Für Gott, Volk, Blut und Rasse

Der Berliner Pfarrer Karl Themel und sein Beitrag zur Judenverfolgung

von Manfred Gailus

Im November 1934 schreibt der 44-jährige Berliner Theologe Karl Themel, seit 1928 Pfarrer an der Luisenstadtgemeinde im Zentrum der Hauptstadt, einen Brief an den "Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern". Aus freien Stücken bietet der Geistliche der zukünftigen "Reichsstelle für Sippenforschung" seine Mitarbeit an: "Wie ich gehört habe, besteht die Absicht, das Kirchenbuchwesen in Berlin zu einer Sippenkanzlei zusammenzufassen. Nach Rücksprache mit dem Herrn Bevollmächtigten der Deutschen Evangelischen Kirche für das Kirchenbuchwesen, Konsistorialrat Riehm, möchte ich mich ihnen hierfür zur Verfügung stellen."

Themel berichtet von vielfachen Qualifikationen, die in dieser (1933 entstandenen) NS-Dienststelle im Innenministerium beeindrucken müssen. Seit seiner Jugend arbeite er auf dem Gebiet der Familienforschung und sei mit den Quellen der Sippenforschung, den Kirchenbüchern, gut vertraut. Nachdem er seine Leitungsposition bei der Inneren Mission aus kirchenpolitischen Gründen verloren habe, schreibt Themel weiter, "möchte ich gern meine Kraft dem Nationalsozialismus irgendwie ehrenamtlich anbieten und würde mit besonderer Freude auf meinem alten Arbeitsgebiet der Sippenforschung mithelfen". Des Weiteren verweist der Pfarrer auf seine NSDAP-Mitgliedschaft und seine Tätigkeit als Sturmmann bei der SA. Auch mit den "grundlegendsten Erkenntnissen" über "Erblehre und Rassenkunde" sei er vertraut.

Bis 1933 hatte der aus kleinen Verhältnissen stammende Themel eine beeindruckende Karriere durchlaufen: humanistisches Gymnasium in Potsdam, Theologiestudium (als prägende Lehrer nennt er Adolf Schlatter, Julius Kaftan und Adolf von Harnack), Berliner Domkandidatenstift, Ordination mit 24 Jahren, Feldgeistlicher 1914 bis 1918, seit 1923 in Berlin, bald darauf engagierter Sozialpfarrer in der Tradition Adolf Stoeckers, um 1930 kirchlicher Experte eines kämpferischen sozialen Protestantismus an vorderster Front gegen die "Gottlosenbewegungen" der Marxisten, Kommunisten, Freidenker. Noch vor 1933 schließt er sich der Hitlerbewegung an und beteiligt sich 1932 an der Gründung der "Glaubensbewegung Deutsche Christen" (DC), die einen völkischen Protestantismus in Anlehnung an die Weltanschauung der NSDAP propagiert. 1933 ist der ehrgeizige Themel begeistert und schwingt sich, gefördert durch den designierten DC-Reichsbischof Ludwig Müller, zur Reichsführerschaft auf: Präsident des Centralausschusses für die Innere Mission, dazu Reichsführer des Evangelischen Männerwerks. In seiner Hausgemeinde Luisenstadt, einer weithin nazifizierten Gemeinde, die er beherrscht, singt man das Horst-Wessel-Lied und feiert am 20. April den "Führergeburtstag". Themel ist christlicher Nationalsozialist, der sein ebenso religiöses wie politisches Credo in zahllosen Vorträgen, Predigten, Artikeln verkündet. In einem Rundfunkvortrag vom Februar 1934 bekennt er sich zum deutschen Menschen: "Der Satz ,Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat', bedeutet auch: ,Ich glaube, daß Gott Volk geschaffen hat.' [...] Wie der elektrische Strom alle Lampen an seiner Leitung aufglühen läßt, wie das Leben im Frühjahr durch den Baum alle Äste mit Laub und Blüte schmückt, so schafft Gott Leben und Geist im Menschen und durch Volk, Blut und Rasse." Wir Christen, schließt Themel, stünden unter der Forderung Gottes im Dienst seines Reiches, im Abwehrkampf gegen Sünde, Tod und Teufel. Gerade darum bekämpften wir die Mächte, die den Weg unseres Volkes aus Schmutz, Unreinheit und Entartung heraus verbauen wollten. "Kämpfer Gottes" fänden immer Gemeinschaft mit den "Kämpfern des Volkes".

Themels kirchenpolitischer Höhenflug erwies sich als nicht von langer Dauer. Als im Herbst 1934 der Versuch des Reichsbischofs scheiterte, alle 28 Landeskirchen auf den Kurs der Deutschen Christen zu bringen, kamen viele seiner engsten Mitstreiter wie Pfarrer Themel in Bedrängnis. Er verlor seine Führungspositionen bei der Inneren Mission und dem Evangelischen Männerwerk. Genau in dieser Situation erkannte der umtriebige, vielseitige kirchliche Multifunktionär eine neue Karrierechance auf einem ganz anderen Betätigungsfeld und bot der Reichsstelle für Sippenforschung (RfS) seine Mitarbeit an. Seit Beginn der NS-Rassenpolitik waren die Kirchenbücher plötzlich zu neuer Bedeutung gelangt. Ohne Auswertung dieser Register ließ sich der seit April 1933 geforderte "Ariernachweis" nicht erbringen, wie auch - komplementär hierzu - die Ausgrenzung der Christen jüdischer Herkunft, eine mehrere Hunderttausende umfassende Personengruppe, unmöglich blieb. Es waren die Kirchengemeinden, die Auskunft gaben.

Schon im November 1933 begannen Mitarbeiter der RfS, Berliner Kirchenbücher für ihre Zwecke zu kopieren. Themel erkannte die Gunst der Stunde: Als langjähriger Familienforscher mit dem Material gut vertraut, als christlicher Nationalsozialist vom Sinn dieser "Forschungen" innerlich überzeugt, bot er in einer von Karriereabbruch bedrohten Situation sein Methodenwissen staatlichen Stellen an. Ohne eine Legitimation kirchlicher Leitungsstellen abzuwarten, begann er, in Verbindung mit gleichgesinnten Parteigenossen in der Berliner Stadtsynode, eine kirchliche Zentralstelle für Kirchenbücher einzurichten. Dies geschah in verdeckter Absprache mit der RfS. Nach einem der vielen inoffiziellen Besuche kirchlicher Mitarbeiter bei der RfS hielt dort ein Referent fest: "Die Herren möchten in enger Fühlung mit der Reichsstelle vorgehen, legen auch, wie mir Pfarrer Themel telefonisch heute mitteilt, Wert darauf, die Bezeichnung Sippenkanzlei zu führen."

Es ging bei diesem kirchlichen Parallelunternehmen zu Staats- und Parteistellen nicht nur um eine Rationalisierung. Entscheidend war für Themel die "Verkartung" der Register in großem Stil - also rassistisch motivierte Sippenforschung in kirchlichem Raum. Zu diesem Zweck verfasste der Pfarrer 1936 ein Büchlein (Wie verkarte ich Kirchenbücher), das mit Geld der RfS publiziert wurde. Themel galt als Spezialist auf diesem Gebiet. Sein Ziel war, möglichst lückenlos zu rekonstruieren, wann und wo in Berlin "jüdisches Blut" in den "deutschen Volkskörper" eingedrungen sei und - nach der Terminologie der Zeit - bis zu welchem Ausmaß "blutsmäßiger Vermischung" und damit "fremdrassiger Unterwanderung" dies geführt habe.

Im Februar 1936 war die kirchlich organisierte, sippenkundliche Auswertung der Personenregister bereits in vollem Gang. Insgesamt, rechnete Themel, sei ein Bedarf von 2,5 Millionen Karteikarten erforderlich. Bisher seien 80 000 RM aus kirchlichen Mitteln bereitgestellt worden. Etwa 50 Helfer seien beschäftigt. Da es sich um eine Hilfsarbeit für den NS-Staat handele, betonte der Pfarrer, seien nur "politisch einwandfreie Leute" eingesetzt. "Fremdstämmige, Mischlinge und jüdisch Versippte kommen für diese Arbeit, die eine Vertrauensarbeit ist, nicht in Frage." In einer Anweisung vom April 1936 schärfte er seinen Mitarbeitern ein: "Für jede Judentaufe sind außer der gewöhnlichen Karteikarte 2 Doppel auszufüllen. (Eins für die Reichszentrale für Sippenforschung und eins für die Fremdstämmigen-Kartei für die Berliner Zentralstelle.) Bei Namensänderungen (z.B. der Jude Israel erhält in der Taufe den Familiennamen Leberecht) ist der christliche bezw. jüdische Name in dem Feld für Familiennamen in Klammern hinzuzufügen. [...] Bei Judentäuflingen sind auf der Rückseite des ersten Doppels die Paten zu vermerken. Diese Karten sind für die eigene Fremdstämmigen-Kartei bestimmt. Die 2. und 3. Karte sind in getrennten Briefen zu verpacken. Der Brief für die eigene Fremdstämmigen-Kartei trägt die Aufschrift: Fremdstämmige-K. Der Brief für die Reichsstelle für Sippenforschung die Aufschrift: Fremdstämmige-R. [...] Das gleiche gilt für alle Farbigen und Zigeuner. Türken gelten als Fremdstämmige. Als fremdstämmig ist auch der zu betrachten, dessen einer Elternteil fremdstämmig ist."

Gegen Jahresende 1936 waren die Arbeiten so weit gediehen, dass die Forschungsstelle unter dem harmlosen Namen "Kirchenbuchstelle Alt-Berlin" offiziell eröffnet werden konnte. Der Berliner Stadtsynodalverband lud zu einem Festakt am 12. Dezember im Gemeindesaal der St. Georgengemeinde (Bezirk Mitte). Tags darauf pries der Völkische Beobachter die neue Einrichtung: "In einer besonderen Abteilung sind alle Judentaufen von 1800 bis 1936, die in Berlin stattfanden, zusammengetragen. Hier werden täglich drei, vier Fälle einer nichtarischen Abstammung aufgedeckt."

Die neue Dienststelle war nach dem NS-Führerprinzip geordnet. Themel als Betriebsführer fungierte nebenamtlich; zum Stellvertreter hatte er den befreundeten Sippenforscher, Parteigenossen und SS-Mann Henry Baer berufen. Im Oktober 1937 waren in den Räumen nahe dem Alexanderplatz 29 Angestellte beschäftigt, die von der Kirche nach Tarif bezahlt wurden.

Das Aufspüren "nichtarischer" Vorfahren von evangelischen Christen galt den Verantwortlichen als das eigentliche Arbeitsziel. Sämtliche entdeckten "Fälle" wurden sorgfältig registriert und der RfS und anderen mit der NS-Rassenpolitik befassten Stellen zugeleitet. 1936 bat der Berliner Polizeipräsident in einer Anfrage, "mir zwecks Zusammenstellung einer Judenkartei für die Durchführung des Reichsbürgerrechts das dort angefallene Material über getaufte Juden zur Verfügung zu stellen". Themel erkundigte sich daraufhin bei der RfS, ob sie mit der Weitergabe seiner Forschungsergebnisse einverstanden wäre - ein Beleg dafür, wen er als seinen eigentlichen Vorgesetzten ansah. Kirchenbuchreferent Kayser (RfS) notierte am 16. Januar 1937, dass Themel auf Weisung des RfS-Leiters - SS-Obersturmführer Kurt Mayer - dem Wunsch des Polizeipräsidenten entsprochen habe.

Ein Jahr später erklärte Themel in einem Brief an den Archivar des Konsistoriums der Mark Brandenburg Otto Lerche: Zwar bestünde keine offizielle Vereinbarung mit der RfS über Weitergabe von rassenkundlich relevanten Erkenntnissen, jedoch habe sich aus der "Praxis der Arbeit" die Notwendigkeit ergeben, mit einer Reihe von Dienststellen in ein "Austauschverhältnis der Forschungsergebnisse" zu treten. Namentlich seien die RfS, der Reichsführer SS Heinrich Himmler, der Polizeipräsident von Berlin und die Gauleitungen der NSDAP zu nennen. Bei aller Subversion, die Themel und Mitarbeiter anfangs beim Aufbau der Kirchenbuchstelle praktizierten, zeigt dieser Briefwechsel des Jahres 1938, dass auch andere kirchliche Stellen, insbesondere die Kirchenleitung (Konsistorium der Mark Brandenburg), von den speziellen rassenpolitischen Zielsetzungen des Unternehmens und der Zuarbeit für NS-Stellen unterrichtet waren.

Wie viele seiner Verhaltensweisen und Gesten belegen, bewunderte Themel als gläubiger christlicher Nationalsozialist den 13 Jahre jüngeren, machtbewussten und skrupellosen SS-Obersturmführer Kurt Mayer (ein Pfarrerssohn und promovierter Historiker), der aus dem Rasse- und Siedlungshauptamt kam und unmittelbaren Kontakt zu SS-Größen wie Himmler und Heydrich hatte. Im Januar 1939 schrieb Themel seinem heimlichen Vorgesetzten Mayer und verband seinen Neujahrsgruß mit dem Wunsch, "uns Ihr Wohlwollen auch im neuen Jahr zu erhalten. Ich verspreche Ihnen, daß wir in Treue hinter Ihnen stehen und Sie, wo nur möglich, unterstützen werden." Mayer antwortete umgehend: "Hoffentlich bringt uns das Jahr 1939 das Sippenamtsgesetz und damit die Gelegenheit, noch stärker wie bisher an der uns lieb gewordenen Sache zusammen zu arbeiten." Im Dezember 1941 - in Berlin hatten wenige Wochen zuvor die Deportationen der jüdischen Bürger begonnen - feierte die Kirchenbuchstelle ihr fünfjähriges Bestehen. Aus diesem Anlass legte Themel eine Leistungsbilanz vor. Für 164 830 Anträge waren 332 595 "Feststellungen" erforderlich gewesen. 255 469 Urkunden für den Ariernachweis seien ausgestellt worden. 4587 Anträge seien von Parteistellen und Behörden gekommen. Das Reichssippenamt, das Amt für Sippenforschung der NSDAP, das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und andere Stellen hätten Auskünfte erhalten. Besonders gewissenhaft sei bei der Feststellung der "Fremdstämmigkeit" verfahren worden. "Eine besondere Fremdstämmigen-Kartei, die jetzt von der ersten Judentaufe, die in Berliner Kirchenbüchern enthalten ist, bis 1874 reicht, ist eingerichtet. Im ganzen wurden in 2612 Fällen jüdische Abstammung festgestellt. Das scheint an und für sich nicht viel zu sein, aber es sind doch in jedem Jahr über 520 Feststellungen gewesen, je Tag fast 2 Feststellungen." Die "Meldungen" des Pfarrers hatten zur Folge, dass die Betroffenen und ihre Angehörigen umgehend dem Zugriff des Verfolgungsapparates ausgeliefert waren.

Und doch klingt in Themels Bilanz fast so etwas wie Enttäuschung an. Gemessen am Anfangselan des Unternehmens hatte man wohl ein höheres Maß an jüdischer "Blutsvermischung" erwartet. Er fügte seinen nackten Zahlenkolonnen sogleich einen tieferen Sinn bei: Die Kirchenbuchstelle habe über die "Arbeit an der sachlichen Feststellung deutschen, artverwandten oder auch fremden Blutes hinaus" auch einen großen ideellen Dienst erwiesen. Ihre Forschungen hätten "dem einzelnen Menschen der Gegenwart das Bewußtsein [gegeben], daß er getragen wird von der Blutsgemeinschaft des Volkes und von seiner Sippe, und daß er nur ein Glied in der Kette von den Ahnen zu den Enkeln ist, deren bestes Erbgut er weiterzugeben hat zum Heil des ewigen Deutschland".

Eine Kartei im Reichssicherheitshauptamt weist aus, dass Themel sich 1943 mit dem Gedanken trug, vollständig in den Staatsdienst überzuwechseln. Womöglich strebte er, noch einen siegreichen Ausgang des Krieges vor Augen, die Position eines Sippenamtsleiters oder Ähnliches an, was seiner seit Jahren geleisteten Arbeit zweifellos angemessen gewesen wäre. Auf der entsprechenden Karteikarte findet sich der Vermerk: "Auf Veranlassung des Reichssippenamtes ist er vorerst noch im Kirchendienst geblieben."

Die Berliner Kirchenbuchstelle war übrigens kein Einzelfall. In mehreren Landeskirchen gab es ähnliche Einrichtungen, hervorgehoben sei die "Mecklenburgische Sippenkanzlei" in Schwerin.

Wie viele NS-Pfarrer verließ Themel vor Kriegsende seine Berliner Gemeinde und brachte sich westlich der Elbe in Sicherheit. Das Konsistorium Magdeburg, das seine Vergangenheit anfangs nicht kannte, betraute ihn vom 15. Mai 1945 an mit der Verwaltung einer verwaisten Pfarrstelle. Gleichwohl war seine amtliche Position unsicher und letztlich nur durch ein kirchliches Spruchkammerverfahren in seiner Heimatprovinz Brandenburg zu klären. Eine dort eingeleitete Untersuchung kam zunächst am 2. Dezember 1948 zum Abschluss: Wegen Mitgliedschaft in der NSDAP und bei den DC sowie SA-Aktivitäten sollte Themel aus dem Amt entfernt werden. Im Berufungsverfahren (1949) erreichte er Milderung, indem lediglich auf "Versetzung in eine andere Pfarrstelle" erkannt wurde. Als mildernder Umstand galt jetzt, dass er nicht zum Schaden der Kirche gehandelt habe. Außerdem nahm man ihm allerlei entlastende Angaben ab: "Zulassung eines Rabbiners zu einer Trauerfeier auf dem kirchlichen Friedhof, Unterstützung der Arbeit des Pfarrers Grüber an nichtarischen Christen, Protest gegen die Entziehung des Luisenstädtischen Gemeindeparks und gegen die Abgabe eines Heimes der genannten Kirchengemeinde an eine Parteiorganisation." Themel habe somit auch gegen Anschauungen der Partei Front gemacht. Zudem habe er Schuldeinsicht bewiesen.

Tatsächlich urteilte die kirchliche Spruchkammer 1949 nur über den "halben Themel", wesentliche Momente seiner Aktivitäten vor 1945 waren ihr offenbar verborgen geblieben. Seine Zusammenarbeit mit der RfS und SS-Führer Mayer, seine rassenkundlichen Familienforschungen, seine verdeckte Amtshilfe bei der Judenverfolgung, seine Auslassungen während der Kriegszeit über die segensreiche Mitarbeit an der "Aufartung" des Volkes zum Heil des ewigen Deutschlands - alles dies und Weiteres war nicht Gegenstand des Verfahrens. Bei der zuständigen Berliner Kirchenleitung der Nachkriegszeit mischte sich Nichtwissenkönnen mit Nichtwissenwollen. Eine Befragung von kirchlichen Mitarbeitern im Konsistorium, in der Stadtsynode, von Pfarrern der Bekennenden Kirche, ferner die präzisen Einsichten des Kirchenarchivars Otto Lerche - diese und andere Quellen hätten der Spruchstelle mehr Aufschlüsse über Themels Treiben eröffnen können.

Besonders grotesk mutet es an, wie man auf seine Behauptungen hereinfallen konnte, er habe einen Rabbiner zu einer Trauerfeier auf dem Friedhof zugelassen und die Auswanderungshilfe des "Büros Pfarrer Grüber" unterstützt. Belege dafür gibt es nicht. Belegt hingegen sind zwei andere Episoden: In Themels Hausgemeinde Luisenstadt, in der nichts gegen seinen Willen durchging, wurde eine "nichtarische" Kindergärtnerin entlassen. Im November 1934 beschloss der Gemeindekirchenrat: "Die Beisetzung von Verstorbenen jüdischer Herkunft auf unseren Friedhöfen wird in Zukunft abgelehnt." Als bald darauf die Witwe eines "nichtarischen" Christen das Konsistorium bat, die Urne ihres verstorbenen Ehemanns auf dem Friedhof der Luisenstadtgemeinde beisetzen zu dürfen, lehnte Themel dies ab.

Der Urteilsspruch der kirchlichen Spruchkammer von 1949 ("Versetzung in eine andere Pfarrstelle") bedeutete faktisch einen wesentlichen Schritt zu Themels Rehabilitierung. Nun hatte er wieder Anspruch auf eine Pfarre in seiner kirchlichen Heimatprovinz. Was als Ahndung gedacht war, gereichte ihm tatsächlich zur Belohnung; 1952 wurde ihm ein Berlin-nahes Pfarramt in Markau (Kreis Nauen) zugewiesen.

Kaum war er wieder in Amt und Würden, wandelte sich auch schon sein Ton gegenüber der Kirchenleitung und nahm bisweilen renitente Färbung an, die den alten Geist durchscheinen ließ. So distanzierte er sich 1952 in einem geharnischten Schreiben von der Barmer Theologischen Erklärung des Jahres 1934. In ihr sah er den Sieg des reformierten Schweizer Theologen Karl Barth über die Altpreußische Kirche, die doch im Kern stets lutherisch geblieben sei. Emeritiert, zog Themel nach West-Berlin, wo er, im Schatten des Kalten Krieges, bald zu neuen Ehren kam. Das Berliner Konsistorium bestellte ihn, den Herrn der Kirchenbücher, zum nebenamtlichen Sachbearbeiter für das Archiv- und Kirchenbuchwesen. Aus der Rückschau eine durchaus delikate Situation: Themel hatte nun als Archivar der Kirchenprovinz Berlin-Brandenburg exklusiven Zugang zu allen kirchlichen Aktenbeständen, die noch mancherlei für ihn und seine Gesinnungsgenossen gefährliche Geheimnisse aus der Hitlerzeit bargen. Anlässlich seines 75. Geburtstags 1965 erhielt er vom Konsistorium anerkennende Worte und "10 Flaschen Sekt". Der "Herold" (Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin), dem er seit 1941 angehörte, verlieh ihm zum 80. Geburtstag den Ehrentitel der korrespondierenden Mitgliedschaft. In einem ausführlichen Brief beklagte er sich 1971, dass er "sehr schwere Kämpfe in der Christenverfolgung" habe durchmachen müssen, welche die Bekennende Kirche nach 1945 veranstaltet habe.

Als er 1973 starb, würdigte Volkmar Drese, Archivar beim Konsistorium Berlin-Brandenburg, Themels Tätigkeiten: "Den von ihm entwickelten Methoden und seiner Initiative ist zu danken, daß in den Folgejahren [seit 1935] die Kirchenbücher der Berliner Gemeinden von Beginn bis 1875 fast lückenlos verfilmt und damit nach dem in den Kriegsjahren bis 1945 eingetretenen Verlust der meisten Originale in dieser Form als die wesentlichen Quellen zur Berliner Bevölkerungsgeschichte überliefert worden sind. Durch unermüdlichen Fleiß, Hilfsbereitschaft und leidenschaftliches Interesse an der Genealogie hat Karl Themel weit über die Grenzen unserer Stadt und des Landes Brandenburg hinaus der wissenschaftlichen Genealogie einerseits und der Familienforschung im speziellen andererseits außerordentlich wertvolle Dienste geleistet."

Karl Themel, ein verdienter Mann der Kirche.

aus: DIE ZEIT, 25.10.2001
(Der Autor ist Historiker an der TU Berlin)

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