Erzwingt den Frieden!
von Leon de Winter
Wer den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern lösen
will, muss das Labyrinth aus Hass, Angst und Rachsucht zerschlagen. Und
vor allem den Terror. Warum die "Roadmap" zum Scheitern verurteilt
ist
Am 17. März 1954 überfielen Terroristen einen israelischen Reisebus
auf dem Weg von Tel Aviv in die südlichste Hafenstadt, Eilat am Golf
von Akaba. Bei der Ortschaft Maale Akrabim töteten sie den Fahrer,
drangen in den Bus ein und feuerten auf jeden einzelnen Fahrgast: Elf
Menschen starben. Überlebende erzählten später, dass die
Terroristen ihre Opfer bespuckt und die Leichen misshandelt hätten.
Die Mörder entkamen über die Grenze nach Jordanien.
Das geschah 13 Jahre vor jenen fatalen Tagen im Jahr 1967, als Israel
im Sechstagekrieg den Gaza-Streifen und das Westjordanland okkupierte.
In den so genannten besetzten oder strittigen Gebieten wurden also, auch
als sie noch nicht in israelischer Hand waren, Busse, Häuser, Geschäfte
und Schulen von bewaffneten Palästinensern überfallen. Zwischen
1951 und 1955 kamen dabei 503 Israelis ums Leben. Damals stellten Gaza-Streifen
und Westjordanland keine unabhängige palästinensische Einheit
dar, sondern waren von Ägypten und Jordanien besetzte Gebiete ohne
Kanalisation, ohne Universitäten, ohne freie Presse und ohne bürgerliche
Rechte und Freiheiten. Dennoch widersetzten sich die Bewohner der palästinensischen
Flüchtlingslager nicht oder kaum gegen ihre ägyptischen und
jordanischen Besatzer: Ihr Feind war Israel. Der palästinensische
Terrorismus hatte bereits, bevor Israel im Sechstagekrieg den Gaza-Streifen
und das Westjordanland eroberte, Gestalt angenommen.
Die Geschichte palästinensischer Gewalt gegen Juden reicht sogar
in die Zeit vor der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 zurück.
1920 und 1921 fanden im damaligen britischen Mandatsgebiet antijüdische
Krawalle statt, 1929 richteten Araber ein Massaker unter der jüdischen
Gemeinde von Hebron an, und während des Aufstands gegen die britische
Kolonialregierung 1936-1939 überfielen Araber an zahllosen Orten
jüdische Bürger und jüdische Einrichtungen.
Schon bald kam es zur bekannten Spirale: Gewalt schürte Gewalt, und
jüdische Gruppierungen ließen sich zu Vergeltungsaktionen hinreißen.
Berüchtigt ist die Rache, die Israel im Oktober 1953 für den
Tod einer jüdischen Mutter und ihrer beiden Kinder nahm, die im Schlaf
von aus dem Westjordanland eingeschleusten Terroristen ermordet worden
waren. Am Tag darauf jagten israelische Kommandos unter Führung des
25-jährigen Ariel Scharon im Dorf Kibya, das als Versammlungsort
von Terroristen galt, Häuser mitsamt ihren Bewohnern in die Luft.
69 Menschen kamen dabei ums Leben. Scharon schrieb später in seinen
Memoiren: "Jüdisches Blut konnte nicht länger ungestraft
vergossen werden. Von da an hatte es seinen Preis."
Kern des gesamten Konflikts ist unleugbar die in einem Staatsgefüge
organisierte Existenz der Juden im Nahen Osten. Die Besetzung von Gaza-Streifen
und Westjordanland hat die Probleme zwar verschärft, deren Charakter
aber nicht wesentlich verändert. Es hat viele Ansätze zu einem
Friedensprozess gegeben, doch an der widerspenstigen Wirklichkeit des
alten Konflikts ist noch jede Initiative gescheitert. Es gibt nur zwei
Lösungen, beide sind mehr als naheliegend, in der Implementierung
jedoch äußerst vertrackt.
Die erste Lösung ist der Auszug der Juden aus Israel und damit die
Aufhebung ihres Staates. Die Aufhebung Israels würde in der arabischen
Welt auf begeisterte Zustimmung stoßen. Die Israelis dürften
an dieser Lösung wohl kaum bereitwillig mitarbeiten. Die Juden glauben,
Recht auf ein Land zu haben, so, wie die Araber Recht auf ihre Länder
haben, von denen es 22 gibt. Die meisten von ihnen haben ihre islamische
Identität in der Verfassung verankert. Und um jenem sehnlichsten
Wunsch der Araber entgegenzuwirken, unterhalten die Israelis die stärkste
Armee des Nahen Ostens. In der Konfrontation mit einer Revolte von Zivilisten
scheint diese überlegene Technologie freilich machtlos zu sein.
Eine Revolte von Zivilisten lässt sich, im Gegensatz zum Angriff
einer feindlichen Armee, von einer offenen Demokratie nicht mit roher
Gewalt bekämpfen. Die moralische Verfassung in den demokratischen
Institutionen, in der öffentlichen Meinung und freien Presse steht
dem massiven Einsatz militärischer Gewalt gegen Zivilisten im Weg.
Bei den Aktionen des israelischen Militärs gibt es regelmäßig
Tote, und die Grausamkeit der durch die Medien verbreiteten Bilder ruft
im ruhigen Westeuropa oft große Ablehnung hervor; Ha'aretz, eine
von Israels Qualitätszeitungen, lässt jüdische Kommentatoren
zu Wort kommen, die sich immer wieder entschieden gegen Israels Vergeltungspolitik
aussprechen. Es handelt sich hier vielfach um grausame Zwischenfälle,
aber sie sind nichts im Verhältnis zu der gigantischen Zerstörungskraft,
die die israelische Armee entwickeln könnte. Wenn die israelische
Bevölkerung bereit wäre, massenhafte Opfer unter palästinensischen
Zivilisten zu akzeptieren, wäre der Terrorismus rasch bezwungen.
Doch die Mehrheit der Israelis ist dazu nicht bereit.
In krassem Kontrast zu Israels militärischer Stärke steht die
relative Ohnmacht der Palästinenser (und der Araber im Allgemeinen),
die die Israelis lieber heute als morgen vertreiben möchten, aber
nicht dazu in der Lage sind. Ob die Mehrheit des palästinensischen
Volkes (und der Araber im Allgemeinen) eine den Israelis vergleichbare
relative Zurückhaltung aufbringen würde, wenn sie über
Israels Stärke verfügte und die Israelis nur die begrenzten
Mittel der Palästinenser besäßen, ist fraglich.
Vierzehnhundert Jahre Islam haben den Muslimen in Fleisch und Blut übergehen
lassen, dass Allah die Juden straft, die in der islamischen Tradition
als die "Nachkommen von Affen und Schweinen" bezeichnet werden
(für jeden Muslim ist das eine alltägliche Beschreibung von
Juden). In einer Ausstrahlung der wöchentlichen Talkshow von al-Dschasira
wurde im vergangenen Jahr allen Ernstes die folgende These erörtert:
"Die Söhne Zions, die unser Gott als die Söhne von Affen
und Schweinen bezeichnet, werden sich nur abschrecken lassen, wenn ein
wirklicher Holocaust stattfindet, der sie alle auf einen Schlag vernichtet,
zusammen mit den Verrätern - jenen, die mit ihnen kollaborieren,
dem Abschaum der islamischen Nation."
In der frühen islamischen Welt war die Stellung der Juden als "Volk
des Buches" zwar gesichert, doch sie wurden als minderwertig angesehen.
Man kreidete ihnen an, dass sie sich hartnäckig der Botschaft Mohammeds
verschlossen, und betrachtete sie als feige, gerissen und hinterhältig.
Sie hatten Sondersteuern zu zahlen, sich durch ihre Kleidung als Juden
auszuweisen (gelber Fleck) und das Tragen von Waffen (das in der stammesgeprägten
arabisch-islamischen Welt viele Jahrhunderte lang unverzichtbares Zeichen
der Stärke und des Stolzes war) sowie das Reiten auf Pferden zu unterlassen.
Pogrome wie im christlichen Europa kamen zwar in der arabischen Welt in
deutlich geringerem Umfang und weitaus milderer Form vor, doch von einem
gleichberechtigten jüdisch-islamischen Verhältnis war nur in
seltenen Ausnahmefällen die Rede.
In den Juden Europas reifte im Laufe des 19. Jahrhunderts der Gedanke,
dass auch sie Recht auf einen eigenen Staat hätten. Sie wollten sich
dem europäischen Antisemitismus entziehen und im Geiste der damaligen
Zeit als Volk von ihrem Recht auf nationale Selbstbestimmung Gebrauch
machen. Dafür sollten die Araber in Palästina Platz machen,
doch für diese war die Einwanderung europäischer Juden kulturell
und religiös untragbar. Zwischen 1883 und 1903 immigrierten nicht
mehr als 25000, oft leidenschaftliche Sozialisten, die ihre Ideen vom
neuen Menschen in Lebensgemeinschaften in die Praxis umsetzten. Die seit
Anfang des 19. Jahrhunderts von christlichen europäischen Großmächten
erniedrigten Araber, darunter auch die palästinensischen Araber,
begannen ihrerseits über das Recht auf Selbstbestimmung nachzudenken.
Wie groß die arabische Gemeinschaft in Palästina um 1900 genau
war, lässt sich schwer ermitteln, da Palästina unter den Türken
kein separater Verwaltungsbezirk war. Es steht jedoch fest, dass die arabische
Migration in das rückständige und kaum kultivierte Palästina
zur Zeit der jüdischen Einwanderung zunahm, vermutlich infolge neuer
wirtschaftlicher Aktivitäten in den und um die jüdischen Siedlungen.
Der zweite jüdische Einwanderungsstrom von rund 40000 Menschen zwischen
1904 und 1914 wurde durch die heftige Verfolgung der Juden im zaristischen
Russland ausgelöst (weitaus die meisten jüdischen Flüchtlinge
suchten ihr Heil in den Vereinigten Staaten). Die jüdischen Immigranten
wurden in der ersten Phase von Europa aus durch Mäzene wie Sir Moses
Montefiore und Baron Edmond de Rothschild und später von progressiven
jüdischen Kreisen finanziell unterstützt. Ihre Präsenz
behinderte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die aufkeimenden
nationalen Bestrebungen der Araber und wurde von den palästinensischen
Arabern daher auch rasch als Bedrohung empfunden. Sie wurde manifest,
als nach der Machtergreifung Hitlers 1933 vermehrt Juden aus Mitteleuropa
flohen. Um 1936 hielten sich etwa 400000 Juden im britischen Mandatsgebiet
Palästina auf. Britische Zählungen belegen, dass dort im selben
Jahr 860000 Araber lebten.
Die Juden bildeten keine kulturelle und politische Einheit. Spannungen
gab es vor allem unter den Idealisten ("Maximalist" Jabotinski
gegen Pragmatiker Ben Gurion) sowie zwischen den Idealisten und den Religiös-Orthodoxen.
Der Zweite Weltkrieg war dann Anlass, die Reihen zu schließen und
die internen Differenzen zu relativieren, und er lieferte den Juden ein
unerbittliches moralisches Druckmittel gegen den Westen. Nicht zu Unrecht
werfen die Palästinenser Europa vor, sie hätten den Preis für
den europäischen Antisemitismus zu zahlen, der die jüdischen
Einwanderungsströme in Gang setzte.
Die örtlichen Gepflogenheiten im Nahen Osten waren den Juden schon
bald vertraut. Thomas Friedman, Kolumnist der New York Times und Nahostexperte,
hat diese Gesetze der arabisch-islamischen Region in einem seiner Bücher
Hama rules genannt. In From Beirut to Jerusalem beschreibt Friedman die
Zerstörung der syrischen Stadt Hama im Jahre 1982 durch den syrischen
Diktator Hafis al-Assad. In Hama tobte ein Aufstand der sunnitischen Muslimbruderschaft,
den Assad an der Wurzel packte: Er ließ die Stadt zerstören
und dem Erdboden gleichmachen. Wie viele Menschen dabei ums Leben kamen,
ist nicht bekannt; Schätzungen bewegen sich zwischen zehn- und dreißigtausend.
In seinem Buch schildert Friedman das Gespräch zwischen einem libanesischen
Geschäftsmann und Rifaat al-Assad, dem Bruder des damaligen Präsidenten,
der den Schlag befehligt hatte. ",Ich glaube, ihr habt dort 7000
Menschen getötet', sagte der Geschäftsmann zu Rifaat. Normalerweise
würde ein Politiker einen so schlimmen Vorfall herunterspielen wollen
und sagen: Oh nein, wir haben keine 7000 getötet. Was redest
du da? Das ist nichts als Propaganda unserer Feinde. Wir haben nur ein
paar hundert Unruhestifter getötet.'
Aber Rifaat wusste ganz genau, was er in Hama getan hatte und (
)
sagte zu dem libanesischen Geschäftsmann: Was redest du da?
7000? Nein, nein. Wir haben 38000 getötet.'"
Friedman folgert: "Er hatte erfasst, wie das Spiel in einem von Clans
geprägten Umfeld wie Syrien läuft, dass man dergleichen zu tun
hatte, wenn man nicht wollte, dass es einem selbst zustieß, also
tat er es, und alle seine Freunde und Feinde sollten wissen, dass er es
getan hatte."
Weiter oben in seinem Buch erzählt Friedman die Geschichte vom Truthahn.
Das eigene Scheitern wird dem bösen Willen anderer angelastet
Ein älterer Beduine hatte gehört, dass er durch den Verzehr
von Truthahnfleisch seine Manneskraft stärken könne. Also kaufte
sich der Mann einen Truthahn und mästete ihn. Eines Tages wurde der
Truthahn gestohlen. Der Beduine rief seine Söhne zu sich und sagte,
sie müssten den Truthahn finden. Seine Söhne lachten ihn aus
und taten nichts. Da wurde einige Wochen später sein Kamel gestohlen.
Seine Söhne kamen zu ihm und fragten, was sie tun sollten. "Geht
meinen Truthahn suchen", sagte der alte Beduine. Wieder einige Wochen
später wurde sein Pferd gestohlen, und zu seinen Söhnen sagte
der alte Mann: "Findet meinen Truthahn!" Und dann wurde einige
Wochen später eine seiner Töchter vergewaltigt. Der Vater sagte
zu seinen Söhnen: "Das kommt alles nur durch den Truthahn. Als
sie merkten, dass sie mir meinen Truthahn wegnehmen konnten, haben wir
alles verloren."
Und Friedman bemerkt dazu, Hama sei Assads "Truthahn" gewesen,
der Moment, in dem das Oberhaupt eines Clans - Assad war Führer der
Alawiten - seine Macht zu demonstrieren und die mögliche Unterminierung
seiner Souveränität mit roher Gewalt zu beantworten hatte. Zerschmetterte
er seine Widersacher - die sunnitischen Muslimbrüder Hamas - nicht,
dann würden die Stammeskulturen des Nahen Ostens dies als Schwäche
werten, und damit wäre sein Untergang eingeläutet.
Was ist die zweite Lösung des Konflikts?
Sie könnte durch die Anerkennung Israels als jüdischer Staat
durch die arabische Welt erreicht werden, vor allem durch die bewusste
Anerkennung der Niederlage aufseiten der Palästinenser. Seit 1948
wird diese Niederlage abgestritten. Seit nunmehr 55 Jahren klammern sich
die Palästinenser an den Gedanken, dass der Verlust des Territoriums
im Umfang des heutigen Israel nur vorübergehender Natur sei. Millionen
von Palästinensern, die in Flüchtlingslagern leben, schöpfen,
Generation für Generation, tagtäglich Mut aus dem Traum, dass
eines Tages die Rückkehr stattfinden wird. Doch schon ein kurzer
Blick auf Israels militärische Stärke müsste genügend
Realitätssinn wecken, um sich mit den Tatsachen abzufinden.
Die gesamte arabische Welt zeichnet sich durch ein chronisches Bedürfnis
aus, die Wirklichkeit zu verschleiern, zu beschönigen und zu verdrängen.
Beharrlich werden die eigenen Kapazitäten und Errungenschaften überschätzt,
und das eigene Scheitern wird dem bösen Willen anderer - gegenwärtig
sind das in den arabischen Medien vor allem die Juden - zugeschrieben.
Dadurch ist eine rein rhetorisch behauptete Scheinwirklichkeit entstanden,
die zum totalen Versagen der arabischen Gesellschaften geführt hat.
Bis zum heutigen Tag können es sich die Muslime nicht eingestehen,
dass sie den größten Teil des historischen Palästinas,
in welchem sie einen unveräußerlichen Bestandteil ihrer Einflusssphäre
erkennen, an die Juden verloren haben. In der Charta der Hamas steht hierzu,
was vermutlich viele Araber denken: "Die Islamische Widerstandsbewegung
glaubt, dass das Territorium Palästinas ein islamischer Waqf [ein
Terminus aus dem islamischen Recht, der so viel bedeutet wie: Gottes Eigentum,
von Gott legitimierter Besitz] aller Generationen bis zum Jüngsten
Tag ist; niemand darf es oder einen Teil davon aufgeben oder darauf oder
auf einen Teil davon verzichten."
Das Phänomen Israel ist für die meisten Araber eine existenzielle
Frage, ein Truthahn gigantischen Ausmaßes, der ihnen gestohlen wurde.
Wirklicher Frieden mit Israel, die Aufgabe der süßen Vergeltung,
mit der die Demütigungen von vier furchtbar entehrenden Niederlagen
gerächt werden könnten, hieße implizit, dass der Koran
- der in der arabisch-islamischen Welt eine im Vergleich zu den christlichen
und jüdischen heiligen Büchern unvergleichlich höhere normative
Kraft besitzt - in seinen Ansprüchen und Versprechungen nicht absolut
wäre, und das ist in den Augen des Durchschnittsmuslims ein Ding
der Unmöglichkeit. Ein Friedensvertrag kann daher nur befristet sein,
ein taktischer Zug, um Zeit zu gewinnen und das verlorene Terrain später
zurückzugewinnen.
Für die arabische Welt wurde die arrogante Existenz Israels zum großen
Sinnbild für die Unterlegenheit ihrer eigenen Institutionen und ihrer
rückständigen Technologien sowie für die Schwäche
ihrer Kultur, die vom Westen auf allen Ebenen überflügelt wurde.
Der daraus resultierende Minderwertigkeitskomplex äußerte sich
in eingebildeter Überlegenheit, gestützt auf eine weit zurückliegende
ruhmvolle Vergangenheit sowie die religiöse Wahrheit der heiligen
Schrift des Islams, des Korans, der den Muslimen nicht nur ein Paradies
im Jenseits, sondern auch die Herrschaft in der irdischen Wirklichkeit
in Aussicht stellt.
"O Allah, verhilf den islamischen Kämpfern in Palästina,
Tschetschenien und anderswo zum Sieg!", rief der Imam Moussa jüngst
am 6. Juni in der Großen Moschee in Rom. "O Allah, zerstöre
die Häuser der Feinde des Islams! O Allah, hilf uns, die Feinde des
Islams zu zerschmettern! O Allah, gewährleiste den Sieg des Islams!"
Der feige, demütige Jude, wie ihn die islamische Tradition vorstellt
und der im Koran getötet oder zum Sklaven gemacht wird, versetzte
dem Islam in der ersten direkten militärischen Konfrontation seit
der Zeit Mohammeds hingegen einen vernichtenden Schlag. Die Bestürzung
darüber klingt in der arabischen Welt bis zum heutigen Tag nach.
Von besagten "Truthähnen" wimmelt es in der Region. Israel
muss auf jeden Anschlag mit Vergeltung reagieren, weil es derartige Provokationen
nicht hinnehmen darf. Und die Vergeltung muss dann wiederum gerächt
werden, wie es die Stammesgesetze von Schande und Ehre in der arabischen
Welt verlangen.
Die so genannte "Roadmap" von USA, EU, Russland und den UN ändert
daran wenig. "Da es ein fortschrittlicher Plan ist, wird die Entwicklung
allerdings davon abhängen, dass die Parteien sich guten Willens bemühen
und allen unten dargelegten Verpflichtungen nachkommen", heißt
es in ihrem Prolog, und da wird es schon schwierig: Die Parteien können
sich nur mit größtem Argwohn begegnen, da lässt sich nicht
auf vertrauensvollen guten Willen bauen.
"In Phase I verpflichten sich die Palästinenser dazu, mit den
unten dargelegten Schritten umgehend und bedingungslos die Gewalt einzustellen;
unterstützende Maßnahmen vonseiten Israels sollten hiermit
einhergehen." So lautet der erste Satz zu Phase I des Plans. Der
Satz unterstellt, dass man in den Palästinensergebieten im Prinzip
über die gleichen Institutionen und Strukturen verfüge wie die
westlichen Staaten, wo ein realistischer Plan von verantwortlichen Behörden
und einer Bevölkerung mit diszipliniertem staatsbürgerlichen
Bewusstsein umgesetzt werden kann. Auf die Palästinensergebiete trifft
das aber nicht zu. Unberücksichtigt bleiben in Phase I die Rolle
der Clans und ihrer korrupten Oberhäupter, das Schurkentum, das eine
gesunde ökonomische Entwicklung behindert, die Explosivität
religiöser Rachegefühle sowie Machtgier und Machtmissbrauch
autokratischer Eliten, die die arabischen Gesellschaften im gesamten Nahen
Osten in Rückständigkeit und Armut gefangen halten.
In dieser ersten Phase, die im Juni 2003 abgeschlossen sein soll, hat
unter anderem Folgendes zu geschehen: Die Palästinenser müssen
ihre Hetze gegen Israel einstellen, den Terrorismus verurteilen und bekämpfen,
illegale Waffen einziehen, Sicherheitsorganisationen zu drei einem Innenminister
unterstellten Diensten zusammenfügen, demokratische Institutionen
aufbauen und, kurzum, vor Juni 2003 zu einem Land wie Dänemark werden
- ungefährlich, mit hohem Bildungsniveau. Ein guter Nachbar.
Von Israel wird unter anderem erwartet, dass es die Zweistaatenlösung
akzeptiert, jede Hetze gegen die Palästinenser einstellt (für
ein Land mit freier Presse ein seltsamer Zusatz, der offenbar angebracht
wurde, um dem Plan eine gewisse Ausgewogenheit zu verleihen), keine Gewalt
gegen Palästinenser ausübt oder deren Häuser zerstört,
die seit März 2001 errichteten Siedlungen abbaut, ihre Armee aus
den seit September 2000 wiederbesetzten autonomen Palästinensergebieten
zurückzieht und sich, kurzum, verhält, als grenze es an Dänemark.
Phase II setzt voraus, dass all das gelungen ist und auf diesem Fundament
weitergebaut werden kann. Zwischen Juni und Dezember 2003 sollen sich
die Bemühungen darauf konzentrieren, "einen unabhängigen
palästinensischen Staat mit vorläufigen Grenzen und Merkmalen
der Souveränität" zu gründen. Und daran anschließend
heißt es in der "Roadmap" munter: "Wie bereits festgestellt,
kann dieses Ziel erreicht werden, wenn das palästinensische Volk
eine Führung hat, die entschieden gegen den Terror vorgeht sowie
willens und fähig ist, eine funktionierende Demokratie auf der Grundlage
von Toleranz und Freiheit aufzubauen."
Noch nie hat sich im Nahen Osten eine arabische Demokratie auf der Grundlage
von Toleranz und Freiheit entwickeln können, aber die Verfasser des
Plans meinen, dass in den von Gewalt, Korruption und religiösem Extremismus
zerrissenen Palästinensergebieten die nötige Ruhe, das Relativierungsvermögen
und die Kompromissbereitschaft vorhanden seien, um so eins, zwei, drei
die Entwicklung zu einer modernen liberalen Gesellschaft zu vollziehen.
Phase III stützt sich auf die großen Erfolge, die im Laufe
des Jahres 2003 zu verbuchen sein werden, und sieht für 2005 eine
"Vereinbarung über den endgültigen Status" vor. Es
soll eine zweite internationale Konferenz einberufen werden (die erste
müsste schon 2003 mit der Teilnahme Syriens am Verhandlungstisch
abgehalten werden), die 2005 zu einer "dauerhaften, endgültigen
Klärung des Status unter Einbeziehung der Themen Grenzen, Jerusalem,
Flüchtlinge und Siedlungen führt, um Fortschritte in Richtung
einer baldmöglichst zu erzielenden umfassenden Nahost-Einigung zwischen
Israel und Libanon sowie zwischen Israel und Syrien zu fördern."
Einige Zeilen weiter heißt es: "Die Parteien erzielen im Wege
gemeinsamer Aushandlung auf der Grundlage der Resolutionen 242, 338 und
1397 des UN-Sicherheitsrats eine letztgültige und umfassende Vereinbarung
über den endgültigen Status, die den israelisch-palästinensischen
Konflikt im Jahr 2005 beendet; diese Vereinbarung beendet auch die Besatzung,
die im Jahr 1967 begann, und beinhaltet eine einvernehmliche, gerechte,
faire und realistische Lösung der Flüchtlingsfrage sowie eine
auf dem Verhandlungsweg erzielte Klärung des Status von Jerusalem,
die die politischen und religiösen Bedenken beider Seiten berücksichtigt
und die religiösen Interessen von Juden, Christen und Muslimen in
aller Welt schützt, und sie verwirklicht die Vision, dass die zwei
Staaten, nämlich Israel und ein souveränes, unabhängiges,
demokratisches und lebensfähiges Palästina, in Frieden und Sicherheit
zusammenleben."
Ein Plan ohne Gespür für die historischen Wunden
Jedem, der sich ein wenig im politischen, psychologischen, religiösen
und kulturellen Sumpf des Nahen Ostens auskennt, wird, wenn er das liest,
sofort aufgehen, dass dieser Plan von Bürokraten stammt, die keinerlei
Gespür haben für die Bösartigkeit und Komplexität
der historischen Wunden der betroffenen Parteien - für den religiösen
Fanatismus, die Kultur von Scham und Selbstachtung, die 2000-jährige
jüdische Geschichte der Diskriminierung, die die Israelis nur noch
auf ihre Waffen vertrauen lässt, und schließlich für den
in wirtschaftliche, politische und moralische Lähmung mündenden
Minderwertigkeitskomplex, den die arabische Kultur nach den verheerenden
Niederlagen gegen die französische und britische Imperialmacht im
19. und gegen die israelische Armee im 20. Jahrhundert entwickelt hat.
Wie schon die Verträge von Oslo setzt der Plan eine rationale Grundhaltung
der betroffenen Parteien voraus und verirrt sich somit im nahöstlichen
Labyrinth von undurchsichtigem Finassieren, Paranoia, Hass und Angst,
von Ressentiment und Rachsucht, von Rassismus und Antisemitismus, von
Komplott-Theorien und mit Geistern und Teufeln besetzten Fantasiewelten.
In der "Roadmap" wird so getan, als gäbe es dieses Labyrinth
nicht, und deshalb kann sie nicht funktionieren. Damit soll nicht gesagt
sein, dass sich ein Friedensplan den besonderen Eigenheiten der Region
anzupassen hätte, im Gegenteil: Es führt zu nichts, wenn man
allen Nuancen Beachtung schenkt. Doch jeder Friedensplan sollte das vorhandene
Labyrinth berücksichtigen, um es dann aufzuheben. Das Labyrinth muss
zerschlagen werden.
Damit haben die Amerikaner im Irak einen Anfang gemacht. Ohne sich von
den regionalen Weisheiten ("Die breite Masse wird sich erheben";
"Araber ziehen ihren hausgemachten Diktator einer gewählten
Regierung vor"; "Demokratie lässt sich nicht erzwingen";
"Araber hassen Amerikaner mehr als ihre eigenen Unterdrücker")
beirren zu lassen, haben die Amerikaner mit ihren Panzern die Mauern des
Labyrinths zum Einsturz gebracht. Was in den kommenden Jahren im Irak
bewerkstelligt werden kann, wird entscheidend sein für die Zukunft
und die Rolle des Westens in der arabisch-islamischen Welt.
Die "Roadmap", die jetzt auf dem Tisch liegt, bringt keinerlei
Erleichterung der Situation. Und das hat viel mit der zwiespältigen
Haltung der EU zu tun, die hin- und hergerissen ist zwischen einserseits
den vorhandenen wirtschaftlichen Interessen an der arabischen Welt (Öl,
Öl, Öl) und andererseits der Empfindlichkeit für die geltend
gemachten moralischen Ansprüche, die für Israel aus der Ermordung
der europäischen Juden resultieren.
Darüber hinaus hat aber noch ein weiterer Faktor Einfluss auf das
Verhalten der EU: Die sozioökonomischen Krisen in der arabisch-islamischen
Welt sind derart groß, dass der drohende Ausbruch von Hass und Rachsucht
nicht auf die arabische Welt beschränkt bleiben kann. Die Mehrheit
der arabischen Bevölkerung ist jünger als 18; es gibt keine
Arbeit für die kommenden Generationen, keinen Wohnraum, keine Mittel,
um ein menschenwürdiges Dasein aufzubauen, es fehlt der Raum, um
kreativ und erneuernd zu wirken und zu denken, es sind keine Industrien
vorhanden, die konkurrierend den Weltmarkt erobern könnten (im Gegensatz
zu Ostasien, wo die Modernisierung sehr wohl geglückt ist). Der Immigrationsdruck
auf den Bauch Europas wird enorm ansteigen, und es fragt sich, wie die
EU damit umgehen soll. Die EU wird aufgrund der zunehmenden Vergreisung
Bedarf an Arbeitskräften entwickeln, damit das Niveau von Lebensstandard
und Rentenleistungen gehalten werden kann. Die naheliegendste Option ist,
diesen Bedarf mit dem Bevölkerungsdruck in Nordafrika zu koppeln.
Sollte dies geschehen, wird die Islamisierung Europas zunehmen, und die
moralischen Ansprüche der Juden dürften angesichts einer neuen
Entwicklung in Europa an Gewicht verlieren. Dann wird Israel für
Europa eine Fußnote in der Geschichte sein.
Zudem wäre da noch das natürliche Bedürfnis der EU, ihre
wirtschaftliche Macht in politische und militärische Macht umzusetzen,
sodass sie auch auf diesen Gebieten mit Amerika konkurrieren kann.
Was die Empfindlichkeit für die jüdischen Ansprüche betrifft,
sei das Folgende bemerkt: Seit 1982, seit den Morden in Sabra und Schatila,
ist diese Empfindlichkeit ernstlichen Erosionen unterworfen. Obwohl die
Morde auf das Konto libanesischer Christen gehen - aus Rache für
den von Palästinensern begangenen Mord an dem christlichen libanesischen
Präsidenten Bechir Gemayel und 25 seiner Anhänger, der wenige
Tage zuvor stattgefunden hatte -, haben die internationale Presse und
die Palästinenser die direkte Verantwortung dafür Israel zugeschoben.
Seither werden immer öfter die israelischen Juden, die Erben der
Schoah-Opfer, als Mörder von Palästinensern gebrandmarkt. Diese
sich verändernde Sichtweise in Europa scheint stark mit dem psychologischen
Bedürfnis zusammenzuhängen, sich von den Nachwehen des Zweiten
Weltkriegs und dem besonderen Schutzanspruch, den die Juden daraus ableiten,
zu befreien. Je größer die Opfer der Palästinenser, desto
geringer die Sensibilität für den einstigen israelisch-jüdischen
Opferstatus.
Der letzte Punkt der "Roadmap" lautet: "Zustimmung zur
Aufnahme vollständiger normaler Beziehungen zu Israel durch arabische
Staaten und Sicherheit für alle Staaten der Region im Kontext eines
umfassenden arabisch-israelischen Friedens."
Wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, sind Verträge zwischen
Demokratien und Diktaturen äußerst instabil. Für Diktatoren
ist die Kontinuität ihrer Macht oberstes Ziel, für verantwortungsvolle
Politiker in Demokratien die Wahrung des Rechtsstaates und der allgemeinen
Interessen seiner Bürger. Diese beiden Auffassungen werden immer
in Spannung miteinander stehen und verhindern, dass unter den gegebenen
Bedingungen im Nahen Osten mit dem Vorbild heutiger europäischer
Modelle jemals ein Frieden möglich sein wird. Und daraus ergibt sich,
dass Israel erst Frieden finden kann, wenn die gesamte Region liberalisiert
und demokratisiert ist und von einem entwickelten, wohlhabenden Mittelstand
getragen wird. Es kann noch ein Jahrhundert dauern, bis dieses Paradies
anbricht.
Trotzdem muss etwas geschehen und der arabisch-islamischen Fixiertheit
(und die der westlichen Medien) auf Israel etwas entgegengesetzt werden.
Die Palästinenser haben ein Recht auf ihren eigenen Staat und sollten
selbst für sich sorgen können.
Die konzertierte Macht des Trios USA, EU und Russland (zusammen mit den
UN bilden sie dann ein "Quartett") ist in der Weltgeschichte
ohnegleichen. Im Prinzip vermöchte das Trio jeden Plan zu verwirklichen.
In der "Roadmap" hätte daher, gerade was die besonders
heiklen Themen betrifft, klar herausgestellt werden müssen, welche
Position das Trio selbst einnimmt, anstatt den Anschein zu erwecken, die
Konfliktparteien könnten über Verhandlungen zu einer Einigung
gelangen. Man sollte einmal die gemeinsame Macht von USA, EU und Russland
in ihrem ganzen Ausmaß vor Augen führen, und die arabisch-islamische
Welt würde erkennen, dass Opposition nur Untergang bedeuten kann.
Nur mit knallharter und reinster Machtpolitik können die betroffenen
Parteien zur Kooperation gezwungen werden. Allah mag im Himmel herrschen,
auf Erden hat das Trio das Sagen.
Was für den einen realistisch ist, ist für den anderen ein Albtraum
Anstatt unverbindlich an die arabischen Länder und einen zukünftigen
palästinensischen Staat zu appellieren, Israel in den Grenzen von
vor 1967 anzuerkennen, hätte das Trio selbst für die unerbittliche
Sicherung dieser Grenzen eintreten müssen. Die Verletzung der Grenzen
Israels hätte es gleichsetzen müssen mit dem Angriff auf die
eigenen Grenzen. Außerdem hätte man Israel als Atommacht einladen
sollen, vollwertiges Mitglied der Nato zu werden. In der Frage, wie und
in welchem Umfang Israel bei einem Verteidigungskrieg unterstützt
werden kann, hätte das Trio von vornherein Klarheit schaffen sollen:
Den Aggressor wird die geballte Macht der "civilized world"
treffen. Ein Volk, das 2000 Jahre lang verfolgt und verraten wurde, kann
nur mit solchen Garantien dazu bewegt werden, das Risiko eines Friedens
mit korrupten Diktaturen auf sich zu nehmen.
Darüber hinaus hätte die EU Israel einladen müssen, Mitglied
der EU zu werden, um es noch enger an Europa zu binden. Die Wirtschaft
Israels, das über ein hohes Ausbildungsniveau verfügt, ist mindestens
ebenso stark wie die der neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten.
Des Weiteren hätte das Trio in der Frage des Rückkehrrechts
für palästinensische Flüchtlinge eindeutig Stellung beziehen
sollen. In der "Roadmap" steht, dass eine "einvernehmliche,
gerechte, faire und realistische Lösung" gefunden werden müsse.
Doch was für die eine Partei "realistisch" ist, ist für
die andere ein Albtraum.
Auch der palästinensische Premier Mahmud Abbas (Mitbegründer
der Fatah, der 1982, während des Studiums in Moskau, seine später
unter dem Titel The Other Side: The Secret Relationship between Nazism
and the Zionist Movement veröffentlichte Dissertation schrieb, in
der er ein Komplott zwischen Nazis und Zionisten nachzuweisen versuchte,
die Existenz der Gaskammern abstritt und die Zahl der jüdischen Opfer
im Holocaust auf unter eine Million schätzte) hält uneingeschränkt
an der Rückkehr der Palästinenser, die 1948 in arabische Regionen
geflüchtet sind, samt ihrer Nachkommen in das heutige Israel fest.
Es geht dabei um schätzungsweise drei Millionen Menschen. Israel
lehnt es ab, darüber zu verhandeln. Verständlicherweise. Der
Zufluss so vieler feindlich gesinnter Menschen kann für Israel nur
den Untergang bedeuten.
Das Trio hätte klarstellen müssen, dass diese Flüchtlinge
auf keinen Fall an ihre einstigen Wohnstätten zurückkehren können
und dass höchstens über eine großzügige finanzielle
Abfindung verhandelt werden kann. Der guten Ordnung halber sei darauf
hingewiesen, dass die Juden, die nach 1948 aus arabischen Ländern
vertrieben wurden, ebenfalls ein Anrecht auf Reparationszahlungen für
ihre zurückgelassenen Besitzungen haben (und es wäre ratsam,
diese gegebenenfalls für die Förderung der gesellschaftlichen
Entwicklung in Palästina einzusetzen).
Zudem hätte das Trio Klarheit über den Status Jerusalems herstellen
müssen. Es ist ja zur Genüge untersucht worden, inwiefern eine
Doppelhauptstadt Jerusalem möglich wäre, es also für beide
Länder gleichzeitig als Hauptstadt fungieren könnte. Das Trio
hätte von sich aus die Position beziehen müssen, dass die Stadt
in administrativem Sinne geteilt wird, ohne Mauer und mit vorläufigen
UN-Kontrollposten an der östlichen, palästinensischen Gemeindegrenze.
Und was hätte das Trio in Bezug auf die besetzten Gebiete verlautbaren
sollen? Dass die Grenzen Palästinas (angepasst entsprechend den Grenzkorrekturen,
die israelische und palästinensische Unterhändler in Taba im
Januar 2001 vereinbart haben) zum 1. Januar 2005 als Grenzen eines unabhängigen
palästinensischen Staates anerkannt werden, der sich Israel gegenüber
verantwortungsvoll und friedlich zu verhalten hat. Das schließt
den Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland
sowie den Abbau der meisten Siedlungen bis spätestens 31. Dezember
2004 ein.
Der einzig mögliche Friede ist ein bewaffneter Friede
Die palästinensische Gesellschaft ist nach der Rückkehr Jassir
Arafats im Mai 1994 rivalisierenden Machtgruppen anheim gefallen, und
für eine dieser Eliten wird sich das Trio entscheiden müssen.
Alles deutet darauf hin, dass diese Entscheidung bereits gefällt
wurde: zugunsten der Gruppe von Mahmud Abbas, der trotz seiner revisionistischen
Vergangenheit als sehr gemäßigter Palästinenser gilt.
1998 veröffentlichte Abbas ein Buch mit dem Titel Racial and Religious
Polarization in Israel, in dem er die folgende taktische Frage behandelte:
"Was ist besser geeignet, die Konflikte und die rassischen und religiösen
Gegensätze in der israelischen Gesellschaft zu verschärfen und
eskalieren zu lassen: Krieg oder Frieden?" Seine zynische Antwort
lautet, dass die Araber alles daransetzen sollten, die Israelis von ihrem
aufrichtigen Friedenswillen zu überzeugen, "denn diese Überzeugung
wird die Uneinigkeit in der israelischen Gesellschaft vertiefen und die
Israelis aus ihren Panzern und Befestigungen locken".
Dennoch ist Mahmud Abbas, der Schatzmeister der Fatah war und wie viele
andere Fatah-Führer mit einem Import-Export-Unternehmen Multimillionär
wurde, derzeit die einzige Option. Man wird ihn mit Waffen und Geld ausstatten
müssen, damit er den Bürgerkrieg mit Hamas, Fatah und dem islamistischen
Dschihad gewinnen kann, oder besser: Das Trio wird ihn derart stärken
müssen, dass jegliche Opposition von vornherein vergeblich ist. Die
palästinensische Gesellschaft kann nicht kurzfristig liberalisiert
oder demokratisiert werden, und das bedeutet, dass der einzig mögliche
Friede ein bewaffneter Friede sein wird.
Ein "demokratisches und lebensfähiges Palästina" ist
eine Fata Morgana. Möglich ist, mithilfe des Trios eine aufgeklärte
Diktatur zu etablieren, die mittels eines umfangreichen Marshall-Plans
wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt ermöglicht. Das kann
Jahrzehnte dauern. Und fraglos wird dieses Programm schwere Spannungen
und häufige terroristische Gewaltakte aushalten müssen. Um den
palästinensischen Terrorismus - der seit 1920 existent ist - zu bekämpfen,
wird das Trio militärisch auftreten und Soldatenleben riskieren müssen.
Aber es wird nun mal die Hauptrolle zu spielen haben. Und das heißt
Verantwortung übernehmen, Schläge einstecken, Fehlverhalten
bestrafen und Wohlverhalten belohnen. Palästina wird sich unter der
Vormundschaft des Trios zu einer selbstbewussten, verantwortungsvollen
Gesellschaft entwickeln müssen. Die Belohnung dafür sind Ruhe
und Wohlstand. Die Strafe, sollte das nicht geschehen, sind totale Isolierung,
Tod und Verderben für viele zukünftige Generationen.
Es fragt sich, ob das Trio je in dieser Weise auftreten kann. Zum gegenwärtigen
Zeitpunkt heißt die Antwort: Nein. Chirac, Schröder und Putin
ist sehr daran gelegen, die Macht der Amerikaner im Nahen Osten zu brechen.
Jeder der drei spielt sein eigenes Spielchen mit Syrien, anderen arabischen
Staaten und dem Iran, und jeder der drei ist daran interessiert, die öffentliche
Meinung im Westen, die mit den Palästinensern sympathisiert, in seinem
Sinne zu manipulieren und die Symbolfigur Arafat zumindest dem Anschein
nach zu respektieren. Die heutige "Roadmap" ist dem Tode geweiht.
Wenn die EU und Russland nicht aufrichtig kooperieren und eine größere
Priorität darin besteht, amerikanische Interessen zu vereiteln, als
die, die gewaltigen Probleme in der arabisch-islamischen Welt einzudämmen,
bleibt der amerikanischen Regierung nur, eine Waffenruhe (von einem Frieden
kann man beim obigen Programm nicht sprechen), eine Pax Americana, zu
erzwingen. Das wird sich mehr oder weniger nach den hier beschriebenen
Prinzipien vollziehen. Man darf erwarten, dass die Franzosen, Deutschen
und Russen hinter den Kulissen ihre Privatinteressen ausspielen und notorische
Schurken wie Assad und Arafat in Schutz nehmen werden. Und damit werden
sie Verwirrung, Unruhe und Gewalt stiften.
Die "civilized world" lässt nicht zu, dass Israel den palästinensischen
Terrorismus, der erst bei der völligen Vernichtung Israels aufhören
wird, gewaltsam beendet. Also wird die "civilized world" selbst
diesen Terrorismus stoppen müssen. Eine andere "Roadmap"
gibt es nicht.
Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers, DIE ZEIT, 26.06.2003
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