Die Haltung der Evangelischen Kirchen in Deutschland gegenüber Israel und gegenüber dem palästinensischen-israelischen Konflikt

von Samson Madievski


In den Jahren zwischen 1950 und 1970 hat die Beschäftigung mit den Gründen und den Konsequenzen des Holocaust eine Neubesinnung der westlichen Christenheit gegenüber den Juden und dem Judentum herbeigeführt. Diesen Veränderungsprozess haben die Protestanten angestoßen. Verständlicherweise gab es die radikalsten Veränderungen in Deutschland.

Einer der Vorreiter für eine Veränderung des christlich-jüdischen Verhältnisses, der evangelische Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt, schrieb im Blick auf die Erinnerung an die Opfer des Holocaust: "Auschwitz geht uns heute an als Gericht über unser Christentum, über die Art, wie wir Christen waren und sind, ja mehr noch - mit den Augen der Opfer von Auschwitz gesehen - : Auschwitz geht uns an als Gericht über das Christentum selbst. ... Auschwitz geht uns an als ein Ruf in die Umkehr. Nicht nur unser Verhalten soll sich ändern, sondern unser Glaube selbst. Nicht nur ethische Konsequenzen soll Auschwitz zeitigen, sondern Glaubenskonsequenzen. Auschwitz ruft danach, dass wir heute das Wort Gottes ganz anders hören, als wir es vor Auschwitz gehört haben, ganz anders, als es unsere predigenden und Theologie-lehrenden Väter überliefert haben. Die Umkehr betrifft das Wesen des Christentums, wie wir es bisher verstanden haben" (Marquardt und Friedländer 1980: 9-10).

Die Auseinandersetzung mit dieser Katastrophe, ihren Gründen und die in diesem Zusammenhang nötige Verarbeitung der christlichen Dogmatik war schwierig und schmerzlich, denn sie berührte die Fundamente des christlichen Selbstverständnisses. Dennoch, mit Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, zeigte sich eine Übereinstimmung im deutschen Protestantismus in folgenden zentralen Punkten:

1. Das Eingeständnis der Mitschuld und Mitverantwortung der Christen für den Holocaust;
2. Zurückweisung und Verurteilung jeder Form von Antisemitismus;
3. Die Einsicht, dass es zwischen Christentum und Judentum eine unlösliche Verbindung gibt;
4. Das Bekenntnis zur bleibenden Erwählung Israels;
5. Der Verzicht auf die Judenmission.

Ursprünglich wurden diese neuen Gedanken in verschiedenen Grundsatzerklärungen auf verschiedenen kirchlichen Foren veröffentlicht. In den Jahren 1989 - 1999 haben allerdings einige Landeskirchen diese Erklärungen inhaltlich in ihre Kirchenordnungen (in die sogenannten Grundartikel, die über das kirchliche Glaubensbekenntnis Auskunft geben) aufgenommen.

Der Staat Israel hatte vom ersten Augenblick seines Entstehens an eine besondere Bedeutung in der christlich-jüdischen Beziehung. Die Haltung gegenüber dem Staat hat sich weiter entwickelt, während sich die jüdisch-christlichen Beziehungen veränderten. 1949 noch hat eine Zeitschrift protestantischer Missionare den Zionismus in alt-hergebrachter Weise als einen Ausdruck des "Unglaubens" verstanden (Jasper 1949: 2). Im Jahr 1952 hat der lutherische Theologe Karl Hartenstein die Gründung des Staates Israel als einen Akt bezeichnet, der gegen Gottes Rettungsplan für Israel stünde (denn Israel bleibt wesentlich noch immer das "Himmlische Jerusalem" und nicht das "irdische Palästina") (Hartenstein 1952: 66). Aber bereits ein viertel Jahrhundert später konnte man in einem Unterrichtsplan für den Evangelischen Religionsunterricht in Grundschulen lesen:
"Die Geschichte Israels ist durch den immer wiederholten Aufbruch aus der Unfreiheit in ein neues Leben gekennzeichnet, über dem die Verheißung der Gerechtigkeit und Freiheit steht. Auch die Einwanderung von Juden aus allen Ländern der Welt in den neuen Staat Israel in der jüngsten Vergangenheit ist als ein solcher Aufbruch zu verstehen" (Richtlinien und Lehrpläne o.J: 46). Und der Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland von 1980 erklärt: "Die Einsicht, dass die Fortdauer der Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind" (Rendtorff und Henrix 1988: 594).

Die beiden letzten Texte sind im Bundesland Nordrhein-Westfalen entstanden, dessen Evangelische Kirche zur Vorhut der Erneuerung gehört. Die Position der EKD insgesamt spiegelt sich in der Studie "Christen und Juden", die vom Rat der EKD 1975 herausgegeben wurde. Sie ist viel zurückhaltender. Diese Studie erklärt die Rückkehr der Juden aus allen Ländern in das Land ihrer Vorfahren nicht nur aus der feindlichen Umgebung der Herkunftsländer, einer Feindschaft, die schließlich im Holocaust gipfelte, sondern auch als "Verwirklichung der über die Jahrtausende hin durchgehaltenen Sehnsucht nach Zion". Die Studie erklärt es zur Pflicht aller Christen - "nach allem Unrecht, das Juden - besonders durch Deutsche - angetan worden ist" - die UN-Resolution von 1947 über die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu unterstützen. Weiter heißt es dort: "Zugleich haben Christen sich aber auch nachdrücklich für einen sachgemäßen Ausgleich zwischen den berechtigten Ansprüchen beider, der palästinensischen Araber und der Juden, einzusetzen", um nach bestem Vermögen für die Entwicklung des Friedens in der Region beizutragen. Sie sollten die Kontakte mit den arabischen Christen, "die durch den Konflikt in eine besonders schwierige Lage gebracht worden sind", verstärken. Und schließlich unterstreicht die Studie die Verpflichtung der Christen in Deutschland, gemäß ihrer historischen Schuld "die neu aufkommende Judenfeindschaft, auch in Gestalt des politisch und sozial motivierten `Antisemitismus´, zu bekämpfen" (Rendtorff und Henrix 1998: 573-575).

Die Position der EKD gegenüber Israel und dem palästinensisch-israelischen Konflikt wurde in den "Überlegungen angesichts der Konflikte im Mittleren Osten", vorbereitet von der Evangelischen Mittelost-Kommission (EMOK) im Jahr 1985, ausgeführt und vom Rat der EKD angenommen (Henrix und Kraus 2001: 535-50) .

Das Dokument führt zunächst aus, warum die Christen in Deutschland sich in die Situation des Nahen Ostens verwickelt fühlen. Die Argumentation verläuft folgendermaßen:

- weil sie in der Vergangenheit zur Begründung der Feindschaft gegenüber den Juden und der Verachtung der Muslime beigetragen haben
- weil der Holocaust und seine Folgen die Beziehungen zwischen Juden und Arabern in Palästina verschärft haben
- weil der Konflikt im Nahen Osten die innere Lage der Bundesrepublik Deutschland beeinflusst (durch verschärften Kriegsgefahern und die Zunahme an Flüchtlingen und Asylsuchenden, ebenso wie durch Polarisierungen in den Kirchen und in der Gesellschaft)
- aufgrund der ökumenischen Beziehungen mit den arabischen Christen und der besonderen Beziehung mit den Juden und den Muslimen
- weil die Nahost-Konflikten auch religiöse Ursachen haben
- weil Christen in Deutschland sich verpflichtet fühlen, die bestehenden kirchlichen Strukturen in der Region zu unterstützen, die für die Menschen, die dort leben, gebraucht werden
- schließlich, weil in unserer interdependenten Welt das Wohl aller Völker auch davon abhängt, dass regionale Konflikte gelöst werden.

In den "Überlegungen" wurde ausgeführt, dass aufgrund biblischer Einsichten, Christen es für ihre Pflicht halten, Solidarität mit dem jüdischen Volk zu erweisen, einschließlich der Juden, die in Israel leben. Und angesichts der historischen Schuld und Verantwortung für den Holocaust gilt diese Verpflichtung besonders für Christen in Deutschland. Dennoch schulden sie ihre Solidarität auch den arabischen Palästinensern, die "mit der Schaffung des Staates Israel … entweder ihre Heimat verloren oder zu Fremden in ihr geworden sind … Deshalb müssen Christen sich dafür einsetzen, das deren Rechte anerkannt werden und eine Lösung gefunden wird, die ihre politische Selbstbestimmung völkerrechtlich sichert."

Das Dokument erklärt weiter: "Die gebotene Solidarität der Christen Europas mit Israelis und Palästinensern kann nur eine kritische Solidarität sein". Die Autoren gestehen zu, dass dieser Grundsatz sehr schwer zu realisieren seien wird, weil beide Seiten hoffen und erwarten und manchmal sogar fordern, dass ihnen eine "ausschließende Loyalität" zukommt.

Solidarität mit dem jüdischen Volk, so der Text, beinhaltet auch die Verpflichtung, die Existenz Israels zu unterstützen und für die Anerkennung Israels durch die arabischen Nachbarn zu werben. Aber es werden auch eine Reihe theologischer und politischer Probleme für die Christen benannt.

Zunächst: Ist die Errichtung des Staates Israel die Erfüllung der biblischen Verheißung des Heiligen Landes, ist sie ein Zeichen der bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes? Über diese Fragen kann man streiten. Die "Reflektionen" stellen fest: "Wir glauben an das geheimnisvolle Wirken Gottes in der Geschichte, ohne jedoch schematischen Geschichtsgeutungen (z.B. Errichtung des Staates Israel = Einleitung der Endzeit) zu erliegen", die zur "unreflektierten, einseitigen Parteinahme" führen. Im jüdischen und christlichen Verständnis ist "das Land" von Gott als "Leihgabe"anvertraut, und zwar unter der Bedingung, dass der Bund mit ihm erhalten bleibt und das Volk sich verpflichtet, die Segensgüter mit anderen zu teilen. Darum, so unterstreichen die Autoren, kann die Verheißung "nicht zur Rechtfertigung für die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten oder für territoriale Ansprüche" genutzt werden, wie "eine Tendenz militanter Gruppen in Israel (unterstützt von christlich-apokalyptischen Gruppen) " ist.

Während das Recht Israels auf international anerkannte sichere Grenzen fraglos behauptet wird, warnt das Dokument doch vor einer "Ideologiesierung der Sicherheitsfrage", die den Friedensprozess beeinträchtigt und damit die eigene Existenz Israels gefährden kann.

Mit Blick auf die Palästinenser weist die Kommission darauf hin, dass Unterstützung für die Selbstbestimmung durch europäische Christen nicht Zustimmung zu den Zielen und Methoden verschiedener palästinensischer Gruppen bedeutet. Es würde der palästinensischen Sache viel mehr dienen, so wird weiter festgestellt, Israel anzuerkennen und die gewalttätigen, insbesondere terroristischen Methoden aufzugeben, die "keine befreiende Zukunft" für sie versprechen, die vielmehr nur repressive Maßnahmen provozieren, den Konflikt intensivieren und dazu beitragen, dass er auf andere Länder ausgedehnt wird. In der Zusammenfassung der "Überlegungen" wird der Wunsch ausgedrückt, Treffen und Dialoge zwischen den gegensätzlichen Parteien möglich zu machen und besondere Unterstützung für solche Gruppen auf beiden Seiten zu leisten, "die sich für wirkliche Begegnungen einsetzen".

Die Intifada von 1988 - um noch genauer zu sein: ihre Darstellung in den westeuropäischen Massenmedien - hat Protestanten in Deutschland sensibler für die Rufe der palästinensischen christlichen Theologen (Naim Ateek, Mitri Raheb usw.) gemacht, die dafür einstehen, die Interpretation der Landverheißungen (siehe oben) zu überarbeiten. Das heißt, dass die entsprechenden Texte des Alten Testaments sich überwiegend auf eine Zeit beziehen, als die Juden noch kein eigenes Land hatten und dass es darum nicht richtig ist, sie heute einzusetzen, um die Position der Stärke, aus der heraus Israel sich äußert, zu unterstützen. Diejenigen, die die Rückkehr der Juden in das heilige Land und die Gründung des Staates Israel als "Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk" verstehen, behaupten damit implizit, dass der Verlust des Vaterlandes für viele Palästinenser als eine direkte Folge dieser Ereignisse auch mit Gottes Willen übereinstimmt. Diese Kritik hat bei einigen christlichen Gruppen in Deutschland eine positive Resonanz gefunden, besonders in den kirchlichen Organisationen, die sich mit den Christen des Nahen Ostens verbunden fühlen. Für einige von ihnen stellen die Existenz und Politik Israels auch ein "Hindernis auf dem Weg zu einer theologischen Neuorientierung im Blick auf das Judentum" dar (Henrix und Kraus 2001: 914- 915).

Die offizielle Position der EKD in Hinsicht auf diese Fragen wurde in einer zweiten Studie "Christen und Juden", die der Rat der EKD 1991 herausgegeben hat, behandelt (Henrix und Kraus 2001: 627-668). In dieser Studie wird zugestanden, dass die Existenz der Juden im Land Israel nicht ermöglicht worden wäre ohne den Staat, der darüber hinaus eine Zufluchtstätte für die Juden anderer Länder ist. Darum unterstützen die Christen den Staat Israel und respektieren die unaufgebbare These des Judentums, die eine unverbrüchliche Beziehung zwischen dem Land und dem Volk Israel behauptet. Dennoch, da Israel ein moderner, säkularer Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen ist, kann man seine Politik gegenüber den arabischen Nachbarn und der nichtjüdischen Bevölkerung wie die Politik aller anderen Länder kritisch analysieren. In Deutschland allerdings muss man besonders darauf achten, diese Kritik nicht mit antisemitischen Tönen zu mischen. Kritik kann nur dann nützlich sein, wenn sie aus einem Gefühl der Verbundenheit und der Solidarität mit den Juden kommt und wenn sie jeglicher Versuchung widersteht, die vitalen Rechte des jüdischen Volkes im Land Israel in Frage zu stellen.

Die EKD hat sich im Jahr 2000 dieser Frage noch einmal zugewandt in ihrer dritten Studie "Christen und Juden" (Henrix und Kraus 2001: 862 - 932). Darin wird festgestellt, dass der Brief des Paulus an die Römer und seine Ausführungen über die unwiderrufene Gültigkeit des Bundesverhältnisses zwischen Gott und seinem Volk Israel, seiner Verheißungen für sie und der inneren Verbindung zwischen Christentum und Judentum notwendigerweise zu einer theologischen Reflexion über die Bedeutung dieser biblischen Sätze im Blick auf die gegenwärtigen Verhältnisse führen. Die Autoren weisen die Vorschläge der palästinensischen Theologen zurück, die die biblische Botschaft universalisieren wollten in dem Sinne, dass "Gott jedem Volk ein Land gegeben hat". Eine solche Universalisierung widerspräche dem Geist und den Buchstaben der heiligen Schrift. "Gott hat sich selbst unauflöslich an das jüdische Volk gebunden, Bund und Land aber zusammengehören. Auch wo ausdrücklich das verheißene Heil für die ganze Welt in den Blick genommen ist, hält die Bibel an der Besonderheit der Erwählung Israels fest."

Das Dokument erinnert den Leser allerdings an die Notwendigkeit "zwischen dem Land als Gnadengabe Gottes und dem säkularen Staat Israel … sorgfältig zu differenzieren", und stellt fest, dass so auch die meisten jüdischen Gläubigen die Texte lesen. "Eine Verabsolutierung des Landes, die von nationalreligiösen Kräften in Israel, aber auch von manchen christlichen Zionisten betrieben wird, widerspricht dem Geist der Propheten Israels". Und die Autoren fahren fort: "Eine religiöse Überhöhung des Staates Israel ist theologisch unzulässig und gefährdet die Bemühungen um einen friedlichen Interessenausgleich zwischen den Bürgern des Staates Israel und seinen arabischen Nachbarn".

In dem Versuch, die bestehende Kontroverse zu überwinden fragen die EKD-Experten sich selbst: "Wäre es angesichts der Gefahr missbräuchlicher Benutzung biblischer Texte für die eigenen Interessen nicht besser, auf jede theologische Deutung der Rückkehr der Juden ins Land und der Gründung eines Staates, der den Namen Israel trägt, zu verzichten?" Ließe sich das nicht noch begründen damit, dass das internationale Recht das Existenzrecht Israels fraglos behauptet und dass darum eine theologische Legitimierung gar nicht mehr nötig sei?

In der dritten Studie der EKD zu "Christen und Juden" wird noch einmal wiederholt: Die Aktionen der Israelischen Regierung können ebenso wie alle anderen staatlichen Maßnahmen kritisiert werden. Da aber die Beziehung zwischen Juden und Christen in Deutschland ebenso wie die Beziehung der BRD und Israels in Folge des Holocaust immer noch nicht als "normal" bezeichnet werden können, muss man darauf achten, dass man nicht den alten Antisemitismus willentlich oder unwillentlich unterstützt. Dieser alte Antisemitismus "äußert sich in oft höchst emotional vorgebrachter Kritik am Staat Israel und dessen Politik, für die pauschal alle Juden zur Verantwortung gezogen werden. So werden dort inakzeptable und verletzende Parallelen zwischen der NS-Politik und der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern gezogen, wobei man Letztere als "Opfer der Opfer" bezeichnet".

Es wurde ja bereits bemerkt, dass die Frage, ob Israel eine besondere Bedeutung für die Christen hat, die sich von der Bedeutung anderer Länder für das Christentum unterscheidet, unter den Protestanten kontrovers diskutiert wird. Die Bandbreite der Antworten erstreckt sich von einem unzweideutigen Nein ("Es ist ein gewöhnlicher säkularer Staat") bis zur Anerkennung des Staates Israel als den Beginn der Endzeit, des Jüngsten Gerichts, der Rettung der Menschheit.

Von den Kirchen und den kirchlichen Gruppierungen, die zur EKD gehören, ist die Evangelische Kirche im Rheinland diejenige, die zu Israel die freundlichste Stellung einnimmt (vergleiche den Beschluss der Rheinischen Synode von 1980). Auf gleicher Linie liegt der Bund der reformierten Kirchen in Deutschland (vergleiche "Leitsätze in der Begegnung von Juden und Christen" von 1990) und die Evangelisch-Reformierte Kirche (vergleiche der Beschluss der Gesamtsynode dieser Kirche "Zum Staat Israel" von 1992). Ohne sich den Extremen des Fundamentalismus zu nähern, widerstehen diese Dokumente jedoch den Bestreben, "Israel als Volk, Israel als Land und Israel als Staat aus den Fragen des Glaubens und der Theologie fernhalten" (Rendtorff und Henrix 1998: 594; Henrix und Kraus 2001: 611, 677, 915).

Aber die Mehrheit der Evangelischen Kirchen in Deutschland hat einen viel vorsichtigeren Standpunkt bezogen. Das zeigt sich zum Beispiel an den öffentlichen Erklärungen der Evangelischen Kirche in Baden und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Sachsen (von 1988), der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldecks (1997) und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (1998), der Evangelischen Kirche von Westfalen (1999) usw. (Henrix und Kraus 2001: 561- 562, 578, 781-782, 810, 856-857, 866).

Die Leitungsebene der EKD teilt die Positionen dieser Kirchen, obwohl sie ausdrücklich nur die fundamentalistischen Gruppen kritisiert. Die dritte Studie "Christen und Juden" führt aus, dass die bedingungslose Unterstützung der Fundamentalisten für den Staat Israel und seiner Politik den apokalyptischen Erwartungen folgt, dass die Juden auf der Schwelle zum Ende der Welt sich Christus zuwenden würden. Solche "überspannten Erwartungen … können leicht in bittere Enttäuschung umschlagen". Hinter den philosemitischen Erklärungen und Ausdrücken von Sympathie, so die Studie, verbirgt sich nicht selten "ein uneingestandenes und diffuses Schuldgefühl", das zu "oft einhergehende Weigerung, die schwierige Situation der Palästinenser ebenso einfühlsam wahrzunehmen", passt (Henrix und Kraus 2001: 909, 917).

In dem oben genannten Text werden die Positionen der EKD und der Landeskirchen und kirchlichen Organisationen ausgeführt. Die Position der sogenannten Evangelischen Freikirchen wird in den "Handreichung zum Verhältnis von Juden und Christen" dargelegt, die der Bund evangelisch- freikirchlicher Gemeinden 1997 veröffentlicht hat. Der Ausgangspunkt der Überlegungen dieser Darstellung ist folgender: Israel als ein Staatswesen sollte nicht unkritisch nit der heilsgeschichtlichen Größe Israels gleichgezetzt werden. "In seiner gesamten Geschichte war Israel nur verhältnismäßig kurze Zeit ein Staat". Aber die Autoren dieser Studie halten immer noch die Rückkehr der Juden in das verheißene Land für ein "Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk". Das Papier schließt folgendermaßen ab: "Wir rufen angesichts der Spannungen und der ungelösten Probleme in Nahen Osten eindringlich dazu auf, dafür zu beten, dass die politisch Verantwortlichen Wege zu einem friedlichen Miteinander von Juden und ihren Nachbarn finden" (Henrix und Kraus 2001: 772 - 73, 778).

Alle hier angeführten Dokumente zeugen, wie wir glauben, von dem Bestreben, eine "ausgeglichene" Position anzunehmen, die sowohl die Lehren der Vergangenheit als auch die gegenwärtige Situation sowie Interessen beider Konfliktparteien berücksichtigen würde. Jedoch stellen sie alle lediglich Prinzipiendeklarationen dar.

Das letzte Dokument der EKD zu unserem Themenbereich ist die Broschüre, die von der EMOK im Jahr 2001 veröffentlicht worden ist unter dem Titel "Warum Oslo keinen Frieden brachte: Der israelisch-palästinensische Konflikt - eine unendliche Geschichte?" Die Studie enthält eine Zahl konkreter Einschätzungen und Empfehlungen, darum ermöglicht uns dieses Dokument ein besseres Verständnis für die Position der Kirche.

Die Autoren geben zu, dass im Laufe der Verhandlungen zwischen Barak und Arafat in Camp David im Sommer 2000 Israel "nicht für möglich gehaltene Zugeständnisse" gemacht hat - die Rückgabe von mehr als 90 Prozent der besetzten Gebiete, die Räumung einer Anzahl jüdischer Siedlungen, die Teilung Jerusalems. (Was die Bevölkerung betrifft, so haben sogar vor Camp David 97 Prozent der Palästinenser unter PLO-Herrschaft gelebt, was unglücklicherweise in der genannten Broschüre nicht erwähnt wird - S. M.). Die erwähnten Schritte werden als "psychologischer Durchbruch" gekennzeichnet, als "eine Aufgabe einer jahrzehnte alten Ideologie". Dennoch haben diese Feststellungen die Kommission nicht davon abhalten können, Israel für die Aufrechterhaltung "der Politik der Stärke und Überlegenheit, die … wenig geeignet war, eine Vertrauensbasis … aufzubauen", zu tadeln. Die Kommission stellt fest, dass die israelischen Regierungen "versäumten es, die Bevölkerung des Landes auf das Ausmaß der notwendigen Zugeständnisse vorzubereiten" (was genau immer dieses Ausmaß auch sein sollte? Und hat die Führung der palästinensischen Autonomiebehörden eigentlich dasselbe getan? - S. M.). Die Experten der EKD missbilligen, dass "die Sicherheitsfrage alle anderen Überlegungen (der Israelis) beherrscht" (könnte es denn überhaupt anders sein? - S. M.). "Vermisst werden eindeutige Verurteilungen der (terroristischen) Anschläge durch palästinensische Führer" (noch einmal - könnte es denn anders sein, wenn diese Worte unmittelbar durch Taten und andere Feststellungen widerrufen werden? - S. M.) (2001: 2- 5 , 8).

Dennoch stellt die Kommission fest, dass es in Streitfragen - betreffs Jerusalem und sogar im Blick auf die palästinensischen Flüchtlinge - "bei guten Willen auf beiden Seiten " immer noch Raum für Kompromisse gibt. Ausgehend von der Tatsache, dass die Palästinenser schwächer als Israel sind, sowie von der Behauptung, dass die USA aufgrund ihrer proisraelischen Position kein angemessener Vermittler bei den Verhandlungen sein können, gibt die EMOK zu bedenken, dass die Europäische Union eine denkbare Rolle in der Erneuerung des Dialogs zwischen Israel und den Palästinensern spielen könnte, indem sie "sich aktiv für einen Kräfteausgleich und für eine völkerrechtlich akzeptable Lösung einsetzt" (2001: 6-7, 9). Tatsächlich muss das aber bedeuten, dass die EU Druck auf Israel ausübt. Die Erwägung, dass "traditionelle Beziehungen" zwischen Europa und den Arabern dazu benutzt werden können, die Palästinenser davon zu überzeugen, dass der Terror keinerlei Zukunftsperspektive hat, wird in dem Dokument in keiner Weise erwähnt - ganz im Unterschied zu den "Überlegungen" derselben EMOK im Jahr 1985.

Eine andere Empfehlung lautet, die Initiativen verschiedener gesellschaftlicher Organisationen und Gruppen zu unterstützen, die sich für Frieden einsetzen und mit beiden Konfliktparteien Kontakt halten (2001: 9). Die Kommission weiß natürlich, dass die israelischen Anhänger von "Frieden jetzt" , von denen es viele gibt (und von denen es sogar mehr gegeben hat), im Jahr 2001 ohne jeglichen Gesprächspartner geblieben sind, da keine palästinensische Organisation oder Gruppe will oder wagt noch mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Auch darüber spricht die Broschüre nicht mit einem Wort.

Nach unserer Meinung lässt sich aus den Beobachtungen schließen, dass die EKD-Experten die Situation im Nahen Osten größtenteils durch die Brille der westeuropäischen Massenmedien sehen, deren Position man bei allem Respekt nun wirklich nicht objektiv oder ausgewogen nennen kann. Die EKD-Überlegungen schließen sich ebenso an die Konzepte Deutschlands und der Europäischen Union im Blick auf außenpolitische Beziehungen an, die allesamt von ökonomischen und politischen Interessen diktiert sind. Und wenn die EKD-Position sich von den offiziellen politischen Positionen unterscheiden, dann indem sie mehr die Seite der Palästinenser vertreten.

Wie kann es unter diesen Voraussetzungen möglich sein, einen eigenen oder gar noch einen positiven Beitrag zur Lösung der regionalen Probleme zu leisten? Zu aller erst müsste man nämlich die Schlüsselfrage beantworten: Zu welcher der Konfliktparteien neigt die eigene Überzeugung, so dass ihre Ziele nicht wahrgenommen werden können, ohne dass die andere Seite völlig verschwindet? Welche Partei initiiert ständig Gewalttaten? Wer will den Terror nicht aufgeben - noch nicht einmal für ein paar Tage, um die Wiederaufnahme des Dialogs zu ermöglichen? Welcher Seite fehlt die innere Demokratie, die Transparenz der politischen Entscheidungsmechanismen, für welche Seite lassen sich besonders schwer Vorhersagen über ihr zukünftiges Verhalten machen?

Die Weigerung, diese Fragen zu beantworten, ruft auf jüdische Seite einmal mehr die Frage nach die Zuverlässigkeit der christlichen Kirchen hervor.

Benutzte Literatur u. a.:
Evangelische Mittelost-Kommission, Hrsg.
2001 Warum Oslo keinen Frieden brachte: Der israelisch-palästinensische Konflikt - eine unendliche Geschichte?
Hartenstein, Karl
1952 Israel im Heilsplan Gottes. Stuttgart: Evangelischer Missionsverlag
Henrix, Hans Hermann und Kraus, Wolfgang, Hrsg.
2001 Die Kirchen und das Judentum, Bd. 2: Dokumente von 1986 - 2000.
Paderborn: Bonifatius und Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus / Chr. Kaiser.
Jasper, Gerhard
1949 "Und die Juden?" Allgemeine Missionsnachrichten 6: 1-3
Kultusministerium Nordrhein-Westfalen, Hrsg.:
o.J. Evangelische Religionslehre. Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen. Ratingen-Kastellaun-Düsseldorf.
Marquardt, Friedrich-Wilhelm und Friedländer, Albert Hoschander.
1980 Das Schweigen der Christen und die Menschlichkeit Gottes. Gläubige Existenz nach Auschwitz. München: Kaiser.
Rendtorff, Rolf und Henrix, Hans Hermann, Hrsg.
1988 Die Kirchen und das Judentum Dokumente von 1945 bis 1985. Paderborn: Bonifatius und München: Chr. Kaiser

Dr. phil. habil. (SU) Samson Madievski, geb. 1931, graduierte an der historischen Abteilung der Universität von Kischinev 1953. Seine Dissertation verteidigte er 1969, seine Habilitation 1982. Von 1959 bis 1996 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Moldova. Er ist Autor und Co-Autor von 8 Monographien und mehr als 60 Aufsätzen zur Geschichte Moldawiens, Rumäniens, der Geschichte der historischen Wissenschaften, der historischen Methodenlehre. Seit 1996 lebt er in Deutschland, in Aachen. Dort beschäftigt er sich mit den verschiedenen Problemen der Geschichte der Juden im Russischen Reich, der Sowjetunion, Deutschlands. Er publiziert in Deutschland, ?ngland Frankreich, Belgien, Schweiz,USA, Israel, Rußland und anderen Ländern der GUS, in Polen, Ungarn und Rumänien.

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