Das Tote Meer schrumpft rasant
Ein gigantischer Friedenskanal soll das tiefst gelegene Gewässer
der Erde vor dem Austrocknen retten
von Wolfgang Silvanus
Anwohner und Touristen am Toten Meer leben gefährlich:
Immer wieder öffnet sich unter ihren Füßen die Erde. Mitte
2002, erinnert sich Abdel Rahman Sultan vom jordanischen Büro der
Umweltorganisation Friends of the Earth Middle East (FoEME), trat am jordanischen
Ufer des Gewässers ein Esel einen mächtigen Krater ein, wenige
Meter vom Haus seines Besitzers entfernt. Auf der israelischen Seite versanken
Autos, und im Ort Tamar mussten die Behörden bereits vor einigen
Jahren einen Campingplatz schließen. An Israels Uferstreifen bildeten
sich bislang etwa 1000 solcher Dolinen, auf jordanischer Seite zirka 30.
Die größten davon sind rund 40 Meter breit und 20 Meter tief.
Sie seien, meint der israelische FoEME-Direktor Gidon
Bromberg, "die Rache des Toten Meeres für die Umweltsünden
seiner Anwohner". Diese häufen sich in jüngster Zeit. Insbesondere
graben die Anrainerstaaten Israel und Jordanien dem größten
Salzsee der Welt zunehmend das Wasser ab. "Industrie, Hotels und
Landwirtschaft nehmen, so viel sie können", klagt Bromberg.
"Geht dieser unkontrollierte Wettbewerb weiter, kollabiert das Ökosystem
des Gewässers."
Noch 1930 strömten jährlich 1300 Millionen Kubikmeter
Wasser in das Tote Meer. Heute sind es weniger als 400 Millionen. Speziell
vom Jordan, dem größtem Zufluss, bleibt nach den Ausleitungen
nur ein armseliges Rinnsal. Aus dem Salzsee selbst verdunsten aber pro
Jahr etwa 1050 Millionen Tonnen. Rund 30 Prozent davon gehen auf das Konto
von Chemiefirmen, die im Südteil des Gewässers in riesigen Verdunstungsbecken
Mineralsalze - darunter das Leichtmetall Magnesium auch für deutsche
Autofirmen - gewinnen.
Als Folge fällt sein Wasserspiegel alljährlich
um mehr als einen halben Meter. "Parallel zur Abnahme des Zustroms
sank der Pegel seit 1950 um über 25 Meter", erklärt der
Geologe Ittai Gavrieli vom Israel Geological Survey. "Erst wenn er
um weitere 100 Meter fällt, wird die Oberfläche so klein, dass
sich Zufluss und Verdunstung die Waage halten." Ändert sich
die Situation nicht, dürfte dies in etwa 200 Jahren so weit sein.
Vom Toten Meer ist dann nur ein kleiner See aus konzentrierter Salzlake
übrig.
Rettung für das bedrohte Gewässer soll nun der
"Friedenskanals" bringen - ein über 320 Kilometer langer
Aquädukt, der Wasser vom Roten ins Tote Meer leitet. Die Idee dieses
"Peace Conduit" hatten Israels Ex-Außenminister Shimon
Peres und Jordaniens damaliger König Hussein schon Mitte der 90er-Jahre
entwickelt. Jetzt wollen die Regierungen beider Länder das Projekt
ernsthaft anpacken: Beim Welt-Nachhaltigkeitsgipfel im September 2002
im südafrikanischen Johannesburg verkündeten sie ihre Absicht,
das vier Milliarden Dollar teure Bauwerk gemeinsam zu realisieren. Seither
drücken die Politiker aufs Tempo. "Wir können nicht jahrelang
auf eine Lösung warten, deshalb wollen wir das Projekt rasch evaluieren.
Es wird zur politischen Stabilisierung in der Region beitragen",
sagt Israels früherer Umweltminister Tzachi Hanegbi, der nach der
Wahl im Februar das Sicherheitsministerium übernahm. Die Planungen
gründen sich auf eine im Frühjahr begonnene Studie über
mögliche politische und ökologische Auswirkungen des Kanals;
ihr erster Teil soll bis Ende 2003 vorgelegt werden.
Auch die Jordanier setzen große Hoffnungen in den
im Jargon der Planer "Red-Dead-Canal" genannten Aquädukt.
"Wer über Frieden redet, muss über Wasser reden",
meint Zafer al-Alem, Generalsekretär der Jordantal-Behörde des
Landes. Der Kanal ermögliche, das Wasserdefizit seines Landes langfristig
zu kompensieren.
Der Bau des Friedenskanals ist eine herkulische Aufgabe.
Er soll pro Jahr 1900 Millionen Kubikmeter Wasser ins Tote Meer leiten.
Die Entnahmestation liegt am Golf von Akaba am Roten Meer. Um eine Hügelkette
im Hinterland zu überwinden, wird das Nass zunächst auf 220
Meter Höhe gepumpt. Danach strömt es etwa 600 Meter in die Tiefe,
bis es das Oberflächen-Niveau des Toten Meeres erreicht: Es ist mit
417 Meter unter dem Meeresspiegel der tiefste kontinentale Punkt der Erde.
Das Gefälle lässt sich zur Stromerzeugung nutzen,
550 Megawatt wollen die Ingenieure herausholen. Ein großer Teil
davon wird für die Pumpstationen bei Akaba benötigt werden.
Die restliche Energie könnte zur teilweisen Entsalzung des im Kanal
herangeführten Meerwassers dienen. Bis zu 850 Millionen Kubikmeter
Süßwasser ließen sich pro Jahr damit erzeugen. Zwei Drittel
dieser Menge reklamiert Jordanien bereits für sich. "Damit könnten
wir den um 2030 erwarteten Bedarf der Region um die Hauptstadt Amman decken,
und der Jordan könnte wieder mehr Wasser behalten", sagt Zafer
al-Alem.
Selbst Umweltorganisationen treten - ungewöhnlich
genug - für den Kanalbau ein. Dazu schufen FoEME sowie der deutsche
Global Nature Fund (GNF) in Radolfzell die Kampagne "Lasst das Tote
Meer leben". Die Naturschützer fordern aber, die ökologischen
Auswirkungen des Projekts gründlich zu prüfen. "Wir sind
nicht gegen den Kanal, aber wir wollen einen integrierten Entwicklungsplan,
der ökologische, soziale und ökonomische Interessen berücksichtigt",
erklärt GNF-Experte Stefan Hörmann. Es gelte, nicht nur den
Wasserkörper selbst, sondern auch das fragile Ökosystem an seinen
Rändern zu schützen. Einen weit reichenden Schutzplan entwarfen
die FoEME-Aktivisten. Sie wollen erreichen, dass das Tote Meer den Status
eines Biosphärenreservats erhält.
Den Ökologen kommt entgegen, dass im Toten Meer nur
wenige Arten halophiler (salzliebender) Mikroorganismen leben, die den
hohen Gehalt an Mineralsalzen von 320 Gramm pro Liter (Mittelmeer: 30
Gramm) tolerieren. Diese könnten Schaden nehmen, wenn einströmendes
Meerwasser diese Brühe verdünnt. Da die Planer aber die hoch
konzentrierte Lake, die bei der Meerwasserentsalzung anfällt, ebenfalls
ins Tote Meer geben wollen, dürfte sich dessen Salzgehalt nur wenig
ändern. Allenfalls, fürchten einige Forscher, könnte die
Wasserentnahme einige Riffe im Golf von Akaba schädigen.
Wird der Kanal gebaut, kann er nach Ansicht der Experten
den ursprünglichen Pegel des Toten Meeres binnen weniger Jahrzehnte
wieder herstellen. Das Dolinenproblem aber, glaubt der Geologe Eli Raz
aus dem am Toten Meer gelegenen Kibbuz En Gedi, werde bleiben. "Das
Absinken das Salzwassers lässt im Untergrund Süßwasser
nachfließen. Es löst unter der Oberfläche verborgene Salzschichten
- darüber liegendes Gestein kollabiert", erklärt er. Entstandene
Hohlräume blieben erhalten, auch wenn das Salzwasser wieder seinen
alten Pegel erreicht. Da sie zufällig verteilt seien, verbiete es
sich, Gebäude in dem durchlöcherten Gelände zu errichten.
Der ausgelaugte Untergrund erstreckt sich über weite Teile des israelischen
Ufers des Salzsees.
Für die Naturschützer ist dies eine gute Nachricht.
"Es sind Hotels mit bis zu 50 000 Betten geplant", weiß
FoEME-Direktor Gidon Bromberg. "Diese umweltbelastenden Betonburgen
werden jetzt wohl nicht mehr gebaut."
Frankfurter Rundschau, 20.8.2003
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