Rätsel-Sprache im Geist angstvoller Abgrenzung
Die Evangelische Kirche in Deutschland warnt in einem hochgelehrten Papier vor der "Vermischung der Religionen".
Von Lothar Bauerochse


Rund 3,1 Millionen Musliminnen und Muslime leben in Deutschland. Die Zahl der Juden hat inzwischen wieder die Marke von 100 000 erreicht. Buddhismus und Hinduismus faszinieren immer mehr Menschen. All diese Religionen haben sich auf Dauer hier zu Lande etabliert. Allein das wäre schon ein Grund für eine Verständigung zwischen den Religionen - denn zunehmend werden auch Ängste geschürt vor einer angeblichen Überfremdung des christlichen Abendlandes. Christlich-fundamentalistische Parteien gehen damit auf Stimmenfang.
Es gibt aber auch gesellschaftliche Streitfragen, die es notwendig machen, mehr über die jeweils andere Religion zu erfahren und eine Verständigung über unterschiedliche Wertvorstellungen und Glaubenswahrheiten zu suchen: Dürfen engagiert muslimische Lehrerinnen ein Kopftuch tragen? Sollen Muslime in der Innenstadt eine Moschee bauen und womöglich gar der Muezzin vom Minarett mit lauter Stimme zum Gebet rufen? Sind religiöse Vorstellungen etwa beim Schächten, der religiösen Gesetzen im Islam oder im Judentum entsprechenden Schlachtung, etwa höher zu bewerten als der - in Deutschland traditionellerweise so hochgeschätzte - Tierschutz?
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hielt es für nötig, sich einmal grundsätzlich mit dem Verhältnis von Christentum und den anderen Religionen zu beschäftigen. Die Glaubensbehörde im Vatikan unter Kardinal Joseph Ratzinger hatte das in dem Dokument "Dominus Iesus" schon vor drei Jahren unternommen. Beiden Papieren gemeinsam ist, dass sie vor allem die Abgrenzungen im Dialog betonen. Rom hatte dies damals auch gleich im Blick auf die evangelischen Schwestern und Brüder getan - was die Protestanten bis heute kräftig ärgert.
Die "theologischen Leitlinien zum Verhältnis mit anderen Religionen", die unter der Federführung der evangelischen Theologieprofessoren Dorothea Wendebourg (Berlin) und Eberhard Jüngel (Tübingen) von der Kammer für Theologie der EKD festgehalten und im August 2003 veröffentlicht wurden, sind tiefschürfend und sorgfältig erarbeitet. Sie haben allerdings ein dreifaches Problem.
Das Erste ist ein Problem der Sprache. Nach wie vor scheint bei den Kirchen der Gedanke festzusitzen, dass gute Theologie sich vor allem dadurch auszeichnet, dass kaum jemand versteht, was geschrieben steht. Wenn der gut 20-seitige EKD-Text vor allem eine selbstreferenzielle Mitteilung an andere gelehrte Theologen ist, dass man bei der EKD auch zu komplexen theologischen Gedankenführungen in der Lage ist, dann könnte man das Papier getrost in der Schublade vergraben. Wenn aber dieser Text eigentlich die Gemeinden landauf, landab anregen und ihnen helfen soll im Blick auf die Begegnung mit anderen Religionen, dann ist das Ganze sprachlich schlicht eine Zumutung.
Das eigentliche Problem aber ist ein inhaltliches. Die Theologische Kammer der EKD hat eine Gratwanderung versucht, und ist doch auf der einen Seite heruntergefallen. Sie wollte einerseits die Christen ermuntern, das Gespräch etwa mit Muslimen zu suchen. Andererseits geht es ihr deutlich um die Markierung von Grenzen im Dialog. Herausgekommen ist ein Dokument, das eine Verständigung zwischen den Religionen eher erschwert.
Die EKD scheint zu fürchten, dass es unter dem Stichwort Dialog zu einer allgemeinen Verbrüderung, zur Vermischung der Religionen und zur Verwässerung des eigenen Glaubens kommt. Deswegen lautet der Kernsatz: "Die Idee einer der christlichen Ökumene vergleichbaren ›Ökumene der Religionen‹ ist als Irrweg anzusehen." Ein Satz, der sich wohl vor allem gegen Hans Küngs "Projekt Weltethos" richtet. Die realen Dialog-Bemühungen vor allem in Deutschland trifft er eigentlich nicht.
Die EKD befürwortet zwar den Dialog der Religionen. Es geht ihr um ein "gedeihliches Verhältnis zwischen Menschen mit einem jeweils anderen Glauben". Aber sie betont den Unterschied und Gegensatz zwischen Christen und Menschen anderer Religionen, der sich "durch die Erfahrung der heilsamen Zuwendung Gottes zur Menschheit in der Geschichte Jesu Christi" begründet.
Die EKD propagiert keinen neuen Absolutheitsanspruch. Das Christentum soll nicht als "›bessere‹, aufgeklärtere Religion" dargestellt werden. Es geht ihr um die "Achtung von Menschen anderer religiöser Überzeugungen". Aber es bleibt doch alles in einer die dogmatischen Grenzen bewahrenden Distanz. Es geht vor allem um die Wahrnehmung der Differenz und der Fremdheit.
Die Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen wird demgegenüber eher der inhaltlichen Unredlichkeit verdächtigt. Eine "Symmetrie der Religionen mit der christlichen Religion" könne auf diese Weise "schwerlich erreicht" werden. Und darum können Christen "auch nicht guten Gewissens an der religiösen Praxis einer anderen Religion teilnehmen".
Kein gemeinsames Gebet also mit Muslimen oder mit Juden! Das ist eine der spärlichen Stellen, die überhaupt Bezug nehmen auf die konkrete Praxis des Dialogs. Und das ist das dritte Problem. Der Text spiegelt nichts wider von konkreten Erfahrungen im Dialog. Er gibt auch keine Antwort auf die praktischen Fragen, mit denen diejenigen Christen, die im Dialog mit Gläubigen fremder Religionen engagiert sind, sich herumschlagen. Da findet sich im Papier der EKD zwar manch wohlmeinender Satz, grundsätzlich formuliert, aber vollkommen blutleer.
Zu Recht hat zum Beispiel der Rat der Christen und Juden kritisiert, dass Dialogergebnisse im christlich-jüdischen und christlich-islamischen Verhältnis "nicht fruchtbar" gemacht würden. Dazu gehörten "zum Beispiel die Versuche von jüdischer Seite, den christlichen Glauben und die Person Jesu Christi neu zu würdigen". Denn genau darum geht es ja: Dialog ist ein dynamischer Prozess. Zu ihm gehören Fremdwahrnehmung, Selbstwahrnehmung und Veränderung. Davon berichten doch die, die sich ernsthaft im Dialog engagieren: Dass gerade im offenen Sich-Einlassen auf den Anderen und die Andere der Blick für das Eigene geöffnet und die eigene Identität wahrgenommen und geschärft wird.
Nein, sollte die EKD tatsächlich zum Dialog mit Menschen anderen Glaubens ermutigen wollen - mit diesem Papier gelingt ihr das nicht. Zu sehr atmet das neue Dokument den Geist ängstlicher Abgrenzung. Und genau dies halte ich für das falsche Signal in einer Dialogsituation, die in den vergangenen Jahren eher schwieriger geworden ist - trotz der zahllosen wohlmeinenden Sonntagsreden vor allem nach dem 11. September 2001. Von einer allgemeinen Verwischung der Religionsgrenzen sind wir ja tatsächlich weit entfernt. Eher kann man den Rückzug in religiöse und konfessionelle Gettos beobachten. - Insofern werden diejenigen, die sich im Dialog engagieren, die Leitlinien der EKD wohl doch bald wieder in der Schublade vergraben. Man kann es ihnen nicht verdenken.
"Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Theologische Leitlinien" ist bei der EKD, Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover erhältlich. www.ekd.de
Der Autor Lothar Bauerochse ist evangelischer Theologe und Redakteur in der Kirchenredaktion des Hessischen Rundfunks. Seine Kindheit verbrachte er als Missionarskind in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Bauerochse hat im Fach Missionswissenschaften seine theologische Doktorarbeit geschrieben
Publik-Forum, 29.8.2003

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