Zur Hochzeit nach Zypern
Ehewillige Israelis, die nach orthodoxen Kriterien nicht als Juden gelten,
müssen im Ausland heiraten
von Gemma Pörzgen
Im Flur hängt ein riesiges Hochzeitsfoto. Darauf
lächelt ein gut aussehendes Paar in die Kamera, als posiere es für
einen Werbeauftritt. Die 22-jährige Olga und ihr Mann Jewgenij sind
stolz auf das Bild und holen ein Album mit weiteren Fotos. Ihre Zweizimmerwohnung
im Tel Aviver Vorort Bat Yam ist schlicht und altmodisch. Es gibt russischen
Tee und Kekse. "Als Schülerin habe ich in einem Restaurant gejobbt,
in dem jede Woche die schönsten Hochzeiten gefeiert wurden",
erinnert sich Olga. "Schon damals träumte ich davon, auch einmal
so eine Braut zu sein." Doch die Fotos täuschen. Die Hochzeitsträume
der beiden zerplatzten an der israelischen Wirklichkeit, die romantischen
Bilder entstanden wie zum Trost.
Olga und Jewgenij waren Anfang der 90er Jahre mit ihren
Familien als russische Juden nach Israel eingewandert. Auf einer Geburtstagsparty
hatten sich beide kennen gelernt und bald beschlossen zu heiraten. Die
Traumhochzeit schien nah, doch dann kam die Ernüchterung. Das orthodoxe
Rabbinat, in Israel für alle Eheschließungen zuständig,
verweigerte die Heirat. Da Jewgenijs Mutter Russin ist, gilt er trotz
des jüdischen Vaters vor dem Rabbinat als Nichtjude und hat deshalb
kein Recht auf eine religiöse Zeremonie. Eine Zivilehe gibt es aber
in Israel nicht. "Für uns war das ein riesiger Schock",
erinnert sich Jewgenij, "ich ging damals zum Militär, um meiner
neuen Heimat zu dienen, und plötzlich war ich ein Mensch zweiter
Klasse." Die Familie habe dies als tiefe Kränkung erlebt. Sich
dem aufwändigen Prozess einer Konvertierung nach orthodoxem Ritus
zu unterwerfen, dazu war Jewgenij nicht bereit.
Wie Olga und Jewgenij ergeht es vor allem vielen unter
den mehr als eine Million Einwanderern aus der früheren Sowjetunion.
Es kamen so viele russische Juden ins Land, dass sich der Anteil von Juden
in der Gesamtbevölkerung deutlich erhöhte. Der Staat Israel
hieß die Neuankömmlinge schon deshalb willkommen. Für
das Recht auf Einreise reichte in vielen Fällen ein jüdischer
Großvater aus.
Doch orthodoxe Rabbiner verweigern vielen Neuankömmlingen
die Anerkennung als Juden. Nach dem religiösen Recht (halakha) gilt
nur als Jude, wer von einer jüdischen Mutter abstammt. In der früheren
Sowjetunion galt dagegen als Jude, wer einen jüdischen Vater hatte,
und dies wurde im sowjetischen Pass als Nationalität vermerkt. Die
religiöse Tradition blieb unter der kommunistischen Herrschaft ohnehin
verboten und unterdrückt. Schätzungen von Aktivisten für
die Zivilehe gehen davon aus, dass rund 300 000 Israelis nicht im eigenen
Land heiraten können.
Für Jewgenij und Olga gab es wie für viele Paare
nur noch einen Ausweg: im Ausland heiraten. Laut Statistik entschieden
sich im vergangenen Jahr 3586 Israelis dafür, sich außerhalb
des Landes das Ja-Wort zu geben. Im Ausland geschlossene Zivilehen werden
in Israel nach internationalem Recht anerkannt.
Zeremonie in zwei Minuten
"Wir flogen also nach Zypern, weil das am nächsten
ist", erzählt Jewgenij und legt ein Video ein, das die kurze
Trauung zeigt. "Wir hatten sehr wenig Geld und mussten uns verschulden,
um die 2000 Dollar für die Reise aufzubringen." Auf dem wackeligen
Videofilm steht Olga im weißen Spitzenkleid neben ihrem Jewgenij
im tristen Büro eines zypriotischen Beamten, der nur sehr gebrochen
Englisch spricht. "Wir haben ihn kaum verstanden", sagt Jewgenij
traurig. Nach zwei Minuten waren die beiden verheiratet. Das Schlimmste
sei gewesen, danach ganz allein und verloren im fremden Land auf der Straße
zu stehen. "Wir konnten unser Glück ja mit niemandem teilen",
sagt Olga. "Ich habe dann aus der Telefonzelle meine Mutter angerufen,
um ihr zu sagen, dass ich verheiratet bin, und sie ist in Tränen
ausgebrochen."
Seit seiner eigenen misslungenen Hochzeit setzt sich das
Paar nun auch politisch für die Zivilehe ein und unterstützt
aktiv die Arbeit der Bürgerinitiative "Hemdat", die mit
26 anderen Organisationen in Israel für das Recht auf eine Zivilehe
kämpft. Doch eine Änderung ist bislang nicht in Sicht. Erst
im März stimmte die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament gegen
den Versuch, zwei Gesetzentwürfe zur Zivilehe einzubringen.
"Das ist schwer zu lösen", weiß Segev
aus den langen Jahren des Kampfes für eine Trennung zwischen Religion
und Staat. Die Aktivistin sitzt zusammen mit Rabbinern und Juristen in
einer Kommission, die schon lange versuchen, einen Kompromiss zu erzielen.
"Es ist ein großer Konflikt der Werte", sagt Segev. Das
orthodoxe Rabbinat fürchte, dass durch "Mischehen" der
jüdische Charakter des Staates verloren gehe.
Da Israel 1948 als "Heimatland für die Juden"
gegründet wurde, unterzeichnete der Staatsgründer und erste
Ministerpräsident David Ben-Gurion ein Dokument, dass dem orthodoxen
Rabbinat die Oberhoheit über Ehe und Scheidung zusprach. "Das
war damals zunächst kein Problem", erläutert Segev die
Geschichte. Die Zahl nichtgläubiger Juden war noch sehr klein. "Aber
die Realität ändert sich, und sie sind nicht bereit, ihre Gesetze
anzupassen", rügt Segev. Die Bürgerrechtlerin hat ihr Büro
in einer Reform-Synagoge mitten in Jerusalem. Auch eine hier geschlossene
Ehe wird vom Innenministerium nicht anerkannt. Dieses Privileg genießen
allein die Orthodoxen. Dabei sank nach Angaben des israelischen Zentralbüros
für Statistik die Zahl der Hochzeiten vor dem Rabbinat von 1974 bis
1994 um etwa ein Fünftel, obwohl sich die israelische Bevölkerung
im gleichen Zeitraum verdoppelte.
Segev bleibt optimistisch. Sie vergleicht ihren zähen
Kampf mit dem Einsatz für die "Homo-Ehe" in Europa. Das
sei ein ähnlich schmerzhafter Wertekonflikt, über den auch erbittert
gestritten werde. Doch mit einer "Salami-Taktik" werde sich
beides auf Dauer sicher durchsetzen, ist Segev überzeugt. "Umfragen
zeigen, dass knapp 70 Prozent der Israelis die Wahl haben wollen",
sagt Segev. Unter den russischen Einwandern seien es sogar 93 Prozent.
Im Herbst soll die "Zivilehe" in der Knesset wieder auf die
Tagesordnung kommen, und "Hemdat" setzt auf gezielte Lobbyarbeit
unter den Abgeordneten.
Halb zu Hause, halb woanders
Bis die Dinge sich ändern, muss aber die Hochzeitsreise
ins Ausland nicht mehr so trist ausfallen wie bei Jewgenij und Olga. Die
israelische Reisebranche hat reagiert. Unter den Rubriken "Heiraten
im Ausland", "Hochzeit in Prag" wimmelt es in russischsprachigen
Zeitungen an Kleinanzeigen. Längst ist rund um die Auslandshochzeit
ein lukrativer Geschäftszweig entstanden.
Inna Barzelay arbeitet für einen Touristikveranstalter,
der seit zwei Jahren solche Hochzeitsreisen organisiert. Reiseziele sind
vor allem die nahe gelegene Insel Zypern, aber auch Tschechien oder Bulgarien.
"Die Wünsche sind sehr individuell", sagt Barzelay. So
können Paare für 616 Dollar pro Person frühmorgens nach
Zypern fliegen und frisch verheiratet am Abend heimkehren. "Es sind
nur 40 Minuten Flug, und das Wetter ist wie bei uns in Israel. Da ist
man dann halb zu Hause und halb woanders", wirbt Barzelay. Im sonnigen
Ferienort Larnaca ist dafür gesorgt, dass das Paar einen ungestörten
Tag am Strand verlebt und sich nicht um den Papierkram kümmern muss.
"Der Bürgermeister verheiratet im Rathaus die Brautleute, und
es wird Mendelssohn dazu gespielt, damit auch die richtige Stimmung aufkommt",
verspricht die Reisekauffrau. Wer mehr Geld ausgeben will, kann auch mit
der ganzen Familie drei Tage nach Prag reisen und sich in einem Schloss
das Ja-Wort geben.
Frankfurter Rundschau, 19.5.2004
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