Hilfreich und problematisch zugleich
Zum EKD Papier "Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen"

von Friedhelm Pieper

Aus der Sicht eines seit vielen Jahren im interreligiösen Dialog engagierten Theologen habe ich das EKD Papier mit gemischten Gefühlen gelesen. Freudige Zustimmung über einzelne Passagen wechselte mit gespürtem Widerspruch und auch Enttäuschung angesichts anderer Teile der Studie.

Es erscheint zunächst als vielversprechender Ansatz, dass der Text nicht von einem allgemeinen Religionsbegriff ausgehen will, sondern von "der Eigenart und dem charakteristischen Profil" der jeweiligen Religion (S.2). Leider folgt das EKD Papier - abgesehen von dem schöpfungstheologischen Abschnitt (3.1.) - dieser Vorgabe nicht und entwickelt weitgehend die Perspektive einer generellen Gegenüberstellung von christlichem Glauben und "den anderen Religionen".

Zwar wird dabei auf die bisherigen Studien zum christlich-jüdischen Verhältnis und zum christlich-muslimischen Verhältnis verwiesen, aber die dort begonnenen konkreten Dialoge werden für den nun vorgelegten Text nicht fruchtbar gemacht. Dies wird besonders in dem zentralen trinitätstheologischen Abschnitt deutlich (3.). Zentrale Themen des christlich-jüdischen Dialogs, wie z.B. "der ungekündigte Bund" tauchen nicht auf, da im traditionellen trinitätstheologischen Schema der göttliche "Vater" als "Schöpfer" reduziert wahrgenommen wird. Demgegenüber gerät dann die biblische Erzählung vom Bundesschluss am Sinai in Vergessenheit, ebenso auch die Geschichte der göttlichen Anerkennung Abrahams als Urbild des Glaubens. Diese in den Heiligen Texten der Kirche vorhandenen konkreten Bezugsmöglichkeiten zum Judentum und zum Islam sollten aber zum Kernbestand des kirchlichen Zugangs zum Dialog vor allem mit seinen nächsten Nachbarreligionen gehören.

Ein ähnliches Problem stellt sich bezüglich des im traditionellen trinitätstheologischen Schema auf die Rechtfertigung des Sünders reduzierten Person Jesu Christi und seiner Funktion dar. Dieser eingeschränkten Perspektive gegenüber werden die Rolle Jesu als Rabbi und seine Wahrnehmung als Prophet nicht thematisiert, die doch gerade im interreligiösen Dialog von zentraler Bedeutung sind. Mit Blick auf das jüdische Verhältnis zu Jesus ("Ablehnung Jesu Christi", S. 15) fällt auf, das weder die christliche noch die jüdische Diskussion über Zugänge zum jüdischen "Nein" zu Jesus Christus Beachtung finden, noch werden aktuelle Versuche von jüdischer Seite, den christlichen Glauben und die Person Jesu Christi neu zu würdigen, berücksichtigt (vgl. dazu die jüdische Erklärung "Dabru Emet" vom September 2000). Gerade hier hätte man sich gewünscht, dass der Text seinem eigenen Ansatz, die jeweilige Religion von ihren eigenen Perspektiven her wahrzunehmen, stärker gefolgt wäre.

Eine besondere Stärke des Textes sind dagegen seine "Leitdifferenzierungen": "In der strikten Unterscheidung und Bezogenheit von Gott und Mensch . . . liegt der unverzichtbare und spezifische Beitrag der christlichen Kirchen zu dem notwendigen Gespräch mit anderen Religionen" (S. 2). Aus dieser Unterscheidung wird überzeugend jedem christlichen Absolutheitsanspruch eine Absage erteilt. Die biblisch begründete Wahrnehmung des Menschen als Geschöpf Gottes führt nach dem Text zu einer Grundsolidarität der Christen allen Menschen gegenüber, die sich in einem dementsprechenden christlichen Engagement für Menschenrechte und insbesondere für die Religionsfreiheit äußert.

Da Gott allen Menschen gnädig nahe sein will, können auch von christlicher Seite in anderen Religionen "Zeichen der schöpferischen Gegenwart Gottes" (S. 13) wahrgenommen und anerkannt werden. Im schöpfungstheologischen Abschnitt des Textes werden damit anschaulich mögliche Ansätze für den interreligiösen Dialog vorgestellt.

Christen können und sollen in der Begegnung mit anderen Religionen für die von ihnen erkannte Wahrheit eintreten. Da aber Wahrheit als "ein Ereignis" (S. 14), als von Gott geschenkte Wahrheit verstanden wird, sind auch christliche "Lehre, Lebensformen und -ordnungen . . . nicht die wahre Religion. Sie sind der Versuch, der Erfahrung der Wahrheit Gottes menschlich zu entsprechen" (S. 15). Diese auch im innerchristlichen Diskurs durchaus kritische Perspektive ist ausgesprochen hilfreich für den kirchlichen Zugang zum interreligiösen Dialog und zugleich ein elementar wichtiger protestantischer Beitrag zu diesem Dialog selbst.

Trotz dieser hilfreichen Unterscheidungen bleibt der Text weitgehend auf das den christlichen Glauben von anderen Religionen Trennende bezogen. Angesichts des im EKD Papier in wünschenswerter Klarheit dargestellten zutiefst ambivalenten Charakter jeder religiöser Strömung sollte niemand naiv in den interreligiösen Dialog eintreten. Leider aber führt dies in der Studie zu einem Kernsatz der Abgrenzung, der in seiner unmissverständlichen Klarheit wohl die Schlagzeilen in der öffentlichen Wahrnehmung des Textes bestimmen wird: "Die Idee einer der christlichen Ökumene vergleichbaren 'Ökumene der Religionen' ist deshalb als ein Irrweg anzusehen" (S. 19).

Diese Schlussfolgerung ist aber nicht zwingend mit Blick auf den Wahrheitsbegriff der Studie. Hier hätte man sich eine größere Offenheit gewünscht. Verhindert doch schon der innerchristliche Streit nicht notwendig die Weiterarbeit an dem Ziel einer größeren ökumenischen Gemeinschaft, ohne eine Vermischung der unterschiedlichen kirchlichen Traditionen anzustreben. So ist denn auch der Streit zwischen den Religionen kein zwingender Grund eine vielleicht mögliche, wachsende tiefere Gemeinschaft von Menschen aus unterschiedlichen Religionen von vornherein zu leugnen. Dem im Text vorgestellten Ereignischarakter der Wahrheit würde zudem auch eine größere Offenheit für das mögliche und heute vielleicht noch nicht erkennbare tiefere Verstehen und Zusammenfinden der Religionen entsprechen. Gerade hier hätte man sich gewünscht, dass der Text sich nicht allgemein auf "die anderen Religionen" bezogen hätte, sondern genauer unterschieden hätte, was zum Beispiel im Verhältnis zum Judentum und evtl. auch in anderen bilateralen Gesprächen in den letzten Jahrzehnten an besserem Verständnis gewachsen ist. Das muss nicht mit dem aus der kirchlichen Sprachwelt stammenden Begriff "Ökumene" benannt werden, wobei aber die Kirchen dafür offen bleiben können und sollten, Lernerfahrungen in der Ökumene ("versöhnte Verschiedenheit") auch für den interreligiösen Dialog fruchtbar zu machen.

Der interreligiöse Dialog steht erst am Anfang. Es ist noch nicht abzusehen, welche Art der Beziehungen die Kirche zu den unterschiedlichen Religionen wird entwickeln können. Wir sollten dabei die Möglichkeit einer Art von "ökumenischer" Gemeinschaft mit einigen oder mehreren der Religionsgemeinschaften nicht schon ausschließen, bevor wir im Dialog die mögliche Beziehung der christlichen Kirche zu einer Religionsgemeinschaft geklärt und tiefer verstanden haben. Dabei ist auch an ein Wort von Karl Barth zu erinnern, der die Beziehung der Kirche zum Judentum als die "große ökumenische Frage" bezeichnet hat. Dem Ereignischarakter der Wahrheit würden am ehesten eine Offenheit und eine Neugier entsprechen, sich als Christ im Vertrauen auf den Gott, der "allen Menschen gnädig nahe" sein will (S. 8), in die Begegnung mit den anderen Religionen einzulassen und im Dialog die notwendigen Klärungsprozesse voran zu bringen. Gemeinsame Feiern und Versuche von multireligiösen und interreligiösen Gebeten gehören zu diesem Prozess des Herausfindens, was wir uns gegenseitig bedeuten können. Da es hier um zentrale Glaubensäußerungen geht, sind solche Feiern und Gebete in der Tat sehr sorgfältig zu prüfen und vorzubereiten; darin ist dem Text ohne Frage zuzustimmen.

Die Arbeit an der Verbesserung der Beziehungen der Kirche zu den anderen Religionen wird sich am ehesten auf dem eigentlich von der Studie vorgeschlagenen Weg weiter entwickeln können: Die konkreten Beziehungen vor allem zum Judentum (mit dem die Kirche von Anfang an verbunden und in eine besondere Beziehung gestellt ist) und zum Islam (mit dem die Kirche gemeinsame, wenn auch in Teilen einander widersprechende Erzähltraditionen teilt) aber auch zu den asiatischen und den ethnischen Religionen sollte in entsprechenden bilateralen Gesprächen weiter geklärt und in multilateralen Zusammenkünften vertieft werden. Die vom EKD Papier zu Recht thematisierten Fragen des friedlichen Zusammenlebens sollten dabei ebenso eine zentrale Rolle spielen wie auch weitere gemeinsame ethische Herausforderungen u.a. im Bereich der Umweltrisiken, der Gentechnik, der Folgen ökonomischer Krisen, der Familienpolitik und des Umgangs mit alternativen Lebensformen.

Für diese Dialoge liefert der Text hilfreiche Unterscheidungen bezüglich eines aufgeklärten Religions- und Wahrheitsbegriffes. Es bleibt zu hoffen, dass er daher nicht zu sehr unter der vorherrschenden abgrenzenden Perspektive wahrgenommen wird und er so trotz einiger Grenzen dem Ziel dienen kann, dass sich der Rat der EKD mit seiner Veröffentlichung erhofft: "ein vertieftes Verständnis für den Umgang mit anderen Religionen zu wecken und zum notwendigen Dialog zwischen den Religionen zu ermutigen" (S. 2).

Pastor Friedhelm Pieper war bis März 2004 Generalsekretär des Internationalen Rates der Christen und Juden und ist jetzt Gemeindepfarrer in Obermörlen

zur Titelseite

zum Seitenanfang


Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
Pfr. U.Schwemer, Theodor-Storm Str.10, 64646 Heppenheim;
Tel: 06252-71270 / Fax: 06252-72606