Judenfeindschaft in der christlichen Kunst
am Beispiel der Kölner Judensau
von Marten Marquardt


1. Kunst und kirchliches Bekenntnis

Kunst im kirchlichen Raum entsteht u. a. im Kontext des christlichen Bekenntnisses. Das Apostolikum, als eins der zentralen Bekenntnisse der Kirchen, weist eine geradezu demonstrative Israelverdrängung auf. Der erste Artikel spricht von Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, bezieht sich also auf die ersten drei Kapitel der Bibel, um dann mit einem unermesslichen Sprung über die Geschichte Israels hinwegzusetzen und direkt mit dem zweiten Artikel von Jesus Christus zu sprechen. Weder Abraham, noch Mose, weder Exodus, noch Sinai, weder Erwählung, noch Bund, noch Gerechtigkeit, weder David, noch Zion, noch Prophetie werden auch nur assoziiert in diesem Bekenntnis der Kirche. Es ist, als ginge das alles die Christenheit nichts an. Und so muss es nicht wundern, wenn diese klaffende Gedächtniswunde sich in mancher Ausformung kirchlicher Kunst wiederfindet.

Wo sich diese Verdrängung nach der Schoah unverändert fortsetzt, da muss man heute allerdings ausdrücklich auf den Zusammenhang von Verdrängung und Vernichtung hinweisen. Ich nehme stellvertretend für viele hier nur das Beispiel der Kölner Lutherkirche, die Anfang der sechziger Jahre erbaut wurde. Das etwa 10 Meter hohe Glasfenster hinter dem Altar, also das alles bestimmende Bild für die frontal darauf ausgerichtete Gemeinde, spielt nur auf die Schöpfung und dann auf ausschließlich neutestamentliche Themen an; es spiegelt damit getreu dem traditionell verstandenen Apostolikum die Israelverdrängung aus dem christlichen Weltbild wider.

Wo in solchen Fällen das Pendel der Verdrängung in die Keule der Feindschaft umschlägt, das wird von dem Gottesdienst abhängen, der unter solchem Fenster gefeiert wird. Der evangelische Gottesdienst dürfte hier m. E. nur in kritischer Auseinandersetzung mit solch verdrängungsfreundlicher Kunst und mit der ihr vorausgehenden Credo-Geschichte evangeliumsgemäß sein.

2. Die allmähliche Verdunkelung der Bilder

Die traditionellen Bilder von Kirche und Synagoge in unseren Kirchen haben einen bemerkenswerten Wandel durchgemacht. Anfangs waren beide als Frauen aus königlichem Geschlecht dargestellt. Auch Synagoge trug eine Krone. Das Bild wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte. Synagoge wurde immer ärmlicher gekleidet, manchmal bis zur Nacktheit entblößt; sie verlor schließlich ihre Krone und blieb in der klassischen Darstellung des Straßburger Münsters dann mit geknicktem Stab und verbundenen Augen als Bild der Verliererin zurück. Die einschneidende Veränderung im Bild der Synagoge hängt zeitlich offenbar mit Ideologie und Erfahrung des ersten Kreuzzugs zusammen.

Parallel zu dieser ästhetischen Parallele zum "enseignement du mépris" (Jules Isaac) entwickelt sich eine Darstellungstradition, die Kirche und Synagoge als Kampfpartnerinnen auf einem Turnierplatz zeigt. Da begegnen sich beide auf ungleichen Reittieren. Die Kirche reitet z. B. am Südportal des Wormser Doms auf dem "Tetramorph", dem aus Hesekiel 1, 5ff und Offenbarung 4, 6f komponierten Bild eines höchsten himmlischen Wesens, das in sich die Tugend verkörpert. Die Synagoge dagegen erscheint anderswo auf einem niederbrechenden bocksköpfigen Esel. Und diese ungleichen Reittiere werden dann im Chorgestühl des Erfurter Doms zu dem edlen Pferd für die Kirche, während die Synagoge dort auf einem Schwein reitend zum Turnier erscheint.

Hier ist nun im 14. Jahrhundert eine ikonographische Assoziation erreicht, die ihre verhängnisvolle Parallele im Bild der Judensau gefunden hat.

3. Die Kopfgeburt der Judensau

Das Schwein hat in griechischen, römischen und keltischen Kulten einen Ehrenplatz. Als "goldborstiger Eber" vertritt es im indogermanischen Kontext die Sonne. In biblischer Tradition aber gilt das Schwein als unrein, zerstörerisch und teuflisch (Lev 11, 7; Dt 14, 3;8; Mt 7,6; Mt 8,30). Die bösartigen (Mt 8, 28!) Dämonen des besessenen Gadareners haben eine innere Nähe zu den Schweinen und bitten Jesus, in die Schweineherde ausfahren zu dürfen (Mt 8, 31). Für Juden gilt nach 1. Makk. 1, 50 der Genuss von Schweinefleisch als Götzendienst.

Dass christliche Kunst des Mittelalters ab dem 13. Jahrhundert zunehmend Juden mit Schweinen assoziiert, ist darum eine besonders perfide Art von antijüdischer Propaganda, weil so Juden in die Nähe des Götzendienstes gestellt oder auch direkt als Vertreter einer besonders unflätigen Art von Götzendienst dargestellt werden. Diese Art von Antisemitismus in der christlichen Kunst ist offenbar auf den deutschsprachigen Raum und einige wenige von Deutschland beeinflusste Orte in den Nachbarländern beschränkt.

Wir finden die Judensau besonders häufig an Kirchen oder in Kirchen aus Holz geschnitzt oder in Stein gehauen. Sie kommt aber auch als Relief und Skulptur an Schlössern und bürgerlichen Häusern vor. Daneben ist sie natürlich in gedruckten Darstellungen auf Flugblättern, auf Spottbildern und in Büchern zu sehen. Im 16. Jahrhundert werden die sog. Judenspottmedaillen verbreitet, auf denen auch die Judensau zu finden ist.

Diese diffamierende Darstellung dient zunächst unterschiedlichen Zielen. Das Schwein ist immer wieder auch Symbol des Luxus und der Üppigkeit. So dient z. B. die Assoziation von Schwein und Mönch in manchen mittelalterlichen Darstellungen für die christliche Gemeinde als Warnung vor den Lastern der Üppigkeit und des Luxus. Und dabei können neben Mönchen und Pfaffen dann eben auch Juden mit dem Schwein assoziiert werden, um die Christen vor Lasterhaftigkeit zu warnen.

Aber nun ist doch festzustellen, dass allein in der Zusammenstellung mit Juden ein verheerend fortwirkender Begriff entstanden ist. Von einer Mönchssau oder einer Pfaffensau ist sprichwörtlich nirgendwo die Rede. Aber die Judensau ist zum Inbegriff der wuchernden christlichen Judenfeindschaft in Deutschland geworden. Und damit hat die seit den Kreuzzügen so intensivierte und konzentrierte Feindschaft der Christen gegen die Juden ihren bildlichen Nenner gefunden. Und nach einem Wort von Paul Klee gilt: Bilder zeigen nicht das Sichtbare, sondern machen sichtbar. Die Judensau macht die verheerende und alles verwüstende Krankheit sichtbar, die inmitten des Christentums entstanden und bis heute nicht völlig überwunden ist: den christlichen Antisemitismus.

4. Das Unerträgliche an der Judensau

I. Shachar weist auf eine Darstellung der Judensau vom Ende des 16. Jahrhunderts hin. Sie zeigt eine jüdische Mutter, die statt zweier Kinder zwei Ferkel gebiert. Zwar gibt es solche Bildpolemiken auch gegenüber anderen Menschen, aber die Wirkungsgeschichte im Fall der antijüdischen Bildsprache ist eine besondere. Hier ist der Schritt von der Assoziation zu Identifikation bereits vollzogen. Die Jüdin wird zum Tier, wenn sie selber Tiere gebiert. Und hier ist der Weg vorgezeichnet von der Judensau des Mittelalters zum Jargon der Nazis, in deren Mund der Begriff "Saujud" schließlich zum Todesurteil geworden ist.

Noch nicht ganz so weit, aber bereits erschreckend nahe zu dieser Entwicklung steht nun Luthers Instrumentalisierung der Judensau, die er am Dachfirst seiner Wittenberger Stadtkirche vorfand. Er interpretiert diese steinerne Judensau in seiner antisemitischen Schrift "Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi" (1543). Dabei interpretiert er das Bild, in dem ein Jude einer Sau in den After schaut, so: "Hinter der Sau steht der Rabbiner, der hebt der Sau das rechte Bein empor, und mit seiner linken Hand zieht er den Schwanz hoch, bückt sich und guckt mit großer Ausdauer der Sau unter den Schwanz in den Talmud hinein.... Von dort her haben sie bestimmt ihren Schem Hamphoras..."
Für Luther dient die Judensau der Diffamierung nicht nur der zentralen religiösen Texte des rabbinischen Judentums, dem Talmud, als "Schweinkram", sondern sogar der Lästerung des Gottesnamens und damit des Herzstücks der auch für Christen zentralen sog. Zehn Gebote. Denn der Schem hamephorasch ist der unaussprechbare Name Gottes. Und Luther zieht hier Gottes Namen in den Kot.
So erweist sich nun die Krankhaftigkeit des Judensaukonstrukts endgültig auch als selbstzerstörerisch. Denn Luthers Attacke gegen den biblischen Gottesnamen greift in der Konsequenz zugleich mit den Juden das Zentrum unseres eigenen Glaubens an .

Der Fortgang der Geschichte bringt an den Tag, wie mörderisch die Judensau für die Juden in Europa gewirkt hat; der lutherische Angriff auf den Schem hamephorasch deutet an, in welchem Maße sich mit diesem Bild und seiner Geschichte nun auch die Selbstzerstörung des christlichen Glaubens vorbereitet. Die Vernichtung eines großen Teils des europäischen Judentums, die Schoah, ist eben in theologischer Hinsicht die Katastrophe des Christentums, ein Ausdruck der Vernichtung unseres Glaubens.

5. Wie umgehen mit dem Unerträglichen?

Heute gibt es noch Dutzende solcher Schandbilder in und an christlichen Kirchen. Der ehemalige Superintendent von Wittenberg, Albrecht Steinwachs, hat noch zu DDR- Zeiten unterhalb der Judensau in Wittenberg eine Texttafel anbringen lassen, in der die Kirche sich deutlich zu der Schande dieses Bildes bekennt und sich damit gegen die eigene Geschichte der Judenfeindschaft wendet.

Aber: ist das wirklich eine Lösung für alle Fälle im Umgang mit diesem problematischen Erbe christlicher Kunst? Sollten wir nun überall Erklärungen und "Gebrauchsanweisungen" zum Verständnis dieser Art von "Kunst" in unseren Kirche anbringen? Was für ein Kunstverständnis tritt dabei zu Tage?! Und ist nicht solcherweise Pädagogisierung der Kunst gleichermaßen verächtlich für die Kunst wie für die Reife der mündigen Kirchenbesucher?

An anderen Orten ist die Judensau indes nach wie vor unkommentiert und ohne sichtbare Distanz ein Teil der kirchlichen Ausstattung. Angesichts der tödlichen Konsequenzen, die unter anderem durch die Judensau versinnbildlicht werden, ist dann allerdings umgekehrt die Frage, wie unsere Kirchen künftig mit solcher Kunst umgehen wollen. Denn auch umgekehrt ist ja zu fragen: Geht es an, diese Schande des Christentums in Deutschland und die so tödlich wirkende Diffamierung der Juden insgesamt ungehindert fortwirken zu lassen, indem man diese Bilder schützt, bewahrt und ggf. für teures Geld restauriert? - Denn wenn man diesen Reliefs und Skulpturen den Status der Kunst einräumt und sich deshalb gegen ihre Demontage wehrt, dann muss man sie konsequenterweise auch schützen, pflegen, erhalten und - wo immer nötig - mit großem Aufwand auch restaurieren. Wo man das verweigern wollte, wäre die Fadenscheinigkeit des Kunstarguments zu offensichtlich!

Mit der Judensau steht neben der Glaubwürdigkeit der kirchlichen Umkehr von 2000jähriger Judenfeindschaft auch unser Kunstbegriff insgesamt auf dem Prüfstand.

6. Die erneuerte Auseinandersetzung um die Kölner Judensau

Bereits 1998 hatten die Initiatoren der sog. Kölner Klagemauer mit einem Hinweis auf die Judensau im Dom reagiert und gefragt, wieso das Domkapitel die Klagemauer als international beachtetes Friedensdenkmal in einer Oktobernacht 1996 abreißen ließ, weil es sich nicht mit der Würde des Doms vertrüge, während die Judensau im Dominneren anscheinend der Würde des Ortes keinen Abbruch tue. Diese m. W. erste öffentliche Anfrage hat m. W. bis heute keine öffentliche Antwort erfahren.

Zur Eröffnung einer Tagung der Melanchthon-Akademie zum Thema "Gewalt im Kopf" am 21. 6. 2002 hat der Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner die Judensau im Kölner Dom zum zweiten Mal öffentlich thematisiert als einen Modellfall für die Produktion von Gewaltbildern in unseren Köpfen.
Kastner befasst sich seit langem mit dieser Frage und verlangt von den Kirchen diesbezüglich eine klare Distanzierung zu ihrer eigenen Geschichte. Wo kirchliche Behörden sich dagegen sperren, greift Kastner immer wieder zum Mittel der Veröffentlichung durch Kunstaktion und Provokation. In Zusammenarbeit mit der Kölner Melanchthon-Akademie hat er im vergangenen Jahr das Domkapitel in Köln angeschrieben und auf die Judensau im Chorgestühl des Doms hingewiesen. Er hat seinen Hinweis verknüpft mit der bewusst provozierenden Forderung, "die Kölner Domsau von ihrem öffentlichen Ort zu entfernen...und an ihrem ehemaligen Standort gut sichtbar eine Beschreibung, Kommentare und Zeichen der heutigen Reflektion zu installieren.... Solange dieses Diffamierungs- und Ausgrenzungssymbol noch an seiner bisherigen Stelle bleibt, sollte dort aber zumindest ein deutlicher Kommentar gut sichtbar angebracht werden." Darauf hat das Domkapitel mit Empörung reagiert und erklärt, es handele sich hier "um ein überaus wertvolles Kunstwerk, das insgesamt zu schützen und auf keinen Fall zu beschädigen ist". Im Übrigen sei die geschnitzte Judensau im Chorgestühl für die Öffentlichkeit praktisch unsichtbar, was von vorne herein jeden Hinweis und jede Zurückweisung für die Öffentlichkeit überflüssig mache. Außerdem verweist das Domkapitel auf die Steintafel mit dem sog. Judenprivileg, augenscheinlich, um damit die kirchliche Judenfeindschaft zu relativieren. Der Leser soll wohl vermuten, das Judenprivileg des Erzbischofs habe primär zum Ziel gehabt, Juden zu schützen; die für den Erzbischof lukrativen finanziellen Zusammenhänge sollen in diesem Zusammenhang wohl eher übergangen werden.

Die kategorische Ablehnung und Gesprächsverweigerung des Kölner Domkapitels hat zu einer vorab angekündigten Kunstaktion vor dem Dom geführt. Dabei hat der Künstler ein Sandwich-Plakat getragen mit der Aufschrift "Judensau im Kölner Dom". Dazu haben er und zwei Vertreter der Akademie Handzettel verteilt mit Informationen zum Kölner Beispiel und dabei viele Gespräche mit Passantinnen und Passanten geführt. Die drei "Protestanten" erfuhren:

§ Erstaunen von den meisten, die noch nie etwas von diesem Schandbild gehört hatten
§ Zustimmung von etlichen, vor allem Jüngeren, die gegen dieses Relief mit Abscheu reagierten und von der Domverwaltung eine Erklärung einfordern wollten
§ Empörung von vielen, die sich als bekennende Kirchenchristinnen und -christen verschiedener Konfessionen zu erkennen gaben und verschiedentlich mit eigenen Worten erklärten, die Juden sollten "als Gottessmörder lieber mal kleine Brötchen backen und sich nicht so laut beschweren".

Der Haupteingang zum Kölner Dom war am Donnerstag Vormittag fest verschlossen. Die Dombaumeisterin gab der Presse zu Protokoll, sie habe mit einer Gruppe von "Berufsdemonstranten" (sic! Schriftlich informiert war sie tatsächlich von der Teilnahme des ev. Pfarrers und Akademieleiters, eines "Berufsprotestanten", wenn man so will) rechnen müssen und darum zum Schutz des Doms die Türen verschließen lassen.

Die Dombaumeisterin verweigerte jeden Dialog vor, während und nach der einstündigen Aktion. In Pressegesprächen bezeichnete sie es als "geschmacklos", ausgerechnet in dieser Zeit (d. h. auf der Höhe der Kampagne von Jürgen W. Möllemann, der im Juni 2002 mit antisemitischen Anspielungen Punkte im Wahlkampf zu machen versuchte) das Thema des Antisemitismus öffentlich zur Sprache zu bringen. Auch noch nach vierzehn Tagen war sie zu einem internen Gespräch zur Sache nicht bereit.

7. Geschichte und Vergänglichkeit

Das besondere Element der Kölner Judensau ist das direkt anschließende und darum unmittelbar dazu gehörige Relief, das einen Juden zeigt, der aus dem Fass eine Sau mit ihren Ferkeln ausschüttet; neben ihm führt ein zweiter Jude einen Jungen an der Hand, dessen Kopf ein Heiligenschein umgibt. Spätere haben zur zusätzlichen Erläuterung in die Randleiste geritzt den Hinweis, dass es sich hier um den Werner von Oberwesel handelt, der als Märtyrer Opfer eines jüdischen Ritualmords geworden sein soll. Die Komposition der beiden Darstellungen beweist nun endgültig den blutigen Ernst und die tödliche Gefahr, die von der Judensau für die Juden ausgegangen sind. Denn Ritualmordvorwürfe waren noch immer der Auftakt zu blutigen Pogromen. Angesichts dieser Wirklichkeit genügt der formale Hinweis auf das "überaus wertvolle Kunstwerk" nun wirklich nicht mehr, um die Frage nach dem Umgang mit dieser Tradition abzuwehren.

Aber auch der Verweis darauf, dass der Normalsterbliche den Chorraum gar nicht betreten dürfe, und darum keine Notwendigkeit zu einer öffentlichen Auseinandersetzung zu erkennen sei, ist geradezu erstaunlich. Denn dieses Argument unterstellt doch, dass die anderen, die geführten Gruppen und das Dompersonal z.B., an dieser Sache keinen Anstoß nehmen. Was wäre das aber für eine Aussage über die innere Verfassung der Kirche?! Und wenn die Antwort lautet, das Dompersonal wisse ja damit umzugehen und geführte Gruppen würden entsprechend bei der Führung unterrichtet, so wäre man natürlich höchst interessiert, zu erfahren, wie das Personal damit umgeht und wie geführte Gruppen denn unterrichtet werden. Vielleicht wäre ja aus einer Antwort Entscheidendes zu lernen für die Gesamtthematik.

Zugleich übersieht aber der Hinweis auf die Verborgenheit der Kölner Judensau den wesentlich wichtigeren Aspekt der verborgenen Wirkung von Bildern. Es ist ja nicht das Schnitzwerk, es sind ja nicht die steinernen Skulpturen und es war noch nie das Papiermaterial eines Buches, das gefährlich wurde, sondern es waren immer die daraus entstandenen inneren Bilder und ideologischen Begriffe, die fortgewirkt haben. Und solche inneren Bilder müssen bearbeitet werden, auch wenn sie nicht nach außen treten. Die Auseinandersetzung aber mit den inneren Bildern, die alle äußeren Bilder unbeachtet ließe, bliebe unglaubwürdig und müsste am Ende kontraproduktiv wirken. Wer also wirklich den christlichen Antisemitismus bekämpfen will, kann im Ernst das Argument der angeblichen Verborgenheit des Schandbilds im Dom nicht benutzen, um nichts zu tun.

Nun zeigen viele Judensaureliefs, die aus Sandstein gehauen und an Außenwänden angebracht sind, bereits starke Korrosionsspuren. An vielen Beispielen ist das Motiv nur noch schemenhaft und darum auch meist nur noch für das geübte Auge der Fachleute erkennbar. Könnte man nicht wenigstens für diese überaus vergänglichen Kunstwerke der Natur, bzw. dem Verkehr als dem Hauptproduzenten des sauren Regens die Bewältigung der Vergangenheit überlassen? - Ich halte auch diesen Verfahrensvorschlag für sehr bedenklich. Verwitterung und Korrosion lösen ja nicht die Bilder auf, die ausgehend von dem einstmals klar erkennbaren Kunstwerk längst in unsere Köpfe und in unsere Erinnerung, in unsere Sprache und in unser kollektives Gedächtnis eingewandert sind. Und nachdem diese Wanderung der Bilder einmal stattgefunden hat, könnte selbst die totale Verhüllung der verwitterten Figuren nichts mehr zurückrufen. Ja, eher ist das Gegenteil zu erwarten. Moderne Künstler wie Jochen Gerz und Christo und Jeanne Claude machen sich ja gerade die Aktivierung der menschlichen Phantasie durch Verhüllungen zunutze, indem sie vorsätzlich unsichtbar gemachte Denkmäler errichten oder bereits sichtbare vorsätzlich verhüllen.
So ist auch die Vergänglichkeit der Judensau kein Argument dafür, sich die offensive Auseinandersetzung mit diesem Ausdruck perversen Christentums zu ersparen.

8. Was tun?

Mittlerweile hat ein evangelischer Kirchenvorstand in Nürnberg mit ähnlicher Blockadepolitik reagiert wie die katholischen Autoritäten in Köln und Strafantrag gestellt wegen Sachbeschädigung, weil dort neuerdings ein weißer Pfeil auf das Schandbild der Judensau aufmerksam machen will. Der evangelische Kirchenvorstand will also mit juristischen Mitteln die Forderung nach einer Auseinandersetzung abwehren. Der ökumenische Gleichschritt in dieser Sache ist demnach gewährleistet. Aber was wäre denn die richtige Lösung?

1. Die erste Antwort muss unzweideutig negativ formuliert werden: Denk-, Aufklärungs- und Gesprächsblockaden sind jedenfalls die falsche Antwort.
2. Da es sich um öffentliche Bilder überwiegend an öffentlichen Gebäuden handelt, muss eine öffentliche Auseinandersetzung darüber geführt und gefördert werden.
3. Die Formen der öffentlichen Auseinandersetzung können und sollen sehr unterschiedlich sein und den örtlichen Umständen entsprechen.
4. Von Texttafeln, wie in Wittenberg, über entsprechende Texte in den touristischen Führern und Faltblättern, über korrespondierende und zur Auseinandersetzung provozierende Kunstwerke, wie in der Kölner Antoniterkirche vor dem Barlachengel, über regelmäßige Bildungs- und Diskussionsforen in Kirchen und entsprechenden Einrichtungen (Kölner Dom Forum!), über korrespondierende Konzertveranstaltungen mit Musik verfehmter Künstler z. B. im Kölner Dom, bis zu Stadtführungen und Kirchenführungen, die auf das Thema der Überwindung christlicher Judenfeindschaft spezialisiert sind ("Köln grüßt Jerusalem"), ist vieles denkbar.
5. Die entscheidende Antwort in allem heißt: Wir dürfen diese Schandbilder in und an unseren Kirchen und Häusern und in unseren Köpfen und Herzen nicht auf sich beruhen lassen.
6. Schließlich aber wäre eine intensivere öffentliche Auseinandersetzung dann auch der erste Schritt dahin, dass endlich die bisher m. W. einzige wissenschaftliche Arbeit zu diesem deutschen Thema, das von Isaiah Shachar 1974 in englischer Sprache veröffentlichte Werk "The Judensau. A Medieval Anti-Jewish Motif and its History", übersetzt und dem deutschen Publikum zugänglich gemacht würde. Dazu bedarf es des öffentlichen Interesses und der öffentlichen Nachfrage, damit ein Verlag sich dieser Aufgabe endlich annimmt.

Der Autor ist Pfarrer und Leiter der Melanchthon-Akademie in Köln

 


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