Ein Gespenst geht um in Deutschland

von Martin Stöhr

Ein Gespenst geht um in Deutschland. Sein Name wird mit dem Satz angegeben: "Die Politik des israelischen Ministerpräsidenten Scharon darf man nicht kritisieren!" Wer es dennoch tut, wie der unerschrockene Jürgen W. Möllemann, der kommt sich als heldenhafter Tabubrecher vor. Ein Tabubrecher vermarktet sich heutzutage gut. Er kommt in die Medien. Er macht Eindruck auf den Fanclub jener Wähler, die mangels eigener Meinung nur nicken: "Genau das musste ein mutiger deutscher Mann einmal aussprechen! Leben wir nicht in einem Land, dessen Medien von der jüdischen Lobby beherrscht werden, die jeden Prominenten klein kriegen?" So formulierte es das neue Mitglied der FDP-Landtagsfraktion Karsli in Düsseldorf in einer rechtslastigen Zeitschrift.

Vielleicht "zittert" Herr Möllemann "vor Kühnheit", wie es einst Martin Walser in seiner Paulskirchenrede von sich bekannte - bei der nur Ignatz Bubis und Friedrich Schorlemmer sitzen blieben. Alle anderen Ehrengäste klatschten stehend Beifall.

Vielleicht denkt Möllemann, wenn diese Gruppe schon nichts mehr von Auschwitz, von deutscher Vergangenheit und von jüdischem Selbstbewusstsein hören will, dann gibt es sicher noch mehr Leute, die so denken. Da er wie ein Hund nach der Wurst hinter der magischen Zahl "achtzehn" herhechelt, also neue Wählerinnen und Wähler gewinnen will, sucht er nach Argumenten. Er findet keine politisch überzeugenden, folglich bläst er alte Gespenster auf. Von ihnen weiss er , dass sie nicht nur ihm gefallen, sondern auch anderen Leuten.

Er findet drei: Das erste Gespenst behauptet durch seinen Bauchredner Möllemann, man dürfe Israel nicht kritisieren. Wer aber die Berichte und Kommentare in Europa während der zweiten Intifada und während der brutalen Gegenschläge der israelischen Armee aufmerksam verfolgt hat, der kennt die Kritik, die nicht nur an den palästinensischen Selbstmordattentaten geübt wurde, sondern auch an der israelischen Besatzungspolitik. Wer meint, als angeblicher Tabubrecher Israel kritisieren zu müssen, rennt in der bekanntlich lächerlichen Pose offene Türen ein. Vom israelischen Staatspräsidenten bis zur Vertretung der Juden in Deutschland wurde immer wieder erklärt, dass es natürlich in Deutschland möglich sei, Israel zu kritisieren. Wenn in Israel, der einzigen Demokratie im Nahen Osten, ständig die israelische Regierung kritisiert wird, ist das auch in anderen Demokratien erlaubt.

Das zweite Gespenst schielt auf die kommerziellen Interessen des Vorsitzenden der Deutsch-Arabischen Gesellschaft Möllemann. Vielleicht fördern antijüdische und antiisraelische Töne die Geschäfte in arabischen Ländern. Tut es etwas zur Sache, wenn einige von ihnen die Vernichtung Israels auf ihre Fahnen geschrieben haben oder entsprechende Gruppen dulden und fördern? Vielleicht wählen sogar einige Deutsche arabischer Herkunft Möllemanns FDP? Vielleicht aber sind sie solchen Rattenfängermethoden gegenüber kritischer als Herr Möllemann, der sie vor anderen rechten Rattenfängern fürsorglich bewahren will?

Das dritte Gespenst verhüllt seinen Lügencharakter überhaupt nicht. Es stammt aus der ältesten Mottenkiste des Antisemitismus und behauptet einfach: Die Juden sind selber am Antisemitismus schuld. Verhielten sie sich anders, dann hätten sie weder in Deutschland noch in Israel Probleme. Dieses verlogene Argument war in Deutschland 12 Jahre Regierungspolitik und mitläuferhafte Mehrheitsmeinung, nachdem es sich mit anderen rassistischen Vorurteilen, wie immer, verbündet hatte. Als die Gespenster in unserem Volk noch lebten, da nahmen sie einem Drittel des jüdischen Volkes das Leben. Herr Möllemann spekuliert mit seinen Wiederbelebungsversuchen auf ihre Restbestände.

Nicht nur Herr Möllemann, auch die FDP und ihr Wahlkampfstrategen müssen sich von diesen hohlen Gespenstern klar distanzieren und bei ihren Opfern entschuldigen. Das steht noch aus.

Kommentar im Hessischen Rundfunk 1. Progr., am 2.Juni 2002

zur Titelseite

zum Seitenanfang


Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
Pfr. U.Schwemer, Theodor-Storm Str.10, 64646 Heppenheim;
Tel: 06252-71270 / Fax: 06252-72606