"Engagement jedes Einzelnen gefordert"
Erklärung des Bundestags zum Kampf gegen den Antisemitismus im Wortlaut
Mit den Stimmen aller Fraktionen hat der Bundestag am 11. Dezember 2003
folgende Erklärung zum Kampf gegen den Antisemitismus verabschiedet:
"1. Der Deutsche Bundestag verurteilt jede Form des
Antisemitismus. Antisemitisches Denken, Reden und Handeln haben keinen
Platz in Deutschland.
2. Antisemitismus war der geistige Nährboden für
die beispiellose von Deutschland ausgegangene Verfolgung und Ermordung
der europäischen Juden. Wir haben die besondere Verantwortung, die
Erinnerung an den Holocaust und das Gedenken an die Opfer wachzuhalten.
Wir müssen uns auch künftig mit seinen Ursachen und Folgen auseinander
setzen und die Wiederholung einer solchen Entwicklung ausschließen.
Die Erinnerung an das Geschehene ist Teil unserer nationalen Identität.
3. Wir dürfen uns niemals daran gewöhnen, dass
in Deutschland Jahrzehnte nach der Niederwerfung des Nationalsozialismus
für jüdische Bürger und ihre Einrichtungen noch immer ein
erhebliches Gefahrenrisiko besteht und beispielsweise die Grundsteinlegung
für das jüdische Gemeindezentrum in München am 9. November
2003 nur unter schärfsten Sicherheitsmaßnahmen stattfinden
konnte.
4. Der Deutsche Bundestag beobachtet mit großer
Sorge, dass antisemitische Ressentiments nicht nur bei Randgruppen, sondern
weit in die Gesellschaft hinein spürbar sind. Wer Stereotype und
Versatzstücke nationalsozialistischer Propaganda aufnimmt und neu
zusammenfügt, wer 'die Juden' sprachlich ausbürgert, indem er
sie 'den Deutschen' gegenüberstellt und sie damit zu Fremden im eigenen
Land macht, wer die Ermordung der europäischen Juden relativiert,
steht außerhalb der demokratischen Wertegemeinschaft.
5. Unsere Pflicht ist es, antisemitisches Denken, Reden
und Handeln zu bekämpfen. Dabei ist das Engagement jedes Einzelnen
gefordert. Wir wollen in Deutschland die Kultur der Verständigung
und des Verstehens ausbauen. Das friedliche Zusammenleben von Menschen
unterschiedlicher Religionszugehörigkeit muss so selbstverständlich
sein, dass Bürger jüdischen Glaubens ohne Angst in Deutschland
ihre Heimat haben. Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung
von Minderheiten ist eine Sache der gesamten Gesellschaft. Wo nötig,
muss Antisemitismus mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates
auch von Polizei und Justiz bekämpft werden.
6. Bildung und Erziehung müssen bei ihrer Aufklärungsarbeit
in Familie, Schule und Gesellschaft die Fähigkeit vermitteln, Antisemitismus
in seinen vielfältigen Erscheinungsformen zu erkennen und ihm im
Alltag entgegenzutreten. Der herausragende Beitrag, den jüdische
Bürger zur Entwicklung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur in
Deutschland geleistet haben, muss stärker ins Bewusstsein gerückt
werden. Der Deutsche Bundestag unterstützt alle Initiativen, die
zur Vermittlung von Wissen über die deutsch-jüdische Geschichte
beitragen und deutlich machen, dass jüdische Kultur ein bedeutender
Teil unseres Landes war und ist.
7. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland
lehnt Antisemitismus entschieden ab. Sie weiß: Antisemitismus, Rassismus
und die Diskriminierung von Minderheiten vergiften das gesellschaftliche
Zusammenleben. Der Bundestag bekräftigt den Appell des Bundespräsidenten
Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985: 'Lassen Sie sich nicht hineintreiben
in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen, gegen Russen oder Amerikaner,
gegen Juden oder Türken, gegen Alternative oder Konservative, gegen
Schwarz oder Weiß. Lernen Sie miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Lassen Sie uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder
beherzigen und ein Beispiel geben. Ehren wir die Freiheit. Arbeiten wir
für den Frieden. Halten wir uns an das Recht. Dienen wir unseren
inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.'" ap
Frankfurter Rundschau, 12.12.2003
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