"Seinen"
Juden Hilfe und Schutz gewährt
Gedenkplatte in der Technischen Universität Darmstadt für Karl
Plagge
von Stephan Börnecke
Zwei Jahre nach dem Bekanntwerden der Geschichte des Darmstädter
Ingenieurs Karl Plagge, der im litauischen Wilna das Leben zahlreicher
jüdischer Ghettobewohner und Lagerinsassen zu retten half, wird die
Technische Universität Darmstadt an die Verdienste ihres ehemaligen
Studenten erinnern: Am Mittwoch wird eine Gedenktafel in der Universität
enthüllt.
Mit der Feierstunde am Mittwochnachmittag verbindet die
Universität "Gedenken und Mahnung". Das Beispiel Plagges
stehe für die "Überwindung von Unmenschlichkeit und Verachtung
der Anderen durch die Kraft humanitären Handelns", heißt
es in einer Mitteilung der Technischen Universität Darmstadt (TUD).
Der frühere Wehrmachtsoffizier habe sich "konsequent und umsichtig"
bemüht, "seinen" Juden Hilfe und Schutz zu gewähren
und sie dem Zugriff der NS-Vernichtung zu entziehen.
200 Überlebende, schätzt die Hochschule, an
der Plagge von 1919 bis 1924 Maschinenbau mit dem Schwerpunkt chemische
Technologie studierte, verdankten ihm "entscheidenden Anteil an ihrer
Rettung". Der spätere Major, der 1897 in Darmstadt geboren wurde,
war 1957 im Alter von 59 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Als Leiter
des Heereskraftfahrparks 562 verschaffte Plagge vielen jüdischen
Männern und Frauen Arbeit in seinen Werkstätten und bewahrte
sie so vor dem Tod. Als entscheidend gilt seine Warnung vor der Auflösung
des Ghettos im Sommer vor 59 Jahren. Vielen Insassen gelang daraufhin
die Flucht. Für Gerettete wie die Amerikanerin Pearl Good, deren
Berichte zu den umfangreichen Recherchen im Fall Plagge führten,
war der Darmstädter sogar "besser als Oskar Schindler",
denn er habe "daran nicht verdient".
Die Gedenkplatte, die vor dem Senatssaal im alten Hauptgebäude
der Universität hängen wird, wurde von Ariel Auslender entworfen,
der in Darmstadt am Fachbereich Architektur Professor für plastisches
Gestalten ist. Die Inschrift: "Juden gab er Arbeit, Hilfe und Schutz.
Als Wehrmachtoffizier in Wilna bewahrte er viele Juden vor dem Holocaust."
Auch die Stadt Darmstadt wird sich demnächst zu Plagge bekennen:
Nach ihm soll im Zuge der Umstrukturierung des ehemaligen Bundesbahn-Ausbesserungswerks
eine neue, heute noch nicht bestehende Straße benannt. Das soll,
heißt es, im kommenden Jahr geschehen.
Bei der Feierstunde am Mittwoch im Senatssaal wird der
Kanzler der Universität Grußbotschaften einiger Überlebender
verlesen. Ebenfalls vorgetragen werden sollen Dokumente von Menschen,
die ihr Leben Plagge verdanken und aus denen das Denken und Handeln des
Darmstädters hervorgeht. Außerdem wird die frühere Leiterin
des Archivs der Uni, Marianne Viefhaus, ein Lebensbild Plagges zeichnen
und Einblick in die Erforschung der Geschichte des Majors geben. Viefhaus,
die diese wissenschaftliche Arbeit ehrenamtlich ausübt, war von der
Hochschulleitung darum gebeten worden, nachdem infolge eines Besuchs Überlebender
in Wilna 1999 erste Hinweise auf die tatsächliche Rolle Plagges nach
Darmstadt gelangt waren. Die Arbeit der Pensionärin ist zu einem
weltweiten "Netzwerk Plagge" geworden. Dieses Netzwerk fördert
auch 60 Jahre nach den Ereignissen noch neue Dokumente zu Tage. So kann
sich die Gruppe auf neue Aussagen eines weiteren Geretteten, dem in Paris
lebenden Simon Malkes, berufen, dessen Bericht als wesentlich für
die Anerkennung Plagges durch die jüdische Gedenkstätte Yad
Vashem als "Gerechter unter den Völkern" angesehen wird.
In Israel war ein erster Antrag gescheitert, da Plagge in seinem Wirken
für die Juden nicht in seinem Leben bedroht gewesen sei.
Neue Erkenntnisse belegen, wie weit Plagges Hilfe ging.
So habe der Offizier dafür gesorgt, dass die schwer erkrankte Mutter
von Malkes im Februar 1944 in eine Stadtklinik gebracht werden konnte,
obwohl dort Juden nicht behandelt werden durften. Bereits genesen, konnte
die Frau in der Klinik bleiben, bis die Rote Armee Wilna im Juli 1944
befreite. Auch in Wilna jetzt entdeckte Briefe, in denen es um Initiativen
Plagges geht, für Frauen Arbeitsplätze zu schaffen und so Familien
zusammen zu halten, bestätigen den humanen Einsatz Plagges, fand
Viefhaus heraus.
Frankfurter Rundschau, 17.06.2003
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