"Ich trage das nicht mit"

Der israelische Reservefeldwebel Amit Bar-Tzedek über seine Gründe, den Dienst in den Gebieten zu verweigern

Vor zwei Wochen machte eine Gruppe von fünfzig israelischen Reservisten Schlagzeilen, als sie öffentlich erklärte, den Wehrdienst in der Westbank und im Gasastreifen verweigern zu wollen. Einer der "Gebiete-Verweigerer", deren Zahl insgesamt auf mehrere Hundert geschätzt wird, ist Amit Bar-Tzedek, ein Reservefeldwebel der Panzertruppe. Voriges Jahr verbüßte der Achtundzwanzigjährige, der an der Tel Aviver Musikakademie studiert, eine achtzehntägige Freiheitsstrafe wegen Mißachtung eines Einberufungsbefehls. Wladimir Struminski hat mit Bar-Tzedek über seine Beweggründe gesprochen.

    Sie weigern sich, Befehlen der Armee eines demokratischen Staates zu folgen.
  • Bar-Tzedek: Ich bin sehr dafür, mich an die Spielregeln der Demokratie zu halten. Ich bin auch kein Pazifist. Ich bin bereit, mein Land zu verteidigen. Was Israel in den Gebieten macht, kann ich aber nicht mittragen. Israel unterdrückt dort ein anderes Volk, das für sein Recht auf einen eigenen Staat kämpft. Zudem eignet sich Israel durch die Siedlungen Land an, das ihm nicht gehört. Das ist unmoralisch.

    Aber Sie verstoßen gegen das Gesetz!
  • Bar-Tzedek: Ich verstoße gegen kein Gesetz. Die israelische Politik in den Gebieten und der Einsatz der Armee zur Durchsetzung dieser Politik sind offenkundig illegal und stehen im Widerspruch zu dem in Israel geltenden Recht. Deshalb halte ich auch nichts von dem Rat, den man uns oft gibt, doch erst einmal den Dienst anzutreten, und dann, je nach Lage, einzelne Befehle zu verweigern. Der Dienst in den Gebieten an sich ist offenkundig illegal. Derjenige macht sich strafbar, der einen offenkundig illegalen Befehl nicht verweigert. Im Unrecht sind deshalb diejenigen, die hingehen und eine Politik der Kriegsverbrechen durchsetzen helfen.

    "Politik der Kriegsverbrechen"? Das ist eine schwere Anschuldigung.
  • Bar-Tzedek: Wenn wir als Juden "Kriegsverbrechen" hören, denken wir aufgrund unserer historischen Erfahrung an Völkermord. Das meine ich nicht. Es gibt auch andere Handlungen, die Kriegsverbrechen darstellen, beispielsweise die Überführung eigener Bevölkerung in besetzte Gebiete.

    Was sagen Sie einer Familie, die sich vor zehn Jahren eine preiswerte Wohnung bei Jerusalem gekauft hat, und heute durch Terroranschläge gefährdet ist?
  • Bar-Tzedek: Sie sollte in israelisches Staatsgebiet umziehen.

    Und wenn sie, wie schon vor zehn Jahren, kein Geld dafür hat?
  • Bar-Tzedek: Dann steckt sie in der Tat in einer auswegslosen Lage. Das ist ein Beispiel dafür, daß Israel seine Politik ändern muß. Die heutige Situation ist nämlich nicht einfach "entstanden". Wir haben sie geschaffen. Wenn, um bei dem Beispiel zu bleiben, die Wohnungen in den Gebieten billiger waren, dann, weil Israel sie billiger gemacht hat. Jetzt muß es eine Lösung finden.

    Hat es das nicht versucht? Barak hat den Palästinensern einen Staat auf nahezu hundert Prozent der Gebiete angeboten. Arafat hat abgelehnt. Stellt das Ihre Position nicht in Frage?
  • Bar-Tzedek: Nein, und zwar, weil auch Barak den Palästinensern keinen wirklich souveränen Staat angeboten hat, sondern große israelische Siedlungsblöcke unangetastet lassen wollte, den palästinensischen Luftraum beanspruchte, die Grenzübergänge des palästinensischen Staates kontrollieren und auf seinem Gebiet israelische Waffenlager errichten wollte. Was wir brauchen, sind zwei wirklich souveräne Staaten.

    Wer garantiert, daß der palästinensische Staat einen Friedenvertrag auch einhält?
  • Bar-Tzedek:Wenn die Einhaltung des Friedensvertrages während einer Übergangsperiode überwacht werden muß, bitte schön - aber nicht durch uns. Wir sind nicht objektiv.

    Und wenn Israel vom Gebiet eines souveränen palästinensischen Staates mit Raketen beschossen würde - was dann?
  • Bar-Tzedek:Wenn nötig, müßte sich Israel auch mit militärischen Mitteln verteidigen. Israels Armee hat leider schon beweisen müssen, daß sie weiß, wie man eine Grenze überschreitet.

    Wären Sie dann bei Ihrer Einheit dabei?
  • Bar-Tzedek:Dann, wenngleich ungern, ja.

    Wollen Sie mit der Dienstverweigerung auch politisch etwas bewirken?
  • Bar-Tzedek: Ich bilde mir nicht ein, daß Israel den Ministerpräsidenten auswechselt, nur weil ich nicht in den Gebieten diene. Auf der anderen Seite gehöre ich nicht zu denjenigen, die meinen, die Dienstverweigerung, in den Gebieten habe nichts mit Politik zu tun. Wenn unser Beispiel Schule macht und die Zahl der "Gebiete-Verweigerer" erheblich steigt, dann wird die Regierung ihre Politik ändern müssen. Damit meine ich nicht, daß der Armee die Soldaten für den Dienst in den Gebieten ausgehen. Das Umdenken bei Regierung und Armee setzt lange davor ein.

    Und um das zu erreichen, sind Sie auch bereit, ins Gefängnis zu gehen?
  • Bar-Tzedek: Natürlich sitze ich nicht gern im Gefängnis. Mir wäre es lieber, wenn die Armee meine Weigerung, in den Gebieten zu dienen, anerkennen oder zumindest hinnehmen würde. Übrigens werden wir in der Regel viel härter als Deserteure bestraft, obwohl wir keine Deserteure sind.

    Mußten Sie als Verweigerer im persönlichen Umfeld Nachteile hinnehmen?
  • Bar-Tzedek: Ich könnte nicht einen einzigen Freund nennen, der sich von mir abgewandt hätte. Auch in meiner Familie läuft alles seinen gewohnten Gang. Zwar habe ich eine Tante, die sehr dagegen ist, was ich tue, aber wir haben es so gelöst, daß wir in ihrem Beisein nicht über Politik reden. Im beruflichen Bereich dagegen - ich unterrichte Schauspiel an Schulen - hätte man mich beinahe entlassen. Insgesamt aber glaube ich, daß das Verständnis der israelischen Gesellschaft für uns gestiegen ist. Früher hatten es Verweigerer schwerer als wir heute.

aus: Jüdische Allgemeine, 14.2.2002

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