Besuch von Schülerinnen und Schülern in der Gedenkstätte Hadamar

Fassungslos - schockiert - still - bedrückt. So reagierten die Schüler der Jahrgangsstufe 13 unserer Schule auf den Besuch der Gedenkstätte Hadamar. Gut informiert und bestens vorbereitet war die Klasse zur scheinbar alltäglichen Exkursion aufgebrochen - Teil des Lernstoffs "Kirche und Staat im Nationalsozialismus". Die Stimmung änderte sich jedoch während der Besichtigung auffallend. Selbst der Lehrer habe sich ruhiger und nachdenklicher, aber auch engagierter als sonst verhalten. Haften geblieben ist allen der Blick in die ehemalige Gaskammer, die - wie bei unserem Besuch auch - nicht alle Schüler betreten wollten. "Das Stehen in der Gaskammer und die Bilder, die sich in dem Moment in deinem Kopf abspielen." Davon blieb - das belegt die Umfrage - niemand unberührt. Viele hat die "nüchterne, maschinelle Organisation" des Mordens ebenso erschüttert, wie der blinde Gehorsam und der Umstand, dass die Euthanasiemorde immer noch verdrängt oder gar geleugnet werden. Das scheint jedoch bei den Angehörigen und Freunden der Schülergruppe nicht der Fall gewesen zu sein. Denn der Bericht über die Fahrt nach Hadamar wurde von den meisten sehr positiv aufgenommen. Aber es gab auch einige, die wollten unsere Fahrt "nicht an die große Glocke hängen". Wir wollten außerdem wissen, ob das Thema Nationalsozialismus und Faschismus im Unterricht angemessen behandelt wird und ob der Besuch einer Gedenkstätte sinnvoll ist. Beim Faschismus reichten die Antworten von einer zu oberflächlichen bis hin zur überzogenen Behandlung.

Auffallend war jedoch, dass ausgerechnet im Fach Geschichte - so die Befragten - die Zeit von 1933 bis 1945 nicht ausreichend behandelt werde.

Der Besuch der Gedenkstätte wurde übereinstimmend bejaht. "Es drückt zwar die Stimmung, aber ich finde, dass jeder mal so eine Gedenkstätte besuchen sollte", ist eine typische Antwort. Gedenkstätten sind wichtig, "um die Verbindung zur Vergangenheit nicht abreißen zu lassen", ist ebenso eine weit verbreitete Meinung, die von unserer Klasse ebenfalls geteilt wird. Gedenkstätten und Besuche müssen sein. "Ich halte Denken für wichtiger", stand auf einem unserer Fragebögen. Dazu sollen nach unseren Erfahrungen solche Besuche anregen.

Lena Friedrich, Jennifer Höcher, Jennifer Lang und Meike Mulfinger für die Klasse 10 f des Gymnasiums Philippinum Weilburg in Hessen; Projektleitung: Volker Schmidt

Was wirklich geschah, war lange Jahre ein Tabu

Gespräch mit der pädagogischen Leiterin: Die Besucher sollten gut vorbereitet kommen
Über uninteressierte Schüler und Lehrer, über mangelndes Interesse der Anwohner, aber auch über Angehörige, die sich der Vergangenheit stellen, sprachen Claudia Schneider und Elena Reichert mit Regine Gabriel, der pädagogischen Leiterin der Gedenkstätte Hadamar. Aber auch darüber, ob es sinnvoll ist, Besuche von Gedenkstätten für Schüler zur Pflicht zu machen. Vorwiegend Schulklassen zählen zu den rund 10 000 Besuchern im Jahr, die nach Hadamar kommen. Außerdem besuchen Kranken- und Altenpflegeschulen, Bundeswehr und Zivildienstleistende, wenig private Gäste und immer öfter Angehörige von Opfern die Gedenkstätte bei Limburg.

Pflichtbesuche seien ihrer Meinung allerdings nicht der richtige Weg, erklärt die Pädagogin, die seit mehr als zehn Jahren Erfahrungen mit dem Besuch von Schulklassen hat. Besser wäre ein freiwilliges Angebot, noch besser ein Tagesseminar anstelle eines drei- oder vierstündigen Kurzprogramms - außerschulische Lernorte motivierten Lernorte zum Lernen. Die Motivation ginge verloren, wenn Besuche zur Pflicht gemacht würden und die Gedenkstätte nur noch als Ersatzschule diene.

Studientage und mehrtägige Seminare erlaubten, sich anders auf das Thema einzulassen und intensiv mit dem Problem auseinander zu setzen "Schüler können hier gute Erfahrungen zu einem schweren Thema sammeln. Es ist eine vertane Chance, wenn gerade junge Menschen nicht bereit sind, diese zu machen", betonte Regine Gabriel. Das sei nur durch Offenheit möglich. Jugendliche mit einer positiven Grundeinstellung profitierten von einem Ort wie Hadamar. Kämen sie jedoch nur gezwungenermaßen, weil es zum festen Lehrplan gehöre, sei es, wie mit diversen anderen Schulveranstaltungen, die zwar gemacht werden müssten, zu denen es aber wenig oder gar keinen Bezug gebe.

Sie merke es immer wieder, wenn Gruppen Pflichtprogramme absolvierten. Oder wenn Lehrer hofften, ihre Klasse werde durch einen dreistündigen Aufenthalt in der Gedenkstätte über den Nationalsozialismus aufgeklärt. Auch seien schon Lehrer und Schüler während des Einführungsvortrags eingeschlafen. Dabei handele es sich um Gruppen, denen es darum gehe, einen Tag mit irgendetwas zu füllen. Es kämen aber auch hochmotivierte Gruppen, die gut vorbereitet seien und von entsprechenden Lehrern begleitet werden. Zunehmend wollten auch Angehörige etwas über die Vergangenheit ihrer ermordeten Verwandten wissen. Dabei drängten meist die Enkel von Toten ihre Eltern, weil sie mehr über ihre Familiengeschichte erfahren wollen. Die Kinder und Verwandten der Opfer brauchten gewisse Zeit, bis sie sich überwinden und zu einem Besuch der Gedenkstätte entschließen. Beim Besuch der Gedenkstätte könnten sie sogar die Krankenakte ihrer Verwandten einsehen, wenn sie vorhanden ist. "Einmal fand eine junge Frau dort ein Passfoto ihrer Großmutter und sagte hocherfreut zu ihrer Mutter: ‚Du siehst ja aus wie Oma'", berichtet die Pädagogin. Oft träfe sich hier gleich die ganze Familie. "Dabei entwickeln sich interessante Gespräche, die zum ersten Mal die Sprachlosigkeit in der Familie aufbrechen. Denn über Familienangehörige, die in der Psychiatrie waren, wird nur ungern gesprochen."

Ähnliche Probleme hatte und hat immer noch die Bevölkerung. Was in der Anstalt Hadamar tatsächlich passierte, war jahrelang ein Tabu in der kleinen Stadt. Alle wussten davon, keiner redete drüber. "Wir konnten ja nichts dagegen machen", sei die stupide Antwort damals und heute zum Mord an rund 15 000 Menschen. Als vierzig Jahre nach dem Ende der Mordaktionen Gießener Studenten begannen, die Geschichte aufzuarbeiten, stießen sie zunächst auf Widerstand und Ablehnung. Ihre Arbeit wurde hingenommen. Erst 1989 nach Eröffnung der Gedenkstätte entstand allmählich eine Kooperation.

Der Tod kommt für die Patienten beim "Duschen"

Hadamar-Prozesse: Die Morde sind eine Schande, die das deutsche Volk noch heute belastet

von Nadine Kröner und Irina Jakovlev

Im Jahre 1947 - zwei Jahre nach dem Krieg - wurden in Frankfurt am Main mehr als hundert Mediziner und Juristen wegen Mord und Beihilfe zum Mord angeklagt. Auch den Ärzten und dem Personal, die für die Massentötungen in der ehemaligen Heilanstalt Hadamar verantwortlich waren, wurde der Prozess gemacht.

Einer der Ärzte ist Dr. Hans-Bodo Gorgaß, geboren am 19. Juni 1909 in Leipzig. Mit 24 Jahren tritt er in die SA ein, am 1. Mai 1937 in die NSDAP. Er wird Assistenzarzt in der hessischen Anstalt Eichberg. Ein Jahr später ist er leitender Arzt der Heil- und Erziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein. Im Dezember 1939 wird er zur Wehrmacht eingezogen. Schließlich arbeitet er wiederum als leitender Arzt in der bei Limburg liegenden Anstalt Hadamar.

Sein Auftrag, den er in Berlin ohne Widerspruch entgegengenommen hat, ist es, das NS-Euthanasieprogramm in Hadamar durchzuführen. Er ist der Mann, der die Ventile der Gasflaschen öffnet und das Kohlenmonoxyd in die etwa 14 Quadratmeter große Gaskammer strömen lässt, die als "Duschraum" getarnt ist. Bis zu 60 Menschen starben hier auf einmal den Erstickungstod. Und Gorgaß beobachtet unbarmherzig durch ein kleines Fenster das Sterben der Opfer und schließt den Gashahn, wenn er glaubt, dass alle tot sind.

In den Hadamar-Prozessen 1947 bezeichnet sich der Hauptangeklagte Gorgaß vor Gericht als Anhänger des Euthanasiegedankens und beruft sich in seiner Verteidigung auf den von Hitler erhaltenen Befehl. Er wird wegen Mordes in mindestens 1000 Fällen zum Tode verurteilt. Zwei Jahre später folgt die Begnadigung zu einer lebenslangen Zuchthaussstrafe. Nach elf Jahren Haft begnadigt ihn der Hessische Ministerpräsident. Andere Häftlinge können zu dieser Zeit von einer Begnadigung nur träumen. Dr. Hans-Bodo Gorgaß beginnt eine zweite Karriere als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem pharmazeutischen Unternehmen.

Nicht nur Gorgaß, sondern auch Dr. Philipp B. wird im ersten Hadamar-Prozess zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Nach seiner Begnadigung versucht er 1954 sogar erneut, in der Landesheilanstalt Hadamar eingestellt zu werden. Der Landeswohlfahrtsverband Hessen legt ihm jedoch nahe, lieber in die Anstalt Weilmünster zu wechseln, weil er dort den Patienten nicht bekannt sei.

16 Pfleger und Krankenschwestern erhalten mehrjährige Zuchthausstrafen. Keiner von ihnen verbüßt seine Strafe vollständig. Berufsverbote werden nicht verhängt. Ein Teil des Personals wird wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Der damalige Bundesrichter Dr. Witzfeld führte in der Urteilsbegründung unter anderem aus, der tatsächliche Zweck der organisierten Massenmorde sei nicht die Tötung unheilbar Kranker, sondern die Beseitigung unerwünschter Esser und die Freimachung der Anstalten für andere Zwecke gewesen. Die in Hadamar verübten Morde seien eine Schande, die das deutsche Volk noch für Generationen belaste. - Und deshalb verstehen wir nicht, warum die Mörder begnadigt worden sind.

Mensch, achte den Menschen

Mehr als 4000 Patienten wurden hier umgebracht

von Anina Klapper, Silvana Küster und Sven Linsbauer

Der Schein trügt. Das Gebäude, in dem die Gedenkstätte untergebracht ist, erscheint hell und freundlich, fast einladend. Keiner von uns kann sich trotz intensiver Vorbereitung vorstellen, was hier vor nicht ganz sechzig Jahren passierte. Die Eingangstür steht offen, links führt eine steinerne Treppe in das Kellergewölbe hinunter.

Wir betreten den Seminarraum im Erdgeschoss mit ganz unterschiedlichen Erwartungen. In einer kurzen Einführung erläutert uns ein Zivildienstleistender eindringlich das Euthanasie-Mordprogramm der Nationalsozialisten. Es dämmert uns, dass wir im Hauptgebäude der ehemaligen NS-Tötungsanstalt sitzen. "Nun gehen wir den Leidensweg der Opfer nach" - und damit endet der Einführungsvortrag.

In grauen Bussen wurden im Jahr 1941 täglich Menschen zum Schleusengang in den Hinterhof gebracht. In einem großen Raum mussten sie sich entkleiden. Sie wurden Fotografiert, bevor die Anstaltsärzte eine oberflächliche Routineuntersuchung durchführten. Diese diente nur dazu, die Schwächen der Patienten herauszufinden, um in einem Brief an die Angehörigen eine nahe liegende Krankheit als Todesursache angeben zu können. Danach brachten die "Pfleger" sie in einen Kellerraum. "Zum Duschen", wie sie ihnen sagten, um den Schein zu waren, und gaben ihnen alte Mäntel mit auf den Weg.

Unsere Gespräche verstummen, als wir die Treppe hinunter steigen, die wir schon bei unserer Ankunft bemerkt hatten. In einem Raum hängen Abschiedsbriefe und Kinderzeichnungen an den Wänden. Andere Besucher haben Blumenschmuck zum Gedenken an die Opfer aufgestellt. Wir stehen vor der Gaskammer. "Ich finde, hier riecht es nach Tod und verbranntem Fleisch", sagt eine Schülerin. Nicht alle Schüler wollen die Gaskammer betreten. "Ich kann es nicht, das ist zu makaber."

Der niedrige, vierzehn Quadratmeter große Raum sieht anders aus, als wir ihn uns vorgestellt hatten: gefliest, sauber. Ein falscher Duschkopf an der Decke und eine Rohrleitung an der Wand erinnern an die Vergasung von mehr als 10 000 Menschen von Januar bis August 1941. "Wenn ich nicht wüsste, was hier geschehen ist, sähe alles ganz harmlos aus", sagt einer. Bis zu dreißig Minuten dauerte das qualvolle Sterben, nach dem der diensthabende Arzt die Gasventile der mit Kohlenmonoxid gefüllten Flaschen geöffnet hatte. Nach dem Erstickungstod wurden die ineinander verkrampften Leichen auseinander gerissen und in den benachbarten Sezierraum gebracht. Der steinerne Seziertisch steht noch immer mitten im Raum. Hier entnahmen die Ärzte einigen Opfern das Gehirn und andere Organe für wissenschaftliche Zwecke. Die Präparate lagern noch heute in medizinischen Archiven.

Schließlich wurden die Körper von Mitarbeitern der Anstalt in Krematorien verbrannt, die sich auf der anderen Seite des Kellers befanden. Heute hängt nur noch ein Bild an der Stelle, an der damals die beiden gewaltigen Öfen standen. Sie waren nach dem Abbruch der Gasmordaktion ausgebaut worden, um sie in Konzentrationslagern weiter zu verwenden. Auch so hat der Ort etwas Bedrückendes an sich.

Danach läuft die Klasse zu dem oberhalb der Anstalt gelegenen Friedhof, der auch nicht mehr in seiner ursprünglichen Form besteht. Die Hügel der Massengräber wurden planiert. Ein Obelisk erinnert hier an die mehr als 4000 Menschen, die nach 1941 auf sehr grausame Weise umgebracht worden waren.

Zum Abschluss sehen wir noch einen Dokumentarfilm über nationalsozialistische Versuchsreihen an kranken und behinderten Menschen. Auch Säuglinge waren darunter. Ärzte infizierten Kleinkinder mit Tuberkulose, um so den Verlauf der Krankheit studieren zu können. Gezeigt wurden außerdem die brutalen Versuche mit psychisch oder physisch behinderten Menschen. Besonders schockierend war es für uns, zu erfahren, dass ein Arzt ein etwa vier Jahre altes, blindes Mädchen wiederholt in die Luft schleuderte, um dessen Reaktionen zu testen. Und schockierend sind auch die Interviews mit heutigen Angestellten in den ehemaligen Euthanasie-Anstalten. Was damals geschah wird häufig immer noch geleugnet oder verdrängt.

Völlig fassungslos suchen wir nach Worten, finden aber keine. Nicht einmal Getuschel kommt auf. Erst auf der Rückfahrt können wir allmählich wieder sprechen.

Und auf dem Obelisk steht: "Mensch, achte den Menschen."

"Sie haben mich geholt, um andere abzuschrecken"

Paula S. wurde verhaftet, weil sie Arbeitskolleginnen erzählte, was in der Heilanstalt passiert

von Anastasia Kalmbach, Kathrin Kaufmann und Svenja Vietze

Paula S. wurde im November 1941 im Alter von 21 Jahren verhaftet. Der Grund: Sie hatte Arbeitskolleginnen das erzählt, was alle wussten. In der "Heilanstalt" Hadamar bei Limburg werden Menschen vergast und dann verbrannt. Paula S. konnte fast täglich beobachten, wie Menschen in die hessische Landesheilanstalt gebracht wurden. Zuerst zogen sie in Kolonnen vom Bahnhof zur Anstalt. Später konnte jeder die voll besetzten, grauen Busse beobachten, die zum Mönchberg fuhren.

Kurz nach der Ankunft der Menschen rauchte der lange Schornstein und ein eigentümlicher Geruch lag über der Stadt. Von ihrem Haus aus konnte Paula S. immer wieder den schwarzen Qualm sehen. Die Kinder sprachen vom "Backofen". "Alle wussten, es ist wahr, was ich sagte, doch keiner traute sich, etwas zu sagen." Ihre damalige Empörung ist noch heute aus der Stimme von Paula S. zu spüren. Als die Gestapobeamten sie einige Zeit nach dem Gespräch mit ihren Kolleginnen abholten, wusste sie nicht, warum. "Ich habe die Folgen nicht gesehen", sagt sie heute. Es gab keine Gerichtsverhandlung, da die Nazis sonst hätten zugeben müssen, was wirklich in Hadamar mit den kranken und behinderten Menschen geschieht.

Sie kam zunächst als Einzelhäftling nach Frankfurt am Main. Von dort begann ihr weg durch viele Haftanstalten, der im Konzentrationslager (KZ) Ravensbrück bei Berlin endete. Paula S. kam in den politischen Block - auch sie trug einen gestreiften Häftlingsanzug mit rotem Winkel. Bei ihrer Einlieferung konnte sie sich nichts unter einem KZ vorstellen. Über ihre persönlichen Erfahrungen wollte sie nicht sprechen. Beispielhaft für die Behandlung von Häftlingen erwähnt sie nur, dass Menschen bei 30 Grad Celsius mit eiskaltem Wasser überschüttet wurden. Nach einem halben Jahr wurde Paula S. aus dem Konzentrationslager entlassen. Zuvor musste sie jedoch unterschreiben, dass sie nie wieder "Gerüchte" verbreiten werde. Sie hatte Angst, nach Hadamar zurückzukehren. Ihr Bruder brachte sie bei Dunkelheit nach Hause. Die Menschen mieden sie. Der Anblick von Polizei und Gestapobeamten machte ihr Angst.

Paula S. durfte nicht an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren und wurde zum Dienst in einer Blechwarenfabrik zwangsverpflichtet. Gegen Ende des Krieges lernte sie einen Offizier kennen. Sie wollten heiraten. Durch die Heirat hätte Paula S. einen anderen Namen bekommen und damit die Chance, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch die Trauung wurde untersagt. "Sie haben unsere Hochzeit verboten, da ich nicht würdig wäre, einen deutschen Offizier zu heiraten." - Nach dem Krieg gab's dann doch ein Happyend.

"Alle haben geschwiegen", sagt sie, das sei der schlimmste Fehler gewesen. Auch nach dem Krieg und in den Schulen. Erst in den Sechzigern hätten die Deutschen begonnen, ihre Geschichte aufzuarbeiten. Sie denkt, Geschichte muss weitergegeben werden, damit so etwas nicht noch einmal vorkomme, denn: "Sie haben mich nur geholt, um die anderen abzuschrecken."

"Trostbriefe" für die Angehörigen

Behinderte Menschen als "lebensunwert" abgestempelt

von Julia Stein, Anja Leistner und Jennifer Lang

Mit der sozialmedizinischen Diskussion zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte alles begonnen. Im Jahr 1934 begannen die Nationalsozialisten ihre Ideen zu den behinderten Menschen, sozial auffälligen Personen und psychisch Kranken umzusetzen. Etwa 400 000 Menschen wurden bis 1945 sterilisiert, etwa 200 000 von ihnen 1939 bis 1945 ermordet. Die Betroffenen wurden als "Minderwertige", als "Ballastexistenzen" abgestempelt. Der Begriff "lebensunwertes Leben" ebnete den Weg zum systematisch geplanten Mord, propagiert als "Euthanasie" - "sanfter Tod". Von 1935 an wurde die Erfassung und Ermordung der in Heil- und Pflegeanstalten lebenden Patienten geplant und mit dem Kriegsbeginn 1939 auch umgesetzt. Die Organisation "T 4" - Anschrift Tiergartenstraße 4 in Berlin - arbeitete nach Hitlers Anweisung, die seine Kanzlei und das Reichsinnenministerium umsetzten.

Sechs besondere Gasmordanstalten wurden eingerichtet: Grafeneck in Württemberg, Brandenburg / Havel, Bernburg / Saale, Hadamar, Hartheim bei Linz / Rhein und Sonnenstein bei Pirna in der Sächsischen Schweiz. Ärzte und Personal ermordeten mehr als 70 000 Menschen innerhalb von nicht ganz zwei Jahren in den als Duschräume getarnten Gaskammern.

Die Proteste der Kirchen in Deutschland haben mit dazu beigetragen, dass die Gasmorde 1942 eingestellt wurden. Doch das Töten ging durch Medikamente, medizinische Versuche und Verhungernlassen bis Kriegsende weiter. Säuglinge und Kleinkinder zählten ebenso zu den Opfern, wie Menschen, die Bombenangriffe psychisch nicht verkraften konnten.

Die Anstalt Hadamar war im November 1940 an die T 4-Zentrale verpachtet worden. Von Januar bis August 1941 wurden mehr als 10 000 Kinder, Frauen und Männer mit Kohlenmonoxydgas umgebracht. Das Sonderstandesamt "Hadamar-Mönchberg" stellte Sterbeurkunden mit falschen Todesursachen aus, die von der so genannten Trostbriefabteilung an die Angehörigen verschickt wurden. Im Frühjahr 1942 sind die Einrichtungen zurück gebaut worden; nichts sollte an sie erinnern. Auch die zwei Krematoriumsöfen wurden entfernt.

Die mehr als 4000 Toten der zweiten Euthanasiephase wurden in als Einzelgräbern getarnten Massengräbern auf einem eigens eingerichteten Anstaltsfriedhof begraben. Erst 1953 wurde mit einem Relief im Hauptgebäude der Opfer gedacht. Seit 1964 steht auf dem Friedhof ein Mahnmal: "Mensch, achte den Menschen". Und es sollte noch zwanzig Jahre dauern, bis die Grundlagen für die heutige Gedenkstätte geschaffen wurden.

Frankfurter Rundschau, 26.6.2002

zur Titelseite

zum Seitenanfang


Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
Pfr. U.Schwemer, Theodor-Storm Str.10, 64646 Heppenheim;
Tel: 06252-71270 / Fax: 06252-72606