Kampf gegen "das System"

Der vertrauliche Bericht des Verfassungsschutzes sieht in der NPD eine "ernsthafte Gefahr" für die Verfassungsordnung der Bundesrepublik

Die NPD bedroht die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Zu dieser Einschätzung gelangt ein gemeinsamer Bericht des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz. Den Gefahren, die von der NPD ausgingen, könne mit keinem besseren Mittel als einem Verbot der Partei begegnet werden, heißt es dort. Die als "Verschlusssache" eingestufte mehr als 70-seitige Zusammenfassung des rund 500 Seiten starken Dokuments (das seinerseits dagegen noch restriktiver als "streng geheim" eingestuft ist) liegt der FR vor. Wir dokumentieren Auszüge aus der Zusammenfassung.

(. . .)
Aktiv-kämpferische, aggressive Grundhaltung der NPD
Die unter 1. dargelegten verfassungswidrigen Ziele und Aktivitäten der NPD erlangen dann Verbotsrelevanz, wenn die Partei eine aktiv-kämpferische, aggressive Grundhaltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bei der Umsetzung ihrer Ziele und Aktivitäten verfolgt.

Eine verfassungswidrige Partei muss "planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen" (BVerfGE 5, 85 \[141\]).

Diese Voraussetzung erfordert nicht, dass die Partei ihre Ziele durch "Anwendung von Gewalt oder durch sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen sucht" (vgl. BVerwGE 61, 218 \[220\]; BVerwG NJW 1995, 2505); diese Aktivitäten müssen aber "so weit in Handlungen - das sind u. U. auch programmatische Reden verantwortlicher Persönlichkeiten - zum Ausdruck kommen, dass sie als planvoll verfolgtes politisches Vorgehen der Partei erkennbar" werden (BVerfGE 5, 85 \[142\]).

Ausgehend von diesen Maßstäben zeigt sich die aktiv-kämpferische, aggressive Grundhaltung der NPD aufgrund folgender Erwägungen:

Die NPD erfuhr in den letzten Jahren eine bedeutende Wandlung. Ihr Schwerpunkt liegt - wie oben dargelegt - nicht mehr in der organisierten Form einer Wahlpartei, vielmehr sieht sie sich als Spitze einer breiten sozialen Protestbewegung, als Bewegung, die mit Neonazis und Skinheads zur Verfolgung ihrer auf die Überwindung des Systems angelegten Ziele Aktionsbündnisse auf vornehmlich außerinstitutionellem Wege eingeht. Entscheidende Ursache für die Wandlung der NPD waren die zahlreichen Verbote neonazistischer Gruppierungen in der Zeit von 1992 bis 1996. Den Neonazis wurde damit der organisatorische Rahmen entzogen, um für die aktionistisch ausgerichtete Klientel legale Veranstaltungen anmelden zu können.

Hinzu kam, dass die Neonazis von Abgrenzungsbeschlüssen rechtsextremer Parteien betroffen und in ihren Aktionsmöglichkeiten eingeschränkt waren. Diese Chance nutzte die NPD zunächst über die Jugendorganisation, die JN.

Das von der NPD planvoll verfolgte Vorgehen spiegelt sich wider in ihrem Kampf gegen "das System", womit die freiheitliche Ordnung in Deutschland gemeint ist (nähere Ausführungen hierzu vgl. II. 1. a) S. 15 ff). Darüber hinaus zielt ihre politische Strategie auf die Beseitigung der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie Achtung der Menschenrechte, Geltung der Volkssouveränität oder des parlamentarischen Systems (hierzu vgl. II. 1. b) S. 20 ff).

a) Strategische Konzepte
Zur Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hat die NPD strategische Konzepte entwickelt.
aa) "Drei-Säulen-Konzept"
Als Grundlage für die Umsetzung ihrer Ideologie hat die NPD ein auf "drei strategische Säulen" gestütztes Konzept entwickelt, das, wie oben, I. 1. a, S. 3 ausgeführt, erstmals im Oktober 1997 in einem Positionspapier vorgestellt wurde.

Als Säulen definiert die NPD: 1. Programmatik: Schlacht um die Köpfe, 2. Massenmobilisierung: Schlacht um die Straße, 3. Wahlteilnahme: Schlacht um die Wähler.

Etappen
Der Anleitungs- und Umsetzungscharakter zeigt sich auch darin, dass für den Kampf um die politische Macht "Zwischenschritte" und "Etappenziele" definiert werden:

"Politische Ziele lassen sich nur über operative Ziele im Zusammenhang mit dem Kampf um die politische Macht erreichen. Dies geschieht in vielen Zwischenschritten, bei denen in Verbindung mit der Teilnahme an Wahlen entsprechende operative Etappenziele definiert werden."

Ferner zeigt sich an der Verwendung des Begriffpaares "Wortergreifung - Machterlangung", dass die NPD schrittweise zur Machtübernahme gelangen will. Dieses Konzept ist erkennbar von einem planvollen Vorgehen bestimmt. In einem Beitrag in der JN-Publikation "Der Aktivist", 8/1999, S. 5, heißt es:

"Wir müssen erst unsere Hausaufgaben machen, ehe wir das Geschichtsbild revidieren können. Nur mit einer zeitgemäßen Wortergreifung werden wir Gehör finden für die Notwendigkeit einer Machterlangung , um Besserung für unser Volk zu erwirken. Dies ist keine Frage der Strategie, sondern der Taktik; hier steht keine Anschauung zur Diskussion, sondern nur ihre moderne Ausdrucksform."

Im Juni 1998 und anlässlich des "2. Tages des Nationalen Widerstands" am 23. Mai 2000 gab [der NPD-Vorsitzende] Voigt laut "Deutscher Stimme" S. 2 bekannt, es gehe der NPD nicht um kurzfristige Wahlerfolge, sondern um langfristige, kontinuierliche Aufbauarbeit. Erst wenn die Partei den "Kampf um die Straße" endgültig für sich entschieden habe, könne der "Kampf um die Parlamente" mit der Aussicht geführt werden, "eine dauerhafte nationale Kraft zu etablieren".

Im Juli 1998 erklärte Voigt im Parteiorgan, die Partei müsse
"im derzeitigen Wahlkampf - angepasst an die neuen Entwicklungen - jetzt ihren eigenen Weg gehen, ohne auf die rechte Konkurrenz zu schielen."

Nach den Worten Voigts in einem von der NPD vertriebenen Tonbandmitschnitt aus dem Jahre 1998 muss die von der NPD angestrebte
"neue Ordnung (. . .) mit einem radikalen Schnitt, mit einem radikalen Bruch des Althergebrachten einher laufen, ansonsten funktioniert keine neue Ordnung, wenn man alte Kräfte einbindet, dann wird man irgendwann Schiffbruch erleiden, weil wir natürlich immer wieder in das alte Fahrwasser zurückfallen. Und um diese Politik natürlich anzustreben, brauchen wir in Deutschland eines Tages nicht 5 %, nicht 10 %, nicht 12 %, sondern wir brauchen in Deutschland 51 %, um die Macht auszuüben. Das ist unser politischer Auftrag und dafür arbeiten wir."

Auch mit diesem Zitat wird deutlich, dass die NPD die absolute Macht nur anstrebt, um die freiheitliche demokratische Grundordnung letztlich abzuschaffen.

In ähnliche Richtung zielt auch die folgende Äußerung eines hohen Funktionärs aus dem Jahr 1998:

Er werde mittlerweile von vielen Leuten als Demokrat betrachtet, in Wirklichkeit aber sei er Nationalsozialist. Um dieses System zu besiegen, müsse man sich als Demokrat geben, und zwar als der Beste von allen. Wie dies auch Hitler auf dem Wege zu seiner Machtergreifung getan habe, müsse der Feind mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden. Die Vorgehensweise Hitlers müsste da nur nachgeahmt werden.

Ausdruck einer an Etappenzielen ausgerichteten aggressiven Strategie der NPD ist auch das Konzept der "Nationalen Außerparlamentarischen Opposition" (NAPO). Der NPD-Vorsitzende Voigt umschrieb dies auf dem Passauer Parteitag 1998 (Pressemitteilung der NPD vom 9. 2. 1998) als Synonym für den "Nationalen Widerstand". Laut Voigt ("Deutsche Stimme" Nr. 4/2000) hat die Partei den "Kampf um die Straße als Speerspitze der ,Nationalen Außerparlamentarischen Opposition' . . . aufgenommen."

Der Beginn des dargestellten Wandels von einer "Altherrenpartei" hin zu einer Partei, die gemäß einem neuen Strategiekonzept ("Kampf um die Straße") insbesondere auch auf Massenmobilisierung auf der Straße setzt und die ihre verfassungsfeindlichen Ziele nicht nur verbal äußert, sondern sie auch in einer aktiv-kämpferischen und aggressiven Weise umsetzt, hat mit dem Wechsel des Parteivorsitzes Deckert/Voigt eingesetzt. So schreckte ein hochrangiger Funktionär im Jahre 1996 nicht davor zurück, zur Durchsetzung seiner politischen Ziele selbst die Begehung von Straftaten gegen Leib und Leben für denkbar zu halten.

Im Februar 1998 verwandte Voigt auf dem "1. Tag des Nationalen Widerstands" in Passau erstmals öffentlich den Begriff der "Nationalen Außerparlamentarischen Opposition" (NAPO) als Synonym für den "nationalen Widerstand" auf der Straße. Voigt bekräftigte damit die neue strategische Position der Partei ("Kampf um die Straße"), mit der eine Massenwirkung als nur durch die Mobilisierung der Straße erreichbar definiert wird. Nach einem Zitat in der Beilage "Aufbruch 2000" vom März 2000 zur NPD-Publikation "Deutsche Stimme" äußerte Voigt:
"Wir setzen uns mehr und mehr auf der Straße durch und haben allen Unkenrufen zum Trotz dort überdurchschnittliche Ergebnisse gehabt, wo wir demonstriert haben (. . .) Neu wird die Konsequenz in der Durchsetzung unserer Ziele sein. (. . .) Unser Kampf fängt jetzt erst richtig an."

Das aktiv-kämpferische und aggressive Element des "Kampfes um die Straße" wird auch aus einer Aussage des NPD-Bundespräsidiumsmitgliedes Per Lennart AAE deutlich, der in einem Beitrag in der "Deutschen Stimme" Nr. 5/1997, S. 3, erklärte:
"Dabei verstehen wir Nationaldemokraten unter Widerstand stets immer nur gewaltfreien, geistigen Widerstand, was freilich nicht ausschließt - ganz im Gegenteil - dass wir die Wut des Volkes auf die Straße tragen . . .".

Dass NPD und JN ihre verfassungsfeindliche Agitation auch umsetzen wollen, ergibt sich insbesondere aus den folgenden, im JN-Publikationsorgan "Der Aktivist" Nr. 1/1997, S. 12ff wiedergegebenen Äußerungen:
"Wenn wir also unser Volk retten wollen, so müssen wir diesen Kampf bedingungslos aufnehmen und zwar auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen. (. . .) Tretet Schützenvereinen bei, besucht Kampfsportschulen, bildet Euch in Selbstverteidigung aus! Die Militanz unserer Gegner erfordert die Fähigkeit zum Selbstschutz! Nehmt an Orientierungsmärschen und Zeltlagern teil! Organisiert Euch im Ordnerdienst der NPD/JN! Nutzt die Möglichkeit, die Euch die Bundeswehr bietet! Lasst Euch zu qualifizierten Führungskräften ausbilden und lernt soldatische Führung! Tretet sonstigen Sportvereinen bei!"

Unter dem Titel "revolutionärer Kampf Oder Spießertum?" heißt es auf einer Internethomepage am 28. 9. 1999:
"Soziale und nationale Missstände werden nicht verbessert, indem man Zurückhaltung übt und sich den Verursachern dieser Missstände andienert, sondern indem man die Verursacher aus ihren Machtpositionen entfernt (. . .). Wir werden uns nicht von der Straße verdrängen lassen, sondern wir werden bald die Straße beherrschen!"
Vorrang des "Kampfes um die Straße"
Innerhalb ihres "Drei-Säulen-Konzepts" räumt die NPD dem "Kampf um die Straße" gegenwärtig Priorität ein. So führte hierzu in einer über Internet verbreiteten Rede zum "2. Tag des Nationalen Widerstandes" der Bundesvorsitzende Udo Voigt am 27. Mai 2000 aus:
"Neben dem ,Kampf um die Parlamente' und um den ,Kampf um die Köpfe' nimmt der ,Kampf um die Straße' eine herausragende Position in unserer derzeitigen politischen Agitation ein. Erst wenn wir den ,Kampf um die Straße' endgültig für uns entschieden haben, ist der ,Kampf um die Parlamente' mit der Aussicht zu führen, keine schnell verschwindenden Proteststimmen zu kanalisieren, sondern eine dauerhafte nationale Kraft im Nachkriegsdeutschland zu etablieren . . ."

Die Partei zielt beim Kampf um die Straße insbesondere auf die Jugend. In ihrem Strategiepapier "Das strategische Konzept der NPD" vom Oktober 1997 heißt es hierzu:
"Mobilisierbar sind heute in erster Linie jene Massen von jungen Menschen, die nicht nur um ihre berufliche Zukunft, sondern auch um ihr nationales und kulturelles Selbstwertgefühl betrogen werden, die sich zu Menschen zweiter Klasse herabgewürdigt fühlen und sich wie Fremde im eigenen Land vorkommen."
Umsetzung des "Kampfes um die Straße"
Wie umfangreich das im Positionspapier vom Oktober 1997 vorgestellte strategische Konzept "Kampf um die Straße" (s. o. unter I. 1. a) in die Praxis umgesetzt werden konnte, zeigt die Tatsache, dass nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden seit 1996 die Zahl der von der NPD getragenen Versammlungen erheblich zugenommen hat. So wurden von der Partei seit Amtsantritt Voigts (November 1996) bis zum 24. Oktober 2000 rund 285 - zunehmend mit Neonazis und Skinheads durchgeführte - Demonstrationen und öffentliche Aktionen (mit bis zu 5000 Teilnehmern) veranstaltet (08-12/1996: 12; 1997: 50; 1998: 67; 1999: 87; 2000: bislang 69).

Nach dem äußeren Erscheinungsbild sind bei Umzügen und Demonstrationen zwischen Neonazis und Angehörigen der NPD kaum noch Unterschiede auszumachen. Insbesondere die Präsenz von Neonazis, aber auch Skinheads prägt häufig die Veranstaltungen von NPD und JN. Sie wollen - nach NS-Vorbildern - mit massiver Häufung uniform auftretender, kahl geschorener, schwarz gekleideter Demonstrationsteilnehmer sowie der von ihnen mitgeführten Trommeln und Fahnen einen martialischen, aggressiven und furchteinflößenden Eindruck vermitteln.

Mit Aussagen wie z.B. "Arbeit zuerst für Deutsche", "Ausländerrückführung statt Integration", "Hier marschiert der Nationale Widerstand", "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus" werden Angstgefühle verstärkt und ausgenutzt (Arbeitslosigkeit, drohender Verlust des Arbeitsplatzes, angebliche Fremdbestimmung sowie Überfremdungsgefahr). Damit soll eine Krisenstimmung geschürt werden, die den totalen Angriff gegen den sozialen Rechtsstaat und die freiheitliche Gesellschaft der Bundesrepublik rechtfertigen soll.

Die Demonstrationen der NPD, geschützt und verstärkt durch militante Skinheads und Neonazis, sind deshalb äußerer Ausdruck des aktiv-kämpferischen, aggressiven Bestrebens der NPD, über den außerparlamentarischen Kampf politische Macht in Deutschland zu erringen.

Mobilisierung der Jugend
Die NPD misst der Jugend seit 1996 besondere Bedeutung bei. So erhebt sie den Anspruch, "die Partei der Jugend in Deutschland werden" zu wollen (Rede von Udo Voigt am 23. Juli 1998 in Kaufbeuren, Abschrift des von der NPD vertriebenen Tonbandmitschnitts). Nach eigenen Angaben verfügt sie im Gegensatz zu anderen rechtsextremistischen Parteien bereits über "den nicht zu unterschätzenden Zugang zur Jugend" (zitiert nach Sonderbeilage der "Deutschen Stimme" Nr. 3/00 vom März 2000, S. 1 und "Deutsche Stimme" Nr. 7/00 vom Juli 2000, S. 2). Entsprechend besitzt sie mit den JN und dem NHB eigene Jugend- und Studentenorganisationen.

Voigt schildert am Beispiel der Sammlung der für den Antritt zur Bundestagswahl 1998 notwendigen Listen mit Unterstützerunterschriften, dass und welche jungen Menschen die NPD gezielt für sich gewinnen will:
"Ich fahr halt durch die Ortschaften durch, und wenn ich da drei oder vier Glatzen (gemeint sind "Skinheads") am Marktplatz stehen sehe, halt ich an und ich habe sofort meine Unterschriften." (Rede von Udo Voigt am 23. Juli 1998 in Kaufbeuren, Abschrift des von der NPD vertriebenen Tonbandmitschnitts.)

Unmittelbare Zielsetzung der NPD ist es dabei, so das notwendige Aktionspotenzial für den "Kampf um die Straße" zu rekrutieren.

Tatsächlich gelingt es der NPD auch, unter der Ägide Voigts vornehmlich junge Menschen für sich zu gewinnen: Nach seinen Angaben betrug das Durchschnittsalter eines Neumitglieds seit 1997 25 Jahre und weniger (im Übrigen vgl. I. 1 c), S. 6).

Insofern arbeitet die NPD unter Udo Voigt mit zunehmendem Erfolg darauf hin, ihr einstiges Image einer "Altherrenpartei" abzulegen. Ihr Mitgliederaufschwung ist im Wesentlichen auf einen Zulauf junger Menschen zurückzuführen. Allerdings handelt es sich nur um einen spezifischen Teil der Jugend, der stark rechtsextremistisch geprägt ist und über das entsprechende, auf diese Zielgruppe zugeschnittene, aktionsorientierte Angebot - bestehend aus Demonstrationen (Skinhead-)Konzerten, Kameradschaftsabenden, Aktivitäten in einzelnen Jugendclubs oder dem Versand einschlägiger Devotionalien des DS-Verlags - angezogen wird. Dabei hängt die Bindungskraft nicht selten auch von einzelnen Funktionären ab wie beispielsweise bis Frühjahr 2000 von Steffen Hupka in Sachsen-Anhalt. In regional unterschiedlicher Intensität konkurriert die NPD zusätzlich noch mit "Freien Kräften" um diese Klientel.

Funktionäre mit Neonazivorlauf
Der aus Sicht der NPD erfolgreiche "Kampf um die Straße" hat seine Ursache im Wesentlichen darin, dass die Parteipraxis sich unter Führung des Vorsitzenden Voigt - wie auch schon seines Vorgängers Deckert - über einen formal bestehenden Unvereinbarkeitsbeschluss faktisch hinwegsetzt. Als Konsequenz der völligen Aufgabe dieser strategisch-taktischen Position entwickelte sich die NPD in der Folge zu einem begehrten Beitrittsobjekt für ehemalige Mitglieder verbotener Organisationen. Voigts Strategie ist es, die NPD auf eine möglichst breite personelle Basis zu stellen und unterschiedlichste Strömungen des nationalen Widerstands zu bündeln.

Hierbei genießt die themen- und aktionsbezogene Zusammenarbeit mit Neonazis Priorität. Ausdruck dafür ist auch die aktuelle Mitgliedschaft der Neonazis Jens Pühse ("Nationalistische Front", Verbot am 26. 11. 1992), Sascha Roßmüller (Gründungsmitglied des "Nationalen Blocks", Verbot am 7. 6. 1993), Frank Schwerdt (Vorsitzender von "Die Nationalen e. V.", im November 1997 durch Auflösung einem Verbot zuvorgekommen) und Steffen Hupka (Mitglied des Bundesvorstands, Leiter des Schulungsreferates der "Nationalistischen Front", Verbot am 26. 11. 1992) im Bundesvorstand der NPD (Hupka bis März 2000). Mithin haben drei bzw. vier von den 20 Mitgliedern, die den Bundesvorstand bilden, einen solchen Vorlauf.

Der jetzige Vorsitzende des Bundesschiedsgerichts der NPD, Wolfram Nahrath, hat eine entsprechende politische Vergangenheit (letzter "Bundesführer" der "Wiking Jugend e. V.", verboten am 10. 11. 1994). Auf der Ebene der Landesverbände haben gegenwärtig 59 NPD-Mitglieder, u. a. in herausgehobenen Stellungen, einen Vorlauf in Neonaziorganisationen. Es handelt sich dabei u. a. um ehemalige Funktionäre verbotener Neonaziorganisationen, wie z. B. "Nationale Offensive", "Deutsche Alternative", "Nationalistische Front", "Wehrsportgruppe Hoffmann", "Volkssozialistische Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeiter", "Wiking-Jugend".

Kameradschaften
Auch außerhalb der eigenen Mitgliederschaft sind Neonazikreise und rund 60 Kameradschaften neben Skinheads wichtiges Mobilisierungspotenzial bei NPD- und JN-Demonstrationen. Im Hinblick auf ihre Größe haben für die NPD vor allem der "Thüringer Heimatschutz", die "Skinheads Sächsische Schweiz", das "Nationale und Soziale Aktionsbündnis Norddeutschland" sowie die Kameradschaften Gera, Karlsruhe, Northeim und Treptow für gemeinsame Aktionsbündnisse Bedeutung. Der Vorsitzende des NPD-Landesverbandes Sachsen, Petzold, bezeichnete laut Sachsen Stimme (Ausgabe Januar-April 2000, S. 5) freie Kameradschaften vor dem Hintergrund eines "zweifellos bevorstehende(n) Endkampf(s)" als "Vorfeldorganisationen" für die Partei.
Skinheads als Teilnehmer und Ordner
Die Aussagen in dem bereits skizzierten Positionspapier "Das strategische Konzept der NPD" vom Oktober 1997, wonach die NPD keine Probleme habe, mit Skinhead-Gruppen zusammenzugehen, wenn diese "sehr wertvollen jungen Menschen, die es für den Wiederaufbau der Volksgemeinschaft zu gewinnen gilt", bereit seien, "als politische Soldaten zu denken und zu handeln", beweisen gleichfalls, dass die Partei Skinheads als natürliche Bündnispartner sieht und diese Szene innerhalb des Rechtsextremismus für ihr Vorgehen instrumentalisieren will.

Die Gefahr, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung von der NPD droht, ist insbesondere in der Affinität zum gewaltbereiten Skinheadspektrum zu sehen. Diese Nähe korrespondiert mit ihrer Haltung zur Gewalt. Statt sich nachhaltig von diesem Potenzial zu distanzieren, duldet sie diesen Personenkreis bei eigenen Veranstaltungen nicht nur ausdrücklich, sondern baut geradezu auf dessen Teilnahme.

Abgesehen von der Mitwirkung von Skinheads an NPD-Demonstrationen setzt die Partei derartige Gruppen auch gezielt als Ordner bei ihren Veranstaltungen ein. So schützen z. B. Mitglieder der "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) ausweislich deren Publikation "Froindschaft" NPD-Veranstaltungen durch Ordnerdienste und unterstützten sie im Wahlkampf. Zwischen der NPD in der Region Sächsische Schweiz und den SSS bestehen generell nachweislich enge wechselseitige Beziehungen.

Die Unterstützungsleistungen der NPD für die SSS gestalten sich folgendermaßen: SSS-Mitglieder werden auf einer NPD-Veranstaltung im Rahmen einer Rechtsschulung über das Verhalten im Fall einer Hausdurchsuchung unterrichtet. Außerdem fungierten Mitglieder der inzwischen verbotenen Skinheadbewegung "Blood & Honour Division Deutschland" (B & H) als Ordner anlässlich einer NPD-Demonstration am 27. Februar 1999 in Magdeburg. Entsprechend traten Angehörige des "SelbstSchutzSachsen-Anhalt" am 29. Januar 2000 für die NPD in Berlin am Brandenburger Tor sowie am 27. Februar 2000 in Magdeburg auf (vgl. zur letztgenannten Veranstaltung die Bildaufzeichnung der Polizei). Darüber hinaus beteiligten sich B&H-Mitglieder an 19 Demonstrationen und Kundgebungen der NPD. (. . .)

Frankfurter Rundschau, 7.11.2000

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