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Trauer über die schweigende Kirche
Sie verlor ihren Kampf gegen das Schweigen der Bekennenden
Kirche zur Verfolgung der deutschen Juden; aber zumindest ist ihre kritische
Haltung inzwischen dokumentiert. Erst vor vier Jahren wurde klar: Elisabeth
Schmitz, 1893 in Hanau geboren, ist die Autorin der Denkschrift von 1935,
die die Kirche aufrütteln sollte."Sie war ihrer Kirche theologisch
und menschlich weit voraus", urteilte ein Kirchenhistoriker über
die Autorin der im September 1935 verfassten Denkschrift "Zur Lage
der deutschen Nichtarier". Den richtigen Namen der Autorin kannte bis
vor wenigen Jahren kaum jemand. Erst seit 1999 ist Elisabeth Schmitz (1893-1977)
als die Protestantin bekannt, die die Bekennende Kirche im Dritten Reich
aus Schweigen und Tatenlosigkeit angesichts der Judenverfolgung aufrütteln
wollte.Elisabeth Schmitz wurde am 23. August vor 110 Jahren in Hanau geboren.
Seit 1933 hatte sie, damals Studienrätin in Berlin, Fakten und Berichte
über Diskriminierungen und Benachteiligungen von Juden gesammelt und
die Erfahrungen ihrer persönlichen Freunde notiert, darunter viele
Juden und Christen jüdischer Herkunft. Sie erlebte, wie "christliche
Nichtarier" aus der Kirche austraten, weil sie sich von ihr verraten
und im Stich gelassen fühlten."Die Kirche macht es einem bitter
schwer, sie zu verteidigen", schrieb sie in der 25 Seiten umfassenden
Denkschrift. Die unzähligen von ihr darin berichteten Beispiele von
Judendiskriminierung ließen sie zu dem Urteil kommen, "dass es
keine Übertreibung ist, wenn von dem Versuch der Ausrottung des Judentums
in Deutschland gesprochen wird". Die Denkschrift ist ein erschütternder
Bericht, der alle Lügen straft, die später von nichts gewusst
haben wollten.Jahrzehnte wurde das Dokument jedoch der damals ebenfalls
in Berlin lebenden Wohlfahrtspflegerin Marga Meusel zugeschrieben. Diese
hatte im Mai 1935 eine erste Denkschrift mit dem Titel "Über die
Aufgaben der Bekennenden Kirche an den evangelischen Nichtariern" verfasst.
Trotz deutlicher Unterschiede zwischen beiden Denkschriften galt sie als
Verfasserin auch der zweiten.Die wahre Urheberschaft blieb im Dunkeln, bis
die Kasseler Pfarrerin Dietgard Meyer vor vier Jahren Dokumente zur Autorenschaft
von Schmitz vorlegte. Die heute 80-jährige, im Ruhestand lebende Pfarrerin,
in Berlin Schülerin von Elisabeth Schmitz, war in den 80er Jahren in
den Besitz deren Nachlasses gekommen. Darin fand sie zu ihrer Überraschung
die Denkschrift sowie eine Bescheinigung aus dem Jahr 1947, in der der damalige
Langendiebacher Propst die Verfasserschaft der Autorin bestätigte.Meyer,
die in den 50er und 60er Jahren als Pfarrerin in Hanau wirkte und damals
oft mit ihrer einstigen nun ebenfalls in Hanau lebenden Lehrerin zusammenkam,
reichte der Fund noch nicht aus für eine Veröffentlichung. Erst
nach jahrelanger Suche nach weiteren Belegen wurde sie im Wiesbadener Staatsarchiv
fündig. Dort entdeckte sie ein mit dem 5. März 1947 datiertes
"Gesuch um Anerkennung als Wiedergutmachungsfall und um Übernahme
in den Schuldienst Groß-Hessens". Ihrem Gesuch hatte Schmitz
Beweise ihres aktiven Widerstandes gegen den Nationalsozialismus beigelegt,
darunter die Denkschrift.Eigenhändig in 200 Exemplaren habe sie die
Denkschrift abgezogen und Leitungen und Persönlichkeiten der Bekennenden
Kirche (BK) zugestellt, berichtete Schmitz in dem Gesuch. "Ich wollte
mit dieser Schrift aufklären über die Lage der Nichtarier (1935/1938)
und dadurch die Bekennende Kirche rufen zu ihrem Amt und zum Widerstand
gegen die antichristlichen Maßnahmen des Staates." Bekanntlich
waren diese Versuche vergebens.Elisabeth Schmitz, deren Vater Professor
am Hanauer Gymnasium Hohe Landesschule war, besuchte das Realgymnasium Schillerschule
in Frankfurt am Main bis zum Abitur 1914. Danach studierte sie Religion,
Geschichte und Deutsch in Bonn und Berlin, wo sie 1920 bei Friedrich Meinecke
promovierte. 1929 wurde sie am Oberlyceum Luisenschule in Berlin-Mitte als
Studienrätin angestellt. Wegen ihrer "radikalen Ablehnung des
Nationalsozialismus" wurde sie 1935 an die Auguste-Sprengel-Schule
in Berlin-Lankwitz versetzt. Nach der Pogromnacht 1938 gab sie den Schuldienst
auf, weil sie "nicht länger Beamtin einer Regierung sein will,
die Synagogen anstecken lässt". Nachdem sie ihren Schuldienst
quittiert hatte, arbeitete Elisabeth Schmitz ehrenamtlich für die Bekennende
Kirche; unter anderem erteilte sie Religionsunterricht für Juden, die
sich taufen lassen wollten. Bei einem Bombenangriff brannte ihre Wohnung
in Berlin vollständig aus. Seit 1943 lebte sie wieder in Hanau. Nach
dem Krieg sei sie noch eine Zeit bei der niederländisch-reformierten
Gemeinde aktiv gewesen, weiß Dietgard Meyer. Nach der Pensionierung
1958 engagierte sie sich im Hanauer Geschichtsverein und veröffentlichte
zahlreiche heimatgeschichtliche Beiträge. Sie starb im Jahr 1977.Frankfurter
Rundschau, 21.8.2003
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