Ein Bethaus für alle Völker

Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld will ihre neuen Räume Besuchern öffnen

von Robert Fischman

Zum ersten Mal in der Geschichte Westfalens wird eine Kirche zu einer Synagoge umgebaut. Die Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld hat von der evangelischen Martinigemeinde die Georgenkirche und das dazugehörige Zentrum am Botanischen Garten gekauft. "Vor zwei Jahren hatte wir dreißig Mitglieder, heute sind wir einhundertfünfzig", beschreibt die Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde, Irith Raub-Michelsohn, das rasante Wachstum ihrer Gemeinschaft. Im alten Gemeindezentrum in der Stapenhorststraße wurde es zu eng. Die dortige Synagoge hatte nur fünfundfünfzig Plätze, obwohl zu den Gottesdiensten immer mehr als einhundertzwanzig Gemeindemitglieder kommen.

Es fehlen der Gemeinde noch eine halbe Million Euro zum Start in eine neue Zukunft. Die Kirche soll zu einer Synagoge mit zweihundertfünfzig Plätzen umgebaut werden und für das koschere Essen braucht man eine zweite Küche. Teuer ist auch der Einbau der Sicherheitsmaßnahmen an dem Gebäude aus den sechziger Jahren. Die vielen großen Doppelfenster will die Jüdische Gemeinde durch Sicherheitsglas ersetzen. Am Haus werden Bewegungsmelder und Videokameras installiert. "Die Polizei hat uns eine Standleitung ins Präsidium empfohlen", berichtet Raub-Michelsohn.

Den Kaufpreis für das Objekt halten Käufer wie Verkäufer geheim. Das Grundstück bleibt Eigentum der Kirche. Dafür bekommt sie eine Erbpacht von zwanzigtausend Euro im Jahr. Allein die Unterhaltskosten für das Gebäude schätzt Raub-Michelsohn auf einhundertdreißigtausend Euro im Jahr. Geld, das die Gemeinde nicht hat. Fast alle Bielefelder Juden sind als Kontingentflüchtlinge aus dem ehemaligen Ostblock mit leeren Händen nach Deutschland gekommen. Deshalb bitten die evangelische Kirche, die Jüdische Gemeinde und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit dringend um Spenden für das neue jüdische Zentrum in Bielefeld.

Die Stadt hält sich zurück. "Der Oberbürgermeister hat unsere Briefe mit Bitten um Unterstützung nicht beantwortet", berichten ein Vertreter der Kirche und Irith Raub-Michelsohn übereinstimmend. Auch die Firma Oetker, die Ihren Unternehmenssitz in Sichtweite des Gemeindezentrums hat, reagierte auf die Bitte um Spenden bisher nicht. Die Stadt Dresden habe ihre Jüdische Gemeinde mit acht Millionen Mark unterstützt, Chemnitz seine mit fünf Millionen und Wuppertal seine mit drei Millionen, berichtet die Bielefelder Gemeindevorsitzende und merkt sarkastisch an: "Dafür haben wir jetzt eine Kaselowski-Straße." Ganz in der Nähe des Botanischen Gartens hatte die Stadt im vergangenen Jahr nach einem Ratsbeschluß der bürgerlich-konservativen Mehrheit eine kleine Straße nach Richard Kaselowski umbenannt, einem Mitglied der Oetker-Familie und bekennenden Nazi, der Mitglied im Freundeskreis der SS war. Einem Mahnmal für die aus Bielefeld 1941 ins Ghetto Riga deportierten Juden verweigerte die Stadt kurz zuvor ihre Unterstützung.

"Schon aus der Vergangenheit heraus fühlen wir uns der Jüdischen Gemeinde verpflichtet", hält Udo Halama dagegen. Für die evangelische Kirchensynode von Westfalen kümmert er sich um die Zusammenarbeit mit den Jüdischen Gemeinden im Land. "Unsere christliche Identität können wir ohne die jüdische Geschichte unseres Glaubens nicht bestimmen, begründet Halama das Engagement der evangelischen Kirche. Mindestens zwei Mal im Jahr wollen deshalb die beiden Glaubensgemeinschaften gemeinsame Gottesdienste anbieten. Auch die Sommerkonzerte im Botanischen Garten werden Juden und evangelische Christen zusammen veranstalten.

Die Jüdische Gemeinde will ihr Leben im neuen Haus "öffnen und damit normalisieren". Gäste seien auch zu den Gottesdiensten nach der offiziellen Eröffnung zu Rosch Haschana im September willkommen. Das am bisherigen jüdischen Gemeindehaus in der Stapenhorststraße angeschriebene Motto aus Jesaja "Dieses Bethaus sei ein Haus für alle Völker" soll nun Wirklichkeit werden.

Jüdische Allgemeine, 25.4.2002

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