"Der Kampf um Frieden darf jetzt nicht aufhören"

Die Bürgerbewegung Gush Shalom entwirft ein Abkommen zwischen Israel und der PLO Der Eskalation der Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt hat die israelische Bürgerbewegung Gush Schalom unter der Federführung des Publizisten und Friedensaktivisten Uri Avnery den Entwurf eines Friedensabkommens zwischen Israel und der PLO entgegengesetzt. Wir dokumentieren eine Übersetzung von Ernst Herbst und Fanny-Michaela Reisin. Das Original ist am 10. August in der Zeitung Ha'aretz erschie- nen und im Internet unter der Adresse www.gush-shalom.org abrufbar. Dazu dokumentieren wir je leicht gekürzt eine Analyse zur Führungsstruktur der PLO von Mahdi Abdul Hadi und einen Text zu den Einstellungen der Israelis zum Friedensprozess von Ephraim Yuchtman-Yaar. Beide Beiträge sind entnommen dem August-Heft der Zeitschrift Internationale Politik, W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld.

I. Einführung

"Weniger denn je darf der Kampf um den Frieden jetzt aufhören. Die folgende Prinzipien-Erklärung ist ein Vorschlag für eine Diskussion zwischen Israelis und Palästinensern. Sie sollte nicht als ein Alles-oder-Nichts-Angebot verstanden werden. Wir haben uns bei der Erarbeitung unseres Vorschlags bewusst auf Details eingelassen. Damit wollen wir unsere Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass es für alle aktuellen Probleme - alle Bestandteile des Konflikts - eine Lösung gibt. Nicht durch Diktate, nicht vom Herr-im-Hause-Standpunkt aus, sondern in Verhandlungen zwischen Gleichen. Die Regierung und die Armeeführung führen uns in eine Hölle von Blut und Feuer. Wie rufen alle Kräfte auf, die in Israel eine Friedenslösung suchen, sich im Interesse einer Zukunft der beiden Völker im Lande, der jüdischen Israelis und der arabischen Palästinenser, zu einigen. Das Land hat uns als Zwillinge geboren." II. Friedensabkommen (Entwurf)

Zwischen dem Staat Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), der Vertretung des Palästinensischen Volks:

In Erwägung, dass beide Seiten wünschen, den historischen Konflikt zwischen ihnen zu beenden, Frieden zu schließen und eine historische Versöhnung der beiden Nationen einzuleiten;

in Erwägung, dass beide Seiten einen Frieden auf der Basis der Grundsätze der Selbstbestimmung, der gegenseitigen Achtung, der Gerechtigkeit und Gleichheit wünschen; in Erwägung, dass beide Seiten das Prinzip "Zwei Staaten für zwei Nationen" anerkennen; in Erwägung, dass beide Seiten die UN-Resolutionen 242, 338 und 194 als Grundlage für eine Lösung anerkennen und die Umsetzung des vorliegenden Vertrags als volle Verwirklichung dieser Resolutionen ansehen, vereinbaren beide Seiten: Abschnitt 1: Ende der Besatzung

Binnen eines Jahres wird die israelische Besatzung beendet und werden alle mit ihr geschaffenen Institutionen, Strukturen und Funktionen in der Westbank, im Gaza-Streifen sowie im arabischen Ost-Jerusalem abgebaut sein.

Abschnitt 2: Der Staat Palästina

Binnen eines Jahres wird der unabhängige und souveräne Staat Palästina in der Westbank und im Gaza-Streifen, einschließlich des arabischen Ost-Jerusalem, dem an Palästina grenzenden Teil des Toten Meers und der Territorialgewässer des Gaza-Streifens gegründet.

Abschnitt 3: Grenzen

Die Grenzen zwischen dem Staat Israel und dem Staat Palästina werden - vorbehaltlich anderer Vereinbarungen im vorliegenden Vertrag - markiert durch die Waffenstillstandslinie, wie sie am 4. Juni 1967 bestand (im Folgenden: die Grüne Linie). Der Staat Palästina wird die vollständige souveräne Kontrolle über alle seine Grenzen zu Lande, zur See und in der Luft ausüben.

Beide Seiten wünschen offene Grenzen zwischen ihren Staaten und streben ein Rahmenwerk von Regelungen für grenzüberschreitende Wirtschafts- und Handelsbeziehungen an, die den freizügigen Personen- und Güterverkehr zwischen beiden Staaten nicht beschränken.

Abschnitt 4: Jerusalem

Beide Seiten erkennen die Einzigartigkeit der Stadt Jerusalem an und erklären ihren Willen, sie als urbane Einheit zu bewahren, die für jedermann offen ist. Die arabischen Bezirke, entsprechend der beigefügten Karte, werden ein integraler Bestandteil des Staats Palästina sein und seine Hauptstadt bilden. Diese Bezirke werden bruchlos ineinander übergehen und als zusammenhängende territoriale Einheit zum Staat Palästina gehören.

Die jüdischen Bezirke, entsprechend der beigefügten Karte, werden ein integraler Bestandteil des Staats Israel sein und seine Hauptstadt bilden. Diese Bezirke werden bruchlos ineinander übergehen und als zusammenhängende territoriale Einheit zum Staat Israel gehören.

Das Jüdische Viertel der Altstadt wird Bestandteil des Staates Israel sein und seinem Territorium angegliedert werden. Die Muslimischen, Christlichen und Armenischen Viertel der Altstadt werden Bestandteil des Staats Palästina sein und seinem Territorium angegliedert werden.

Es wird keine Beschränkungen oder Behinderungen des freizügigen Verkehrs zwischen den beiden Teilen der Stadt geben. Beide Seiten werden - sofern sie es beschließen - Kontrollstellen (checkpoints) an den Ein- und Ausgängen der Stadt errichten. Die Verwaltung des palästinensischen Jerusalem und die Verwaltung des israelischen Jerusalem werden einen gemeinsamen Stadtrat einrichten, der auf gleichberechtigter Basis für gemeinsame öffentliche Aufgaben und Dienstleistungen zuständig sein wird. Der Rat wird geleitet von dem/der Ratsvorsitzenden und dessen/deren Vertretung, einer/eine von beiden Israeli, der/die andere Palästinenser/in. Sie werden alle zwei Jahre ihre Position wechseln. Die erste Aufgabenteilung wird durch Los entschieden.

Abschnitt 5: Heilige Stätten

Beide Seiten erkennen die Einzigartigkeit der heiligen Stätten und ihre große Bedeutung für Gläubige der drei monotheistischen Religionen an. Das Gebiet des Haram al-Sharif (Tempelberg) wird zum Staat Palästina gehören. Die Westmauer (der Teil, der auch "Klagemauer" genannt wird) wird zum Staat Israel gehören.

Alle archäologischen und sonstigen Ausgrabungen auf dem Gebiet des Haram al-Sharif (Tempelberg), der Westmauer oder in ihrer unmittelbaren Umgebung werden in beiderseitigem Einvernehmen vorgenommen.

Abschnitt 6: Gebietsaustausch

Ein Gebietsaustausch kann mit Zustimmung beider Seiten erfolgen.

Abschnitt 7: Exterritoriale Verkehrswege

Zwischen der Westbank und dem Gaza-Streifen wird eine Schnellstraße gebaut, die zum Staat Palästina gehören wird. Die Schnellstraße wird nirgends mit dem israelischen Straßennetz verbunden sein und wird es entweder über- oder unterqueren.

Abschnitt 8: Sicherheit

Beide Seiten haben ein Recht auf nationale und persönliche Sicherheit. Beide Seiten verzichten auf den Einsatz von Gewalt und die Drohung mit Gewalt gegeneinander. Beide Seiten übernehmen in ihrem Hoheitsgebiet die Bekämpfung des Terrorismus und terroristischer Initiativen, die gegen den anderen Staat, gegen seine Einwohner oder Institutionen gerichtet sind.

Beide Seiten verpflichten sich, den Einmarsch fremder Streitkräfte in ihre Hoheitsgebiete zu verhindern. Jede Verletzung von Vereinbarungen in diesem Abschnitt durch einen der beiden Staaten berechtigt den anderen Staat, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Selbstverteidigung erforderlich sind.

Der Staat Palästina erklärt sich bereit, für die nächsten 25 Jahre davon abzusehen, sich mit schweren Angriffswaffen auszurüsten. Diese Verpflichtung entfällt, wenn ein Friedensvertrag zwischen Israel und den arabischen Staaten unterzeichnet wird. Beide Seiten werden Vereinbarungen über die Nutzung des Luftraums des jeweils anderen Staats treffen.

Abschnitt 9: Die Siedlungen

Die Bewohner der Siedlungen auf dem Territorium des künftigen Staats Palästina werden vor Ablauf der israelischen Besatzung evakuiert werden.

Die Siedlungen werden in intaktem Zustand den palästinensischen Behörden übergeben, ohne dass Häuser und andere Immobilien beschädigt werden. Das Eigentum, das von den Siedlern geräumt werden wird, wird als Teil des israelischen Beitrags zur Entschädigung palästinensischer Flüchtlinge angesehen (wie in Abschnitt 11 weiter ausgeführt).

Abschnitt 10: Wasser

Die Wasserressourcen des gesamten Landes zwischen dem Jordanfluss und dem Mittelmeer gehören beiden Seiten.

Es wird ein Hohes Israelisch-Palästinensisches Komitee berufen werden, das für die Wasserressourcen und -verteilung zuständig sein wird. Das Wasser wird gerecht und gleich, proportional zur Einwohnerzahl der beiden Staaten, zugeteilt. Beide Seiten werden in Projekten zur Erschließung zusätzlicher Wasserressourcen, wie der Entsalzung von Meerwasser, zusammenarbeiten.

Abschnitt 11: Flüchtlinge

Beide Seiten sind sich einig, dass die menschliche Tragödie der Palästinenser durch eine moralische, gerechte, praktikable und abgestimmte Lösung beendet werden muss, die den Charakter und die lebenswichtigen Interessen beider Staaten berücksichtigt.

Israel erkennt seine Hauptverantwortung als Verursacher dieser Tragödie während der Kriege 1948 und 1967 an. Beide Seiten werden eine "Wahrheitskommission" aus israelischen, palästinensischen und internationalen Historikern einberufen, die die genauen Ursachen, die zur Entstehung des Problems in all seinen Ausprägungen geführt haben, prüfen und binnen drei Jahren eine objektiven Abschlussbericht veröffentlichen wird. Dieser Bericht wird in die Schulbücher beider Staaten aufgenommen.

Israel anerkennt das Rückkehrrecht als ein grundlegendes Menschenrecht.

Gemäß diesem Recht hat jeder Flüchtling die Wahl, sich für Entschädigung und dauerhaften Verbleib in einem anderen Land, oder für Rückkehr in den Staat Palästina oder in den Staat Israel gemäß der folgenden Prinzipien zu entscheiden:

(1) Um die historischen Wunden zu heilen und als Akt der Gerechtigkeit wird Israel die Rückkehr einer bestimmten, vertraglich festzulegenden Anzahl von Flüchtlingen auf sein Territorium gestatten. Die Rückkehr wird in einer angemessenen jährlichen Quote binnen einer Frist von nicht mehr als 10 Jahren bewilligt.

(2) Jeder Flüchtling erhält eine großzügige Entschädigung für sein Eigentum, das in Israel verblieben ist, für den Verlust von Chancen usw. Die Entschädigung wird aus einem internationalen Fonds erteilt. Israel wird einen angemessenen Anteil zu diesem Fonds beitragen und dabei den Wert des in Israel verbliebenen palästinensischen Eigentums in Rechnung stellen.

(3) Israel wird seinen Einfluss auf den internationalen Fonds nutzen, um den palästinensischen Staat zu befähigen, sowohl den Flüchtlingen, die nach Palästina zurückkehren wollen, als auch jenen, die gegenwärtig in der Westbank und im Gaza-Streifen ansässig sind, angemessene Wohnungen und Arbeitsstellen anzubieten.

Abschnitt 12: Umsetzung der UN-Resolutionen

Nach der vollen Umsetzung der Abschnitte 1 bis 9 werden beide Seiten dem UN-Sicherheitsrat formell eine gemeinsame Erklärung vorlegen, in der beide versichern, dass sie die Resolutionen 242 und 338 als vollständig verwirklicht ansehen. Nach der vollständigen Umsetzung von Abschnitt 11 werden beide Seiten der UNO eine Erklärung abgeben, dass die Resolution 194 verwirklicht ist.

Abschnitt 13: Meinungs-Dissens

Ein einvernehmlich einberufenes internationales Komitee soll die Umsetzung dieses Vertrages überwachen und im Falle von Meinungsverschiedenheiten als Schlichter angerufen werden.

Abschnitt 14: Ende des Konflikts

Die volle Umsetzung dieses Vertrags wird dem Konflikt zwischen Israel und Palästina ein Ende setzen.

Frankfurter Rundschau, 15.08.2001

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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