Die letzten Rotschöpfe
Die jüdische Gemeinschaft Irlands wird immer kleiner
von Peter Bollag

Der 16. Juni ist für James Joyce-Fans ein großer Tag: "Bloom's Day". Die echten "Bloom's", die Jüdinnen und Juden der kleinen Gemeinde Irlands, sind im Gegensatz zur literarischen Figur nicht unsterblich.

Dublin, Clanbrassil-Street ist das einstige jüdische Viertel der irischen Hauptstadt, auch "Little Jerusalem" genannt. Hätte nicht auch das kleine aber feine jüdische Museum hier seinen Sitz, es gäbe kaum noch Zeichen einer jüdischen Präsenz. Das Museum hat kein geringerer als der damalige israelische Staatspräsident Chaim Herzog anläßlich seines Irlandbesuches 1985 eröffnete. Für Herzog, der in Belfast zur Welt kam, war dies quasi ein Heimspiel, denn der Sohn eine Rabbiners hatte seine spätere Jugend in eben diesem Viertel verbracht.

Zur Blütezeit der jüdischen Besiedlung der Grünen Insel um die Jahrhundertwende sah dieses Viertel so aus wie viele andere auf der Welt. Kleine Einfamilienhäuser, in denen jüdische Familien lebten, Metzgereien, Synagogen und Betstuben prägten das Straßenbild. Irgendwo in diesem Viertel, das dank schicker Umbauten mittlerweile als Wohnlage "in" ist, gibt es eine kleine, leicht zu übersehnde Erinnerungstafel an einen Mann, der nie gelebt hat, und dennoch weltberühmt ist. Die Rede ist von Leopold Bloom, der Hauptfigur in James Joyces Roman Ulysses. Joyce läßt seinen Bloom, nach halachischen Richtlinien wegen seiner nichtjüdischen Mutter gar kein Jude, am 16. Juni 1904 durch Dublin spazieren. Und konfrontiert ihn dort neben vielem anderem auch mit einem Antisemitismus katholischer Herkunft.

Die kleine jüdische Gemeinschaft im Jahre 2004 zählt den Judenhaß vermutlich nicht zu ihren größten Sorgen - auch wenn das jüdische Museum einige Beispiele dokumentiert. Assimilation und Abwanderung sind heute schon eher die Gefahren. Beides hat inzwischen dafür gesorgt, daß heute von den rund fünftausend Juden, die vor dem Ersten Weltkrieg auf der Grünen Insel lebten, nur noch knapp tausendzweihundert übriggeblieben sind. Sichtbares Zeichen dieser Entwicklung war die Schließung der prächtigen Synagoge am Dubliner Kanal. Heute beherbergt das ehemalige Gotteshaus Büros und - Ironie der Geschichte - flattert am Nebengebäude die Fahne der palästinensischen Vertretung.

Das jüdische Dublin kann schon längst nicht mehr mit der nur eine halbe Flugstunde entfernten de facto-Nachbarstadt Manchester in England konkurrieren, wo man jüdische Iren häufiger antrifft als in Dublin und das sich immer mehr als jüdischer "Magnet" erweist.

Seit einigen Monaten ist allerdings auch wieder ein gewisser Optimismus der Verbliebenen zu spüren. Etwa bei Rechtsanwalt Carl Nelkin. Der Mitvierziger hat eine CD mit jiddischen und irischen Liedern aufgenommen und ist sich sicher, daß die höhere Lebensqualität und der steigende Lebensstandart in seiner Heimat auch Anreize sind, Jüdinnen und Juden aus anderen Staaten ins Land zu holen - und zwar nicht nur aus dem Osten des Kontinents. Nelkin ist nicht allein mit seiner Haltung. Auch der lubawitscher Rabbiner Zalman Lenter ist der Ansicht, Irland bleibe ein Punkt auf der jüdischen Weltkarte und entsprechend richtet er seine Tätigkeiten aus.

In jeden Fall ist die Existenz der jüdischen Gemeinschaft auf der Insel mehr als nur eine Fußnote der irischen Geschichte. Die wies zahlreiche jüdische Iren auf, die eben diese Geschichte schrieben: etwa die beiden (jüdischen) Bürgermeister von Dublin und Cork, Briscoe und Goldberg. Oder Minister Melvyn Taylor, der es sich zur Aufgaben gemacht hatte, im katholischen Irland die Ehescheidung zu legalisieren. Was ihm in einer denkwürdigen Volksabstimmung auch gelang, ohne daß antisemitische Zwischentöne zu hören gewesen wären.

Worüber sich vermutlich auch Leopold Bloom freuen würde - wenn er denn je gelebt hätte.

Jüdische Allgemeine, 17.6.2004

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