Erklärung
der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag
zum Beitrag der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland:
"Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Theologische Leitlinien"


Die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim DEKT hat den Beitrag der Kammer für Theologie der EKD: "Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen" zur Kenntnis genommen. Sie sieht sich durch ihn zu folgender Erklärung herausgefordert:

1. In ihrer "Kundgebung zu Christen und Juden. 50 Jahre Erklärung von Weißensee vom 9. November 2000" hat sich die Synode der EKD ausdrücklich auf die Studien des Rates der EKD "Christen und Juden I-III" (1975, 1991 und 2000) und auf die Synodalerklärungen zahlreicher Gliedkirchen und gliedkirchlicher Verbände zur Neubestimmung ihres Verhältnisses zu Israel als Grundlage bezogen und führt von daher als ihren Glauben an, "dass Gott, der Schöpfer und Herr der Welt, in Jesus Christus ‚unser Vater', Israel als sein Volk erwählt hat. Er hat sich für immer an Israel gebunden und bleibt ihm in Kontinuität von biblischem Israel und jüdischem Volk treu. Die Jüdinnen und Juden sind uns Zeugen der Treue Gottes." Und weiter heißt es: "Unsere Erwählung in Christus ist Erwählung durch denselben Gott, der sein Volk Israel erwählt hat." Die Kundgebung gibt damit einem in den letzten Jahrzehnten in den evangelischen Landeskirchen der Bundesrepublik Deutschland gewachsenen Konsens Ausdruck: Es geht bei der Frage des Verhältnisses der Kirche zum Judentum nicht um ein Randthema, auf das gegebenenfalls verzichtet werden könnte, sondern um die für das eigene Selbstverständnis grundlegende Mitte des Glaubens, weil Gott, an den sie durch Jesus Christus glaubt, in seiner Treue Israels Gott ist und bleibt.


Diesen Konsens sieht die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim DEKT durch den Beitrag der Kammer für Theologie radikal in Frage gestellt. Sie kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die in dem Prozess der Neuorientierung gegenüber dem Judentum gewonnenen Einsichten gezielt wieder aus dem kirchlichen Bewusstsein hinausgedrängt werden sollen. Die drei Studien "Christen und Juden" werden dort nur eben erwähnt und als "Ansätze" charakterisiert, die einer "sie ergänzenden, sich auf die Fundamente richtenden Perspektive" bedürften (S. 7). Mit dem, was die Studien ausführen, kommen sie in dem Beitrag aber nicht einmal ansatzweise zum Zuge. Gegenüber dem Judentum wird nur an einer einzigen Stelle hinsichtlich des Schöpfungsglaubens "eine große Übereinstimmung" konzediert (S. 12). Im Übrigen wird es ganz und gar in die nichtchristlichen Religionen eingeebnet. Dass die Kirche zum Judentum in einer besonderen Beziehung steht, dass Gott ein Israel treuer Gott ist, gilt hier nicht als fundamental. Davon wird vielmehr dezidiert abgesehen. Der Rat muss sich fragen lassen, was in der EKD gelten soll.

2. Es ist erstaunlich, dass der Beitrag der Kammer für Theologie ohne jeden Bezug auf die Bibel auskommt. Angesichts dessen, was der Beitrag ausführt, ist es vielleicht auch wieder nicht erstaunlich. Als theologischer Ausgangspunkt gilt ihm das "Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders"; Christen erfahren die "heilsame Zuwendung Gottes zur Menschheit in der Geschichte Jesu Christi" (S. 8). Diese Aussagen werden nicht biblisch-geschichtlich entfaltet. Biblisch lässt sich "die Geschichte Jesu Christi" nicht von der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel lösen. Der Zusammenhang des Evangeliums mit dieser Geschichte bildet im Neuen Testament die Grundlage. Es beschreibt Gottes Nähe und Vergebung in Jesus Christus, die Basis der Rechtfertigungslehre, mit Worten der jüdischen Bibel, ist also untrennbar damit verbunden, was Israel glaubte und glaubt, hoffte und hofft. So muss gefragt werden: Was taugt eine Fundamentierung, die von grundlegenden biblischen Zusammenhängen absieht? Die fatalen Konsequenzen dieses Absehens zeigen sich in den weiteren Ausführungen.

3. Im Beitrag der Kammer für Theologie werden in spezifisch christlicher Tradition "Theologische Leitlinien" in trinitarischer Entfaltung gegeben. Dagegen ist selbstverständlich nichts einzuwenden. Aber bei der ersten Entfaltung fällt die Beschränkung auf einen einzigen Aspekt auf, "dass alle Menschen Gottes Geschöpfe sind". Die gegenüber dem ersten Artikel der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse gerade durch die Rückbesinnung auf die Bibel gewonnene Einsicht, dass Gott eine besondere Geschichte mit seinem Volk Israel hatte und hat, ist damit auch hier ausgeblendet.

4. Die christologische Entfaltung rückt ebenfalls nur einen einzigen Aspekt ins Blickfeld, indem sie alles, was hier zu sagen ist, auf den Begriff "Wahrheit" bringt. "Nach christlichem Verständnis ereignet sich die Wahrheit in der Offenbarung des lebendigen, von der Sünde errettenden Gottes in Jesus Christus" (S. 14). Von daher wird "ein Gegensatz zu anderen Religionen" gesehen, die "Jesus Christus nicht als Ereignis der Wahrheit anzunehmen vermögen… Die bleibend schmerzende Urform dieses Gegensatzes ist die Ablehnung Jesu Christi als entscheidendes, Menschen errettendes Ereignis der Wahrheit im Judentum" (S. 14). Von dem so zugespitzten Wahrheitsbegriff her ergibt sich ein Gefälle auf Judenmission. Demgegenüber ist daran zu erinnern, dass das Wort der hebräischen Bibel für "Wahrheit" (emét), das oft auch hinter dem entsprechenden griechischen Wort im Neuen Testament steht, zugleich den Aspekt der Treue enthält. Das Ereignis der Wahrheit Gottes in Jesus Christus muss daher mit Gottes Treue zu seinem Volk Israel zusammen bedacht und darf nicht davon isoliert werden.

5. Die den dritten Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses betreffende Entfaltung konzentriert sich ebenfalls auf einen einzigen Begriff, nämlich den des Evangeliums, und nimmt unbesehen eine Entgegenstellung vor, die eine für das Judentum schlimme Wirkungsgeschichte hatte: Inspiriert vom Heiligen Geist prägten Christen das gesellschaftliche Zusammenleben "mit dem Evangelium und nicht mit dem Gesetz" (S. 17). Diese Entgegensetzung von Evangelium und Gesetz ruft implizit alte Unterstellungen gegen das Judentum hervor. Das irritiert umso mehr, als der Beitrag der Kammer für Theologie mehrfach die Menschenrechte hervorhebt, die doch eine wesentliche Wurzel in Israels Tora haben. Der sich in diesem Zusammenhang findende Satz: "Gott lässt sich seine Geliebten nicht durch die menschlichen Religionen wegnehmen" (S. 18) muss im Blick auf das Judentum als ungeheuerlich bezeichnet werden.

Die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim DEKT fragt daher, ob nicht mit dem Beitrag der Kammer für Theologie das Reden der EKD gegenüber dem Judentum zweideutig geworden ist. Das Verhältnis der Kirche zum Judentum verträgt aber keine Zweideutigkeit.

Für die Arbeitsgemeinschaft: Prof. Dr. Klaus Wengst, Bochum

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