Vatikan will alle Dokumente zu Pius XII. veröffentlichen


Nach längerem Zögern hat nun der Vatikan bekannt gegeben, dass alle Dokumente aus dem Pontifikat Pius XII. veröffentlicht werden. Wann und in welcher Form ist nicht bekannt.
Erst kürzlich sagte Kurienkardinal Edward Cassidy: "Wir haben unsere Regeln, und die sagen, dass die Archive erst nach 70 Jahren geöffnet werden". Die Archive blieben geschlossen. Nun hat der Vatikan bekannt gegeben, dass er doch alle Dokumente aus dem Pontifikat Pius XII. (1939-1958) veröffentlichen wird. Wörtlich sagte der Jesuit und Pius-XII.-Experte P. Peter Gumpel in einem Radio Vatikan-Interview: "Wir werden alles veröffentlichen, alles wird zugänglich sein".
Gumpel bezeichnete Meldungen, wonach der Vatikan Akten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückhalte, um etwas zu verbergen, als "Unterstellungen". Allerdings müssten zuvor rund drei Millionen Schriftstücke im Vatikan geordnet und katalogisiert werden, so Gumpel weiter. Erst dann könnten sie zu gegebener Zeit zugänglich gemacht werden.
Ohne Namen zu nennen, warf Gumpel einigen jüdischen Mitgliedern und Mitarbeitern der inzwischen gescheiterten Kommission vor, sie hätten durch Indiskretionen das Arbeitsklima in der Gruppe in bedauerlicher Weise vergiftet und sich in unverantwortlicher Weise verhalten.
Die Kommission habe, so Gumpel, bis heute nicht den Abschlussbericht über die Analyse der bereits vom Vatikan veröffentlichten 5.000 internen Dokumente aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs vorgelegt. P. Gumpel beklagte ferner, dass die Kommission bei einer Anhörung im vergangenen Oktober sein Angebot zur Auskunft über 47 Einzelfragen nur in 12 Fragen angenommen habe. Anschließend sei behauptet worden, die Kommission habe auf ihre Fragen keine Antworten erhalten. Der Jesuit ist Berichterstatter im laufenden Seligsprechungsverfahren für Pius XII. und gilt als einer der besten Kenner der nicht veröffentlichten Dokumente im Vatikan.
Eine jüdisch-katholische Historiker-Kommission, die sich mit der Aufarbeitung der Rolle des Vatikans während des Holocaust befasste, beendete vor wenigen Tagen unter Protest ihre Arbeit, da der Vatikan ihrer Ansicht nach eine erweiterte Akteneinsicht verweigerte.
Die sechsköpfige Kommission war Ende 1999 gemeinsam vom Internationalen Jüdischen Komitee für Interreligiöse Kontakte (IJCIC) und der vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum eingesetzt worden. Für einen ersten Vorbericht bekamen sie elf Bände bereits veröffentlichter Akten des Vatikan zur Verfügung gestellt. Ihre Bitte an Rom, für die Prüfung von 47 Fragekomplexen weitere Unterlagen herauszugeben, sei aber vom Vatikan abgelehnt worden.
Seit den 60er Jahren wird Papst Pius XII. (1876-1958) den Makel nicht los, er habe nicht genug getan, die Juden in Europa vor der Ausrottung durch die Nazis zu bewahren. Es könne, so die Kommission, nur unzureichend beantwortet werden, wie viel der Papst über die Vorgänge in Deutschland tatsächlich wusste. Im März 1944 schrieb Pius XII. an den Berliner Bischof Konrad von Preysing: "Vor mir liegen Ihre acht Briefe von 1943 und fünf Briefe von 1944." Die Historikerkommission schrieb in ihrem Fragenkatalog: "Gibt es diese Briefe in den Archiven und können wir sie sehen?" Bislang lautete die Antwort: Nein.
In einem Schreiben betonte die Kommission, sie könne ohne weitere Akteneinsicht "angesichts so vieler Stimmen von Katholiken, Juden und anderen, die den Zugang zu weiterem Archivmaterial fordern", ihre Glaubwürdigkeit nicht aufrechterhalten. Auch sei man unter diesen Umständen nicht in der Lage, einen Abschlussbericht vorzulegen. Daher sehe sich die Kommission gezwungen, ihre Arbeit einzustellen. Man äußerte "tiefe Enttäuschung" darüber, dass der Vatikan sich weigere, ein sogar teils von ihm selbst eingesetztes Forschergremium in seiner Arbeit zu unterstützen.
Immer wieder wurde ein Zusammenhang zwischen dem laufenden Seligsprechungsprozess Pius XII. und der Weigerung des Vatikans, die Archive zugänglich zu machen, hergestellt. Kardinal Edward Cassidy hatte dem vehement widersprochen: "Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun." Diejenigen, die die Akten für die Seligsprechung zusammenstellten, hätten ebenfalls keinen Zugang zu den Archiven. "Sie urteilen ebenfalls auf Grund des bereits veröffentlichten Materials", sagte Cassidy. Ob dieses katholisch-jüdische Projekt nun endgültig gescheitert sei, mochte Cassidy nicht sagen. "Aber ich hoffe sehr, dass dies die christlich-jüdischen Beziehungen nicht beeinträchtigt."
Zum Scheitern der Historikerkommission hat sich nun ein katholisches Kommissionsmitglied zu Wort gemeldet. Gerald P. Fogarty erklärte der US-amerikanischen katholischen Nachrichtenagentur CNS, eine Zusammenarbeit in der Kommission sei unmöglich gewesen, weil die Vorstellungen über den Arbeitsauftrag nicht übereinstimmten. "Es gab von Anfang an zwei unterschiedliche Erwartungshaltungen und zwei unterschiedliche Tagesordnungen, und die prallten am Ende aufeinander", so die Erklärung des amerikanischen Jesuiten.
Fogarty beklagte, dass "einige Mitglieder" die Kommission als ein Mittel angesehen hätten, um auf eine weitere Öffnung der Archive zu drängen. Er habe den Eindruck, dass die Gruppe ihre ursprüngliche Aufgabe, nämlich die Sichtung des bereits vom Vatikan veröffentlichten Archivmaterials, nicht erfüllt habe. "Wir konnten nicht weiter zusammenarbeiten, da einige mehr Zugang zu den Akten wollten, während andere sagten, wir müssen erst noch mehr Arbeit erledigen", beschrieb Fogarty die Lage in der Kommission.
Der Jesuit betonte, er habe schließlich die gemeinsame Erklärung der Wissenschaftler zur Einstellung ihrer Arbeit unterschrieben, weil diese das "historische Faktum zum Ausdruck brachte, dass diese Gruppe nicht weiterarbeiten konnte". Er habe jedoch mit seiner Unterschrift nicht gegen den Vatikan protestieren wollen.
In den bereits veröffentlichten Dokumenten seien Lücken festzustellen, so der Basler Historiker und Mitglied des Internationalen Jüdischen Komitees für Interreligiöse Kontakte (IJCIC),. Ernst Ludwig Ehrlich. So habe der ehemalige stellvertretende Ehrenpräsident des Jüdischen Weltkongresses, der aus Deutschland in die Schweiz emigrierte Völkerrechtler Gerhard Riegner, dem damaligen Nuntius in Bern bereits sehr früh von Vergasungen in Konzentrationslagern berichtet. Dieses wichtige Dokument sei in den vorgelegten Bänden nicht zu finden, sagte Ehrlich.
Verantwortliche des Vatikans hatten beklagt, dass es ihnen für eine vollständige Katalogisierung der Akten an Leuten fehle. Zum Ordnen der Akten stünden nur zwei Personen zur Verfügung. Laut Einschätzung Ehrlichs wurde dies Arbeit für drei bis vier Historiker für rund ein halbes Jahr sein. Er halte daher die Erklärung des Vatikans für wenig stichhaltig.
Quelle: http://religion.orf.at/tv/news/ne010727_vatikan_dokumente_pius.htm

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