Das Holocaust-Museum von Budapest
von Richard Chaim Schneider
Das am 15. April feierlich eröffnete Holocaust-Museum
in Budapest ist das fünfte seiner Art weltweit und das erste in Osteuropa.
Doch die Eröffnung geriet aus ganz anderen Gründen in die internationalen
Schlagzeilen: Die ungarische Polizei hatte rechtzeitig einen Anschlagsplan
aufgedeckt. Zuerst hieß es, es sei ein Attentat auf den Ehrengast,
Israels Präsidenten Mosche Katzav, geplant gewesen. Später korrigierte
die Polizeiführung, der geplante Anschlag habe nicht Katzav, sondern
dem Holocaust-Museum selbst gegolten. Ungarn verweist gerne und stolz
auf sein neues Holocaust-Museum und meint, damit habe es den Beweis erbracht,
seine Vergangenheit ganz im Sinne des westlichen Verständnisses von
Political Correctness aufzuarbeiten. Doch der Schein trügt. Die Entstehungsgeschichte
des Museums ist ebenso bizarr wie seine Konzeption und zeigt, wie schwer
sich Ungarn nach wie vor damit tut, seiner Verantwortung am Holocaust
gerecht zu werden.
Als vor etwa zwei Jahren das so genannte Haus des Terrors
mit großem Pomp in einem Gebäude in der Andrássy út,
der weltberühmten Prachtstraße Budapests, eröffnet wurde,
hagelte es bereits massive Kritik aus dem In- und Ausland. Das Haus hatte
einst der ungarischen Gestapo und später der ungarischen Stasi als
Hauptquartier gedient. Maria Schmidt, die Direktorin des Museums, hatte
im Auftrag der damaligen rechtskonservativen Fidesz-Regierung unter Ministerpräsident
Viktor Orbán ein Konzept erarbeitet, das sofort abgesegnet wurde.
Während draußen, auf dem Dach des Hauses, ein Pfeilkreuz in
gleicher Größe und also gleichwertig neben dem roten Stern
prangt, widmet das Terror-Haus-Museum gerade mal einen seiner 25 Räume
der Geschichte des Regimes von Miklós Horthy, der mit dem "Dritten
Reich" kollaborierte, und der den Nationalsozialisten nahe stehenden,
seit 1944 regierenden Bewegung der "Pfeilkreuzler".
Zentraler Bestandteil der Ausstellung im Terror-Haus,
die sich mit vielen multimedialen Elementen in vollendetem Design präsentiert,
ist ein alter sowjetischer Panzer vom Typ T 63. Dahinter sind, auf einer
vom Parterre bis zum dritten Stock hinaufreichenden Wand, Bilder Hunderter
von Menschen zu sehen, die Opfer des kommunistischen Terrors wurden. Aus
Sicht der Konservativen, so die eindeutige Botschaft, ist ganz Ungarn
Opfer des Sowjetkommunismus gewesen.
Der anhaltende Protest gegen diese einseitige Lesart ungarischer
Geschichte verschreckte die Regierung Orbán derart, dass sie den
Weg für das Holocaust-Museum frei machte. Es besteht aus drei Teilen:
aus den neu gebauten, unterirdischen Ausstellungsräumen, der wunderbar
renovierten Synagoge in der Pava utca aus dem 19. Jahrhundert sowie einer
schwarzen Gedenkwand im Hof, auf der bislang nur die Namen einiger der
rund 600000 ungarischen Holocaust-Opfer eingraviert sind. Die gesamte
Architektur mit ihren schrägen und "einstürzenden"
Wänden erinnert stark an das Holocaust-Museum in Berlin; der hellbeige
Sandstein weckt gewollte Assoziationen mit Jerusalem und der Gedenkstätte
Jad Vaschem.
Wie damals am Haus des Terrors entzündete sich jetzt
auch am Holocaust-Museum scharfe Kritik. Die Pava utca, wo sich das Gebäude
befindet, ist eine enge Seitenstraße außerhalb des Stadtzentrums.
Es gibt keine Parkmöglichkeiten für Besucher, und man muss von
der Existenz des Museums schon wissen, sonst würde es niemanden in
diese trostlose Ecke der Stadt verschlagen. Mit der Platzierung, so die
Kritik, werde der Holocaust nicht in die Mitte der ungarischen Gesellschaft
geholt, sondern an den Rand gedrängt. Imre Kertesz, Literaturnobelpreisträger
und Auschwitz-Überlebender, hatte seine Teilnahme an der Eröffnung
aus diesem Grunde abgesagt. Dass der Holocaust mit einer Synagoge, also
mit dem jüdischen Glauben, verbunden werde, findet Kertesz, wie viele
andere Juden in Ungarn und im Ausland, skandalös. Der Holocaust sei
eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit und keine Frage des Judentums,
schon gar nicht der jüdischen Religion.
Für viel Unmut sorgt, dass im Holocaust-Museum derzeit
nichts über den Antisemitismus im Ungarn der zwanziger und dreißiger
Jahre zu erfahren ist, nichts über die Ära Horthy und die Zeit
der Pfeilkreuzler. Das alles, heißt es, soll noch kommen. Es war
der neuen sozialistischen Regierung aus Prestigegründen wichtiger,
das Museum im April pünktlich zum 60. Jahrestag des Beginns der Deportation
ungarischer Juden aus Budapest einzuweihen, als abzuwarten, bis eine seriöse
ständige Ausstellung eingerichtet würde.
Dennoch erklärte Bundespräsident Johannes Rau,
der eine Woche nach der Eröffnung zu Gast war, er hoffe, die Budapester
Gedenkstätte würde als Institution eine gewisse "Ausstrahlung"
auf die anderen osteuropäischen Länder entwickeln. Er wünsche
sich, dass die Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung im Osten in
der erweiterten Europäischen Union neue Impulse erhalte.
Die Zeit, 3.6.2004
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