichen Gottesvolk neu vergegenwärtigen, dass Jesu Sendung zuerst diesem Gottesvolk galt und er es in seiner Gesamtheit Gott zuführen wollte. .... Gleichzeitig bezeugen die Evangelien allerdings, dass Jesus mit einem über die Grenzen Israels hinausgreifenden Handeln Gottes rechnete und die prophetische Erwartung einer Wallfahrt der Heidenvölker weitertrug, weil mit seinem Kommen Gottes Heil in Israel anbrach und öffentlich wurde. Erst im Wissen um diese unlöslichen Verbindungen zwischen Christen und Juden ist das Trennende zu bedenken."
  19. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern spricht in ihrer Erklärung zum Thema Christen und Juden 1998 aus: "Bei Anerkenntnis der bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes und der zentralen Bedeutung des christlich-jüdischen Verhältnisses wird Antijudaismus als dem innersten Wesen des christlichen Glaubens entgegengesetzt erkannt. Deshalb gehört es zu den ureigensten Aufgaben der Kirche, sich von jeglicher Judenfeindschaft loszusagen, ihr dort, wo sie sich regt, zu widerstehen und sich um ein Verhältnis zu Juden und zur jüdischen Religion zu bemühen, das von Respekt, Offenheit und Dialogbereitschaft geprägt ist.
  20. Die Lippische Landeskirche fügt im Jahr 1998 in die Präambel ihrer Verfassung einen Zusatz ein, der das Volk Israel betrifft: "Getreu dem Bekenntnis zu Gott, dem Vater, der die Welt aus nichts geschaffen und sein Volk Israel erwählt hat und ihm die Treue hält ...gibt sich die Lippische Landeskirche diese Verfassung."
  21. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs spricht 1998 aus: "Demütig bitten wir Gott, dass er unserer Kirche den Segen gebe, begonnene Wege eines neuen Verhältnisses zwischen Juden und Christen weiterzugehen und neue Wege zu finden. Angesichts von Tendenzen, das Unrecht des Nationalsozialismus zu verharmlosen oder zu verdrängen, hält die Synode ein öffentliches und mahnendes Erinnern nicht nur aus Anlass von Gedenktagen, sondern als ständige Aufgabe der Kirche für geboten."
  22. Die Studie der EKD "Christen und Juden III. Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum" setzt die Reihe der Studien fort und schließt sie zugleich ab. Die bisherigen Schritte auf dem Weg werden zusammengefasst und weitergeführt. "Einen Schwerpunkt der neuen Studie bildet die Frage: Was leistet der Begriff "Bund" für eine sachgemäße theologische Zuordnung von Kirche und Judentum? Angepackt wird ferner das brennende Problem der sogenannten "Judenmission": Erlaubt, ja gebietet die leidvolle und schuldbeladene Geschichte in ihrem Verhältnis zum Judentum heute den Verzicht auf eine organisierte, gesonderte Judenmission - ohne dass damit die universelle Geltung der christlichen Verkündigung, die auch Juden nicht ausschließt, in Frage gestellt wird? Im Blick auf die Spannungen zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern stellt sich die Studie der Frage: Wie lässt sich die alttestamentliche Verheißung des Landes, die mit der Zusage des Bundes an Israel so eng verknüpft ist, verstehen - ohne dass daraus eine christliche Bestätigung von territorialen Ansprüchen jüdischer Gruppen oder eine religiöse Überhöhung des Staates Israel abgeleitet wird?" (Vorwort der Studie).
  23. Bereich Christen und Juden in Zukunft durch einen "Gemeinsamen Ausschuss Kirche und Judentum" wahrgenommen werden, der zu gleichen Teilen von der EKD, der VELKD/DNK und der EKU/AKf berufen und getragen wird.

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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