Fortschritt mit Schönheitsfehlern

Grundordnungsänderung der Badischen Kirche vom 26. April 2001

von Hans Maaß

Die gute Nachricht zuerst

Die jahrelangen Bemühungen des "Studienkreises Kirche und Israel", eine grundsätzliche Aussage über das Verhältnis der Kirche zum Volk Israel in die Grundordnung aufzunehmen, hatte endlich Erfolg. Bisher war lediglich in Artikel 69 eine Zielvorstellung enthalten: "Die Landeskirche mit ihren Kirchenbezirken und Gemeinden bemüht sich um die Begegnung mit der Judenheit." Dies war damals ein zukunftsweisender erster Schritt, aber eben nicht mehr; denn es fehlte jegliche Begründung. Warum sollte sie sich darum bemühen? Hatte dies mit der beschämenden Geschichte des deutschen Volkes zu tun und mit der wenig ruhmreichen Rolle der Evangelischen Kirche angesichts der staatlich organisierten Judenverfolgung? Oder hatte es etwas mit dem Wesen der Kirche zu tun, wenn sie nicht die Verbindung zu ihrer Wurzel kappen wollte? Dies blieb in der bisherigen Fassung der Grundordnung der Phantasie der Lesenden überlassen.

Nach jahrelangen Bemühungen des Studienkreises Kirche und Israel, schon bei der letzten GO-Änderung einen Passus über das grundsätzliche Verhältnis der Kirche zum Volk Israel aufzunehmen, ist nun endlich ein entsprechender Satz in der GO enthalten. Verschiedene Platzierungen waren erörtert worden. Auch die Aufnahme in die Präambel wurde erwogen. Dies hätte allerdings einen zu langwierigen Prozess der Verständigung bedeutet. Statt dessen bot sich eine Erweiterung des § 2 an, in dem die Landeskirche ihr Verhältnis zu anderen Glaubensgemeinschaften regelt.

In einem neuen Absatz 3 wird u. a. über ein Wesensmerkmal der (Landes)-kirche festgestellt: "Sie lebt aus der Verheißung, die zuerst an Israel ergangen ist, und bezeugt Gottes bleibende Erwählung Israels." Damit ist klargestellt, die Verheißungen und Hoffnungen des christlichen Glaubens sind keine anderen als die des jüdischen Volkes, sie überbieten diese nicht, sind ihnen gegenüber sogar sekundär; denn sie sind "zuerst an Israel ergangen".

Noch eine weitere wichtige Klarstellung nimmt dieser Absatz vor: "Sie beugt sich unter die Schuld der Christenheit am Leiden des jüdischen Volkes und verurteilt alle Formen der Judenfeindlichkeit." Die Aufnahme dieser Aussage in die Grundordnung stellt eine Steigerung gegenüber ähnlichen Formulierungen in kirchlichen Synodalerklärungen und damit einen hochrangigen Verfassungsauftrag dar. Allen Abmilderungs- und Relativierungsversuchen christlichen, schuldhaften Fehlverhaltens gegenüber Juden wird jetzt von der GO widersprochen. Auf der anderen Seite bleibt es eine ständige Aufgabe sich darüber ernsthaft Gedanken zu machen, was als eine der "Formen der Judenfeindlichkeit" zu gelten hat. Davon werden hoffentlich auch neue Impulse für die Diskussion um Judenmission ausgehen, die seit dem Vortrag Eberhard Jüngels auf der Leipziger EKD-Synode 1999 in ein diffuses Licht geraten ist, indem sie verharmlost statt mit der nötigen Klarheit geführt wird.

Auch § 69 hat eine seit langem gewünschte Präzisierung erhalten, indem der unveränderte Eingangssatz jetzt ergänzt wurde: "Die Landeskirche ist darauf bedacht, in Gottesdienst und Unterricht, Lehre und Leben ihr erneuertes Verständnis des Volkes Israel als Gottes Volk wach zu halten." Damit ist für Konkretion gesorgt. Künftig kann sich niemand mehr in Predigten oder im Religions- und Konfirmandenunterricht alter, judenfeindlicher Denkmuster und Redensarten bedienen, ohne damit gegen die Grundordnung zu verstoßen. Aber auch die Lehre der Kirche ist herausgefordert. So ist u. a. unsere protestantische Zentrallehre von der Rechtfertigung des Sünders durch Gottes Gnade "ohne Werke des Gesetzes" so zu formulieren, dass dadurch nicht ungewollt eine Abwertung des Judentums entsteht.

Nichts ist vollkommen

Diese allgemeine Erkenntnis gilt vor allem im Blick auf den Diskussions- und Verständigungsprozess zwischen Synode und Studienkreis Kirche und Israel. Er lief im Vorfeld hervorragend. Immer wieder hatte der Studienkreis Gelegenheit, zu den vorliegenden Entwürfen Stellung zu nehmen. Schließlich war der Landeskirchliche Beauftragte für christlich-jüdische Fragen als Vertreter des Studienkreises in den Haupt- und Bildungsausschuss der Landessynode eingeladen worden; dort wurde eine Formulierung für § 2 (3) gefunden, die nicht nur die Mitglieder dieser beiden Ausschüsse überzeugte, sondern dem Anliegen des Studienkreises voll entsprach.

Mittlerweile war allerdings eine Stellungnahme der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg eingegangen, und zwar zu einem wesentlichen früheren Entwurf, der noch eine Erweiterung der Präambel vorsah. Darauf bezog sich eine Reihe von durchaus berechtigten Einwänden, die allerdings nicht mehr den neuesten Stand der Diskussion betrafen. Der Studienkreis Kirche und Israel erhielt die Gelegenheit, zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen; der Landeskirchliche Beauftragte für christlich-jüdische Fragen wies im Auftrag des Studienkreises in einem Brief an den Rechtsreferenten der Landeskirche darauf hin und machte einige vermittelnde Formulierungsvorschläge. Dieser leitete den Brief an die Synodalpräsidentin weiter, die den Eingang auch bestätigte. Damit riss allerdings die Verbindung ab. Ohne dass der Studienkreis oder der Landeskirchliche Beauftragte darüber informiert worden wäre, lag der Synode plötzlich eine neue Formulierung vor, die dann auch mit geringen Änderungen angenommen wurde. Hatte man den Studienkreis in dieser Phase umgangen, um keine weiteren Sachgespräche mehr führen zu müssen? So bleibt der bittere Nachgeschmack, dass ausgerechnet in der entscheidenden Phase diejenigen Fachleute der Landeskirche, die über die größte theologische Kompetenz verfügen, übergangen wurden.

In ihren Ausführungen vor dem Plenum der Synode machte die Berichterstatterin deutlich, dass man nicht unkritisch allen Anregungen der Fakultät gefolgt war. So teilte man sich zwar nicht die Auffassung des Studienkreises, von "Mitschuld" zu reden, stelle eine Verniedlichung dar, blieb aber trotzdem bei dem eindeutigeren Begriff "Schuld der Christenheit", um möglichen Missverständnissen vorzubeugen.

Umstritten war noch während der Synodaltagung, ob in der grundlegenden Verhältnisbestimmung von Kirche und Israel die auch vom Studienkreis getragene Formulierung des Bildungsausschusses, "sie lebt aus den jüdischen Wurzeln ihres Glaubens", oder die Formulierung des "Hauptantrages", "sie lebt aus der Verheißung, die zuerst an Israel ergangen ist", in die GO aufgenommen werden sollte. Schließlich trug letztere den Sieg davon. Sie ist allerdings wie alle Kompromiss- und Konsensformeln der Interpretation fähig und bedürftig und wird daher mehr für Diskussionen als für Klärung sorgen.

Die Diskussion geht weiter

Wenig weiterführend wird es sein, darüber zu diskutieren, warum man die Formulierung "aus den jüdischen Wurzeln" leben, zugunsten von "aus der Verheißung, die zuerst an Israel ergangen ist", verwarf. Wollte die Mehrheit der Synodalen nicht so eindeutig auf "jüdische Wurzeln" angesprochen werden? Oder nahmen die Worte der Berichterstatterin, "Die Kirche lebt aus der Verheißung Gottes im Evangelium von Jesus Christus", für sich ein? Hier eine eindeutige Bewertung vorzunehmen, wäre Kaffeesatzleserei.

Diskutiert werden muss allerdings darüber, warum man nicht formulierte, "aus den Verheißungen, die zuerst an Israel ergangen sind"? An Israel sind doch viele Verheißungen ergangen. Wieso wird reduzierend im Singular gesprochen? Biblisch gesehen, ist dies falsch.

In diesem Zusammenhang lässt auch die Formulierung der Berichterstatterin aufhorchen, die in dem bereits zitierten Satz die "Verheißung Gottes im Evangelium von Jesus Christus" erläutert, "diese ist Teil der zuerst an Israel ergangenen Verheißung." Schlägt hier nicht die uralte Vorstellung vom christologischen Verständnis des Alten Testaments und der Erfüllung der Verheißungen in Christus durch? Das allerdings wäre kein Ausdruck für "ihr erneuertes Verständnis des Volkes Israel" (§ 69).

Die Formulierung "zuerst an Israel ergangen" ist ebenfalls nicht eindeutig. Sie kann die Ersterwählung Israels im Sinne eines bleibenden Vorrangs gegenüber den Gläubigen aus den Völkern bezeichnen, wie es Paulus in Röm 9 - 11 darlegt. Sie kann aber auch im lukanischen Sinne als Vorwurf an Israel und Argument für dessen Verwerfung verstanden werden. Dies ist nicht die Absicht der GO-Formulierung. Umso mehr muss aber darauf geachtet werden, dass sich nicht unter der Hand dieses Missverständnis einnistet. Theologisch zweideutig ist der einleitende Satz: "Die Landeskirche will im Glauben an Jesus Christus und im Gehorsam ihm gegenüber festhalten, was sie mit der Judenheit verbindet." Mit einem Totschlagargument begründete ihn die Berichterstatterin: "Wichtig war allen Mitgliedern der Ausschüsse, dass alle Aussagen der Landeskirche im Glauben an Christus und im Gehorsam ihm gegenüber geschehen. Christus ist und bleibt der Herr unserer Kirche."

Allerdings ist damit keine Klarstellung erfolgt, sondern eher eine Vernebelung. Es entstehen dieselben Fragen wie bei der Barmer Theologischen Erklärung, die im ersten Artikel von "Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird", spricht. Die Heilige Schrift bezeugt den Juden Jesus, "von einer Frau geboren und unter das Gesetz getan" (Gal 4,4). Ist dieser Jude Jesus gemeint, durch den wir Zugang zu den Verheißungen an Israel haben, oder ein vom Judentum gelöster Christus, der das Judentum überwunden hat, wie es die Kirche jahrhundertelang lehrte?

Eine kleine Bemerkung zum Schluss: Die Neuformulierung des § 69 wurde hier korrekt, aber nicht wörtlich zitiert. Wie das? Ist nicht die wörtliche Zitierung die korrekte? In diesem Falle nicht! Denn im Gesetzes- und Verordnungsblatt ist vom erneuerten "Verständnis des Volkes Israels" die Rede. Korrekt müsste es heißen: des Volkes Israel. Ich habe auf diesen Fehler die Geschäftsstelle der Landessynode vor der Drucklegung des GVBl hingewiesen. Er wurde nicht korrigiert. Sollte das Protokoll der Landessynode diesen Schreibfehler enthalten? War er schon in der Vorlage an die Synode erhalten? Handelt es sich am Ende gar nicht um einen Schreibfehler, sondern um ein Beispiel sachlicher Unkenntnis? Da kann man nur mit dem Apostel Paulus sagen: Mè génoito! Das sei ferne.

Fazit:

Die Änderung der §§ 2 und 69 der Grundordnung stellt einen wichtigen Schritt auf dem durch die Synodalerklärungen von 1984 und 1988 eingeschlagenen Weg dar. Sie bietet hoffentlich Anlass und Stoff genug, "der Begegnung mit der Judenheit" durch gründliche Beschäftigung mit ihren Aussagen in der "Landeskirche mit ihren Kirchenbezirken und Gemeinden" inhaltliche Gestalt zu verleihen und sachliche Auseinandersetzungen in Gang zu setzen. Denn unser "erneuertes Verständnis des Volkes Israel als Gottes Volk" kann nicht darin zum Ausdruck kommen, dass wir die Beschäftigung mit dem Gottesvolk und seiner Bedeutung für uns Christen als abgeschlossen zu den Akten legen, sondern dass wir bereit sind, ständig zu lernen. Um es mit einer Einsicht aus den jüdischen "Sprüchen der Väter" zu sagen: dass man immer wieder "hört und weiter fragt" (Avot VI,6). aus: Rundbrief Nr. 60/August 2001 des Freundeskreises Kirche und Israel in Baden e.V.

Hier die Ergänzung bzw. Änderung:

§ 2, neuer Absatz 3:
Die Landeskirche will im Glauben an Jesus Christus und ihm Gehorsam ihm gegenüber festhalten, was sie mit der Judenheit verbindet. Sie lebt aus der Verheißung, die zuerst an Israel ergangen ist, und bezeugt Gottes bleibende Erählung Israels. Sie beugt sich unter die Schuld der Christenheit am Leiden des jüdischen Volkes und verurteilt alle Formen der Judenfeindlichkeit.

§ 69, neuer zweiter Satz:
Die Landeskirche mit ihren Kirchenbezirken und Gemeinden bemüht sich um die Begegnung mit der Judenheit. Die Landeskirche ist darauf bedacht, in Gottesdienst und Unterricht, Lehre und Leben ihr erneuertes Verständnis des Volkes Israel als Gottes Volk wachzuhalten

Andere Landeskirchen haben ihr Verhältnis zum Judentum seit 1980 in vielfältiger Weise neu bestimmt. Eine Übersicht finden Sie hier

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