Erntedank als faschistische Propaganda

Auf dem Bückeberg bei Hameln gab es die größte Massenveranstaltung der NS-Zeit
Deutsche Volksgemeinschaft - das war die Idee der Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln in Niedersachsen. Diese Feste waren die größte Massenveranstaltung des Nationalsozialismus in den Jahren von 1933 bis 1937, also noch wesentlich größer als die bekannteren Reichsparteitage in Nürnberg. Sie waren ein Staatsakt mit steigenden Teilnehmerzahlen: 1933 kamen zum ersten Treffen 500 000 Menschen, die Zahl der Teilnehmer stieg beim fünften und letzten Fest 1937 auf 1,3 Millionen Besucher an - so viel wie 2000 an der Loveparade in Berlin teilgenommen haben.

Ein Fest für das Bauerntum, für die Volksernährer anlässlich des Erntedankfestes sollte es sein. Nur im ersten Jahr gab es einige christliche Anknüpfungspunkte. Später rückte die Propaganda in den Vordergrund - eine Massenveranstaltung. Bis zu fünf Stunden warteten die Menschen geduldig und gut gelaunt auf ihren "Führer". Brausender Applaus und tobender Jubel brachen bei den Teilnehmern aus, als Hitler Hände schüttelnd den "Führerweg" hinauf marschierte.

Doch warum war die Wahl gerade auf den Bückeberg bei Hameln gefallen ? Die Entscheidung hatte praktische Gründe. Zum einen hatte die Stadt Hameln eine gute Bahnverbindung, zum anderen lag der Bückeberg im preußischen Besitz, so dass dieses Fest dort leicht organisiert werden konnte. Außerdem war die Neigung am Nordhang des Berges besonders geeignet, die Festpläne umzusetzen.

Des Weiteren gab es auch noch eine Reihe von ideologischen Gründen: Die schöne Landschaft im Weserbergland - Niedersachsen ist bäuerliches Kernland. Und die Lage des Bückeberges zur Weser war ein weiterer Entscheidungsgrund, da die Weser von der Quelle bis zur Mündung ein "deutscher Strom" ist. Außerdem hatten nicht weit von hier bei der Schlacht im Teutoburger Wald (im Jahre 9 nach Christus) die Germanen ihren großen Sieg über die Römer unter ihrem Feldherren Varus errungen. Also wurde der Bückeberg zum großen Volksversammlungsort erkoren.

Für die meisten Menschen war es aber das Größte, ihren Führer einmal ganz aus der Nähe zu sehen. Hitler war von allen Seiten aus gut sichtbar, da der "Führerweg" einen Meter höher als der Platz lag, der als eine in sich neigende Muschel angelegt worden war. In mühevoller Arbeit war in mehreren Baukampagnen von 1933 bis 1937 das Gelände ständig erweitert und planiert worden. So wuchs er von 120 000 auf 180 000 Quadratmeter an - trotzdem konnte das Gelände noch nicht alle Menschen fassen. Der Festplatz verfügte über zwei Tribünen. Auf der unteren Tribüne hielt Hitler seine Rede, oben waren die Ehrengäste untergebracht. Und diese begrüßte Hitler, bevor er die Erntekrone unter Beifall in Empfang nahm. Diese Krone wurde ihm von einer Bäuerin übergeben mit den Worten:

"Mein Führer ! Sie schützen mit starker Hand unser Land, unser Volk, unseren Stand ! Als unseres Dankes bescheidenes Zeichen wir ihnen die Erntekrone reichen."

Denn beim Volk stand die Erntekrone für die Volksgemeinschaft. Außerdem wollten die NS-Führer hiermit die bäuerliche Mentalität und die heile Welt des Dorfes symbolisieren. Das Volk sollte durch diese Selbstdarstellung Achtung erlangen und so das Gefühl bekommen, als Volksernährer der erste Stand des Volkes zu sein. So erklären sich auch die vielen bäuerlichen Darbietungen wie Volkstanzgruppen und Singkreise. Doch im Laufe der Jahre wurde der Schwerpunkt von den ländlichen Vorführungen immer mehr auf Militärübungen verlagert - die bei den Volksgenossen genauso geliebt waren und ebenso bejubelt wurden.

Als der Jubel um die Erntekrone verklungen war, marschierte Hitler den Führerweg wieder hinunter auf die Tribüne. Zunächst hielt Reichsminister Richard Walther Darré eine Rede. Im Anschluss daran sprach Hitler zu seinem Volk, wobei er immer wieder von Beifall unterbrochen wurde. Diese Beifallsstürme verstärkten in Hitler das Gefühl von Macht und Größenwahn.

Die Gestaltung des Festplatzes hatte der von Joseph Goebbels beauftragte Architekt Albert Speer, Hitlers Lieblingsarchitekt, übernommen. Die untere, kleine Tribüne - Pyramide genannt - hatte einen deutlichen Abstand zu den jubelnden Menschenmassen. Die Pyramide wurde von riesigen, versetzt angeordneten Fahnentüchern eingerahmt. Vor der oberen Tribüne stand der große "Altartisch" mit den Erntegaben und der Hakenkreuzfahne. Die Dekoration der beiden Tribünen war bewusst ganz einfach, bäuerlich gehalten. Zudem wurden neue Straßen und Parkplätze zum Bückeberg geschaffen. Einige der Straßen stehen heute unter Denkmalschutz.

Die technische Planung wurde ebenfalls sorgfältig ausgeführt. Insgesamt gab es 76 Lautsprecher und der "Führerweg" war seit 1936 mit Mikrofonen ausgestattet. Damit die propagandistische Botschaft des Großereignisses auch jeden "Volksgenossen" erreichte, gab es mehrere Podien für Fernsehteams und Aufnahmestudios, sogar von Zeppelinen aus wurde gefilmt.

Hitler redete etwa eine halbe Stunde. Die Ansprache war der absolute Höhepunkt des Festes und wurde entsprechend von grenzenlosem Jubel begleitet. Die Rede war simpel, damit sie auch von allen Menschen verstanden werden konnte. Durch Hitlers geschickt eingesetzte Rhetorik verfügte sie über eine gewisse Spannung. Seine Ansprache endete in einem jubelnden "Sieg Heil !" und dem mit Inbrunst gesungenen Deutschland- und Horst-Wessel-Lied.

Im Jahr 1933 wurde von der bewegten Volkseinheit (das Fest hatte sein Ziel nicht verfehlt) zusätzlich noch ein christliches Lied gesungen. Das erste Bückeberger Reichserntedankfest endete in den Abendstunden mit einem Brillant-Feuerwerk. Wegen der Dunkelheit entstand jedoch ein Chaos bei der Abreise. Die Menschen irrten hilflos in der Gegend umher - ein gravierender Planungsfehler in der sonst so perfekten Propagandainszenierung. Deshalb wurden darauf hin die weiteren Feste in die Mittagszeit verlegt.

Hitler war damit zunächst gar nicht einverstanden, denn dadurch entfiel die Möglichkeit, ihn im Dunkeln durch Scheinwerfer anzustrahlen und ihn so "ins rechte Licht zu rücken". Doch auch der Führer sah die Notwendigkeit ein, das Erntedankfest bei Tageslicht enden zu lassen, damit die Menschen ihre Bahnhöfe finden und die Abreise wie geplant erfolgen konnte.

Für die Anreise waren bis zu 215 Sonderzüge eingesetzt worden, die, mit mindestens 1000 Menschen pro Zug besetzt, dem Hamelner Bahnhof entgegenrollten. Aus ganz Deutschland kamen Hitlers Anhänger, wobei einige eine Fahrtzeit von 30 Stunden in Kauf nahmen, um an diesem Massenschauspiel teilzunehmen.

Schon die Anreise war Bestandteil des Festes: Auch hier sollten das Gemeinschaftsgefühl und die Zusammengehörigkeit gefördert und gestärkt werden. Die Züge hielten im Zwei-Minuten-Takt an den einzelnen Bahnhöfen. Das erforderte ein bis ins kleinste geplantes Konzept, ohne das eine schnelle Abfertigung nicht funktioniert hätte. Viele Menschen mussten die letzten Kilometer zu Fuß gehen, um zu ihren Sammel- und Warteplätzen zu gelangen. Dort wurden sie begrüßt und erhielten weitere Anweisungen. Aber auch lange Fußmärsche und stundenlanges Warten konnten die Menschen nicht davon abhalten, weiterhin an den Reichserntedankfesten teilzunehmen.

Schon auf dem Bahnhofsvorplatz in Hameln wurden die Festteilnehmer mit einer riesigen Erntekrone und den Worten: "Der deutsche Bauer - Deutschlands Stärke" empfangen. Solche und ähnliche Losungen waren in der gesamten Stadt zu lesen. Hameln hatte damals gerade 28 000 Einwohner - nur gut zwei Prozent der späteren Besuchermassen. Oberbürgermeister Schmidt und Kreisleiter Ahlswede vermittelten den Bürgern die große Ehre, dass der Führer auf dem Weg zum Bückeberg durch Hamelner Straßen fuhr. Zitat: "Zum Empfang muss ein nie da gewesener Schmuck die Häuser der Stadt zieren."

Und so geschah es auch - mit 1000 Wagenladungen Grün, das die Stadt Hameln kostenlos zur Verfügung stellte, schmückten die Hamelner Bürger ihre Häuser. Mitglieder der Religionsgemeinschaft der "Zeugen Jehovas" wurden verhaftet, weil sie sich weigerten, ihre Häuser zu schmücken. Obwohl der Oberbürgermeister den jüdischen Ladenbesitzern erlaubte, ihre Geschäfte während des Erntedankfestes zu öffnen, hielten viele Juden ihre Läden geschlossen. Für die anderen Geschäfte gab es verlängerte Öffnungszeiten. Schon Hitlers Ankunft ließ die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen. Während er in einem offenen Auto durch die Hamelner Innenstadt fuhr, waren die Straßen von jubelnden "Volksgenossen" gefüllt, die Fensterplätze waren alle besetzt, um "den Führer" zu sehen. Glockengeläut begleitete den Autokonvoi durch die Straßen. Auf dem Festplatz wurden ständig Lautsprechermitteilungen über Adolf Hitlers Eintreffen durchgegeben. Der Jubel der Festteilnehmer war unglaublich. Hitler zögert seine Ankunft hinaus, so dass er die Begeisterung der Menge voll auskosten konnte. Von 1936 an wurden die Menschen jedoch um diese großartige Anreise gebracht, weil Hitler einen Sonderzug benutzte.

Wie die immer weiter steigenden Zahlen der Menschenmassen bezeugen, waren alle Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg große Erfolge. Das erste Fest 1933 hatte lediglich 500 000 Besucher. Doch die Freude und die Begeisterung, die alle Menschen beim ersten Fest gezeigt hatten, verbreitete sich so rasant, dass beim fünften Fest - bei dem die zentralen Elemente der Massenveranstaltung erhalten blieben - 1,3 Millionen Besucher anwesend waren.

Trotz dieses unglaublichen Erfolges musste das umjubelte Fest im Folgejahr 1938 kurzfristig abgesagt werden. Der Grund: Die Sonderzüge, die die Festteilnehmer zum Bückeberg bringen sollten, wurden benötigt, um Soldaten in Richtung tschechoslowakische Grenze zu transportieren. Damit war das Ziel des Festes aufgedeckt: Kriegspropaganda. Bald sollten auch die auf den vergangenen Feiern bejubelten Militärübungen in schrecklicher Weise Realität werden.

Das letzte große Hamelner Erntedankfest wurde 1941 mit 10 000 Teilnehmern nicht mehr auf am Bückeberg, sondern in einer Industriehalle gefeiert - auch die war zu Zwecken der Kriegsproduktion gebaut worden.

Auf dem Bückeberg bei Hameln stiegen also zwischen 1933 und 1937 für den Nationalsozialismus wichtige Propagandaveranstaltungen. Doch in der heutigen Zeit wissen nur sehr wenige Menschen über die großen Aktionen Hitlers Bescheid, die sich in ihrer unmittelbarer Nähe abspielten. Erst seit einigen Jahren versucht der lokale Geschichtsforscher Bernhard Gelderblom mit viel Engagement, Licht in ein dunkles Kapitel der Heimatgeschichte von Hameln und Umgebung zu bringen.

Am Bückeberg, dem Ort der größten Massenveranstaltungen des Nationalsozialismus, erinnert immer noch nichts an diese unselige Vergangenheit. Nicht einmal eine Gedenktafel ist hier aufgestellt worden. Ob aus Angst, es könnte hier eine Wallfahrtsstätte für unverbesserliche Neonazis entstehen, oder aus Scham wegen der unrühmlichen Vergangenheit, das mag ein jeder für sich entscheiden.

Katharina Engel, Stefanie Germer, Franziska Kunze, Véronique Kursch und Kira Neubert (Schülerinnen der Klasse 10c des Victoria-Luise-Gymnasiums in Hameln im Rahmen des Projektes "Zeitung in der Schule")

in: Frankfurter Rundschau, 28.02.2001

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