50 Jahre Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau

Pfarrer Ulrich Schwemer seit 30 Jahren Vorsitzender

Am 16. Oktober 2002 beging der "Evangelische Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau" sein 50-jähriges Bestehen. Die Jubiläumsveranstaltung fand in den Räumen der St. Paulsgemeinde Frankfurt und in der Alten Nikolaikirche am Römerberg statt.

Der Arbeitskreis wurde 1952 von Pfarrer Adolf Freudenberg noch unter dem Namen "Evangelischer Arbeitskreis für Dienst an Israel in Hessen und Nassau" gegründet. Pfarrer Freudenberg, der während der Zeit des Nationalsozialismus aus Deutschland wegen der jüdischen Herkunft seiner Frau emigrieren musste und sich in der Schweiz für Flüchtlinge aus Deutschland eingesetzt hatte, war nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekehrt und wirkte als Pfarrer in der Siedlung Bad Vilbel/Heilsberg.

Er engagierte sich auf verschiedenen Ebenen des beginnenden christlich-jüdischen Dialogs: Er war Mitbegründer des "Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit", arbeitete in der 1961 gegründeten "Arbeitsgruppe Christen und Juden beim Deutschen Evangelischen Kirchentag" mit und war Mitglied im "Deutschen Evangelischen Ausschuss für Dienst an Israel". In dieser Funktion gründete er den entsprechenden Arbeitskreis auf landeskirchlicher Ebene.

Diese Arbeit wurde aufgrund der Erfahrungen der Judenverfolgung im "3. Reich" begonnen. Die historische Verantwortung wurde erkannt, bis zu theologischen Konsequenzen war es noch ein weiter Weg. Man distanzierte sich von einer Judenmission, die als Zwangsbekehrung oder mit unlauteren Mitteln erfolgte. Der Name "Dienst an Israel" signalisiert aber doch, dass man Israel noch nicht als gleichwertigen Partner betrachtete. Vielmehr begegnete man Juden mit der Liebe für die älteren Geschwister, die aber letztlich das Heil des Glaubens nur durch einen Übertritt in das Christentum erreichen können. Diese Debatte wurde dann in der "AG Juden und Christen beim DEKT" mit Heftigkeit geführt. Adolf Freudenberg war daran auch beteiligt und musste erst allmählich den neuen theologischen Ansatz für sich verarbeiten.

Mit dem Wechsel der Leitung des Arbeitskreises auf Wolfgang Wirth, damals Studentenpfarrer in Frankfurt, wurde 1966 auch eine Namensänderung beschlossen, die Freudenberg bereits vorbereitet hatte. Aus "Dienst an Israel" wurde "Kirche und Israel", wobei Israel sich nicht auf den 1948 entstandenen Staat Israel bezog, sondern auf das Gottesvolk Israel. Mit dieser Namensänderung signalisierte der Arbeitskreis den beginnenden Abschied von Positionen, die den Juden keine eigenständige Existenz außerhalb des Christentums zugestanden. Bis zu einer ausdrücklichen, auch theologisch begründeten Ablehnung jeder Judenmission, die in der Satzung des Arbeitskreises verankert wurde, vergingen aber noch weitere Jahre. Hierzu waren weitere Entwicklungen bei den Kirchentagen und auch auf der Ebene der EKD notwendig. 1975 war die erste Studie "Christen und Juden" der EKD erschienen, die diese Frage noch unbeantwortet ließ, sie aber als offene Frage benannte. In der Folge verschärfte sich diese Diskussion und führte im Arbeitskreis, der seit 1972 - also seit nunmehr 30 Jahren - unter Leitung von Pfarrer Ulrich Schwemer steht, schließlich zu einer eindeutigen Position. Schwemer hatte die Leitung des Arbeitskreises nach einem einjährigen Aufenthalt in Israel übernommen.

Er war in Israel im Rahmen des dem Vikariat folgenden Spezialpraktikums tätig. Er arbeitete in dieser Zeit mit Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste zusammen und beteiligte sich an der vielfältigen Ökumene in Jerusalem. Diesem Aufenthalt von 1971/72 war schon im Jahre 1964/65 ein mehrmonatiger Aufenthalt in Israel nach dem Abitur vorausgegangen. Dieser erste Aufenthalt in Israel hatte noch viel mehr im Zeichen der ersten Begegnung von jungen Deutschen und Holocaustüberlebenden in Israel gestanden. Die sehr unterschiedlichen Begegnungen reichten von dankbarer Annahme bis zu heftiger Ablehnung eines Deutschen in Israel - alle standen unter dem Vorbehalt der noch sehr gegenwärtigen Verletzungen der Vergangenheit. Schwemer sollte durch diese Begegnungen für sein weiteres Leben geprägt werden. Wenn auch das Theologiestudium in Marburg, Heidelberg und Tübingen kaum von Themen des jüdisch-christlichen Dialoges beeinflusst war - in den Universitäten fand dieser Dialog fast nicht statt - war die erste Begegnung mit Juden und Israelis doch wegweisend für die zukünftige Arbeit. Die Übernahme des Vorsitzes des Arbeitskreises wirkte über alle Jahre auch auf die Arbeit Schwemers als Gemeindepfarrer ein. Zugleich prägte das Gemeindepfarramt auch die praktisch-theologische Arbeit im Arbeitskreis und darüber hinaus in der "Studienkommission Kirche und Judentum der EKD", der Schwemer seit 1982 bis heute (als "Gemeinsamer Ausschuss Kirche und Judentum der EKD/VELKD und EKU") angehört und in der KLAK, zu deren Gründungsmitgliedern Schwemer 1987 gehörte.

Seit der Gründung des Arbeitskreises gehört auch die Förderung von Initiativen im christlich-jüdischen Bereich zu den Aufgaben des Arbeitskreises. Zunächst wurden judenchristliche Holocaustüberlebende in Deutschland unterstützt. Bald aber richtete sich der Blick nach Israel, wo bis zum heutigen Tag Initiativen unterstützt werden, die sich der Verantwortung vor der Geschichte stellen oder sich für ein friedliches Zusammenleben der Menschen einsetzen. Auch manche soziale Einrichtungen werden unterstützt.

Die wichtigste Aufgabe des Arbeitskreises ist die Verbreitung und Vertiefung der Ergebnisse des jüdisch-christlichen Dialoges innerhalb der Landeskirche in Hessen und Nassau. Schon seit den sechziger Jahren gibt es den MATERIALDIENST, der wichtige Texte zum Thema Judentum, Antisemitismus, christlich-jüdisches Gespräch Israel und Nahost weitergibt. Ab 1990 erscheint er als Zeitschrift regelmäßig sechsmal im Jahr. Seit 27 Jahren erscheint der MATERIALDIENST unter der Redaktion von Hans-Georg Vorndran.

Neben dem MATERIALDIENST gibt der Arbeitskreis ebenfalls unter der Redaktion von Hans-Georg Vorndran eine Schriftenreihe heraus. Innerhalb dieser unregelmäßig erscheinenden Reihe sind bisher 18 Hefte veröffentlicht worden. Die letzten drei unter den Titeln "Lobe mit Abrahams Samen. Israel im evangelischen Gottesdienst", "Streit um die Erneuerte Agende. Theologie nach Auschwitz oder Theologie ‚als wäre nichts geschehen'" und "Verschweigen oder kämpfen. Ein Pfarrer und seine Gemeinde im Kirchenkampf 1933-1945"

Von den ersten Anfängen an gehörte es auch zu den Aufgaben des Arbeitskreises, Gottesdiensthilfen für bestimmte Sonntage, wie den Jerusalemsonntag (Israelsonntag, 10. Sonntag nach Trinitatis) oder Karfreitag bereitzustellen. Zunächst wurden diese Texte im Amtsblatt veröffentlicht, heute sind es in der Regel eigenständige Publikationen, die auch andere Themen aufnehmen wie "Passamahl-Abendmahl", "Schawuot/Pfingsten", "Gedenken", "Kreuze" oder "Segen". Da es inzwischen in den meisten Landeskirchen entsprechende Arbeitskreise gibt, werden auch gerne Materialien von dort übernommen.

In den letzten Jahren wurden vom Arbeitskreis nicht nur Druckerzeugnisse, sondern auch Ausstellungen erarbeitet, die von Kirchengemeinden oder anderen Organisationen ausgeliehen werden können. "Wenig Text, viel Bild" ist die methodische Absicht dieser Foto-Ausstellungen. Zur Zeit gibt es drei ausleihbare Ausstellungen: "'Was habt ihr da für einen Brauch?' Jüdische Feste und Riten", "Stationen des Antijudaismus. Vom Kirchenvater Cyprian bis Adolf Hitler" und "Stationen des Holocaust und des Rassismus heute".

Im Rahmen der Fortbildungsangebote der EKHN bietet der Arbeitskreis mit seinem Verein "Lomdim - Verein zum Kennenlernen des Judentums" unter Leitung von Otto Schenk oder auch in Zusammenarbeit mit der Ev. Akademie Arnoldshain Tagungen an. Im Jahr 2002 finden beispielsweise Studientage zum Nahostkonflikt statt. Mitglieder des Arbeitskreises bieten aber auch Fortbildungsfahrten nach Israel an oder begleiten Pastoralkollegs, die unter Leitung von Pröpstinnen und Pröpsten durchgeführt werden.

Im Mittelpunkt der Jubiläumsveranstaltung stand eine Podiumsdiskussion zum Thema "'Man wird doch wohl noch sagen dürfen...' - Der christlich-jüdische Dialog und die aktuelle Antisemitismusdebatte - Versagen die Kirchen?", an der Prof. Dr. Martin Stöhr für die evangelische Kirche, der Vorsitzende Landesverbandes jüdischer Gemeinden in Hessen, Moritz Neumann und Stadtdekan Dr. Raban Tilman von der katholischen Kirche teilnahmen.

Anschließend wurde zu einem Jubiläumsgottesdienst in die Alte Nikolaikirche eingeladen, in dem Sabine Fraune und Ulrich Schwemer aus ihrem Klangbild "Miniaturen vom Wegrand" Texte und Klänge zum Thema "Gedenken" vortrugen. Der Gottesdienst stand unter Leitung von Dekanin Silke Alves und den anderen Mitgliedern des Vorstandes des Arbeitskreises.

In der Alten Nikolaikirche konnten noch zwei Wochen nach dem Jubiläumstag mehrere Ausstellungen des Arbeitskreises zum Thema Judentum, Antisemitismus und Rassismus besucht werden.

Auf der Homepage des Arbeitskreises www.dike.de/Lomdim finden sich eine Fülle von Informationen, Medien und Materialangebote rund um Israel und das Judentum und zum christlich-jüdischen Dialog.

Aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens des Arbeitskreises hat der Vorstand beschlossen, die Journalistin Gabriele Kammerer, Verfasserin des Buches "In die Haare, in die Arme", in dem sie über 40 Jahre "Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim DEKT" geschrieben hat, zu bitten, ein Buch über die Ursprünge des Arbeitskreises und seine Bedeutung bis heute zu schreiben. In Interviews nähert sie sich den unterschiedlichen Facetten des Arbeitskreises an, ob das neue theologischen Ansätze sind, oder religionspädagogische Aspekte, ob das Gottesdiensthilfen sind oder der Nahostkonflikt. Unterschiedliche Arbeitsfelder werden in den Gesprächen entschlüsselt. Dieses Buch, das im Sommer 2003 erscheinen wird, kann in der Gemeindearbeit und im Unterricht Gesprächsanregung und Information bieten.

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Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
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