Warschauer
Ghettoaufstand - falsch datiert
Korrekturen um der Opfer und der Wahrheit willen
von Hermann-Jürgen
Kerl
Seit dem II. Weltkrieg wird Jahr für Jahr, vor allem
in diesem runden' Jahr, in Deutschland und vor allem bei Juden weltweit
des Warschauer Ghettoaufstandes gedacht. Datiert wird sein Beginn - zu
Recht - auf den 19.04.1943. Als sein offizielles "Ende", als
Datum seiner "Niederschlagung" gilt bei wohl allen Autoren,
in Medien und im Schrifttum, der 16. Mai. Adam
Kok (vgl. MATERIALDIENST Nr. 3, 19ff) weicht davon zwar leicht ab
("...noch im Juni wird in den Ruinen vereinzelt geschossen").
Aber auch bei ihm ist die Nähe zum Mai ("noch") unverkennbar.
Tatsächlich jedoch ist diese Enddatierung falsch. Sie geht im wesentlichen
weltweit zumeist auf den berüchtigten sog. Stroop-Bericht'
zurück. Der Warschauer SS- und Polizeiführer Stroop hatte seinen
Krakauer Vorgesetzten vorschriftsgemäß dienstlichen Bericht,
und zwar Tagesmeldungen vom 19.04. bis 16.05. und am 16.05. Schlussbericht
erstattet. In der letzten Tagesmeldung heißt es u.a.: "Das
ehemalige jüdische Wohnviertel besteht nicht mehr. Mit der Sprengung
der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20.15 Uhr beendet."
Bereits im Nürnberger Prozess charakterisierte der Angeklagte Generaloberst
Jodl dem Gerichtspsychiater gegenüber diesen Stroop-Bericht: "...75
Seiten einer kleinen Mord-Expedition wegen, während ....der Bericht
über einen richtigen Feldzug gegen gut ausgerüstete Armeen nur
wenige Seiten füllt". Stroop, der ein EK I anstrebte (und schließlich
für die Großaktion' auch erhielt) wollte diese spektakulär
und mit symbolträchtiger Synagogensprengung endgültig unter
dem "16.05." enden lassen. Denn ein Ende dieser - von Hitler
und Himmler persönlich argwöhnisch beobachteten - jüdischen
Revolte' war längst überfällig angesichts eines einerseits
militärisch belanglosen Widerstandes schlechtest bewaffneter jüdischer
Männer, Frauen und Kinder und andererseits gut ausgerüsteter
Bataillone von Waffen-SS, Polizei, Wehrmacht usw. mit Panzerzügen,
Artillerie, automatischen Waffen und großen Mengen Sprengmunition
gegen Kellerbunker und Verstecke. Eine Fortsetzung der Tagesmeldungen
und Berichte konnte sein Ansehen und seine Karriereziele beeinträchtigen.
Die Wirklichkeit im Ghetto sah ganz anders aus: Noch Monate lang, mindestens
bis Herbst 1943, wurde die "Widerstandsbekämpfung" im Ghetto
wie im April und Mai fortgesetzt. Aus dem labyrinthisch angelegten unterirdischen
Bunkersystem wurden Tag für Tag insgesamt Hunderte von Juden mit
nächtlichen Spürtrupps, mit "Lockvögeln" und
falschen Versprechungen usw. usw. ans Tageslicht geholt. Sie wurden in
ein bestimmtes Trümmerareal geschafft und ermordet, nachdem sich
die Frauen zuvor nackt ausziehen und gebückt auf Schmuck kontrollieren
lassen mussten. Bewachte Abriegelungen an den Ghetto-Außenmauern
hinderten fremde Einsicht oder gar Hilfe aus Warschau. Zu all diesen Zwecken
legte Stroop auf Dauer ein SS-Polizeibataillon (in das keineswegs gebäudeleere)
Ghetto. 3 Kompanien mit über 400 Polizisten sperrten ab, spürten
auf und mordeten.
Von diesen vielen hundert nach dem 16.05. Ermordeten weiß bzw. spricht
seit Kriegsende kaum jemand. Das einzige deutsche Gerichtsverfahren ist
unbekannt geblieben. Mehr als über 150 überlebende Polizisten
einschließlich eines Kompanieführers entkamen jeglicher Bestrafung,
weil der Bundestag durch ein Reformgesetz "aus Versehen" die
Verjährung auslöste.
Wir schulden den mindestens ca. 1000 jüdischen Opfern, dass ihr Schicksal
nicht auch noch von einem falschen, von einem NS-Verbrecher fingierten
Datum völlig verdeckt wird. Denn auch auf Mahn- und Gedenkmalen kommen
sie nicht vor. Forschung und Schrifttum aber sollten sich korrigieren.
Um der Wahrheit willen.
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