Michael Krupp - ein Pionier des christlich-jüdischen Dialogs

von Igal Avidan

Für ihn gleicht es einem Wunder, dass Juden seine Freunde sind. 54 Jahre lebt er in Jerusalem; vor 25 Jahren begann er einen Austausch für Theologen.

Er ist Theologe, Hobby-Archäologe und Judaica-Sammler, ein Pazifist, dessen Kinder in der israelischen Armee dienten, und vor allem eine Art Vaterfigur für jene, die in den vergangenen 25 Jahren an seinem Austauschprogramm "Studium in Israel" teilgenommen haben. Doch eigentlich ist Michael Krupp lange ein Außenseiter gewesen, in Nachkriegsdeutschland und auch in Israel, wobei ihm Letzteres aber angenehmer war: "Hier bin ich das mit Recht", sagt er.

Bis heute leitet er das Austauschprogramm, das er 1978 gründete. In dessen Rahmen absolvierten rund 450 meist evangelische Theologiestudenten ein Studienjahr in Jerusalem auf Hebräisch und lernten dadurch das Judentum und die Israelis kennen. Vor allem dank dieser "Krupp-Gruppe" hat sich innerhalb der evangelischen Kirche die Erkenntnis verbreitet, dass die Juden weiter das auserwählte Volk sind und nicht vom Christentum enterbt wurden. So lehnt die Gruppe Mission unter Juden ab.

Aufgewachsen ist er im westpreußischen Elbing, wo sein Vater als Dekan der Bekennenden Kirche wegen Kritik an der nazistischen Verfälschung des christlichen Glaubens in Untersuchungshaft saß. Nach der Vertreibung der Deutschen landete die Familie in Essen, "wo wir als antinazistisch sehr angefeindet waren".

Krupps Abgrenzung setzte sich fort, als er 1955 seine Musterung zum ersten Jahrgang der Bundeswehr erhielt. Er war nämlich der einzige Kriegsdienstverweigerer an seinem Gymnasium. Anerkannt wurde er als Pazifist aber nicht, obwohl er mehrmals vor einer Kommission auftrat und etwa auf deren Frage: "Sie sitzen am Tisch mit Ihrer Mutter und Schwester. Ein bewaffneter russischer Soldat tritt hinein. Was würden Sie tun?", antwortete: "Nichts." - "Er überfällt Ihre Mutter und Schwester und will sie töten. Was würden Sie tun?" - "Ich würde ihm sagen: ,Lassen Sie es, Kamerad, wir sind doch alle Menschen!'" Sein Theologiestudium versuchte Krupp der Kommission zu verheimlichen, da Theologen vom Dienst befreit waren. "Wir wollten als Pazifisten anerkannt werden, nicht als Theologen."

Zu Fuß ins Heilige Land

Ungern erzählt Krupp über das Elend der Nachkriegszeit. Beiläufig erwähnt er, dass zwei seiner kleinen Schwestern an den Strapazen des Kriegshungers starben. Trost fand der Flüchtlingsjunge in den alttestamentlichen Gestalten: Abraham, Isaak und Josef. In seiner Traumwelt nahm Israel, der neue Staat der Juden, einen zentralen Platz ein. "Ich habe die ganze Schulzeit hindurch alles verfolgt, was mit der Entwicklung Israels zusammenhing." Das Land war Anfang der fünfziger Jahre völlig unbekannt. Krupp fand niemanden, der dort gewesen war. In Berlin lernte er einen Israeli kennen, der ihm eine persönliche Einladung gab, und die Israel-Mission in Köln stellte ihm daraufhin ein Visum auf einem besonderen Blatt aus, das er in seine Hose einnähte. Denn Krupp begab sich auf dem Landweg nach Israel.

Drei Monate war er, zeitweise zu Fuß, unterwegs - durch die Türkei, den Libanon, Syrien und Jordanien. Am 28. Oktober 1959 durchquerte er das Mandelbaum-Tor zwischen Ost- und Westjerusalem. "Es war ein Freitagnachmittag kurz vor Sabbat-Beginn. Ich hatte von diesen Dingen keine Ahnung. Ich hatte kein israelisches Geld, und die Banken waren schon zu." Eine alte Frau, die mit ihm Jiddisch sprach, gab ihm einige Münzen, sodass er seine erste Nacht in der YMCA-Jugendherberge verbringen konnte. "Für alle, denen ich begegnete, war ich der erste Deutsche, den sie in Israel trafen. Der erste Deutsche nach dem Krieg."

Nicht alle aber nahmen den 21-Jährigen mit offenen Armen auf. Die Wunden des Holocaust waren noch zu frisch. Mehrere Kibbuzim lehnten ihn als Freiwilligen ab, doch gerade die national-religiösen Pioniere in Tirat Zwi nahmen ihn schließlich auf. Mit den Deutschen kam er gut zurecht, "obwohl wir in der Öffentlichkeit kein Deutsch miteinander sprachen, da es nicht gewollt war, nur in den Häusern. Besonders schwer war es für die Juden aus Polen, die Deutsche nur als SS-Männer und KZ-Wächter kennen gelernt hatten. Ich war genauso alt, wie sie damals gewesen waren. Infolgedessen beschloss der Kibbuz, keine weiteren Deutschen aufzunehmen."

Tiefe Kenntnis der Schriften

Einmal fuhr Krupp in einem Sammeltaxi von Jerusalem nach Tel Aviv. "Ein Fahrgast erfuhr während der Fahrt, dass ich Deutscher bin, und sagte, er möchte aussteigen, da er mit einem Deutschen zusammen nicht weiterfahren wolle. Stattdessen bin ich mitten im Nirgendwo ausgestiegen", sagt er sachlich. "Ich konnte ihn verstehen, es war sehr schwer. Solche Wunden kann man nicht heilen." Dass er im Laufe der Zeit Freundschaften mit Israelis schloss, betrachtete er als ein Wunder.

Während seines Theologiestudiums lernte Krupp seine zukünftige Frau Daniele kennen, die er kurz nach seiner Promotion bei Helmut Gollwitzer 1966 heiratete und nach Israel brachte. "Meine Eltern", sagt sie, "freuten sich, dass ich einen Mann heirate, der bereits ein Buch über Israel geschrieben hatte und alle jüdischen Segenssprüche kannte." Die Standesbeamtin in Paris, eine jüdische Kommunistin, freute sich auf die Hochzeit besonders, "da wir danach weder in die Kirche noch in die Synagoge gingen", erzählt Krupp. "Der Deutsche und die französische Jüdin waren für sie ohnehin das Idealpaar, sodass sie ein rauschendes Fest organisierte."

Weniger erfreut zeigte sich die evangelische Landeskirche im Rheinland. Dort weigerte man sich, Krupp einzustellen. "Die Pfarrerfrau muss evangelisch sein", zitierte man den entsprechenden Paragrafen. Um gegen diese Diskriminierung zu protestieren, entsandte ihn die Evangelische Kirche der Union (EKU) in Westberlin 1970 nach Jerusalem, um ein Begegnungszentrum der evangelischen Kirchen aufzubauen. Die Berliner ordinierten Krupp, obwohl sein erster Sohn inzwischen als Jude beschnitten worden war. Sie lasen den genannten Paragrafen so: "Die Pfarrfrau soll evangelisch sein." Der Rat der EKU erkannte diese Interpretation nicht an und fragte, wie Krupp als Pastor überzeugen wolle, wenn er seine eigene Frau nicht überzeugen könne. Aber inzwischen war er fest angestellter Pastor in Jerusalem. Bald war er auch Beauftragter für das interkonfessionelle Gespräch und Dozent an der Hebräischen Universität.

Krupp gelang es rasch, zum ungewöhnlichsten Pfarrer Jerusalems zu avancieren. Juden schätzten seine tiefe Kenntnis der jüdischen Schriften, vor allem sein Projekt, alle Traktate der Mischna (kanonische Sammlung der Gesetzschriften) zu verlegen, sowie seine riesige Sammlung antiker Schriften, Sarkophage, Münzen und Öllampen. Sie hielten ihm zugute, dass er regelmäßig in der jemenitischen Synagoge betete und dass seine vier Kinder in der israelischen Armee dienten. Auch seine eindeutige Verurteilung der Mission ("Der einzige Weg zu Gott ist der Weg Israels, und somit ist jede Missionierung der Juden eine Frechheit") teilen die meisten von ihnen.

Inzwischen pendelt Krupp zwischen der jemenitischen Synagoge, dem reformierten Tempel und der Erlöserkirche. Er setzt sich für Israels Sicherheit ein, organisiert Veranstaltungen mit Palästinensern und kritisiert die israelische Besatzung, "die für beide Völker eine Katastrophe ist". Eine besondere Sehnsucht nach Deutschland hat er nicht, aber akzeptiert wird er von den Israelis auch nicht immer. Pastorin Astrid Fiehland van der Vegt, seine langjährige Assistentin, erzählt, dass seine Kinder in der Armee, als sie Geheimnisträger werden sollten, in einer Überprüfung gefragt wurden, ob sie Kontakt zu Pfarrern hätten. "Sie bejahten die Frage, sagten aber nicht: ,Mein Papa ist Pastor', und wurden demzufolge angenommen." Über den Weihnachtsbaum im Wohnzimmer verrieten sie nichts.

Frühere Mitarbeiter und Schüler würdigen Krupps Aufrichtigkeit. "Er versuchte niemals zu vertuschen, dass er Deutscher und Pfarrer ist, obwohl ihm dies das Leben in Israel sicherlich erleichtert hätte", sagt Krupps ehemalige Assistentin Barbara Meyer. Karl-Heinz Ronecker, der ehemalige Propst der deutsch-evangelischen Gemeinde in Jerusalem, würdigt vor allem Krupps "immense" theologische Bildung, seine Arbeitsdisziplin und Vitalität. Für ihn ist er in der Gemeinde immer "das Gewissen Israels" gewesen.

Gleichzeitig konnte Krupp seine Zuhörer über den Haufen reden. Dass Krupp jahrelang in der Erlöserkirche nicht predigen durfte, lag an seinem "Problem", so Ronecker, dass er eine Jüdin geheiratet und seine Kinder im jüdischen Glauben erzogen hatte. Hinzu kam, dass Krupp der Einzige in der deutsch-evangelischen Gemeinde war, der auf der israelischen Seite Jerusalems "verwurzelt war", sagt Fiehland van der Vegt. Alle anderen Christen hätten Beziehungen zur arabisch-christlichen Gemeinschaft. "Sie haben uns ein bisschen beäugt, weil wir uns dezidiert auf das Judentum konzentriert hatten, auf die andere Seite."

Im Sommer hatte sich "Krupps Gruppe" aus ganz Deutschland noch einmal im Berliner Bonhoeffer-Haus um den ehemaligen Studienleiter und Lehrer versammelt. Pfarrer Johannes Wachowski erinnerte sich an den früheren Vorgesetzten Krupp als "den Mann des Buches und der Barmherzigkeit", der ihn in die Kunst des Buchbindens eingeführt und alle Studierenden in ihrer Individualität wahrgenommen hat. "Er hat mit uns Ausflüge im Land gemacht und im Sand des See Genezareth gegrillt und übernachtet." Bei Pfarrer Wolfgang Grieb prägte sich das Bild Krupps ein, wie er sich bei archäologischen Exkursionen auf die antiken Altäre legte.

Van der Vegt würdigt die offene Tür der Familie Krupp für alle deutschen Besucher, die den Sabbat mitfeiern wollten, und eine unvergessliche Wanderung während des Golfkriegs in der Wüste Judäas mit Gasmasken in der Hand. "Wir haben uns abgeseilt, um auf halber Strecke in einer Höhle byzantinische Wandmalereien anzusehen. Für Michael war das wichtig, das Land mit den eigenen Füßen zu entdecken."

Sternchen im Personalausweis

Die Verbindung zum Heiligen Land nahm bei Krupp in den 13 Jahren, in denen er ein Haus von den katholischen Nonnen pachtete und das dazugehörige Land bewirtschaften musste, unkonventionelle Züge an. Er habe 200 Bäume gepflanzt, erzählt Krupp, und sogar Öl und Wein gepresst. "Statt Esel haben wir die Studenten eingesetzt, die den großen runden Stein im großen Wohnzimmer drehten", lacht er. "Wir haben 150 Flaschen sehr guten Rotwein produziert, den ich Sœur Geneviève nannte, nach der Schwester, die die Weinrebe gepflanzt hatte, eine wunderbare Frau." Auch van der Vegt erinnert sich an die Landarbeit des Studienleiters. "Er holte uns regelmäßig zum Einsatz auf den Artischockenfeldern. Viele Studenten haben bei ihm Wein getrampelt - mit bloßen Füßen."

Mit 65 Jahren beschloss Krupp, zum ersten Mal anstelle seines Pfarrervisums eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Vor einigen Monaten hat er seinen ersten israelischen Personalausweis erhalten, auf den er sehr stolz ist. Nur eines störte ihn: "Auf dem Formular habe ich mich als Christ und Deutscher eingetragen, aber im Ausweis stehen in der Rubrik ,Volkszugehörigkeit' lediglich Sternchen." Als er erfährt, dass die Sternchen nicht ihm persönlich gelten, sondern seit dem letzten Konflikt zwischen orthodoxen und liberalen Juden alle neuen israelischen Ausweise schmücken, strahlt der ewige Außenseiter: "Dann bin ich in guter Gesellschaft."

Rheinischer-Merkur, Nr. 46, 13.11.2003

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