Runen, Bratwurst, Rüssel-Skins

Wo Rechtssein Spaß macht

von Toralf Staud

Der Euro ist scheiße und Landser eine coole Band. Politiker sind Abzocker, machen den Sprit teurer und lassen immer mehr Asylanten ins Land. Vati motzt abends über die billigen Bauarbeiter aus Polen. Warum darf man eigentlich als Deutscher nicht stolz sein? Obwohl, seit den Wikingern ist die germanische Rasse ja ganz schön runtergekommen. So reden sie, so denken sie, die jungen Neonazis.

"Fast unbemerkt wird in den Städten und Dörfern zwischen Ostsee und Erzgebirge ein Kulturkampf geführt, der nationalistisch motiviert ist", schreibt die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme triumphierend. Dieser "Kulturkampf" läuft auch zwischen Sylt und Bodensee, aber in Ostdeutschland ist er besonders weit fortgeschritten. Dort gibt es in praktisch jedem Landkreis mindestens eine militante Neonazikameradschaft, etliche davon mit Anbindung an die NPD. Um sie herum haben sich rechte Jugendcliquen etabliert, sie haben Schulen fest in der Hand, fordern von ihren Bürgermeistern eigene Jugendzentren, und wenn sie ihre rechtsextremistischen Ansichten nicht mehr ungestört verbreiten dürfen, organisieren sie eine Demonstration für Meinungsfreiheit.

Rechts heißt nicht mehr automatisch Springerstiefel, Glatze und Bomberjacke; man trägt genauso Turnschuhe und Plateausohlen, Scheitel und blondierte Strähnen, enge Jeans und Schlaghosen. Die rechte Jugendkultur ist ein Patchwork aus Musik und Sprache, aus Kleidung, Runen und Germanenmystik. Ein ganzer Kosmos rechten Lifestyles hat sich entwickelt, aus dem sich jeder herauspicken kann, was ihm gefällt. Nazis sind Pop, lautet der treffende Titel eines Buches von Burkhard Schröder. Die Elemente dieser Popkultur sind frei kombinierbar mit fast allen anderen Mode- und Musikstilen, die Ideologie kann dann schleichend folgen. Auf dem flachen Land im Osten sind die Rechten die dominierende Jugendkultur. Selten stellen sie die Mehrheit, aber sie geben den Ton an.

Hakenkreuz im Unterricht

Ein Dorf in der Oberlausitz im hintersten Sachsen, nur ein paar Kilometer sind es von hier bis Polen und Tschechien. Der Direktor der Mittelschule versichert, in seinem Haus sei "in Bezug auf Rechtsextremismus noch nichts aufgetreten, was meldepflichtig ist". Große Pause auf dem Schulhof. Hier kennen alle die Geschichte von Dennis aus der 10. Klasse, der im Unterricht ein Hakenkreuz hochgehalten und den Lehrer als Juden beschimpft hat. Hinter der Turnhalle stehen sechs Jungen aus der 9. Klasse und saugen an ihren Zigaretten. Keiner sieht aus, wie man sich Nazis sonst vorstellt. Einer hat einen Bundesadler auf schwarzrot-goldenem Hintergrund als Aufnäher an seinen Rucksack gepappt, zwei tragen Bomberjacken, die sie liebevoll "B-Jacken" nennen, ein Dritter läuft in New-Balance-Turnschuhen, die wegen des großen "N" an manchen Orten Erkennungszeichen der "nationalen" Jugend sind. "Was hört ihr denn so für Musik?" - "Oi!", grölen sie, harten Nazi-Rock. Der Einzige, der HipHop mag, gibt sich erst auf zweimalige Nachfrage leise zu erkennen. Prompt ziehen ihn die anderen wegen seines "antideutschen" Geschmacks auf.

Greifswald in Vorpommern. Seit Jahren versucht die NPD hier mit unpolitischen Angeboten Nachwuchs zu ködern. Auf Kinderfesten gibt es kostenlos Kuchen und Bratwürste, Jugendliche werden zum Lagerfeuer eingeladen - die Partei bezeichnet den hiesigen Kreisverband als vorbildhaft. Matthias Kindt, Sozialarbeiter in Greifswald, muss zugestehen, dass die NPD "die einzige Partei ist, die sich in dieser Form" um Jugendliche kümmert. Die Erfolge seien nicht riesig, aber doch sichtbar. Kindt berichtet, dass bei seiner Klientel der rechte Liedermacher Frank Rennicke "der große Renner" sei. Und selbstverständlich hören sie auch alle Landser und die Zillertaler Türkenjäger. Kindt: "Musik ist die größte Einsteigerdroge in die Szene." Ian Stuart Donaldson, der Sänger der britischen Skinhead-Band Screwdriver, wusste das: "Eine Gruppe zu hören, die man gut findet, macht viel mehr Spaß als eine politische Versammlung. So erreichen wir viel mehr Leute." Donaldson gründete das in Deutschland mittlerweile verbotene Netzwerk Blood&Honour (Blut und Ehre). 1993 starb er bei einem Autounfall; seither ist er so etwas wie der James Dean der Neonaziszene. Gedenklieder an ihn gehören zu jedem rechten Konzert, gern wird Screwdriver auf Jacken gestickt und die Liedzeile "Tomorrow Belongs To Me" auf Autoheckscheiben geklebt.

In Deutschland haben in den vergangenen zehn Jahren über hundert rechte Bands ungefähr 500 CDs produziert. Ein Gesamtverzeichnis der Alben, zusammengestellt vom Berliner Archiv der Jugendkulturen, füllt 30 eng bedruckte Seiten, von A wie Arisches Blut aus Mecklenburg-Vorpommern bis Z wie Zyklon B aus Nordrhein-Westfalen. Die Auflagen reichen von wenigen hundert bis zu fünfzehntausend Stück. Die Texte sind gewaltverherrlichend und rassistisch, sie verklären das "Dritte Reich", beschwören den Zusammenhalt der Szene und peitschen auf zum Kampf gegen Ausländer, Linke, Christen, den Staat. "Unsere Gesichter, sie sind voller Hass / doch die Gewalt, die macht uns Spaß", singt Kraftschlag. Die White Aryan Rebels dichten: "Mit der Lizenz zum Töten ziehen wir dann durch das Land / Dann wird alles Kranke erschlagen und niedergebrannt." Die CDs stehen auf dem Index, was sie nur noch beliebter macht.

Auf dem Schulhof in der Oberlausitz weiß jeder, wo man solche Musik kaufen kann. Der Plattenladen am Markt in Zittau, erzählen die Jungs, habe im Hinterzimmer einen ganzen Schrank voll davon. Die richtig harten CDs kaufen sie auf dem Polenmarkt gleich hinter der Grenze oder bei Internet-Versandhäusern in Amerika oder Skandinavien. Stefan weiß noch genau, welche seine erste Platte war: Das Reich kommt wieder von Landser, der populärsten Naziband, deren Mitglieder im vergangenen Jahr verhaftet wurden. Von einem Freund seines großen Bruders bekam er sie, da war er 13 - und hat sie hinterher für etliche Klassenkameraden auf Kassette überspielt.

"Was ist so toll an der Musik?" "Der Spaß!" "Was hältst du von den Texten?" "Die Hälfte ist wahr." "Ist dir das nicht ein bisschen zu heftig?" "Das hört man sich so an, da lacht man drüber. Das gehört dazu."

Nur das Lied Blut muss fließen von Tonstörung, das sei ihm ein bisschen zu krass, sagt er und rezitiert es dann strophenlang: "Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig / lasst die Messer flutschen in den Judenleib. / Blut muss fließen, knüppelhageldick / und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik."

Wenn sie richtige Neonazis finden wollen, brauchen Stefan und seine Kumpels bloß in den Linienbus zu steigen. In Zittau, Südstraße 8, sitzt der Nationale Jugendblock e. V. (NJB), ordnungsgemäß eingetragen im Vereinsregister des Amtsgerichts. Nach der Wende vermietete die städtische Wohnungsbaugesellschaft dem NJB billig ein baufälliges Haus. Zweck des Vereins war laut Paragraf 2 der Satzung, "national gesinnte Jugendliche zu sammeln und ihnen eine Basis für eine sinnvolle Freizeitgestaltung im Kreise gleichgesinnter zu ermöglichen". Paragraf 4: "Die Mitgliedschaft ist an eine Zugehörigkeit zur deutschen Nationalität gebunden." Damals, 1992, fand niemand etwas daran. Jahrelang bekam der NJB Fördergelder vom Landkreis für die "sinnvolle Freizeitgestaltung". Heute wären die Behörden den Verein, den der Landesverfassungsschutz als "wichtiges Bindeglied der Rechtsextremisten in Ostsachsen" bezeichnet, gern los. Nur wissen sie nicht, wie. Als der Bürgermeister vor einem Jahr erstmals von Kündigung sprach, drohte der Verein auf einem Flugblatt, in diesem Falle könne man für das "weitere Handeln einzelner Personen keine Verantwortung" übernehmen.

Nun wollen Stadtverwaltung und Jugendamt den NJB zähmen. Eine neue, gesäuberte Satzung wurde formuliert, und im neuen Nutzungskonzept für das Haus, das der NJB nun für zwölf Jahre zur Pacht bekommen und selbst renovieren soll, steht: "Ebenso distanzieren wir uns von jeglicher Form der Gewalt, die gegen das Leben und die Gesundheit anderer Menschen gerichtet ist." Der Nebensatz hat niemanden stutzig gemacht. 8000 Mark hat der Jugendhilfeausschuss des Landkreises für Baumaterial bewilligt, und der Verein senkte vor kurzem das Mitgliedsalter von 16 auf 14 Jahre. Die Interessenten werden immer jünger.

Weinbrand statt Wasser

Wer mit dem Zittauer Bürgermeister über den NJB spricht, erlebt ihn gutwillig und hilflos. Er werde dem Verein enge Bandagen anlegen, sagt er. Geschehe in dem Haus noch einmal etwas, was strafbar ist, folge der Rauswurf. Doch was nicht strafbar ist - dagegen könne man nichts tun. Also dürfen auf Veranstaltungen des NJB weiterhin NPD-Kader auftreten oder der Hamburger Neonazi Christian Worch. Und im NJB-Haus könnte, wie im vergangenen Oktober, wieder eine Einladung aushängen zu einem Schulungsabend mit dem Naziaktivisten Peter Naumann.

Stefan und seine Clique haben die älteren Mitglieder vom NJB letztes Jahr auf einem Volksfest getroffen. Man erkannte sie an ihren schwarzen Bomberjacken mit dem weiß aufgestickten Vereinsschriftzug. "Wir haben uns gut verstanden", sagt Stefan, "dann haben sie uns mitgenommen." Im vereinseigenen Haus kann man saufen und Musik hören, fernsehen und Playstation spielen. Es gibt Kickertische, Matratzen, falls jemand übernachten muss, und einen Raum, in dem die Mädchen unter sich sein können. Besonders extrem fand Stefan den NJB nicht - bis auf den Brauch, die Kaffeemaschine statt mit Wasser mit Weinbrand zu füllen.

Altes deutsches Liedgut

Schon vor Jahren haben Neonazistrategen entdeckt, dass eine kulturelle Unterwanderung viel effektiver ist als das Verteilen von Parteiprogrammen und Flugblättern. Als Vorbild gilt ihnen das Konzept des italienischen Marxisten Antonio Gramsci: "Ohne kulturelle Hegemonie, ohne Revolution im Kopf, keine Revolution." In einem Artikel, der 1999 gleich in drei rechten Zeitschriften erschien, schrieb der NPD-Funktionär Jürgen Schwab, Nationalismus solle "jungen Leuten als ein spannendes Erlebnis oder gar Abenteuer ,verkauft' werden. Heranwachsenden muss es Spaß machen, nationale Veranstaltungen zu besuchen."

Und Nationalismus kann Spaß machen. In Sachsen lädt der Nationale Widerstand, ein Zusammenschluss rechter Kameradschaften, regelmäßig zum Fußballturnier. Da kicken dann die Schlesischen Jungs aus Niesky gegen den Jungsturm Bellwitz, die Rüsselskins Kaupen gegen die Reichsfront Rennersdorf. Bei Germanenwettkämpfen misst man seine Kräfte im Baumstammwurf oder Kuhaugenweitspucken. Die Wanderjugend Gibor - laut Verfassungsschutz von 1996 bis 2000 in Brandenburg, Berlin, Sachsen, Thüringen und Niedersachsen aktiv - organisierte Klettertouren in der Sächsischen Schweiz und mehrtägige Wanderungen mit Lagerfeuerromantik. Besonders angesagt in der Szene sind heidnische Sonnenwendfeiern, statt Weihnachten begeht man das Julfest. Detaillierte Tipps für den nationalistisch-korrekten Zeitvertreib bietet die Kulturkammer der europäischen Jugend, im Internet erreichbar. Da heißt es: "Wir sollten unsere Freizeit gezielt anders gestalten, als es heutzutage üblich ist. ... Wenn sich ein Bursche ein Mädel greift, um mit ihr zusammen durch den Saal zu tanzen, so ist das doch viel schöner als das vereinzelte Bewegen in den Diskos." Es finden sich dort auch Tischsprüche, Gedichte und altes deutsches Liedgut samt Melodie, die als mp3-Datei auf den eigenen Computer heruntergeladen werden können. Die altdeutsche Schreibschrift wird ausführlich vorgestellt, und nebenbei klagt der "Netzmeister" (die übliche Bezeichnung Webmaster ist wie alle Anglizismen verpönt): "Eigentlich wollten wir die gesamte Netzseite in Frakturschrift setzen, aber leider traten technische Probleme auf. Deswegen sind nur die Überschriften in Fraktur, der Fließtext aber in Latein. Wenigstens können jetzt auch Ausländer unsere Seiten leichter durchstudieren." Anschließend werden "unsere schönen, sehr passenden germanischen Monatsnamen" vorgestellt. Ein Klick auf den beigefügten Link, schon rutscht man auf die "Weltnetz-Seite" der unverhüllt rassistischen "Artgemeinschaft" des Altnazis Jürgen Rieger.

Ausgiebig bedienen sich Neonazis im Fundus nordischer Mystik, germanischer Runen und heidnischer Riten. Weil es keine gesicherte Überlieferung ihrer tatsächlichen Bedeutung gibt, lässt sich alles freihändig mit Inhalten füllen. Runenkunde ist in, entsprechende Bücher sind in vielen Stadtbibliotheken ein Renner. Eine Zittauer Berufsschullehrerin, die offen gegen Rechtsextremismus auftritt, hat kürzlich einen durchgängig in Runen geschriebenen Drohbrief bekommen. Sie berichtet von Klassen, in denen rechte Gesinnung "fast flächendeckend" verbreitet ist.

Altgermanische Fantasiewelten sind nicht nur für rechte Jugendliche höchst attraktiv, zugleich faszinierend fremd und doch irgendwie etwas Eigenes. Im weitgehend atheistischen Ostdeutschland fällt heidnische Esoterik auf besonders fruchtbaren Boden. Kleine Thorshämmer aus Messing oder Bronze sind weit verbreitet, "Stinos", stinknormale Jugendliche, tragen sie ebenso wie Neonazis als Amulett. Der sächsische Verfassungsschutz warnte schon vor einem Jahr, dass Heidentum und Germanenkult "zunehmende Bedeutung für die Nachwuchswerbung unter zunächst unpolitischen Jugendlichen" gewinnen.

Eines der führenden Unternehmen der Szene nennt sich Wikingerversand. Dessen professionelle Internet-Seite offeriert alles, was das - mehr oder minder - nationale Herz begehrt. Von "Honig Met ,lieblich'" ("das Getränk der alten Germanen") für 6,50 Euro die Flasche bis zu rechtsextremer Musik und Szenekleidung diverser Marken, die sich individuell verzieren lässt: Das "Kragen-Stickmotiv ,Skinhead'" kostet 4,09 Euro, für den Nachwuchs gibt es Kinderkleidung mit Nazisymbolik. Und die nationale Mami kann das Parfüm "Walküre" (20,45 Euro) ordern. Längst aber ist der Kleidungsstil der rechten Szene nicht mehr einheitlich. Die Szene trägt auch, was alle anderen tragen: Mancherorts sind Winterjacken von Helly Hansen beliebt, denn das HH-Logo lässt sich als Heil Hitler lesen. In dem Dorf nahe Zittau erzählen allerdings Jungs aus einer HipHop-Clique, dass die rechte Mode schon wieder abklingt. Viele trügen jetzt Techno-Klamotten. "Die Rechten haben ihr Äußeres geändert. Aber im Kopf haben sie immer noch dasselbe."

"Wir sind hygienisch"

Die rechte Szene in Ostdeutschland hat sich breit gemacht. Die NPD führt diesen "Kulturkampf" mit, eine Schlüsselstellung hat sie nicht, aber Einfluss. In Greifswald tat sich vor einem Jahr eine Hand voll rechter Jungen und Mädchen zur Schülerinitiative für freie Meinungsbildung und -äußerung zusammen. Sie fühlten sich von ihren Lehrern, die ihnen CDs mit Nazimusik abgenommen hatten, diskriminiert. Jetzt machen sie eine Schülerzeitung, die sie auf einem Kopierer der NPD vervielfältigen. In drei Nachbarstädten, berichten sie stolz, gebe es bereits Ableger ihrer Gruppe. Sie bauen Infostände auf und organisieren Demonstrationen für Meinungsfreiheit.

Da marschieren sie mit Transparenten, auf denen das Grundgesetz zitiert ist. Hinterher, wenn sie mit einem Dosenbier auf dem Aldi-Parkplatz stehen, werden die breitschultrigen Skins und milchgesichtigen Jünglinge gesprächig. Mittendrin eine adrette junge Frau, die in dieses Bild nicht so recht zu passen scheint. Dunkle Haare mit blondierten Spitzen, weißer Rollkragenpullover und darüber ein schwarzer Mantel. Die rechte Augenbraue hat sie gepierct. Sie sagt, sie sei rechts, weil die Linken, die sie kenne, "stinken und kiffen und mit Drogen handeln". Von den Rechten spricht sie als "unsere Bewegung" und sagt: "Wir sind hygienisch."

Ein paar Meter weiter gießt sich gerade ein Kamerad Bier über die Jacke.

DIE ZEIT, 31.1.2002

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