Kirchenamt der EKD informiert Gliedkirchen
über Mel-Gibson-Film
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will den
am 18. März in deutschen Kinos anlaufenden Film "The Passion
of the Christ" weder empfehlen noch skandalisieren. Dem Film des
Australiers Mel Gibson fehle theologische Tiefe, teilt das Kirchenamt
der EKD einem Schreiben an die 23 Gliedkirchen mit. Dadurch könne
die im Film gezeigte Brutalität daher nicht ausgeglichen werden.
Der Film eigne sich nicht für die Konfirmandenarbeit, heißt
es als Empfehlung an die Pfarrerinnen und Pfarrer in dem Schreiben. Wer
den Film mit Gemeindegruppen anschauen wolle, sollte ihn zuvor allein
angesehen haben, um dann einzuschätzen zu können, ob dieser
Grad an Brutalität zugemutet werden könne.
Außer diesen beiden konkreten Empfehlungen sucht
das Schreiben an die Gliedkirchen die theologische Auseinandersetzung
mit dem Gibson-Film. Obwohl der Film in den Sprachen zur Zeit der Kreuzigung
Jesu gedreht sei, und obwohl Gibson Authentizität beanspruche, biete
der Film keine "exakte Rekonstruktion des Ablaufes". Gibson
bade in einer Schmerzensmann-Frömmigkeit, die alles Gewicht auf die
Äußerlichkeit des Leidens Jesu lege. Damit werde das "Geheimnis
der Erlösung" nicht deutlich.
Hannover, 8. März 2004
Pressestelle der EKD
Christof Vetter
Nachfolgend das Schreiben des Kirchenamts der EKD an die Gliedkirchen:
Thesen zu Mel Gibson's Film "The Passion of the
Christ"
1. Trotz Latein und Aramäisch keine Authentizität
"Es ist, wie es war", soll Papst Johannes Paul II. über
den Film gesagt haben, was vom Vatikan umgehend bestritten wurde. Und
Billy Graham soll gesagt haben: "Der Film macht uns alle zu Zeitzeugen!"
Beides ist definitiv falsch. Mel Gibson ist zwar ein Authentizitätsfanatiker,
aber einer auf Holzwegen, denn mit keinem noch so eindrücklichen
aramäischen Originalton wird die Geschichte auch nur einen Millimeter
authentischer. Was wir von Jesu Sterben wissen, wissen wir aus der Bibel,
eine von seinen Auferstehungszeugen verfassten Erzählung, die zweifellos
Anhalt an der Geschichte hat, aber eben gerade nicht authentisch im Sinne
einer exakten Rekonstruktion des Ablaufes ist und auch gar nicht sein
will. Der Film kann - wie alle Darstellungen des Leidens Jesu Christi
- die Bibel illustrieren, darin auch interpretieren und inszenieren, aber
eben nicht authentisch sein. So entstehen dann auch historische Fehler
oder anachronistische Interpretationen: Die Kreuzigung wird historisch
insofern falsch dargestellt, als die Nägel durch die Hände getrieben
werden und nicht - wie es richtig wäre - durch Elle und Speiche vor
dem Handwurzelknochen. Und auf dem Weg nach Golgatha tritt eine Frau an
Jesu heran und reicht ihm ein Tuch, er drückt es sich in sein blutverschmiertes
Gesicht, - und fertig ist das Schweißtuch der Veronika.
2. So viel Gewalt braucht wirklich niemand ....
... um das Erlösungswerk Jesu Christi eindrücklich zu finden.
"Durch seine Wunden sind wir geheilt", wird Jesaja 53,5 zu Beginn
des Gibson-Filmes zitiert. Mel Gibson missversteht diesen Satz aber und
inszeniert ein grausiges, bluttriefendes Werk, das sich in den Schmerzen
des Erlösers weidet (M. Drobinski SZ "Weiden am Leiden").
Dahinter liegt ein missverstandener Sündenbegriff: Die Exzeptionalität
Jesu Christi liegt nicht in der Schwere seines Leidens oder in der besonderen
Härte seines Schicksals, denn man muss befürchten, dass viele
Menschen vor und nach ihm in noch viel grausamerer Weise malträtiert
worden sind. Das Geheimnis der Erlösung ist die Art der "Wunde",
die er getragen hat, nämlich die Sünde der Gottesferne. Gibson
aber badet in einer Schmerzensmann-Frömmigkeit, die alles Gewicht
auf die Äußerlichkeit des Leidens Jesu legt, so als könne
von Menschen verursachte Brutalität und Grausamkeit des Leidens Jesu
Christi die einzigartige Qualität des Erlösungswerkes Jesu Christi
steigern. Der Leidens- und Schmerzensweg Jesu ist aber zuerst Abbild und
Ausdruck der damals gewöhnlichen, römischen Menschenverachtung.
Wohl deswegen ist den Passionsgeschichten die Geißelung lediglich
einen Halbsatz wert, Mel Gibson macht daraus ein Viertel seines ganzen
Films.
3. Wer Antisemitismus sucht ....
Der Film von Mel Gibson bemüht sich auf seine etwas skurrile Weise
die These zu illustrieren, dass es nicht "die Römer" oder
"die Juden" waren, die Christus getötet haben, sondern
dass jeder Mensch durch seine Sünde mitverantwortlich ist. "Ich
bin's, ich sollte büßen" (EG 84,4), diese Paul-Gerhardt-Liedstrophe
zeigt jedenfalls die Intention des Filmes an. Natürlich wird jeder,
der entsprechende Sensoren mitbringt, manche Volksszenen, manche markanten
Gesichter, manche Schuldverteilung zwischen Pontius Pilatus und "den
Juden" für problematisch halten und als Wasser auf die Mühlen
des Antisemitismus verstehen können. Als Kirche distanzieren wir
uns von allem antisemitistischen Missbrauch des Filmes und verweisen darauf,
dass die evangelischen Kirchen seit der "Erklärung von Weißensee"
1950, den rheinischen Synodalbeschlüssen Anfang der 80er Jahren und
den EKD-Studien "Christen und Juden I-III, 1975-2000" deutlich
gemacht haben, dass Antijudaismus durchaus zur christlichen Schuldgeschichte
gehörte, dass die Kirchen heute aber entschiedene Gegner jeder Art
von Antisemitismus und Rassismus sind. Und fairer Weise muss man Mel Gibson
zubilligen, dass in seinem Film Römer und Juden gleichermaßen
schlecht wegkommen; "die Juden" werden nicht anders als "die
Römer" in ihrem Hass und ihrem Mitgefühl, in ihrer Brutalität
und ihrem Erbarmen, in ihrer Schaulust und in ihrer Hetzerei zumeist als
Individuen gezeigt, oft mit Namen kenntlich gemacht und selbst als namenlose
Soldaten erkennbar als einzelne Individuen inszeniert. Gibson will offensichtlich
doch zuerst die "Menschheitsschuld jedes einzelnen" am Tode
des Erlösers zeigen, nicht eine spezifisch jüdische Schuld.
4. Empfehlung
Der Film von Mel Gibson "The Passion of the Christ" sollte von
den Kirchen weder empfohlen noch "skandalisiert" werden, sondern
es sollte nüchtern gesagt werden, was der Film ist: eine auf die
letzten zwölf Stunden reduzierte Illustration der biblischen Passionsgeschichte,
der die theologische Tiefe fehlt, die seine Brutalität ausgleichen
könnte.
Der Film wird aufgrund seiner Grausamkeit vermutlich erst ab 16 Jahren
FSK freigegeben, eine völlig richtige Entscheidung, denn der Film
eignet sich nicht für die Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden.
Auch sollten Pfarrer und Pfarrerinnen erst dann mit Gemeindegruppen in
diesen Film gehen, wenn sie sich den Film zuvor allein angeschaut haben,
um dann einzuschätzen zu können, ob sie diesen Grad an Brutalität
ihrer jeweiligen Gemeinde zumuten können und wollen.
Siehe auch:
http://www.ekhn.de/info/themen/the_passion/predigtentwurf.htm
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