Die Ingenieure des Holocaust

"Topf & Söhne": Die Geschichte eines Erfurter Unternehmens wird aufgearbeitet

von Thomas Bickelhaupt

"Unsere Chancen sind gestiegen", sagt Frank Hiddemann von der Evangelischen Akademie Thüringen mit vorsichtigem Optimismus. Nach einer einjährigen Veranstaltungsreihe mit Historikern und Kulturwissenschaftlern über den Erfurter Krematoriumshersteller "J. A. Topf & Söhne" ist er optimistisch, dass die Industriebrache unweit des Hauptbahnhofs eine Zukunft als "Erinnerungsort" für Naziverbrechen hat. Schließlich seien hier einst die "Ingenieure des Holocaust" tätig gewesen. Und für Julika Bürgin vom DGB-Bildungswerk in Thüringen steht fest: Fast nirgends in Deutschland lasse sich die Verstrickung in den Massenmord der Nazis so authentisch darstellen wie am Beispiel dieser Firma. Hiddemann und Bürgin gehören zu einer Gruppe von Gewerkschaftern, der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Europäischen Kulturzentrum Erfurt, die die brisante Geschichte nicht in Vergessenheit geraten lassen wollen.

Topf & Söhne lieferte den Nazis die Verbrennungsanlagen für ihre Konzentrationslager Buchenwald und Auschwitz. Als die amerikanischen Alliierten unter General George S. Patton am 15. April 1945 Buchenwald inspizierten, fanden sie in den Verbrennungsöfen des Krematoriums noch Überreste menschlicher Gebeine. Kurz nach der Befreiung des Lagers waren die Spuren des Grauens noch frisch. Zum Entsetzen über das Geschehen auf dem Ettersberg bei Weimar, wo zwischen 1937 und 1945 mehr als 50 000 der insgesamt etwa 240 000 Häftlinge starben, kam eine erste Bestandsaufnahme der Hinterlassenschaften der SS. Im Krematorium gehören dazu die beiden großen Verbrennungsöfen. Ein Schild an der Einäscherungsanlage für die zu Tode geschundenen KZ-Häftlinge benennt den Hersteller dieser so genannten Dreimuffelöfen: "Maschinenfabrik J. A. Topf & Söhne Erfurt". Später sollten die Alliierten solche Schilder auch an anderen Orten entdecken.

In Buchenwald ist das Krematorium mit den Verbrennungsöfen seit Eröffnung der KZ-Gedenkstätte 1958 Bestandteil des Besucherrundgangs. Millionen von Menschen haben seither auch die Firmenschilder gesehen. Doch zum öffentlichen Thema wurden das Thüringer Unternehmen und seine Verquickung mit dem Nationalsozialismus erst ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende. Dabei war der äußere Anlass eher privater Natur: Eine Erbin der Familie Topf aus Schleswig-Holstein verlangte im Sommer 1994 die Rückübertragung des einstigen Familieneigentums. Neben dem Firmengelände gehörten dazu auch ein Grundstück und eine Villa am Erfurter Stadtpark. Die Auseinandersetzungen im Stadtrat um das - letztlich ergebnislose -Ansinnen lösten erstmals in solcher Breite eine Diskussion um die Geschichte des Unternehmens aus, das in der DDR als "Volkseigener Betrieb" weitergeführt und 1990 privatisiert worden war.

Etwa gleichzeitig mit dem Konkurs des Unternehmens für Mälzerei- und Speicheranlagen erschien 1994 in Deutschland Jean-Claude Pressacs Dokumentation über "Die Krematorien von Auschwitz". Mit seiner grundlegenden Recherche zur Vernichtungspraxis der Nazis wurde der französische "Laienhistoriker" vom Zweifler am Holocaust zu einem seiner wichtigsten Chronisten. Wiederholt besuchte der 1944 geborene Apotheker das 1878 gegründete Unternehmen, das damals Feuerungsanlagen, Mälzereien und Brauereimaschinen produzierte.

Inzwischen haben Forschungen Pressacs Auffassung bestätigt, wonach Krematorien und Einäscherungsanlagen für J. A. Topf & Söhne nur etwa zwei bis drei Prozent des Gesamtumsatzes ausmachten. Gleichwohl ist unbestritten, dass die Erfurter Ingenieure, Techniker und Monteure für den Holocaust wichtige Vorarbeit geleistet haben. Die Krematorien standen außer in Buchenwald und Auschwitz auch in Dachau, Mauthausen, Gusen und Mogilev in der Ukraine. Dank ihrer technischen Perfektion ermöglichten sie die Verbrennung von bis zu 3000 Leichen am Tag. Für den Berliner Wirtschaftshistoriker Christian Gerlach steht darum fest: Das Beispiel Topf & Söhne verweist auf die noch immer mangelhaft erforschte Politik deutscher Unternehmen während des Krieges. Es geht dabei auch um die Frage, welcher Zusammenhang zwischen Wirtschaft und moralischer Verantwortung besteht.

Vor diesem Hintergrund bemüht sich die Erfurter Initiative seit mehreren Jahren um eine "bewusste Gestaltung" des Firmengeländes. Hier seien "unbescholtene Arbeiter" durch ihre tägliche Arbeit "plötzlich zu direkt Beteiligten am Holocaust" geworden, betont Julika Bürgin. Nach Kontroversen mit Stadt und Land, so Frank Hiddemann, habe der Freistaat nun durch einen Vertreter der Landesentwicklungsgesellschaft Bereitschaft signalisiert, die Vorhaben zu unterstützen. Teile des Firmengeländes sollen für künstlerische Projekte und eine Dokumentation genutzt werden. Einen engagierten Fürsprecher hat die Initiative nicht zuletzt in Hartmut Topf gefunden, einem entfernten Verwandten des früheren Eigentümers.

Publik-Forum 1/2001

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