Endstation Auschwitz

von Romani Rose

Der Erlass Himmlers vom 16. Dezember 1942 war Grundlage für die Deportation von 23.000 Sinti und Roma nach Auschwitz. Noch immer wird der nationalsozialistische Völkermord an dieser Minderheit in Frage gestellt.

Der 16. Dezember 1942 ist ein Schlüsseldatum in der Verfolgungsgeschichte unserer Minderheit im "Dritten Reich". An diesem Tag ordnete Himmler die Deportation der Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an. Bereits vier Jahre zuvor hatte der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei in seinem Runderlass vom 8. Dezember 1938 angekündigt, "die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen", und zugleich angeordnet, alle im Reichsgebiet lebenden Sinti und Roma zu erfassen. Bereits in diesem Dokument ist von der "endgültigen Lösung der Zigeunerfrage" die Rede.

Ab Februar 1943 fuhren Deportationszüge mit Sinti- und Roma-Familien aus dem Reich und aus fast allen besetzten Ländern nach Auschwitz-Birkenau, wo die SS im Lagerabschnitt B II e ein eigenes "Zigeunerlager" errichten ließ. Allein die Fahrt war für die betroffenen Menschen ein Martyrium, wie die Schilderung einer Überlebenden deutlich werden lässt: "Die Waggons wurden von außen verriegelt, wir waren gefangen und abgeschnitten von dieser Welt. Die Züge fuhren an, die Waggons überfüllt von Menschen, Familien mit ihren Kindern und Kleinstkindern. Die Luft hier drin war drückend und schwer zum Atmen. Das Schreien der Masse war unerträglich. Viele der alten Menschen und Kleinkinder überlebten den Transport nicht; tagelang lagen die Toten zwischen uns." Die Autorin dieses Berichts, Barbara Adler, war nicht einmal 17 Jahre alt, als man sie nach Auschwitz verschleppte. Für fast alle der 23.000 im "Zigeunerlager" Auschwitz-Birkenau inhaftierten Menschen - die Hälfte waren Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren - war dies die letzte Station ihrer Leidensgeschichte, die mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begonnen hatte. Sie starben an Hunger und Krankheiten, erlagen der Kälte und der unmenschlichen Zwangsarbeit, dem Terror der SS und den unvorstellbar grausamen medizinischen Versuchen. Tausende Sinti und Roma mussten in den Gaskammern von Auschwitz einen qualvollen Erstickungstod erleiden. Dieses Vernichtungslager und die anderen nationalsozialistischen Mordfabriken wie Chelmno oder Treblinka sind zu Symbol geworden für den staatlich organisierten Genozid an schätzungsweise einer halben Million unserer Menschen im nationalsozialistisch besetzen Europa.

Seit März 1997 ist in unserem Heidelberger Dokumentations- und Kulturzentrum die erste ständige Ausstellung zur Vernichtung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus zu sehen. Bei seiner Eröffnungsansprache sagte der damalige Bundespräsident Roman Herzog: "Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz, mit dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im ganzen Einflussbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet."

Ergänzt durch zahlreiche neue Quellen insbesondere zur europäischen Dimension dieses Verbrechens wurde zwischenzeitlich unter Federführung unseres Zentrums eine weitere Dauerausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz realisiert, und zwar in Block 13 des ehemaligen Stammlagers. Bei der Eröffnung am 2. August 2001 erinnerte der damalige polnische Außenministers Bartoszewski, der als junger Mann selbst in Auschwitz inhaftiert war, an die Leiden unserer verfolgten und ermordeten Menschen.

Nach Jahrzehnten des Verleugnens und Verdrängens dringen, so scheint es, die nationalsozialistischen Verbrechen an unserer Minderheit allmählich in das kollektive Bewusstsein und werden zu einem festen Bestandteil des historischen Gedächtnisses. Ausdruck dieses Wandels sind auch die Zusagen von Vertretern des Bundes wie des Landes Berlin, im Zentrum der ehemaligen Reichshauptstadt ein Mahnmal für die Holocaust-Opfer der Sinti und Roma zu errichten, und zwar in unmittelbarer Nähe zum Reichstag. Trotz dieser unzweifelhaften Fortschritte - oder vielleicht auch als Reaktion auf diese Entwicklung - gibt es in jüngster Zeit verstärkt Versuche, den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma umzudeuten und zu relativieren. Exemplarisch hierfür kann Guenter Lewys Buch "Rückkehr nicht erwünscht. Die Verfolgung der Zigeuner im Dritten Reich" gelten, das Anfang dieses Jahres im Propyläen-Verlag erschienen ist. Es handelt sich bei diesem Werk nicht nur um eine Rückkehr zu alten, längst überwunden geglaubten Deutungsmustern, sondern um den Versuch einer grundlegenden Neubewertung der NS-Verbrechen an unserer Minderheit, die letztlich einer Bagatellisierung gleichkommt. Ich möchte daher das historische Datum des 16. Dezember - das im kollektiven Gedächtnis unserer Minderheit untrennbar mit dem staatlich organisierten Völkermord im Dritten Reich verbunden ist - zum Anlass nehmen, mich mit den Behauptungen von Lewy und anderen kritisch auseinander zu setzen.

Lewy bestreitet, dass es einen Völkermord an den Sinti und Roma gegeben habe; einen "rassisch" motivierten und planmäßigen Genozid hätten die Nationalsozialisten einzig für die Juden vorgesehen. Die Verfolgung der Sinti und Roma sieht er hingegen wesentlich von sozialen Faktoren bestimmt. "Bestimmte Aspekte ihrer Lebensweise", so der Autor, "sind dazu geeignet, bei ihren Mitmenschen Feindseligkeit hervorzurufen." In der Einleitung seines Buches breitet Lewy das ganze Arsenal negativer Stereotypen über Sinti und Roma aus: Lügen und Täuschen, Stehlen und Betrügen werden als "typische" Verhaltensweisen von "Zigeunern" präsentiert. Dabei beruft sich der Autor auf Quellen, die man kaum als seriös und wissenschaftlich bezeichnen kann; einmal wird als Beleg sogar das "Deutsche Kriminalblatt" vom August 1934 (!) angeführt. Manchmal verzichtet Lewy auch auf Nachweise, etwa wenn er schreibt: "Von den Frauen wusste man, dass sie unter ihren langen Röcken eine Tasche für die Beute trugen." An anderer Stelle weiß Lewy zu berichten: "Offenstehende Häuser mögen zur leichten Beute werden, aber Zigeuner haben eine abergläubische Furcht vor zugeschlossenen Türen und Fenstern als auch von nachts umherwandernden bösen Geistern, daher werden die meisten Diebstähle bei Tage und ohne Einsatz von Einbruchswerkzeugen oder Gewalt durchgeführt."

Es kommt dem Autor nicht in den Sinn, derartige antiziganistische Vorurteile, wie sie seit Jahrhunderten reproduziert werden, kritisch zu hinterfragen; vielmehr scheint er sie zu teilen. Um sich vor dem Vorwurf der Pauschalisierung zu schützen, schreibt Lewy zwar am Ende der Einleitung, dass die Verfehlungen Einzelner grundsätzlich nicht einer Gruppe von Menschen angelastet werden könnten; doch nur wenige Seiten vorher heißt es, bestimmte betrügerische Methoden, derer sich "Zigeuner" bedienten, "scheinen zeitlos und universal zu sein". Dem Leser wird so suggeriert, das Verhalten der Minderheit sei für die Verfolgung der Sinti und Roma verantwortlich gewesen und nicht die "Rassenpolitik" der Nationalsozialisten. Es lässt sich leicht ausmalen, was für ein Proteststurm sich erheben würde, wenn ein Autor unter Rückgriff auf das antisemitische Schriftgut in den Jahren vor und nach 1933 in gleicher Weise mit jüdischen Opfern verfahren würde.

Tatsächlich leben Sinti und Roma bereits seit über 600 Jahren in Deutschland. Sie waren vor der nationalsozialistischen Machtübernahme als Nachbarn und Arbeitskollegen in das gesellschaftliche Leben und in die lokalen Zusammenhänge integriert. Wie im Falle der Juden benutzten die Nationalsozialisten auch bei der gezielten Diffamierung der Sinti und Roma tief verwurzelte Vorurteile und Projektionsmuster, um ihre "Rassenpolitik" zu rechtfertigen und um die Akzeptanz der Bevölkerung wie auch die Mitarbeit der an der Verfolgung beteiligten staatlichen Institutionen sicherzustellen. Zu dieser Strategie gehörte insbesondere die systematische Kriminalisierung, wie sie die NS-Propaganda gleichermaßen gegen Sinti und Roma wie gegen Juden betrieb. Auch die letzteren wurden von den Nazis als "Parasiten", "Arbeitsscheue" und "Banditen" stigmatisiert oder als "Asoziale" in KZs verschleppt, doch käme kein ernsthafter Historiker auf die Idee, derartige Zuschreibungen mit der historischen Wirklichkeit gleichzusetzen und die Opfer nachträglich zu beleidigen.

Dass Lewy im Falle der Sinti und Roma die in den Täterakten enthaltenen antiziganistischen Klischees als Begründung für die Verfolgung bereitwillig übernimmt, kommt nicht von ungefähr. Will er doch aufzeigen, dass sich die Politik der Nazis gegenüber den Juden grundlegend von jener gegenüber den Sinti und Roma unterschied. Dies wird auch deutlich in seiner Interpretation von Himmlers Erlass vom 16. Dezember 1942. Mit den Deportationen der Sinti- und Roma-Familien nach Auschwitz wurde, so Lewy, "nicht die Absicht verfolgt, die Zigeuner als solche zu vernichten, sondern nur bezweckt, diese weithin verachtete Minderheit aus Deutschland zu vertreiben." Ein Großteil, vielleicht sogar die Mehrheit der im Reich lebenden "Zigeuner" sei der Deportation in den Osten entgangen, wobei das Kriterium der "sozialen Anpassung" eine wesentliche Rolle gespielt habe.

Es gibt eine Vielzahl von Quellen, die diese Behauptungen widerlegen. Nichts zeigt dies deutlicher, als dass Sinti und Roma ebenso wie Juden in ganzen Familien in die Vernichtungslager im besetzten Polen deportiert wurden und dass ein Großteil der Opfer Kinder waren. Sinti- und Roma-Kinder, die man nach der KZ-Inhaftierung ihrer Eltern zunächst in Kinderheime eingewiesen hatte, wurden später ebenfalls nach Auschwitz verschleppt, und selbst diejenigen Kinder, die bei "arischen" Adoptiveltern aufgewachsen waren, blieben nicht von der Vernichtung verschont. Dies gilt auch für jene Sinti und Roma, die während des Ersten Weltkriegs in der Kaiserlichen Armee gedient und damit ihre Loyalität für ihr Heimatland unter Beweis gestellt hatten. Sogar Sinti und Roma in der Deutschen Wehrmacht, die an vorderster Front kämpften, wurden nach ihrem Ausschluss - aus "rassepolitischen Gründen", wie es ausdrücklich hieß - nach Auschwitz deportiert. Manche trugen noch ihre Uniform oder ihre Auszeichnungen, als sie dort eintrafen, wie der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, in seinen autobiografischen Aufzeichnungen festhielt. Andere wurden an ihren Arbeitsplätzen, etwa bei der Reichspost oder bei der Reichsbahn, verhaftet und zu den bereitstehenden Deportationszügen gebracht.

All dies ist in den Erinnerungen der überlebenden Sinti und Roma nachzulesen, jedoch vertraut Lewy offensichtlich mehr den Dokumenten der Täter. Zwar ist im Schnellbrief des RSHA zu Himmlers Auschwitz-Erlass vom 29. Januar 1943 (der auf den 16. Dezember 1942 datierte Originalerlass ist nicht erhalten) von bestimmten Ausnahmen die Rede, doch spielte dies in der Praxis der Deportationen kaum eine Rolle. Lokale Untersuchungen haben vielmehr gezeigt, dass das Bemühen der Behörden vor Ort entscheidend war, ihre Stadt oder ihren Bezirk "zigeunerfrei" zu machen. Dies haben sogar die Täter selbst eingeräumt. Pery Broad, Angehöriger der Politischen Abteilung (Lagergestapo) im "Zigeunerlager" Auschwitz-Birkenau und 1965 im Auschwitz-Prozess zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, schrieb in seinen autobiografischen Aufzeichnungen, die er nach seiner Verhaftung Anfang 1945 einem britischen Offizier übergab: "Die Reichszentrale wusste, dass es der Wille des allmächtigen Reichsführers war, die Zigeuner vom Erdboden verschwinden zu lassen, soweit man sie erfassen konnte. Man wusste, dass die Ausnahmeklauseln nur papierne Dekorationen dieser Ausrottungserlasse waren und dass man sich wegen Milde sehr leicht in Ungnade setzen konnte."

Dass historische Tatsachen nicht einfach mit dem Wortlaut einzelner Täterdokumente gleichgesetzt werden können, zeigt auch das Schicksal der wenigen von NS-Rassebiologen als "reinrassig" eingestuften "Zigeuner", die als eine Art anthropologische Anschauungsobjekte in einem Reservat leben und daher nach den formalen Vorgaben des genannten Schnellbriefs nicht deportiert werden sollten. Für das Sammellager Magdeburg wurde jedoch nachgewiesen, dass alle dort inhaftierten Sinti und Roma - einschließlich der als "reinrassig" klassifizierten - am 1. März 1943 nach Auschwitz verschleppt wurden. Für "Zigeunermischlinge" war als Alternative zur Deportation nach Auschwitz ohnehin die Zwangssterilisation vorgesehen, was nichts anderes als eine andere Form des Genozids darstellt.

Angesichts der Zielsetzung seines Buches - nämlich die Völkermordverbrechen an den Sinti und Roma strikt von jenen an den Juden abzugrenzen - kann es kaum verwundern, dass Lewy auf die wenigen Ausnahmen sein besonderes Augenmerk richtet. Ausnahmen hat es indes bei allen Opfergruppen gegeben. So waren jüdischen "Mischlinge" in Deutschland von den Deportationsmaßnahmen weitgehend ausgenommen, während die Nazis selbst "Achtelzigeuner" nach Auschwitz deportierten und dort ermordeten. Bis zum Ende des Krieges versuchten die Mitarbeiter der "Rassenhygienischen Forschungsstelle" in Berlin, die im Auftrag Himmlers die systematische Erfassung aller Sinti und Roma im Reich betrieb, "Zigeunermischlinge" aufzuspüren, um sie dem Verfolgungsapparat zu überantworten. Zu diesem Zweck wurden umfangreiche genealogische und anthropologische Untersuchungen durchgeführt. Dieser apparative Aufwand macht deutlich, welche Bedeutung die Nationalsozialisten der "Zigeunerfrage" beimaßen, obgleich es sich um eine zahlenmäßig kleine Minderheit handelte. Unter den Opfern befanden sich auch Menschen, die sich gar nicht als Sinti oder Roma betrachteten, ja nicht einmal davon wussten, dass sich "Zigeuner" unter ihren Vorfahren befanden. Wie im Falle der Juden war mithin nicht das Selbstverständnis der von Verfolgungsmaßnahmen betroffenen Menschen entscheidend, sondern die von außen aufgezwungene "Rassendiagnose".

Das zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Berlin eingerichtete Reichssicherheitshauptamt, die eigentliche Zentrale des SS-Staates, übernahm die Federführung bei jener "endgültigen Lösung der Zigeunerfrage", wie sie bereits seit 1938 explizit als politische Zielvorstellung formuliert worden war. Grundlage dieser Politik war nicht allein ein mörderischer Antisemitismus, sondern der moderne Rassismus insgesamt, der auch das biologisch begründete Feindbild des "Zigeuners" einschloss. Bei der Ausbildung dieses neuen Vernichtungsrassismus gegen Sinti und Roma kam der Rassenforschung, die eng mit dem SS-Apparat kooperierte, eine wichtige - wenngleich stets untergeordnete - Funktion zu: Sie begründete den Völkermord ideologisch und schuf durch die Erfassung aller im deutschen Reich lebenden Sinti und Roma zugleich die Voraussetzung für dessen praktische Umsetzung. Schon vor dem Krieg waren hunderte Sinti und Roma in den Konzentrationslagern inhaftiert worden, wo sie wie ihre jüdischen Leidensgenossen einem grenzenlosen Terror ausgeliefert waren. Als die SS-Führung nach der Besetzung Polens begann, ihre viel weiter reichenden rassenpolitischen Zielsetzungen in die Tat umzusetzen, stand von Anfang an fest, dass alle deutschen Sinti und Roma gemeinsam mit den Juden in das neu eingerichtete "Generalgouvernement" deportiert werden sollten. Dies beschloss im September 1939 eine von Heydrich einberufene Konferenz, und zwar, wie Dokumente belegen, mit ausdrücklicher Billigung Hitlers. Der Vorbereitung der geplanten Deportationen diente auch Himmlers so genannter Festsetzungserlass vom 17. Oktober 1939, demnach alle Sinti und Roma unter Androhung von KZ-Haft ihren Wohnsitz nicht mehr verlassen durften. Ein halbes Jahr später, im Mai 1940, fuhren auf Befehl Himmlers die ersten Deportationszüge mit Sinti- und Roma-Familien in das "Generalgouvernement", wo die meisten der verschleppten Männer, Frauen und Kinder später ums Leben kamen.

Voraussetzung für die Radikalisierung der gegen "Zigeuner" gerichteten Politik war der Vernichtungswille der SS-Führung gegenüber allen "Fremdrassigen", zu denen Sinti und Roma nach der Nürnberger Gesetzgebung offiziell zählten. Nur auf der Basis der Rassenideologie als neuer Staatsdoktrin und unter den spezifischen Bedingungen von Diktatur und totalem Krieg konnte die Verfolgung der Sinti und Roma jene mörderische Dynamik entfalten, die schließlich in der fabrikmäßigen Vernichtung in Auschwitz gipfelte.

Es ist daher kein Zufall, dass Sinti und Roma zu den ersten Opfern der fabrikmäßigen Massentötungen in den neu errichteten Vernichtungslagern im besetzten Polen zählten. Wenige Wochen nachdem die systematischen Deportationen der Juden aus dem Reichsgebieten begonnen hatten, wurden im November 1941 etwa 5.000 Sinti und Roma aus Österreich - ein großer Teil waren Kinder und Jugendliche - in das Getto Lodz deportiert, wo innerhalb des jüdischen Gettos ein eigenes "Zigeunergetto" eingerichtet wurde. Zuständig für die Organisation der "Zigeunertransporte" war Adolf Eichmann. Im Januar 1942 wurden die letzten Überlebenden des "Zigeunergettos" Lodz wie ihre jüdischen Leidensgenossen in das Vernichtungslager Chelmno gebracht, wo man sie unmittelbar nach ihrer Ankunft in Gaswagen erstickte. Wie Hans Safrian in seinem Standardwerk "Eichmann und seine Gehilfen" betont, handelt es sich bei den aus Österreich nach Lodz verschleppten Sinti und Roma um "die erste Gruppe der zwangsverschickten Menschen aus Zentraleuropa, die bei Chelmno/Kulmhof ausnahmslos ermordet wurden." Laut Lewy seien diese Menschen nur deshalb im Gas erstickt worden, "um der Verbreitung von Typhus im Getto entgegenzuwirken". Er untermauert diese absurde, ja zynische These u. a. damit, dass es auch vorkam, dass Juden aufgrund epidemiologischer Maßnahmen umgebracht wurden. In Anlehnung an Bernhard Streck, der 1981 schrieb, Sinti und Roma seien im Nationalsozialismus "als Träger von Bakterien und Viren" ermordet worden, begibt sich Lewy mit dieser Deutung auf eine Stufe mit den Leugnern des Holocaust - erscheint der Erstickungstod in Chelmno doch in dieser Lesart geradezu als ein Akt moderner "Fürsorglichkeit".

Auch Lewys Darstellung der Geschichte des "Zigeunerlagers" Auschwitz-Birkenau ist nicht frei von solchen apologetischen Tendenzen. Bereits wenige Wochen nach dem Eintreffen der ersten Sinti- und Roma-Familien im "Zigeunerlager" kam es im März und im Mai 1943 zu den ersten Massenvergasungen von Sinti und Roma, bei denen über 2.700 Menschen einen qualvollen Tod erleiden mussten. Ende 1943 war bereits der größte Teil der bis dahin nach Auschwitz verschleppten Sinti und Roma aufgrund der unmenschlichen Lebensbedingungen umgekommen. Wie Hermann Langbein, ehemaliger politischer Häftling in Auschwitz, berichtet, war die Sterblichkeit im "Zigeunerlager" weitaus höher als in den anderen Lagerabschnitten von Auschwitz-Birkenau. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden die letzten überlebenden Sinti und Roma in den Gaskammern ermordet. Nur etwa 3.000 Menschen waren in den Wochen zuvor als "arbeitsfähig" selektiert und zur "Vernichtung durch Arbeit" in andere KZs ins Reichsgebiet deportiert worden.

Trotz dieser Zahlen, die in den erhalten gebliebenen Akten und Statistiken des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau präzise dokumentiert sind, unterstellt Lewy, die dort inhaftierten Sinti und Roma hätten eine Vorzugsstellung genossen, "da sie in Familien zusammenbleiben durften". Tatsächlich war dies keineswegs eine Besonderheit des "Zigeunerlagers". Im September 1943 wurde in Auschwitz-Birkenau das "Theresienstädter Lager" für jüdische Familien aus dem Konzentrationslager Theresienstadt eingerichtet. Wie die inhaftierten Frauen, Männer und Kinder im "Zigeunerlager", so wurden auch die Insassen des "Theresienstädter Lagers" in den Gaskammern ermordet, nachdem die SS zuvor alle "arbeitsfähigen" Menschen selektiert hatte. Lewy sieht in der "Behandlung der Deportierten, die fast eineinhalb Jahre im Zigeunerfamilienlager in Auschwitz verbrachten", einen Beleg dafür, dass es keinen Plan zur Vernichtung der Sinti und Roma gegeben habe. Es sei "sogar denkbar, dass die Ermordung der als nicht arbeitsfähig eingestuften Zigeuner nicht stattgefunden hätte, wenn man nicht wegen der Überlastung der Gaskammern eine vorübergehende Unterkunft für die dem Untergang geweihten ungarischen Juden hätte finden müssen." Die Tatsache, dass zum Zeitpunkt der "Auflösung" des Zigeunerlagers schon der weitaus größte Teil der nach Auschwitz deportierten Sinti und Roma um ihr Leben gebracht worden war, wird von Lewy schlicht ignoriert. Seine Darstellung erinnert in fataler Weise an die Darstellung von Ernst Nolte, der 1993 in seinem Buch "Streitpunkte" behauptete, die nach Auschwitz deportierten Sinti und Roma hätten dort "zunächst in einem 'Familienlager' relativ unbehelligt" gelebt, bis dann die nicht Arbeitsfähigen im August 1944 in die Gaskammern geschickt wurden." Wer jemals die erschütternden Augenzeugenberichte von Überlebenden des "Zigeunerlagers" Auschwitz-Birkenau gelesen hat, kann vielleicht ermessen, was diese Menschen bei der Lektüre solcher Sätze heute empfinden.

Man muss sich fragen, welches Ziel die von Himmler verfügte Deportation der Sinti und Roma nach Auschwitz hätte haben sollen, wenn die Vernichtung dieser Menschen nicht von vorneherein intendiert gewesen wäre. Ihr Besitz - Häuser und Grundstücke ebenso wie das Barvermögen und der zurückgebliebene Hausrat - wurde wie im Fall der Juden als "reichsfeindlich" beschlagnahmt und zu Gunsten des Reiches eingezogen.

Allen am Prozess der Deportation beteiligten staatlichen Stellen und Personen war klar, dass diese Menschen niemals wieder zurückkehren würden. Dass die Verschleppung nach Auschwitz ein Todesurteil war, kommt manchmal auch in den Täterakten (wo man bewusst eine verschleiernde Sprachregelung verwendete) in kaum verhüllter Form zum Ausdruck. So wandte sich die Kriminalpolizeistelle Leipzig im April 1943 an den Polizeipräsidenten mit der Bitte, den Führerschein eines Sinto, der "auf unbestimmte Zeit in ein polizeiliches Arbeitslager eingewiesen" worden war, für ungültig erklären zu lassen, da man bei der Verhaftung versäumt hatte, ihm den Führerschein abzunehmen. Tatsächlich war der Mann nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Auf die Rückfrage eines Beamten, um welches Lager es sich denn handele und ob man sich wegen des Führerscheins nicht direkt dorthin wenden könne, teilte man mit, "dass Angaben über den jetzigen Aufenthalt aus besonderen Gründen nicht gemacht werden könnten." Laut Aktennotiz wurde weiterhin angeregt, "diesen Vorgang zunächst nicht weiter zu bearbeiten, da er sich vermutlich von selbst erledige." Was damit gemeint war, liegt auf der Hand. In einem anderen Schreiben der Kriminalpolizeistelle Essen vom Juli 1944 heißt es lapidar: "Entlassungen von zigeunerischen Personen aus dem Zigeunerlager Auschwitz erfolgen grundsätzlich nicht." Als im Frühjahr 1943 die ersten Deportationszüge mit Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau fuhren, war die systematische Vernichtung unserer Minderheit bereits im vollen Gang, wie die Massenerschießungen von Sinti und Roma im besetzten Polen oder in der besetzten Sowjetunion (wo seit Herbst 1941 im Rücken der Front die SS-"Einsatzgruppen" wüteten) belegen. Dies zeigt auch die erwähnte vollständige Ermordung der im November 1941 ins Lodzer Getto deportierten österreichischen Sinti und Roma. Seit 1941 wurden Sinti und Roma auch im Rahmen der "Aktion 14 f 13" (so die Tarnbezeichnung für die Selektion kranker und arbeitsunfähiger Häftlinge in den Konzentrationslagern) in Gaskammern ermordet. Vor diesem Hintergrund kann die These von Lewy, die Deportationen der Sinti und Roma nach Auschwitz hätten nicht deren Vernichtung gegolten, sondern nur den Zweck verfolgt, "diese weithin verachtete Minderheit aus Deutschland zu vertreiben", nur als eine Verharmlosung dieses Völkermordverbrechens betrachtet werden. Dies gilt auch für Lewys grundsätzliche Bewertung, die Verfolgung der Sinti und Roma im "Dritten Reich" sei überhaupt kein Genozid gewesen. Die Kriterien, die laut Lewy die "Singularität" des Völkermordes an den Juden ausmachen, erweisen sich jedoch letzten Endes als willkürlich, als bloße Konstrukte. Seine These, allein der Völkermord an den Juden sei "total" gewesen, wird allein schon durch die Tatsache ad absurdum geführt, dass - betrachtet man den gesamten Zeitraum der NS-Diktatur - der prozentuale Anteil der in Deutschland und Österreich ermordeten Sinti und Roma höher ist als im Falle der Juden (deren absolute Zahl in diesen Ländern natürlich um ein Vielfaches höher war). Viele Juden konnten rechtzeitig emigrieren, wenngleich unter immer schwierigeren Umständen. Die Tatsache, dass die NS-Führung zunächst die systematische Vertreibung und die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden betrieb, zeigt, dass der Vernichtung des europäischen Judentums im Zweiten Weltkrieg kein von vornherein festgelegtes Mordprogramm zugrunde lag. Deshalb ist Lewys Behauptung, es habe im Falle der Sinti und Roma keinen "Generalplan zur Vernichtung" gegeben, ohne Wert. Es macht keinen Sinn, an den Begriff des Genozids Bedingungen zu knüpfen, die der Komplexität der historischen Wirklichkeit nicht gerecht werden.

Lewys Fragestellungen und Intentionen beim Schreiben seines Buches waren ganz offensichtlich von der Absicht bestimmt, die Einmaligkeit des Völkermords für das jüdische Schicksal zu reklamieren. Sein Buch ist nicht nur wissenschaftlich motiviert und keinesfalls der "Genauigkeit des Geschichtsbildes" geschuldet, wie der Autor Glauben machen will. Es ist daher nicht erstaunlich, dass Lewys Darstellung auch jüdischerseits Kritik hervorgerufen hat. Norman G. Finkelstein schrieb in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 11. August: "Man kann sich die öffentliche und wissenschaftliche Reaktion leicht ausmalen, wenn in Lewys Buch Zigeuner durch Juden ersetzt würden."

Es handelt sich dabei freilich nur um eine neue Variante des Versuchs, die grundlegenden Gemeinsamkeiten der Völkermordverbrechen an den Sinti und Roma wie an den Juden in Abrede zu stellen. Insbesondere der Historiker Yehuda Bauer wendet sich in seinen Publikationen seit Jahren mit aller Entschiedenheit gegen eine solche Parallelisierung dieser beiden Völkermorde. Er kann auch als Spiritus Rector von Lewys Buch gelten, der Bauers Argumentation in weiten Teilen übernimmt. Im Mai dieses Jahres hat Yehuda Bauer seine Auffassungen nochmals im "Spiegel" (Nr. 22/2001) dargelegt. Während der Genozid an den europäischen Juden auf "reiner Ideologie" basiert habe, seien allen anderen Völkermorden pragmatische Überlegungen nicht fremd gewesen: So hätten die Nazis umherziehende Roma für Spione gehalten und deshalb umgebracht. Bereits in seiner Rede vor dem Bundestag am 27. Januar 1998 (die im Fernsehen live übertragen wurde) gab Bauer seiner Meinung Ausdruck, im Falle der Shoah sei "die völkermordende Ideologie auf reiner Phantasie aufgebaut", während bei allen anderen Völkermorden - so auch im Falle der Sinti und Roma - das Motiv "irgendwie realistisch" gewesen sei. Es stellt sich auch hier die Frage, warum Bauer im Fall der jüdischen Opfer die Rechtfertigungen und Rationalisierungen der Täter hinterfragt und zurecht als Propaganda, als ideologische Konstruktionen oder Wahngebilde entlarvt, im Falle der Sinti und Roma jedoch stigmatisierende Zuschreibungen als Begründung für den Völkermord unkritisch als solche akzeptiert und übernimmt.

Auch bei den Massenmorden an den europäischen Juden verschleierten die Nationalsozialisten ihre rassistisch motivierte Vernichtungspolitik mit Begriffen wie "Banditen" oder "Bandenbekämpfung", um dem Massenmord eine "rationale" Legitimation zu verleihen, nicht anders im Falle der Sinti und Roma. Insbesondere der pauschale Vorwurf der Spionage oder die generelle Gleichsetzung von Juden bzw. "Zigeunern" mit Partisanen war ein bequemes Alibi für die rassistisch motivierte Vernichtungspolitik, wie die Täter nach dem Krieg selbst einräumten. Erich von dem Bach-Zelewski - nach dem Überfall auf die Sowjetunion Höherer SS- und Polizeiführer im Bereich der Heeresgruppe Mitte und als Chef der "Bandenkampfverbände" verantwortlich für die Erschießung tausender Menschen - sagte vor dem Nürnberger Gerichtshof aus: "Außerdem wurde der Kampf gegen die Partisanen mehr und mehr als ein Vorwand für die Durchführung anderer Maßnahmen genutzt, wie die Ausrottung von Juden und Zigeunern, die systematische Verringerung der slawischen Völker um dreißig Millionen Seelen (um die Vorherrschaft des deutschen Volkes sicherzustellen) und die Terrorisierung von Zivilisten durch Erschießungen und Plünderungen. Die Befehlshaber, mit denen ich in Kontakt kam und mit denen ich zusammenarbeitete (zum Beispiel die Generalfeldmarschälle Weichs, Küchler, Bock und Kluge, Generaloberst Reinhardt und General Kitzinger), waren sich der Zwecke und Methoden der Partisanenbekämpfung ebenso bewusst wie ich."

Es gibt sowohl für das "Generalgouvernement" als auch für die besetzte Sowjetunion zahlreiche Belege dafür, dass die von Bauer angeführte Unterscheidung zwischen "sesshaften" und "wandernden Zigeunern", wie sie in einigen Dokumenten auftaucht, bei den Mordaktionen vor Ort ohne Bedeutung war. Seine Behauptung, eine solche Differenzierung sei "überall in Europa angewendet" worden, hat mit der historischen Realität nichts zu tun.

Während Bauer im Falle der jüdischen Opfer nicht müde wird zu betonen, dass es sich bei den Zuschreibungen durch die Nazis um nichts anderes als "mörderische Phantasien" handelte, erscheinen Sinti und Roma bei Bauer wie bei Lewy fast ausschließlich in der Perspektive der Mörder, als Objekte der Verfolgung, nicht jedoch als reale Menschen. Die Lebenswirklichkeit der Sinti und Roma wird mit den Stereotypen der Nazis mehr oder weniger gleichgesetzt. Dass es sich dabei um eine Rationalisierung aus ideologischen Motiven handeln könne, die ebenso wie im Falle der Juden dazu diente, eine mörderische Politik zu rechtfertigen, scheint den Autoren nicht in den Sinn zu kommen. Vielmehr setzten sie durch ihre Fixierung auf die Täterquellen und die Übernahme der in ihnen enthaltenen Kategorien und Stigmatisierungen die Entpersönlichung der Opfer fort und machen diese letztlich für die erlittene Verfolgung selbst verantwortlich. Dies gilt insbesondere für Guenther Lewy, der den Völkermord an den Sinti und Roma nicht im biologischen Rassismus der Nationalsozialisten, sondern im Verhalten der Minderheit begründet sieht und der das nationalsozialistische Zerrbild vom "asozialen Zigeuner" mit in seine Bewertungen dieses Verbrechens übernimmt. Damit gerät Lewy zumindest in die Nähe jenes rassistischen Diskurses über Sinti und Roma, der die fünfziger und sechziger Jahre bestimmte.

Die Deutungen von Bauer, Lewy und anderen werden der historischen Dimension der nationalsozialistischen Völkermordverbrechen an den Sinti und Roma nicht gerecht. Das Spezifische der NS-Verfolgung bestand gerade darin, dass sie sich nicht gegen Individuen mit "abweichendem" oder "unerwünschtem" Verhalten richtete, sondern gegen eine genetisch definierte Gruppe, mithin gegen die Minderheit der Sinti und Roma als Ganzes. Was den Völkermord an Sinti, Roma und Juden grundlegend verbindet, ist die Tatsache, dass allen diesen Menschen auf der Grundlage ihrer Geburt das schiere Recht zu existieren abgesprochen wurde. Durch nichts wird dies augenfälliger als durch die Tatsache, dass bei diesen beiden Opfergruppen selbst kleine Kinder in die Vernichtungslager deportiert wurden. Bei Säuglingen kann kein noch so verzerrter Schuldbegriff in Anwendung gebracht werden. Ihre Ermordung entsprach indes der mörderischen Logik eines Denkens, welches im Kampf der "Rassen" das Antriebsgesetz der Geschichte und daher auch in kleinen Kindern eine Bedrohung einer zu schaffenden "rassisch" homogenen "Volksgemeinschaft" sah. Diese biologistische Deutung von Geschichte und Gesellschaft und ihre radikale Umsetzung in politisches Handeln machen das eigentlich Neue und Revolutionäre des Nationalsozialismus aus. Die Vorstellung einer unabänderlichen genetischen Prägung sowie der zunehmende Einfluss der "Rassenwissenschaften" auf die politischen Entscheidungsträger waren wesentliche Voraussetzungen auch für die Herausbildung des Konzeptes der "Endlösung der Zigeunerfrage", anders lässt sich die mörderische Dynamik der gegen Sinti und Roma gerichteten Politik nicht erklären.

Diese "Rassenpolitik", an deren Ende der staatlich organisierte Völkermord stand, unterschied sich fundamental von allen vorangegangenen Formen der Verfolgung und kann nicht einfach als bloße Verschärfung oder Steigerung staatlicher "Zigeunerpolitik" betrachtet werden. Die Idee der "Rasse" stand ja gerade konträr zur traditionellen Vorurteilsbildung, indem sie von individuellen Faktoren wie persönlichem Verhalten, religiöser oder politischer Überzeugung völlig abstrahieren konnte. Deshalb wurden sogar Adoptivkinder aus "arischen" Familien oder "Achtelzigeuner" nach Auschwitz deportiert, nur weil Rassebiologen unter den Vorfahren einen "Zigeuner" ausgemacht hatten. Die innere Logik eines solchen Denkens wird besonders deutlich in einem Schreiben der Verwaltung des "Generalgouvernements/Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge" vom 30.09.1941, das an einen deutschen Gefreiten gerichtet war, dessen Verlobte man ins besetzte Polen deportiert hatte. Darin heißt es: "Da die Zigeuner ebenso wie die Juden Fremdblütige sind, sind eheliche Verbindungen von deutschen Volkszugehörigen mit Zigeunern dazu geeignet, den deutschen Volkskörper zu zersetzen und sind daher grundsätzlich abzulehnen. Wenn die Zigeunerin, die Sie als Verlobte bezeichnen, auch nicht vorbestraft sein mag und anders geartet als die Zigeuner erscheint, bleibt sie eine Fremdblütige, deren mit ihrem Blut verbundene Eigenschaften zu gegebener Zeit hervortreten können und auch bei ihren Kindern in Erscheinung treten werden."

Einem Regime, das dazu entschlossen war, seine ideologischen Ziele unter den Ausnahmebedingungen des Krieges mit aller Radikalität in die Wirklichkeit umzusetzen, erschien die physische Vernichtung ihrer "rassischen" Feinde letztlich als unausweichliche Notwendigkeit. Dies war eine Konsequenz, die in der NS-Ideologie bereits angelegt war, wenngleich es natürlich zahlreicher weiterer Faktoren und Voraussetzungen bedurfte, um dieses Denken furchtbare Realität werden zu lassen. Das ist der Kontext, in dem auch der Völkermord an den Sinti und Roma analysiert werden muss.

Die Interpretationen und Bewertungen von Lewy oder Bauer stehen indes nicht für die Wissenschaft, so sehr dies die Protagonisten auch behaupten mögen. Ebenso wenig Eberhard Jäckel, der in der FAZ meinte, die deutsche Gesellschaft müsse sich "von ihr aufgedrängten Legenden" hinsichtlich der Homosexuellen und Zigeuner befreien und "zu einem wahren Geschichtsbild des Holocaust" zurückfinden. Denn es gibt zahlreiche Wissenschaftler, die hervorheben, dass der Völkermord an Juden wie an Sinti und Roma grundlegende Übereinstimmungen aufweist. Stellvertretend sei zum Abschluss einer der renommiertesten deutschen Zeithistoriker, Prof. Peter Steinbach, zitiert, der in seinem Vortrag anlässlich der Eröffnung unserer transportablen Ausstellung in der Berliner Staatsbibliothek am 1. März 2001 sagte, "dass der industriemäßig betriebene Mord an den Juden und an der Volksgruppe, die man 'Zigeuner' nannte, aus einer gemeinsamen, gleichen rassenideologischen Wurzel legitimiert wurde. Deshalb ist es geschichtsphilosophisch völlig unangemessen, die parallel verlaufenden Vernichtungsversuche - den Völkermord an den Juden und an den Sinti und Roma - zu isolieren und die Vergleichbarkeit und Einzigartigkeit des einen Völkermordes zu betonen und die Bedeutung des anderen zu relativieren."


Romani Rose ist Geschäftsführer des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma sowie Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

aus: Frankfurter Rundschau, 14.12.2001

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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