Der Evangelische Pressedienst arbeitet seine bislang vertuschte NS-Vergangenheit auf

von Sigrun Müller-Gerbes

Immer wieder hat der Evangelische Pressedienst (epd) die umfassende Aufklärung von Nazi-Verbrechen gefordert, hat Unternehmen kritisiert, die die eigene braune Vergangenheit verschleiert haben, hat auch von den Kirche ehrliche Bekenntnisse zu ihrer Rolle im NS-Staat angemahnt. Nun muss die Presseagentur, gegründet 1910, selbst öffentlich bekennen: Auch epd hat eine NS-Vergangenheit, die bislang vertuscht wurde.

Die bisherige Darstellung, epd sei unter den Nazis wegen politischer Unliebsamkeit verboten worden, ist eine Legende, in die Welt gesetzt unter anderem, um nach dem Krieg eine Lizenz von der britischen Besatzungsmacht zu bekommen. Gestern stellte epd medien, der Medienfachdienst der Agentur, in Frankfurt ein Sonderheft mit umfangreichen Recherchen zur epd-Geschichte vor. Danach wurde die Agentur keineswegs 1937 von den Nazis verboten, wie der damalige Chefredakteur Focko Lüpsen behauptet hatte und wie es seitdem in zahlreichen auch wissenschaftlichen Darstellungen immer wieder heißt. Der Agenturdienst für Tageszeitungen erschien bis 1939, für Kirchenblätter lieferte die Agentur sogar bis 1941 Berichte. Erst danach war vorübergehend Schluss - offenbar aus Papiermangel, und nicht wegen Differenzen mit dem NS-Regime.

Die Recherchen von epd-medien-Redakteur Volker Lilienthal haben jedenfalls keinerlei Hinweise auf eine deutliche Distanz zum NS-Regime erbracht, im Gegenteil: "Der epd leistete die Propaganda, die verlangt war, und steigerte sich dabei bis zur Kriegsschwärmerei. Er rechtfertigte das millionenfache Sterben auf den Schlachtfeldern." Nach dem Krieg stilisierte sich Lüpsen, der den epd von 1933 bis zu seiner Einberufung 1940 als Chefredakteur verantwortete, zum Widerstandskämpfer, verfolgt von der Gestapo. Das und die Behauptung, epd sei 1937 von den Nazis verboten worden, machte die Erteilung einer Lizenz zur Formsache - nachgeprüft haben die Briten die Selbstdarstellung offenbar nicht, so die Ergebnisse der hauseigenen Nachforschungen.

In Bethel bei Bielefeld startete Lüpsen den Neuanfang und baute epd rasch wieder zum bundesweiten Nachrichtendienst aus. Gleichzeitig wurde er Direktor des Evangelischen Presseverbands in Westfalen und Lippe, später Vorsitzender des Verbands Rheinisch-Westfälischer Zeitschriftenverleger. Sogar das Bundesverdienstkreuz wurde ihm verliehen. Bis zu seinem Tod 1977 galt Lüpsen als eine der einflussreichsten Personen der kirchlichen Publizistik.

Epd-Chefredakteur Thomas Schiller zufolge haben die Enthüllungen epd-intern regelrecht Entsetzen ausgelöst. Alle Redakteure hätten bislang in dem Selbstverständnis gearbeitet, ihr Unternehmen komme aus einer Widerstandstradition. Auch er selber habe die "Zwecklüge" Lüpsens geglaubt und in eigenen Aufsätzen weiter verbreitet.

Erste Hinweise darauf, dass die hauseigene Geschichtsschreibung revidiert werden muss, hat es Schiller zufolge im vorigen Jahr gegeben. Damals sei der frühere epd-Chefredakteur Hans Hafenbrack bei der Arbeit an einem umfassenden Buch über den epd auf Ausgaben gestoßen, die aus der Zeit des angeblichen Verbots gestammt hätten. Weil "wir die Pflicht haben, uns an den gleichen Maßstäben zu messen, die wir auch an andere anlegen", sei daraufhin beschlossen worden, die NS-Vergangenheit der Agentur umfassend zu recherchieren. Ein Jahr lang forschte Lilienthal in Universitätsbibliotheken, kirchlichen, wissenschaftlichen und historischen Archiven und stieß auf zahlreiche Belege für die "Zwecklüge" des epd-Nachkriegsgründers. Auf der Pressekonferenz bezeichnete er die falsche historische Darstellung in allen bisherigen Veröffentlichungen über den epd als Beispiel dafür, "wie Fälschung durch pures Abschreiben in die Wissenschaft kommt".

Frankfurter Rundschau, 25.6.2002

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