Größtes Ghetto
Das "Olga-Document": Israels kritische Linke formiert sich
von Joseph Croitoru

Die israelische Linke wollen deren Wortführer jetzt stärken. Sie haben sich unlängst bei einem Treffen in der israelischen Küstenstadt Givat Olga auf eine resolute Erklärung geeinigt, die noch schärfer formuliert ist als jene der 2003 ins Leben gerufenen israelisch-palästinensischen Genfer Initiative, um die es inzwischen stiller geworden ist. In der neuen Erklärung, die von rund hundert israelischen Intellektuellen unterzeichnet wurde - unter ihnen vor allem Hochschullehrer, aber auch freie Publizisten und Künstler -, wird ein besonders kritischer Ton angeschlagen. Im "Olga-Document", wie die nun auch im Internet zugängliche Stellungnahme genannt wird, zieht man eine kritische Bilanz der Geschichte Israels. Der Staat, so die Autoren, der den Juden ursprünglich Schutz bieten sollte, sei zu einer Falle geworden, die, statt Sicherheit zu garantieren, mittlerweile das größte Ghetto in der Geschichte des Judentums darstelle. Auch die Kritik am Staatscharakter ist ungewöhnlich scharf: Statt der angestrebten weltoffenen Demokratie habe sich Israel zu einem kolonialistischen Gebilde entwickelt. Man spricht von Apartheid, brutaler Militärbesatzung und Willkürpolitik. Ständig Kriege zu führen sei mittlerweile zu einer Droge geworden. Die Führung gebärde sich rassistisch, verlasse sich nur noch auf die Feuerkraft. Nach außen hin befürworteten Israels Politiker zwar die Gründung eines palästinensischen Staates, beschwörten aber gleichzeitig das demographische Schreckbild einer Überfremdung durch die Araber und setzten ihre rücksichtslose Besatzungspolitik fort.

Die Unterzeichner plädieren für eine friedliche Koexistenz, die auf gegenseitiger Anerkennung, Partnerschaft und der Wiederherstellung historischer Gerechtigkeit gründe. Voraussetzung hierfür sei ein Ende der Besatzung sowie die Anerkennung des Rückkehrrechts der Palästinenser. Aber die Verfasser wollen nicht nur als Gegner der Besatzung gesehen werden. Vielmehr hoffen sie auf eine öffentliche Diskussion über die Gesamtlage und die nach ihrer Ansicht herrschende Orientierungslosigkeit im Land. Von rechter Seite sind sie heftigen Angriffen ausgesetzt. In der Zeitung "Maariv" hält man diese Intellektuellen schlicht für "Fanatiker", die Israels Ansehen schädigten. Kritik an der palästinensischen Seite werde ausgespart. In Wahrheit, so der Kommentator Dror Ben Jemini, kranke der postkoloniale Diskurs der Intellektuellen daran, daß sie selbst die Araber bevormundeten, die sie für ihre Fehler nicht verantwortlich machten und die den Schwarzen Peter immer nur den Israelis und dem Westen zuschöben. Daß solche staatsfeindlichen Äußerungen von gestandenen Universitätsdozenten kommen, ist für Ben Jemini ein Skandal. Umstritten ist die Olga-Erklärung jedoch auch in linken Kreisen. Manch einem geht der Text zu weit, andere hingegen hätten ihn gerne noch radikaler formuliert.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.08.2004
Wortlaut des Dokuments in englischer Sprache www.ariga.com/treaties/olga.shtml

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