Die jüdische Freiheitsstatue
Zur Entschlüsselung der Großen Menora von Benno Elkan1
von Daniel Krochmalnik
Biblischer Leuchter
Von allen Geräten des Tempels ist der 7-armige Leuchter
(Menora) das bekannteste. Er hat sich allmählich aus dem ursprünglichen
Zusammenhang des Tempelzubehörs gelöst und ist nach der Zeitenwende
zum Symbol des Judentums aufgestiegen - wie die zahllosen Menorot auf
jüdischen Sarkophagen aus dieser Zeit archäologisch bezeugen.
Der Leuchter war nach der Beschreibung des 2. Buches Mose nach einem himmlischen
Modell (Ex 25,9.40; Num 8,4) aus einem Guss gefertig worden (Ex 25,36).
Eine rabbinische Lehre versucht die komplizierte Konstruktionsanweisung
im 2. Buch Mose zu berechnen und zählt zweiundzwanzig Kelche, elf
Knospen und neun Blumen auf (bMen 28b u. Raschi zu Ex 25,35). Der Leuchter
sollte einen stilisierten Mandelbaum (Schaked, Ex 26,33. 37,19) vorstellen,
und wie dieser im heiligen Land bereits im Winter blüht, so sollte
auch der Leuchter "wachsam" (Schakud) "immer" leuchten
(Ner Tamid, Ex 27,20-21 u. Lev 24,4). Durch das Öl für die Lampen
(Lev 24,2) stand er auch in Beziehung zum immergrünen Olivenbaum,
den ihm der Prophet Sacharja in seiner Leuchter-Vision auch zur Seite
stellt (Sach 4,3) - so symbolisierte der Leuchter insgesamt aufbrechendes
und unverwüstliches Leben. Nicht nur die altorientalischen Parallelen,
auch die biblische Bildersprache legt eine Identifikation dieses Baums
des Lebens mit dem paradiesischen Lebensbaum (Ez Chajim) nahe. Vom Lebensbaum
aus werden ferner bereits in der Bibel Assoziationen zum Baum der Erkenntnis
und der Tora fortgesponnen. So wird in den Sprüchen Salomos die Weisheit
als "Baum des Lebens" (Ez Chajim) (Spr 3,18) bezeichnet und
die Weisung (Tora) und ihre Gebote mit Licht und Leuchten (Spr 6,23) verglichen.
Die jüdischen Interpreten knüpfen gelegentlich auch an die Struktur
des Baumes an. Mit den vom Stamm abzweigenden und gegeneinanderstehenden
Armen verbanden sie begriffliche Gegensätze wie z. B. "Spiritualität"
und "Materialität". Philon von Alexandrien sah im Leuchter
ein kosmisches Bild der Einheit der Gegensätze in der durch Entzweiungen
fortschreitenden Schöpfung. Vor allem aber wurden an die Siebenzahl
der Leuchten viele Bedeutungen angehängt. Dadurch erscheint der Leuchter
als eine Art Uhr der Schöpfungs- und Kalenderwoche, sowie aller anderen
biblischen und jüdischen Zeit- und Geschichtsrhythmen.
Messianischer Leuchter
Die geschichtlichen Deutungen des Leuchters knüpfen noch stärker
an den imaginären Leuchter Sacharjas als an den realen Leuchter des
Moses an. Dem Propheten erschien der Leuchter zwischen zwei Olivenbäumen,
deren Öl aus einer Schale (Gula) durch zwei Goldtrichter (Zanterot)
über je sieben Schnauzen (Muzakot) in sieben Lampen floss (Sach 4,2-4
u.12). Dieser Leuchter-Komplex mit gleichsam geschlossenem Energiekreislauf
bot ein Bild unerschöpflichen Überflusses in einer Zeit bitteren
Mangels. Die aus Babylon zurückgekehrten Exilanten dachten zunächst
nicht daran, den zerstörten Tempel wieder zu errichten und das ewige
Licht anzuzünden. Die Propheten sahen aber gerade in der Vernachlässigung
des Tisches des Herren den Grund für die herrschende Hungersnot (Chag
1,4-6.9-11). Doch dem Wiederaufbau des Tempels standen unüberwindliche
Hindernisse im Weg. In dieser Situation empfing der Prophet seine Vision
vom unauslöschlichen "Licht", verknüpft mit einer
Botschaft an den Gesalbten Serubabel (Ben HaJizhar, Sach 4,14): "Nicht
durch Macht und nicht durch Stärke, sondern durch meinen Geist, spricht
der Herr der Heerscharen (Lo BeChajil WeLo BeChoach Ki Im Beruchi Amar
HaSchem Zewaot). Wer du auch seist großer Berg, vor Serubabel wirst
du zur Ebene. Und er wird hervorziehen den Schlußstein unter dem
Jubelruf: Heil, heil ihm. (...) Die Hände Serubabels haben dieses
Haus gegründet, und seine Hände sollen es vollenden. Denn wer
immer den Tag des geringen Anfangs verachtet hat, wird doch mit Freuden
sehen den Schlussstein in Serubabels Hand - (mit) jenen Sieben: die Augen
des Ewigen sind es, die die ganze Erde durchschweifen" (Sach 4,6-9).
Das dunkle Bild des Leuchters kann man vielleicht mit Raschi (ad Sach
4,6) als ein Zeichen des Vertrauens deuten: Wie die Oliven von selbst
wachsen und ihr Öl von selbst in die Flamme gießen, so mögen
auch die Empfänger der Botschaft auf einen gewaltlosen Wiederaufbau
des Tempels und eine reibungslose Wiederaufnahme des Kultes durch eine
Berge versetzende göttliche Inspiration - in diesem Fall der persischen
Weltmacht - setzen. Dabei sind aber neben dieser quietistischen Botschaft
des Bildes, seine aktivistisch-messianischen Momente nicht zu übersehen.
Gott ist zwar ein scharfer, gleichsam siebenäugiger Beobachter, aber
die Täter sind eindeutig der königliche Messias Serubabel (Sach
3,8; 6,12 // Jes 11,1; Chag 2,23) und der priesterliche Messias Jehoschua
(Sach 6, 9-14), die ihm nach der Auskunft des Dolmetscherengels beistehen
(Omdim Al-Adon Kol HaArez, Sach 4,14) und Öl ins göttliche Feuer
gießen. Jedenfalls verwandelt sich unter dem Eindruck dieser Vision
der Lebensbaum in ein messianisches Zeichen zukünftigen Lebens.
Zionistischer Leuchter
Den von Serubabel wieder errichteten Zweiten Tempel haben
schließlich die Römer zerstört und die Herodes-Menora
bei ihrem Triumphzug mitgeführt. Eine steinerne Relieftafel auf dem
Forum Romanum hat diese Szene des römischen Sieges und der jüdischen
Niederlage verewigt. Von daher hätte auch schon in der Antike eine
national-messianische Verwendung des Menora-Symbols nahegelegen, doch
der stumme archäologische Befund bestätigt diese Deutung nicht.
Erst der Staat Israel hat auf den 7-armigen Leuchter auf dem Titus-Bogen
zurückgegriffen, ihn zwischen die Ölzweige Sacharjas gestellt
und zum Hoheitszeichen erhoben. Damit sollte demonstriert werden, dass
die Schmach der Niederlage und des Exils ein Ende hat und, wie es in der
zionistischen Hymne heißt, "die zweitausendjährige Hoffnung
ein freies Volk in unserem Land zu sein, im Lande Zion und Jerusalem"
in Erfüllung gegangen ist.
Bereits 1897 hat Theodor Herzl anlässlich des Chanukka-Festes in
einer kleinen Erzählung auf der Titelseite des zionistischen Organs
Die Welt die Menora als Zeichen der nationalen Wiedergeburt vorgeschlagen.
Noch im Vorjahr - dem Erscheinungsjahr seines Judenstaates - hatte er
bei sich zu Hause am 24. Dezember einen Christbaum aufgestellt, den er
einem verdutzten Gast gegenüber als "Chanukkabaum" vorstellte.
Nun erzählte er, wie ein Künstler, getrieben durch die "Judennot"
zur "Heimkehr zum Judentum", bei sich zu Hause das traditionelle
Chanukka-Fest wieder einführte, acht Tage lang die Lichter des Chanukka-Leuchters
anzündete und seinen Kindern von der "wunderbaren Erscheinung
der Makkabäer" erzählte. Die Gedanken des Künstlers
über die Menora - die er nicht von der 8-armigen Chanukkia unterscheidet
- knüpfen vornehmlich an ihre Baumgestalt an: "Die Gestalt war
offenbar einst von einen Baum genommen. In der Mitte der stärkere
Stamm, rechts und links vier Zweige, einer unter dem anderen, die in einer
Ebene liegen, und alle acht sind gleich hoch. (...). Was haben die Geschlechter,
die aufeinander folgten, in diese ursprünglich einfache und von der
Natur genommene Kunstgestalt hineingeheimnist? Und unser Mann, der ja
ein Künstler war, dachte bei sich, ob es denn nicht möglich
wäre, die erstarrte Form der Menora wieder zu beleben, ihre Wurzeln
zu tränken, wie die eines Baumes". Es ist für die zionistische
Konversion sehr charakteristisch, wie sich hier der Christbaum vom Vorjahr
in einen echten Chanukkabaum zurückverwandelt und somit jene Entwicklung
vom "Chanukkaleuchter des Ziegenfellhändlers Cohn in Pinne zum
Christbaum des Kommerzienrats Conrad in der Tiergartenstraße (Berlin
W.)" umkehrt, über die sich Der Schlemiel 1904 in der Karrikatur
"Darwinistisches" auslacht. Zugleich ist für das Verhältnis
der Nationalbewegung zur Religion höchst bezeichnend, wie das überladene
alte Bekenntnissymbol hier auf seine natürliche Urbedeutung reduziert
wird und die Wiederbelebung der verdorrten Tradition repräsentieren
soll. Hauptsächlich geht es aber bei diesem Vergleich um das Licht
des Leuchters, genauer um dessen fortschreitende Verbreitung. Der sukzessive
angezündete Chanukka-Leuchter erscheint als "Gleichnis"
für die "Entflammung der Nation. Erst eine Kerze, da ist es
noch dunkel, und das einsame Licht sieht noch traurig aus. Dann findet
es einen Gefährten, noch einen, noch mehr. Die Finsternis muss weichen.
Bei den Jungen und Armen leuchtet es zuerst auf, dann schließen
sich die anderen an, die das Recht, die Wahrheit, die Freiheit, den Fortschritt,
die Menschlichkeit, die Schönheit lieben. Wenn alle Kerzen brennen,
dann muss man staunen und sich freuen über das gethane Werk. Und
kein Amt ist beglückender als das eines Dieners am Licht." Der
Wunsch nach staatlicher Renaissance kommt schon in der Anknüpfung
an das von der Tradition eskamotierte Heldenepos der Makkabäer zum
Ausdruck, die für Herzl nicht so sehr Urheber des Lichtwunders von
Chanukka, als vielmehr diese "wunderbare Erscheinung" selbst
sind, die "durch so viele Jahrhunderte mit dem Glanz kleiner Lichter
bestrahlt" wurden. Das nationale Erwachen ist aber bei Herzl mit
universalen Werten verknüpft, die er hier vermutlich in den einzelnen
Armen des Leuchters verkörpert sieht. Mit dem letzten Satz spielt
er auf seine eigene Rolle als neunter Kerze, dem "Diener" (Schamasch)
an, der sich darin verzehrt, die anderen anzuzünden. Der Künstler
in Herzls Erzählung lässt sich vom Leuchter inspirieren "und
entwarf mit seiner geübten Hand eine Zeichnung der Menora, die er
seinen Kindern übers Jahr schenken wollte: Frei gestaltete er das
Motiv der acht gleich hoch auslaufenden Arme aus, die rechts und links
in der Ebene des Stammesdurchschnittes liegen. Er hielt sich an die steife
überlieferte Form nicht für gebunden, sondern schuf wieder aus
Natürlichem heraus, unbekümmert um andere Deutungen, (...).
Er war auf lebensvolle Schönheit aus. Doch wenn er auch in die erstarrten
Formen eine neue Bewegung brachte, hielt er sich dennoch an ihr Gesetz,
an den vornehm alten Stil ihrer Anordnung. Es war ein Baum mit schlanken
Ästen, deren Enden wie Kelche sich erschlossen, und in diesen Blüthenkelchen
sollten die Lichter stecken."
Israelischer Leuchter
Uns geht es vor allem um die Figur des Künstlers,
die Benno Elkan (1877-1960), den Schöpfer der Großen Menora
von Jerusalem, sozusagen präfiguriert. Gewiß dieser jüdische
Bildhauer aus Dortmund war nicht so ein schlichtes Gemüt, wie Herzl
es in seiner Erzählung vorschwebte. Künstlerisch war er Meister
aller Klassen und beherrschte souverän alle Gattungen von der Portraitbüste
bis zur Großplastik, von der Anatomie-Illustration bis zum Grabmal
(Es ging der Spruch: "De mortuis nihil nisi Benno"). Er glänzte
mit Stücken phantastischer Literatur, Reisebeschreibungen, Libretti.
Die Werkgruppe, die ihn jedoch am nachhaltigsten beschäftigte und
die ihn vor allem auszeichnete, waren seine Figuren-Leuchter. Er schuf
seit 1921 zehn solcher Leuchter. Als erstes einen Chanukka-Leuchter mit
den fünf Makkabäern (1925), dann den Leuchter des Alten Testaments
(1931), der neben einem Leuchter des Neuen Testaments (1939) in der Westminster
Abbey steht. Aber den Höhe- und Schlusspunkt dieser Reihe bildet
die 4,5m hohe und 3,5 m breite mit 29 Bildreliefs verzierte Große
Menora von Jerusalem. Elkan hatte von 1947 bis 1956 fast ununterbrochen
an diesem Monumentalleuchter gearbeitet und betrachtete ihn als Krönung
seines ganzen Lebenswerkes. 1956 schenkte ihn das britische Parlament
dem israelischen Parlament zum 8. Geburtstag und 1966 fand er schließlich
seinen heutigen Platz vor der Knesset in Jerusalem. Die Träume Elkans
gingen noch weiter: Er wollte, dass der Leuchter in zehn- oder zwanzigfacher
Vergrößerung als Kolossal-Kandelaber in einen Hafen Palästinas
als "Liberty Statue of Judah in the Holy Land" aufgestellt werde.
Dazu ist es nicht gekommen, aber die Silhouette seines Leuchters mit den
angewinkelten wie zum Gebet erhobenen Armen hat als Ikone Israels und
Jerusalems den halbkreisförmigen herodianischen Leuchter fast verdrängt.
Die Bekanntheit der Silhouette des Elkan-Leuchters steht allerdings im
umgekehrten Verhältnis zum Verständnis seines Bildprogramms.
Gewöhnlich werden die Reliefs als Bilderbuch mit den "Highlights"
der jüdischen Geschichte betrachtet. Doch dieses simple Schema wird
der komplexen Komposition in keiner Weise gerecht. Elkan hat selbst geschildert,
wieviel Mühe ihn das Bildprogramm gekostet hat: "Die Auswahl
aus dem geschichtlichen Themen-Angebot mit beachtlichen Dingen von unterschiedlichstem
Charakter war eine lange Wegstrecke, und dann hatte ich die Aufgabe, einen
mächtigen und sichtbar überzeugenden Ausdruck für jede
Idee zu finden. Viele Angleichungsversuche mussten gemacht werden, um
eine Harmonie zu erreichen (...); und dann mussten die inneren Beziehungen
innerhalb jedes einzelnen Stückes hergestellt werden." Elkan,
der mit einer Rabbinertochter verheiratet war, suchte rabbinischen Rat
und seinem Bildprogramm liegt eine in den Einzelheiten systematische Konzeption
zugrunde. 2
Eine Gesamtinterpretation der Großen Menora muss zunächst auf
die Vorgeschichte des Nationalsymbols zurückkommen. Elkan hat sein
Werk explizit in diesen Zusammenhang gestellt und Formen der Moses-, Sacharja-
und Herodes-Menora aufgegriffen. In einem Memorandum aus seinem Nachlass
sieht er seine Menora ausdrücklich als eine mit der Ernte der Geschichte
behängte Moses-Menora: "But while this instrument has been at
the time just a Bearer of Light, ornated by flowers and buds and knobs,
the ever mounting experience of it's people have gone on unrelentlessly
through many centuries. And now on the height of it's unspeakable plight
I want to re-create it again, still a bearer of light, of course, but
charged and burdened with it's sufferings, it's fight, it's despair, it's
glory and the conviction of it's eternal mission, a Song of Songs in bronze
of our people's immortal life, of it's long, tragic, magnificent history".
Die Anzahl, die Maße und die Verteilung der Bildmotive auf der Großen
Menora knüpfen in der Tat an die Beschreibung des Leuchters bei Mose
und bei den Rabbinen an. Von den 29 Motiven Elkans entsprechen sieben
den Lampen, die zweiundzwanzig übrigen Motive den zweiundzwanzig
Kelchen, von denen die oben erwähnte tanaitische Lehre ausdrücklich
sagt, dass sie mit den Knospen und Blumen zusammenhingen. In Elkans illustruierter
Israelitischer Bibel von D. Ludwig Philippson wird die rabbinische Ansicht
angeführt und erläutert. Als Motto hat Elkan auf ihren äußeren
Armen den Macht/Geist-Spruch aus Sacharja eingeschrieben. Schließlich
erinnert der sich verjüngende Schaft an den pyramidalen Fuß
des Herodes-Leuchters.
So stellt sich vor jeder Gesamtinterpretation die Frage, wie weit der
Künstler an die ältere Menora-Symbolik anknüpft. Die auffälligste
Eigenschaft seiner früheren Kandelaber, ihre stilisierte Baumgestalt,
tritt hier etwas zurück, verschwindet aber auch in der Großen
Menora nicht völlig. Wie naturalistisch Elkan die Baumgestalt umsetzte,
bezeugt eine Anekdote recht gut. Auf seinen Spaziergängen holte der
Künstler öfter ein Metermaß hervor und fing unter dem
Gejohle der Kinder an, Bäume sorgfältig auszumessen, um die
richtigen Proportionen für seinen Leuchter herauszubekommen. Aus
der Baumgestalt ergibt sich aber schon in der älteren Menora-Symbolik
die Forderung nach einer organischen Interpretation des Ganzen, oder andersherum
gesagt, verbietet sich im Fall der Großen Menora, die bisher übliche
punktuelle Erklärung einzelner Motive. Das wichtigste Kennzeichen
des Baummusters ist die dichotomische Struktur der aus dem Stamm hervorwachsenden
Zweige. Auf diesem Muster beruhte schon die ältere Allegorie der
Menora und darauf baut auch das Bildprogramm der früheren Kandelaber
Elkans auf, vor allem in seinem Leuchter des Alten Testaments in der Westminster
Abbey. Dort stehen sich die gegensätzlichen Gestalten wie Typen und
Antitypen gegenüber und ergänzen einander: Jona aus dem Fisch
auf der einen und Daniel in der Löwengrube auf der anderen Seite,
der Lebemann Salomon und der Schmerzensmann Hiob usw.. Die Menora ist
hier ein Stamm mit einem Zweigwerk von Gegensätzen. Dieses Strukturgesetz
liefert auch den Schlüssel zur Großen Menora. Die einzelnen
Reliefs stellen, wie Elkan selbst sagte, "Ideen" des Judentums
dar, die durch die Anordnung auf den Zweigen in einen dualen Zusammenhang
gebracht werden. Im Folgenden wollen wir eine Gesamtinterpretation der
Großen Menora versuchen.
Vernichtung
Wie der Moses-Leuchter selbst, so geht auch das Bildprogramm vom Schaft
aus (0). Hier werden die Themen angeschlagen, die die gesamte Komposition
durchziehen und in den Seitenarmen des Leuchters durchgeführt werden.
Die Motive am Fuß und an der Spitze des Schaftes symbolisieren die
beiden Antipoden der jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Das
Bild am Fuß des Schafts ist den zionistischen Pionieren (Chaluzim)
in Palästina gewidmet - sie bewässern, ackern, ernten und bauen
(+I). An der Wurzel der Menora pflanzen zwei Kinder ein Bäumlein
und stellen gleichsam in Entsprechung zur Menora als Lebensbaum die Wiedereinwurzelung
des entwurzelten Volkes, die wunderbare Verjüngung des "Ewigen
Juden" dar. Im radikalen Gegensatz dazu steht auf der Spitze des
Schaftes und in der Mitte der Arme, ein symbolisches Bild der totalen
Ausrottung des jüdischen Volkes im Zeitalter Hitlers (-I), dargestellt
durch einen entsetzten Moses, der angesichts des Vernichtungswerkes des
Todfeindes Amalek, seine Arme erschöpft zum Himmel hebt (Ex 17,11).
Eine Volksetymologie leitet den Namen Amalek von "Am" = "Volk"
und "Malak" ="den Hals abkneifen" ab, sodass man "Amalek"
mit "Würgevolk" übersetzen könnte - und es war,
wie die Schrift sagt, das "erste unter den Völkern" (Num
24,20), welches nach dem Psalm 83,5 auf sein Banner schrieb: "Lasst
uns ausrotten, dass sie kein Volk seien, dass des Namens Israel nicht
mehr gedacht werde (WeLo Jisacher Schem Jissrael)". In den Augen
seiner jüdischen Opfer war Hitler eine Reinkarnation dieses biblischen
Prototyps aller Judenvernichter.
Der Gestus des Mose erinnert aber auch an jene biblische Szene, in der
Moses die Tafeln der zehn Gebote vor den Gesetzesbrechern am Fuße
des Sinai zerschmettert. Unter seinen Füßen sehen wir dann
tatsächlich die beiden Tafeln in Flammen (-II). Auch dieses Bild
ließe sich als eine Anspielung auf das Zeitalter Hitlers verstehen.
1943 brachte der Emigrant Armin L. Robinson (1900-1985) in New York den
Sammelband Die zehn Gebote. Hitlers Krieg gegen die Moral heraus. Nach
der Novelle Das Gesetz von Thomas Mann folgen dort zehn Erzählungen,
die jeweils die Übertretung eines der zehn Gebote in der Zeit des
Nationalsozialismus schildern. Das Vorwort zum Buch schrieb der ehemalige
nationalsozialistische Senatspräsident der Stadt Danzig und Vertraute
Hitlers, Hermann Rauschning (1887-1982), der sich 1936 aus dem Deutschen
Reich abgesetzt hatte. Er berichtet von einem Monolog Hitlers kurz nach
der Machtergreifung. Hitler schrie wild: "Wir kämpfen gegen
den ältesten Fluch, den die Menschheit auf sich gezogen hat. Wir
kämpfen gegen die Perversion unserer gesündesten Instinkte.
Ach ja, dieser Gott der Wüste, dieser verrückte, dumme, rachsüchtige
Despot mit seiner Macht, Gesetze zu erlassen! Dieser sklavenhalterische
Einpeitscher! Dieses teuflische Du sollst, du sollst!' Und dann
dieses törichte Du sollst nicht'! Das muss endlich aus unserem
Blut verschwinden, dieser Fluch vom Berg Sinai."
Den zehn Geboten in Flammen entspricht kontrapunktisch auf der unteren
Seite des Schaftes ein Feuerkranz, in dem die ersten Worte des Einheitsbekenntnisses,
"Sch'ma Jisrael (Höre Israel) (der Herr, unser Gott, der Herr
ist einzig)" (Deut 6,4) eingeschrieben sind (+II). Mit diesen Worten
auf den Lippen gingen seit dem Altertum die jüdischen Märtyrer
in den Tod (bBer 61b) und so auch ins Gas. Ein deutscher Besucher wollte
im Todeslager Belzec einmal hören, was in den Gaskammern vor sich
ging. Er legte sein Ohr an die Kammer, horchte und fand: "Wie in
der Synagoge". Wenn Elkan in seiner programmatischen Äußerung
zu seinem Leuchter von "the height of it's (i. e. des Volkes) unspeakable
plight" spricht, dann denkt er an den Völkermord und seine Große
Menora kann zu den frühen künstlerischen Verarbeitungen des
Traumas der Vernichtung gezählt werden.
Widerstand
Vom Stamm des Leuchters zweigen nach beiden Seiten drei
Armpaare ab (Ex 25,31 ff. u. 37,18ff.). Jedes Paar bildet einen eigenen
thematischen Spannungsbogen. An der Stelle, wo die Arme vom Stamm abzweigen,
kündigt ein Bild auf dem Mittelstamm das Thema an. Der äußere
Bogen ist dem Thema Widerstand gewidmet und zeigt ein Bild vom Aufstand
des Warschauer Ghettos (1). Auf den von dort ausgehenden Armen steht rechts
und links vom Stamm jener Spruch an den Propheten: "Nicht durch Macht
und nicht durch Stärke, sondern durch (rechts) / meinen Geist, spricht
der Herr der Heerscharen (links)" (4,6), der dem ganzen Bildprogramm
eine Richtung gibt. Beim Thema Widerstand wird damit angedeutet, dass
es sich beim Aufstand nicht nur um ein militärisches, sondern auch
um ein spirituelles Ereignis handelte. Am Morgen des 19. April 1943 rückten
deutsche Truppen ins Warschauer Ghetto ein, um die noch übrigen 70.000
Juden in Todeslager zu deportieren. Dieser Tag war der Vorabend des Pessachfestes
und im Ghetto hatte man sich trotz des Elends nicht nur für den Aufstand,
sondern auch für das Befreiungsfest gerüstet. Nachdem die Deutschen
zurückgeschlagen waren und die zionistische Fahne am höchsten
Punkt des Ghettos wehte, konnten die Widerstandskämpfer am Abend
beim Seder buchstäblich die "Zeit der Befreiung" (S'man
Cherutenu) feiern.
Auf dem Relief von Elkan werden der militärische und religiöse
Doppelaspekt der Revolte durch zwei zentrale Kontrastfiguren dargestellt.
In der Mitte ist übergroß ein junger Mann mit Davidstern, mit
fragend geöffneten Händen und zum Himmel gerichteten Blick zu
sehen, der wohl den zionistischen Anführer der Revolte, Mordechai
Anielewicz, darstellt, während unter ihm in einem Kellergewölbe
ein alter frommer Mann die Tora umarmt. Diese Szene spielt möglicherweise
auf einen Text an, den Zvi Kolitz am 25. September 1946 in der Jiddischen
Tsaitung in Buenos Aires veröffentlicht hat. Es handelt sich um das
angebliche Testament von Jossel Rackower aus Tarnopol, das dieser am 28.
April 1943 in den brennenden Ruinen des Warschauer Ghettos verfasst, anschließend
in eine Flasche gesteckt und vergraben haben soll. Der Hader dieses Frommen
mit Gott gipfelt in den Sätzen: "Ich glaube an den Gott Israels,
auch wenn Er alles getan hat, dass ich nicht an ihn glaube. (...). Ich
beuge mein Haupt vor seiner Größe, aber werde die Rute nicht
küssen, mit der er mich schlägt. Ich hab' ihn lieb. Doch seine
Tora hab' ich lieber. Selbst wenn er mich genarrt und ich mich in ihm
getäuscht hätte. Seine Tora würde ich weiter hüten."
Von diesem Bild auf dem Mittelstamm des Leuchters gehen die ersten beiden
Arme mit jeweils vier Reliefbildern aus, die in der Richtung der hebräischen
Schrift von rechts nach links zu lesen sind. Der rechte Arm steht unter
dem Motto des Halbverses "Nicht durch Macht und nicht durch Stärke,
sondern (...)"; Formen des aktiven Widerstandes. An der Spitze schreit
der hadernde Prophet Jeremias vor dem Hintergrund des zerstörten
1. Tempels mit geballter Faust zum Himmel: "Wie (konnte das geschehen)?
(Eicha)" (+1a). Im Relief darunter marschieren die bewaffneten Makkabäer
gegen die hellenistischen Tempelschänder (+1b). Mit ihnen zogen seinerzeit
die sogenannten Chassidäer (1 Mak 2,42; 7,13; 2 Mak 14,6) in den
Kampf, deren spätere ostjüdische Ableger im folgenden Relief
als naturfromme Mystiker und enthusiastisch tanzende Burschen dargestellt
werden (+1c). Die Reihe wird durch ein Medaillon beschlossen, das den
Statthalter Nechemia beim entschlossenen Wiederaufbau des 2. Tempels zeigt
(+1d).
Diesen aktiven, körperlichen Formen des Widerstandes: Hader, Eifer,
Begeisterung und Wiederaufbau stehen auf dem äußeren linken
Arm des Leuchters, unter dem Motto "durch meinen Geist, spricht der
Herr der Heerscharen", passive, spirituelle Formen des Widerstandes
gegenüber und bilden mit ihnen Gegensatzpaare. So steht dem hadernden
Jeremia auf der anderen Seite der tröstende Jesaja mit seiner Vision
vom Welt- und Tierfrieden gegenüber (-1a); den fanatischen Gotteskriegern
steht der weise Rabbi Jochanan ben Sakkai gegenüber (-1b), der sich
an den Zeloten vorbei aus dem belagerten Jerusalem schmuggeln ließ,
um mit Billigung der Belagerer ein Lehrhaus in Jawne zu errichten und
das geistige Überleben Israels zu sichern, während die Nachfolger
der Makkabäer es vorzogen in Massada ruhmreich den Heldentod zu sterben;
den mystischen aschkenasischen Chassiden stellt Elkan die strengen sephardischen
Denker und Dichter aus dem mittelalterlichen Spanien gegenüber (-1c).
Dieses Reliefbild ist selbst ein Dyptichon, mit dem in Gedanken versunkenen
rationalistischen Philosophen Maimonides und dem in die Ferne blickenden
Dichter der Zionsehnsucht, Jehuda HaLevy. Maimonides hält zwei Bücher
zusammen: Aristoteles und seine Mischne Tora. Die Friedenstaube, die auf
ihnen Platz genommen hat, besagt, dass der Verfasser des Führers
der Verirrten Frieden zwischen Offenbarung und Naturwissenschaft stiftete
(II, 25), während der Verfasser des Buches Kusari den Gott der Väter
gegen den Gott des Aristoteles ausspielte (IV,16). Der von Heinrich Heine
als "absolute Traumweltherrscher mit der Geisterkönigskrone"
beschriebene Poet ist der berufene Antitypus zum trockenen Rationalisten,
aber beide gehören gleichwohl als unzertrennliches Paar ins gleiche
Bild der hochgebildeten apollinischen Kultur des maurischen Spaniens und
können zusammen der volkstümlichen dionysisch-expressiven Religiosität
der Ostjuden entgegengesetzt werden. Elkan hat diese beide Kulturtypen
in seinen beiden Reisebüchern Polnische Nachtstücke - Mit Federzeichnungen
des Künstlers (München 1918) und Spanien. Gesehen von einem
Künstler, mit 32 Federzeichnungen des Verfassers (München 1926)
beschrieben. Schließlich korrespondieren dem realistischen Pionier
Nechemia die in romantischer Sehnsucht nach Jerusalem verschmachtenden
Exulanten (-1d), von denen der Psalm 137 und Heine - mit dessen Einfluß
wir bei Elkan immer rechnen dürfen - im schon erwähnten Gedicht
Jehuda ben Halevy aus den Hebräischen Melodien singen. Insgesamt
werden auf dem linken äußeren Seitenarm vier "Ideen":
Hoffen, Lernen, Denken - Dichten und Schwärmen veranschaulicht und
den komplementäre Gegenideen: Hadern, Eifern, Begeisterung und Wiederaufbau
entgegengestellt. Nach dem gleichen Muster sind auch die übrigen
Bilder auf den anderen Armen des Leuchters angeordnet. Sie bilden Gegensatzeinheiten
und Kontrastharmonien zu den Themen Widerstand (1) Auferstehung (2) und
Erlösung (3). Der letzte Medaillon (-1d) auf diesem Bilderbogen zitiert
auch das Bild Judaea capta auf der Münze des Kaiser Vespasians, der
folgende Bilderbogen zeigt nun Judaea resurrecta (2)
Auferstehung
Die mittleren Arme des Leuchters umfassen das Thema: Auferstehung der
Toten und das zentrale Relief zeigt die Vision des Propheten Ezechiel
(Kap. 37) (2). Auch hier ist der Zeitbezug evident und die Verbindung
zum vorigen Bild vom Aufstand folgerichtig. Die Auferstehenden erinnern
an die zu Skeletten abgemagerten Häftlinge und an die Leichenberge
der Konzentrationslager, wie sie in der Enstehungszeit des Leuchters im
Film Nuit et brouillard von Alain Renais (endgültige Fassung, 1955)
zu sehen waren. Elkan hatte übrigens schon früh Leichensektionen
gezeichnet und eine Figur auf dem Relief erinnert an eine dieser Zeichnungen
(Benno Fischer, Sektionskurs, ebd. S. 80). Aber wie schon beim Propheten
selbst ist hier mit der Auferstehung kein Wunder der Medizin, sondern
eins der Geschichte gemeint: die Wiederbelebung der verstreuten und vertrockneten
Gebeine des Volkes durch einen neuen Geist, der mächtig durch das
Bild weht (Ez 37,8-10). Auf den von dieser Vision abzweigenden Unterarmen
hat der Künstler ein Band mit den Symbolen der zwölf Stämme
Israels gesetzt, von denen zehn seit dem Altertum verschollen sind. Der
Prophet Ezechiel hatte ihre Wiederkehr und ihre Wiedervereinigungen mit
den Juden verheißen. Er nahm zwei Hölzer mit den Namen der
Stämme Israels und Judas und sprach: "So spricht Gott der Herr;
siehe, ich will die Kinder Israel herausholen aus den Heiden, wohin sie
gezogen sind, und will sie von überall her sammeln und wieder in
ihr Land bringen und will ein einziges Volk aus ihnen machen im Land auf
den Bergen Israels, und sie sollen allesamt einen König haben und
sie sollen nicht mehr zwei Völker sein und nicht mehr geteilt in
zwei Königreiche" (Ez 37,15-23). Der Name des Staates Israel
enthält die Verheißung, dass in ihm das ganz Volk Israel in
seiner ursprünglichen Zwölffaltigkeit wieder auferstehen wird:
in seiner frommen Levi-Natur, nicht weniger wie in seiner militärischen
Gad-Natur, in seiner bäuerlichen Jissachar-Natur, nicht weniger wie
in seiner seemännischen Swulun-Natur.
Der neue Geist, der das Volk wiederbeleben soll, ist freilich kein anderer
als der alte Geist, der es so lange erhalten hat - der Geist der Tora.
Deshalb ist hier der Baum des neuen Lebens ein Baum der Tora, die in allen
ihren Doppelaspekten dargestellt wird. An der Spitze der beiden mittleren
Arme stehen wie jene antagonistischen Streitpaare (Sugot), aus denen die
Kette der jüdischen Tradition geknüpft ist, Hillel der Ältere
(+2a) und Esra der Schreiber (-2a) für die mündliche und die
schriftliche Tora. Nur das Gleichgewicht zwischen Buchstabe und Geist
vermag die lebendige Erneuerung (Chiddusch) der Tora zu gewährleisten.
Darunter sind die gegensätzlichen Typen Rabbi Chanina ben Teradion
(+2b) und Hiob (-2b) als Zeugen der Tora dargestellt. Chanina gehörte
zu den zehn Märtyrern, die die Römer hinrichteten und deren
Geschichte von den über die Ezechiel-Visionen brütenden Ba'ale
Merkawa überliefert und heute zum Jom-Kippur-Gottesdienst gehört.
Chanina wurde von seinen Henkern in eine Torarolle eingewickelt und angezündet.
Von den Schülern befragt, was er sehe, antwortete er: "Das Pergament
brennt, aber die Buchstaben fliegen davon" (bASa 18a). Damit bezeugt
er den unerschütterlichen Glauben an die Unsterblichkeit der Tora.
Doch auch in diesen Märtyrergeschichten melden sich gelegentlich
sogar himmlische Zweifel: "Das ist die Tora und das ihr Lohn"
(bBer 61b). Eben das ist die Frage Hiobs, der Chanina gegenübersteht.
Er stellt die Verhältnismäßigkeit von Tat und Folge in
Frage und erwartet ohne Rücksicht auf seine salbadernden "Freunde"
eine Antwort vom Himmel. Beide Haltungen, die des Dulders und die des
Rebellen, müssen möglich und gestattet sein, wenn die Tora unter
der Bedingung der Verfolgung und Vernichtung ihre Relevanz behalten soll
und beide Haltungen finden sich oft genug in ein und derselben Person,
wie bei Hiob selbst oder bei Jossel Rackower.
Darunter hat der Künstler den Gegensatz von Kabbala (+2c) und Talmud
(-2c) gestaltet: rechts in höheren Sphären (Sphirot) schwebende
und im Anschluss an Ex 6,3 über die Gottesnamen und über das
Geheimnis von Gottes Wirken in der Geschichte meditierende Mystiker; links
der gestrenge Gesetzeslehrer, der sich mit den vier Ellen (Arba Amot)
der Halacha begnügt und die Jugend warnt, den Zaun (Sejag) um die
Tora zu übertreten. Auch hier können nur praktischer und spekulativer
Geist gemeinsam das Gleichgewicht zwischen fester Ordnung (Kewa) und höherer
Sinngebung (Kawana) der Tora erhalten. Die beiden abschließenden
Medaillons, die den Themen Halacha (+2d) und Aggada (-2d) gewidmet sind,
rekapitulieren diese Dialektik noch einmal. Hier der oberste Wächter
über die Reinheit, der Hohepriester Aharon, der stumm den Tod seiner
beiden gesetzesbrüchigen Söhne beklagt, dort der König
Salomon, der, nachdem die ursprünglich vorgesehene Liebesszene mit
der Schulamit wegen frommer Bedenken gestrichen werden musste, in seinem
Weinberg womöglich über die Geheimnisse der Tora (Sitre Tora)
nachsinnt. Das Wort für "Garten" = "Pardes" galt
seit dem Mittelalter als Kürzel für die vier Schriftsinne der
Tora (PaRDeS). Die Gärten Salomons (Koh 2,5; HL 5,1; 6,11 usw.) wären
dann Toragärten - und weil der Name für den tiefsten, geheimsten
Sinn der Tora, Sod, den gleichen Zahlenwert wie das hebräische Wort
für Wein, "Jajin" (= 70) hat, so wären die Weinberge
eigentlich Toraberge. Das Bild wäre sehr passend, um die üppig
wuchernde Schriftauslegung der Weisen zu illustrieren. Aber wir wollen
dem Bildhauer nicht zu viel andichten und lassen wieder den Dichter der
deutschen Juden sprechen. Heinrich Heine beschreibt im erwähnten
Gedicht die beiden Gattungen des Talmud mit folgenden Bildern: "Also
leuchtet auch der Talmud / zwiefach, und man teilt ihn ein / in Halacha
und Hagada. / Erster nannt ich eine Fechtschul - // Letztere aber, die
Hagada, / will ich einen Garten nennen, / einen Garten hochphantastisch
/ und vergleichbar jenem andern, // Welcher ebenfalls entsprossen weiland
- / Garten der Semiramis, / achtes Wunderwerk der Welt." Nur zusammen
ergeben Priester und Poet eine erträgliche Harmonie im seelischen
Haushalt einer Gesetzesreligion. Insgesamt stellt sich uns der Leuchter
jetzt wie eine Waage dar, die die konträren Aspekte der Tora im Gleichgewicht
hält.
Erlösung
Der ganze Leuchter gipfelt im inneren Bogen zum Thema Erlösung, das
zugleich die direkte Replik auf das Thema der Vernichtung im Zentrum des
Leuchters ist. Auf dem zentralen Bild ist in Gestalt der beiden Frauen
Rachel und Ruth bereits der Gegensatz von Verzweiflung und Trost eingezeichnet,
der dieses Thema durchgehend bestimmt. Jeremia erzählt, die Mutter
Rachel weinte bitterlich über ihre in alle Winde zerstreuten Kinder
(Jer 31,15), sie wird von Ruth, der Ururgroßmutter Davids (Rt 4,17),
des Messias getröstet. An der Spitze der beiden inneren Arme hat
der Künstler die beiden Messias-Typen platziert: rechts den gescheiterten
Messias, Bar Kochba (+3a), links den siegreichen Messias Ben David (-3a),
der vor seinen Attributen: Krone, Leier und Schwert lässig das abgeschlagene
Haupt des Ungeheuers zeigt. Bemerkenswert ist, dass Bar Kochba in Elkans
zionistischer Geschichtskonzeption wegen seiner Niederlage nicht als falscher
Messias denunziert wird. In diesen Zusam-menhang gehören die beiden
Gestalten des Zionismus: rechts die passiv Trauernden um Zion (Awle Zion)
(+3b), links die aktiven Zionisten auf der Exodus, die nach langer Irrfahrt
mit dem Rest der Geretteten (Sche'erit HaPleta) an Bord den sprichwörtlichen
Anker der Hoffnung wirft (-3b). Diese beiden Gestalten des Zionismus werden
in den beiden abschließenden Medaillons noch einmal dialektisch
mit den beiden Archetypen des Glaubens verknüpft, dem Patriarchen
Abraham (-3c), der in einer schrecklichen Vision das Exil seiner Nachkommen
voraussieht (Gen 15,11 ff.) und trotz aller Prüfungen seinen Glauben
nicht verliert, und dem Patriarchen Jakob/Israel (+3c), der mit Gott ringt
(Gen 32,25). Insgesamt lässt sich die hochkomplexe Botschaft des
Leuchters auf die banale Aussage verkürzen, dass der Holocaust in
einer religiösen und nationalen Renaissance aufgehoben wird - damit
passt er sehr gut zum Selbstverständnis des Staates Israel.
Die Große Menora von Benno Elkan bildet die ideologische Basis des
Judenstaates ab und gibt weiter zu denken.
Fußnoten
1 Dieser Aufsatz ist eine gekürzte Fassung meines Beitrages für
den Band von Michael Graetz (Hg.), Ein Leben für die jüdische
Kunst. Gedenkband für Hannelore Künzl (Schriften der Hochschule
für Jüdische Studien Heidelberg), Carl-Winter-Verlag, 2003,
S. 215-233. Dort finden sich auch die Quellennachweise. Die gekürzte
Fassung diente als Grundlage für ein Lichtbildervortrag Die Jüdische
Freiheitsstatue in den 17. Jüdischen Kulturtagen der Gesellschaft
zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition am 20. Oktober
2003 im Münchner Gasteig.
2 in: Micha Brumlik u. a. (Hg.), Die Menora. Ein Gang durch die Geschichte
Israels (Eine Medienmappe für Schule und Gemeinde). Wittingen 1999,
S. 23-29. In diesem Sammelwerk wird jedes Relief von einem anderen Autor
(u.a. vom Verfasser) kommentiert, was den Eindruck der Disparatheit verstärkt.
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