Bischof J.Friedrich

Stellungnahmen aus der Ökumene zum Thema Kirche und Judentum seit 1950

von Johannes Friedrich


I. Die römisch-katholische Kirche
Zur Erfassung der römisch-katholischen Position dürfen wir nicht nur Dokumente in den Blick nehmen. Der Vatikan ist ein souveräner Staat, der sich auf diplomatischem Parkett bewegt (1). Die zentrale Kirche hat ein spezielles Institut mit dem Dialog Christen - Juden beauftragt (2). Schließlich ist der Papst eine Repräsentanz, die durch ihr Handeln neben den Dokumenten eine eigene Art von Botschaft ist (4.). Dies muss neben den Dokumenten (2.) gewürdigt werden.
1. Diplomatische Ebene
In den Jahren zwischen 1930 und 1945 ist die Stellung des Vatikan zur Judenverfolgung im Grundsatz zwar eindeutig, die Praxis wird heute jedoch kontrovers beurteilt, insbesondere das Pontifikat Pius XII.. Unzweifelhaft hat die katholische Kirche in den päpstlichen Enzyklen "Mit brennender Sorge" (1937) und "Summi Pontificatus" (1939) Rassismus und Völkermord verurteilt.

Den "Teilungsbeschluss" der UNO vom 29.11.1947 unterzeichnete der Vatikan nicht. Er erkannte den Staat Israel nicht formell an. Erst 1993 wurde ein Grundsatzübereinkommen für volle diplomatische Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan geschlossen. Dennoch bleibt der Umgang der römischen Kirche mit der komplizierten politischen Situation betont diplomatisch und vermeidet Festlegungen. Dies wird durch das moralische Gewicht des Papstes und seiner auch in Israel nicht bestrittenen Integrität überdeckt.
2. Dialoginstitutionen
Am 22. Oktober 1974 wurde die vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum gegründet. Sie ist dem Einheitssekretariat angegliedert. Der offiziell festgelegte jüdische Gesprächspartner der Kommission ist das International Jewish Commitee for Interreligious Consultations. Die IJCIC-Dialoge sind vor allem politisch thematisiert. Der IJCIC bildet zusammen mit dem Vatikan das Catholic-Jewish Liasion Commitee, das Büros in Jerusalem, New York, Genf, Paris und London unterhält. Neben dieser internationalen gibt es auf nationaler und regionalkirchlicher Ebene ein ganzes Netz verschiedener Dialoginstitutionen, die von Bischofskonferenzen, Hochschulen, Akademien, der "Aktion Sühnezeichen" bis zum "Gesprächskreis Juden und Christen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (gegründet 1970) reichen. Das wichtigste deutsche katholische Periodicum ist die Zeitschrift "Freiburger Rundbrief", neu gründet 1994.
3. Dokumentenebene(1)
3.1 Das grundlegende Dokument ist "Nostra aetate", eine Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils "über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen". Sie entstand auf ausdrücklichen Wunsch von Papst Johannes XXIII. Die 1962 vorgelegte Urfassung war scharf gegen den Antisemitismus gerichtet, wurde aber auf arabischen Druck hin zurückgezogen. Die abgeschwächte endgültige Version wurde am 28. Oktober 1965 mit 2221 gegen 88 Stimmen gebilligt. Von der ursprünglichen unterscheidet sie sich nicht zuletzt dadurch, dass das Thema "Kirche und Juden" im Zusammenhang mit der Frage "Kirchen und nichtchristliche Religionen" behandelt wird. Am Ende ist ihm lediglich der 4. Artikel (8 Absätze) gewidmet. Dennoch sind hier alle wichtigen Aspekte angesprochen: die bleibende Berufung Israels (a), die Wurzeln der Kirche im Volk Israel (b), die Zurückweisung eines pauschalen Vorwurfs der Schuld am Tod Jesu (c) die Schuld aller Sünder am Tod Jesu (d), und die eschatologische Vereinigung der Kirche und Israels (e).

3.2 Als verbindliche Auslegung dieses Textes erschien am 1. Dezember 1974 "Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung Nostra aetate, Artikel 4", herausgegeben durch die vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum. Dieselbe Kommission gab zehn Jahre später "Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche" (24. Juni 1984) heraus.(2) Während die 1974er Erklärung durch einen andauernden Auslegungsstreit des Artikels 4 von Nostra aetate veranlasst war, nimmt dieses Dokument verdienstvollerweise die sprachlichen und sachlichen Konsequenzen für Unterricht, Lehre und Verkündigung in den Blick.

In diesem Sinne hatte bereits Papst Johannes XXIII. wegweisende Vorarbeit geleistet, indem er am ersten Karfreitag seines Pontifikats (21. März 1959) alle die Juden verletzenden Worte aus den großen Fürbitten tilgte. Also auch die liturgische Ebene ist bei der katholischen Kirche durchaus sensibel im Blick.

3.3 Ein weiterer bahnbrechender, wenn auch innerkirchlich umstrittener Text ist "Die Haltung der Christen gegenüber dem Judentum. Lehrmäßige Überlegungen und pastorale Orientierungen", eine Erklärung der französischen Bischofskonferenz vom April 1973, die sowohl Nostra aetate interpretiert als auch weiterführt.

Führende Vertreter des Rabbinats haben weltweit dieses Dokument als bahnbrechend bezeichnet. "Das Papier würdigt das jüdische Volk als einen Partner der Kirche und macht es nicht zum Missionsobjekt. Es betont die Unlösbarkeit des Bundes zwischen Gott und Israel und daher das Fortbestehen dieses Volkes".(3)

3.4 Einen weiteren Anstoß zur Reflexion gaben die Gedenktage der letzten Jahre, die Anlass zu mehreren Stellungnahmen waren.(4)

3.5 Auf das stets schwierige Problem von Umsetzung und Rezeption machte Anfang 1996 der "Zwischenruf" des Gesprächskreises Juden und Christen des ZK(5) aufmerksam: "Der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) bleibt in wichtigen Punkten hinter den Erwartungen zurück, die man heute an ihn stellen muss." So fehle eine angemessene positive Darstellung des Judentums als ältere Schwester des Christentums. Von der Gottes- und Nächstenliebe als Zentrum jüdischer Existenz oder von der Wertschätzung der Tora sei keine Rede. Wenn auf das Jüdische im Christentum hingewiesen werde, geschehe es so, dass das Judentum dabei seinen Eigenwert verlöre oder zur Vorstufe des Christentums werde. Wenn die hebräische Bibel als unvollkommene Vorform des Neuen Testaments gedeutet werde, sei dies eine mildere Form der Enterbung Israels. Der kirchliche Antijudaismus, der seine Wurzeln in der Ablösung der frühen Kirche vom Judentum und der dadurch hervorgerufenen antijüdischen Polemik schon im Neuen Testament habe, sei nicht angesprochen. Schließlich hätte ein Katechismus nach der Schoa auf die Schuldgeschichte früherer Katechismen hinweisen müssen, ihre Auswirkungen benennen und die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen müssen.(6)
4. Das persönliche Engagement des gegenwärtigen Papstes
Die moralische Integrität Johannes Pauls II. ist auch in Israel weithin unbestritten. Die Versöhnung der katholischen Kirche mit den Juden ist ein Grundthema seines Wirkens:

4.1 In einer Ansprache am 12. März 1979 vor Vertretern großer jüdischer Organisationen sagte er bereits: "..... erkennen wir mit höchster Klarheit, dass der Weg, den wir mit der jüdischen Religionsgemeinschaft weitergehen sollen, der des brüderlichen Dialogs und der fruchtbaren Zusammenarbeit ist."

4.2 Am 17. November 1980 nennt er in Mainz die Juden "das Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes".

4.3 Beim Besuch der großen Synagoge in Rom am 13. April 1986 führte er aus: "Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas 'Äußerliches', sondern gehört in gewisser Weise zum 'Inneren' unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder."

4.4 Der Israel-Besuch des Jahres 2000 hatte seine wichtigste Passage gewiss im Besuch von Yad Vashem und in dem klugen Statement, das der Papst danach abgab.

4.5 Schließlich ist auch die jüngst proklamierte Vergebungsbitte des Papstes zu nennen.
II. Ökumenischer Rat
Das Verhältnis der Kirchen zum Judentum ist nur selten zum Thema der Verhandlungen des Ökumenischen Rates der Kirchen gemacht worden. Es gibt allerdings einige wichtige Ausnahmen.

1. Dazu zählt vor allem die Erklärung über "Das christliche Verhalten gegenüber den Juden" der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates von August/September 1948. Die Erklärung wurde von der Vollversammlung geprüft und den Kirchen zu ernster Erwägung und geeignetem Vorgehen empfohlen.(7) Der Kernsatz der Erklärung lautet: "Wir rufen alle von uns vertretenen Kirchen dazu auf, den Antisemitismus gleich welchen Ursprungs, als schlechterdings mit christlichem Bekenntnis und Leben unvereinbar zu verwerfen. Der Antisemitismus ist eine Sünde gegen Gott und Menschen."(8) Im Blick auf die Aufgabe der Evangelisation, die das jüdische Volk einschließt, bedauert der ÖRK, "dass die Juden zum Gegenstand einer besonderen missionarischen Aufmerksamkeit gemacht wurden, und zwar auch da, wo man sie sehr wohl in den Bereich des normalen Dienstes der Kirche hätte einbeziehen können." Die Universalität des Auftrags des Herrn der Kirche wird betont, zugleich aber ausgesprochen, dass bei einer Missionsarbeit unter den Juden aufs Peinlichste jede Art von unwürdigem Druck und unwürdiger Beeinflussung vermieden werden muss.

2. Die dritte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Neu-Delhi 1961 zitiert erneut den Kernsatz der Vollversammlung von 1948. Um dem Antisemitismus jede kirchliche Begründung zu entziehen, betont die Vollversammlung: "In der christlichen Unterweisung sollen die geschichtlichen Tatsachen, die zur Kreuzigung Jesu Christi führten, so dargestellt werden, dass sie dem jüdischen Volk von heute eine Verantwortung auferlegen, die uns, der Menschheit als Ganzer, zur Last fällt."(9)

3. Der Bericht der Kommission Glaube und Kirchenverfassung des ÖRK "Die Kirche und das jüdische Volk" von Juli/August 1967, der sogenannte Bristol-Report, zitiert Neu-Delhi 1961 und unterstreicht, dass es historisch falsch ist, das jüdische Volk zur Zeit Jesu als Ganzes für seinen Tod verantwortlich zu machen. Der Report empfiehlt, im Religionsunterricht und in der Predigt darauf zu achten, dass die Juden nicht so geschildert werden, dass damit unwissentlich einer Art von "christlichem Antisemitismus" Vorschub geleistet wird. In der Frage der bleibenden Erwählung der Juden und in der Frage der Mission unter Juden blieb die Kommission geteilter Meinung.

4. Die "Ökumenischen Erwägungen zum jüdisch-christlichen Dialog" des Ökumenischen Rates von 1982 werden in der Frage der bleibenden Erwählung deutlicher: dass die Kirche als Volk Gottes an die Stelle Israels getreten und der Bund Gottes mit dem Volk Israel lediglich eine Vorbereitung auf das Kommen Christi gewesen sei, danach aber aufgehoben wurde, sei eine theologische Sicht, die verhängnisvolle Folgen haben sollte.(10) Eine Distanzierung von der sogenannten Substitutionslehre wird vollzogen, sie wird allerdings nicht bekenntnishaft formuliert. Dissens besteht weiterhin in der Frage nach dem authentischen christlichen Zeugnis: ist es bereits mit der faktischen Präsens von Kirche in der Welt gegeben oder ist Mission als ausdrückliche organisierte Verkündigung des Evangeliums an alle zu verstehen?

5. Die Vollversammlungen des Ökumenischen Rates in Canberra 1991 und in Harare 1998 haben sich zum Thema Christen und Juden nicht geäußert.
III. Weitere Kirchen
1. Europäische Kirchen
Am meisten haben sich die überwiegend reformierten Kirchen der Niederlande bereits seit dem 17. Jahrhundert der Frage des Verhältnisses "Christen und Juden" gewidmet. Die Praxis der Verwendung des Alten Testaments hatte schon in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts dazu geführt, dass die Enterbungslehre nie Bedeutung gewann. Die "Gereformeerde Kerk" hat 1973 besonders das theologische Verhältnis zu Israel unter dem Titel "Volk, Land und Staat reflektiert.

Die elsässische reformierte Kirche widmete 1990 eine Einführung der Synode dem Thema "Die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens".

Sehr deutlich äußerte sich die Evangelische Kirche in Österreich 1998 zur Mitschuld an der Schoah und zu den Folgerungen. "Da der Bund Gottes mit seinem Volk Israel aus lauter Gnade bis ans Ende der Zeit besteht, ist Mission unter den Juden theologisch nicht gerechtfertigt und als kirchliches Programm abzulehnen."
2. Leuenberger Kirchengemeinschaft
Die Vollversammlung der Leuenberger Kirchengemeinschaft hat 1994 das Verhältnis von Christen und Juden zu einem der drei neuen Lehrgesprächsthemen bestimmt. Von 1996 bis 1999 haben sieben Konsultationen zu diesem Thema stattgefunden und eine Lehrgesprächsgruppe "Kirche und Israel" hat am 29.10.1999 eine Textvorlage erarbeitet, die gegenwärtig allen an der LKG beteiligten Kirchen zur Stellungnahme vorliegt. Sie behandelt die Fragen 1) "Israel und die Kirche" biblisch und historisch, 2) "Die Kirche und Israel" unter der Fragestellung des Heilsweges und dem Selbstverständnis der Kirche und ihrem Verhältnis zu Israel sowie 3) "Die Kirche in Israels Gegenwart" praktische Konsequenzen. Das Ziel des Projektes, das gegenwärtig in seiner Abschlussphase ist, ist es, "ein gemeinsames Verständnis der reformatorischen Kirchen zum Thema 'Kirche und Israel' zu erarbeiten."
Fußnoten
1 Auf drei Dokumentationen soll hier hingewiesen werden: - Die katholische Kirche und das Judentum. Mit Kommentaren von Ernst Ludwig Ehrlich und Erich Zenger herausgegeben von K. Richter, Freiburg i.B. 1982.
- · Die Kirche und das Judentum. Dokumente 1945 bis 1985, herausgegeben von R. Rendtorff und H.H. Henrix, Paderborn 1988
-· Auschwitz als Herausforderung für Juden und Christen, herausgegeben von Günther Bernd Ginzel, 2. Auflage Gerlingen 1997 (dokumentiert alle bedeutenden kirchlichen Verlautbarungen seit 1945).
Rendtorff/Henrix dokumentieren 186 offizielle beziehungsweise offiziöse Erklärungen, davon 85 aus dem katholischen Bereich (Papst, Vaticanum II, Einheitssekretariat, Bischofskonferenzen, Synoden, Diözesen). Seitdem ist eine nicht geringe Zahl weiterer Erklärungen ausgegeben worden, die allerjüngste durch die katholische Kirche von Wales (März 2000). Neben diesen Dokumenten soll die verdienstvolle Arbeit der Exegeten Franz Mußner und Erich Zenger ausdrücklich erwähnt werden.

2 Weitere wichtige Dokumente aus Deutschland im Nachgang zu "Nostra aetate" sind
-· Unsere Hoffnung. Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland" (22. November 1975),
-· Theologische Schwerpunkte des jüdisch-christlichen Gesprächs" vom Gesprächskreis Juden und Christen des ZdK (8. Mai 1979)
-· sowie die Erklärung "Über das Verhältnis der Kirche zum Judentum" der deutschen Bischöfe (28. April 1980).

3 Nathan Peter Levinson

4 1988 "Die Last der Geschichte annehmen. Wort der Bischöfe zum Verhältnis von Christen und Juden aus Anlass des 50. Jahrestages der Novemberpogrome 1938", gemeinsam verantwortet von der Berliner, der Deutschen und der Österreichischen Bischofskonferenz,
-· das "Wort der deutschen Bischöfe zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 50 Jahren" (1995) und
-· "Wir erinnern: Eine Reflexion über die Schoa" aus dem Jahr 1998.
-· "Erklärung der Schweizer Bischofskonferenz zum Verhalten der katholischen Kirche in der Schweiz zum jüdischen Volk während des 2. Weltkriegs und heute"

5 Der Arbeitskreis des ZdK war 1988 mit einer Erklärung "50 Jahre nach der Reichspogromnacht" aufgetreten. In diesem Arbeitskreis arbeiten übrigens Juden und Christen gleichberechtigt mit. Seine Verlautbarungen sind also stets Ergebnis des jüdisch-christlichen Gesprächs. Zu den Mitgliedern gehören bzw. gehörten: Landesrabbiner Henry Brandt, der Augsburger Pastoraltheologe Heinzpeter Heinz und der Berliner Vorsitzende der Stiftung Neue Synagoge, Hermann Simon.

6 Juden und Judentum im neuen Katechismus der Katholischen Kirche, veröffentlicht am 29. Januar 1998)

7 Die Kirchen und das Judentum, Dokumente von 1945 - 1985, Seite 325 f

8 ebd. Seite 327

9 ebd. Seite 341

10 ebd. Seite 421

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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